Prinzessin Philippine Charlotte von Preußen (1716–1801) war die vierte Tochter von »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Dieser wiederum war ein enger Freund von Fürst Ferdinand Albrecht II. von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern – und darum hocherfreut, dass er seine Tochter Philippine an den Sohn seines Freundes Ferdinand Albrecht verheiraten konnte. Aus eben jener Ehe zwischen Philippine Charlotte von Preußen und Herzog Karl. I vom Braunschweig-Wolfenbüttel (1713–1780) ging als fünftes von dreizehn Kindern – am 24. Oktober 1739 im Wolfenbütteler Schloss geboren – Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel hervor.
Anna Amalia wurde standesgemäß – in einer Mischung aus konservativ-protestantisch und fortschrittlich-aufgeklärt – in diversen Fächern unterrichtet; unter anderem in Religion von »Abt Jerusalem«, dem Mitbegründer der Vorläuferinstitution der Technischen Universität Braunschweig: Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709-1789). Zu der umfassenden Bildung, die Anna Amalia genoss, gehörten auch Unterweisungen in Tanz und Klavier. Bereits im Alter von 16 Jahren – am 16. März 1756 – wurde Anna Amalia mit Herzog Ernst August II. von Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach verheiratet; unter »Trommelschall, Trompetenklang und 150 Schuss Salut«, wie es heißt (Peter Merseburger: Mythos Weimar: Zwischen Geist und Macht, München 2000, S. 1762).
Ernst August II. war der Sohn des sächsisch-weimarischen Herzogs Ernst August I., der zu seiner ersten Hochzeit in Nienburg (Saale) unter anderem Johann Sebastian Bach als Musiker mitgenommen hatte. Zwei seiner drei Söhne aus zweiter Ehe – Ernst Augusts erste Gattin war nach gut drei Monaten Ehe früh gestorben – starben bereits als Kleinkinder. Und so lag viel Hoffnung und Verantwortung auf Ernst August II. Zwei Jahre nach der Eheschließung mit Anna Amalia jedoch erlag der Herzog von Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach 1758 im Alter von nur 21 Jahren den Folgen einer »Auszehrung«, wie vielfach zitiert wird. (Wahrscheinlich lag eine Schwindsucht oder eine Tuberkulose vor, an der der junge Herzog verschied.)
Am 3. September 1757 hatte die noch nicht 18-jährige Anna Amalia Erbprinz Carl August zur Welt gebracht, der später zu einem eindrücklichen Förderer der Weimarer Klassik und zu einem engen Freund Johann Wolfgang von Goethes wurde; er starb 1828. Anna Amalias zweiter Sohn – Friedrich Ferdinand Constantin (1758–1793) – hinterließ lediglich außereheliche Kinder, starb als Generalmajor im Krieg gegen Frankreich in Pirmasens 1793 an der Ruhr und hatte sich unter anderem angeblich mit Johanna Rosina Pätz (1774–1848) eingelassen, der späteren Mutter von Richard Wagner.
Anna Amalias Mann hatte vor seinem Tod verfügt, dass seine Ehefrau die administrativen Geschäfte seiner Herzogtümer Weimar und Eisenach führen sollte. Als Regentin scheiterte sie unglücklicherweise immer wieder an dem Widerstand der ausschließlich männlich dominierten Bürokratie ihrer Ländereien und konnte in Angriff genommene Reformen vor allem in juristischen Fachbereichen nicht zu ihrer Zufriedenheit realisieren. Erfolge errang sie dagegen im Bereich der Finanzen; so schaffte sie es zunächst, ihr Herzogtum zu entschulden. Darüber hinaus führte Anna Amalia den »Hebammengroschen« ein, mit dem sie das Hebammenwesen in den von ihr regierten Regionen zu stärken und die hohe Mutter- und Kindersterblichkeit zu minimieren gedachte.
Anna Amalia setzte sich für den Fortbestand und die Ausweitung der fürstlichen Bibliothek ein, die seit 1991 – anlässlich des dreihundertjährigen Jubiläums erfolgte die Umbenennung – unter dem Namen »Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek« firmiert. Bis 1775 stand Anna Amalias Erstgeborener Carl August unter der Vormundschaft seiner Mutter. Nach ihrer Amtszeit – 1775 übernahm Carl August die entsprechenden Geschäfte – blieb Anna Amalia eine von auswärtigen Künstlern und Wissenschaftlern häufig und gern besuchte Frau, die – ganz im Gegensatz zu etwaigen Gepflogenheiten – ausdrücklich Nicht-Adlige förderte, wie beispielsweise den Musiker, Verleger und eminent einflussreichen Übersetzer Johann Joachim Christoph Bode (1731–1793). Anna Amalia veranstaltete unzählige kulturelle Veranstaltungen, Theateraufführungen, Konzerte sowie wissenschaftliche und künstlerische Vorträge und Lesungen. Die »Leichtigkeit«, mit der sie künstlerisch auswählte und entsprechende Inhalte vermittelte, stand im Gegensatz zu den ernsten, bildungsgesättigten Konzepten Goethes und Schillers. In ihrem eigenen (kultur)politischen Handeln spiegelte sich damit gewissermaßen ihre einstige Erziehung: Zwar verstand sich Anna Amalia durchaus als »aufgeklärt«, konnte sich aber jederzeit auf konservative, aristokratische, machtmotivierte Standpunkte und Handlungsmaximen berufen, wie es immer wieder in biographischen Abrissen und anderer entsprechender Literatur heißt.
Anna Amalia starb am 10. April 1807 im Alter von 67 Jahren im Wittumspalais in Weimar, ihrem langjährigen Witwensitz.
Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel (1739–1807)Ouvertüre zum Singspiel Erwin und Elmire (1776)
Als Förderin der Kultur lagen Musik und Musiktheater Anna Amalia besonders am Herzen. Neben zwei musiktheoretischen Schriften schuf sie mindestens eine Sinfonia, ein Oratorium, eine Sonatina für diverse Instrumente, ein Divertimento sowie zwei Singspiele nach Texten Goethes. 1776 entstand das Singspiel Erwin und Elmire, das erst 1921 in den Druck kam. Die Ortsangabe des Librettos liest sich in der ersten Fassung äußerst lustig: »Der Schauplatz ist nicht in Spanien«.
Die Protagonistin Elmire darf – anders als Anna Amalie einst – über ihren zukünftigen Bräutigam selbst entscheiden. Elmires Mutter – Olimpia – lässt ihr also freie Hand, mit der kleinen Einschränkung, dass im Grunde jeder Gatte ginge: »[…] wenn ein Weib Menschenverstand hat, kann sie sich in alles fügen.« (War das etwa die Botschaft, die Anna Amalia an dem Goethe-Stoff affizierte? – so könnte man ja fragen…). Den ihr empfohlenen Erwin vertreibt Elmire allerdings zunächst. So versuchen Mutter Olimpia und der Vertraute Bernardo, die beiden wieder zu vereinen. Doch Erwin bleibt verschwunden. Bernardo empfiehlt, Elmire möge einen Eremiten im Wald aufsuchen; dieser entpuppt sich schließlich als Erwin höchstselbst. Am Ende triumphiert die Liebe – und Elmire schmachtet Erwin zu: »All mein künftig Leben, Liebster, weih‘ ich dir!«
Auf einem erwartungsfreudigen Bass-Repetitionsteppich erheben sich im Vorspiel temperamentvolle Geigen – und beginnen die fast märchenhafte Erzählung mit der Anmutung von »Mannheimer Walzen«. Es drängt festlich hinan. Ganz kurze Flöten-Einwürfe bringen eine schöne Farbabwechslung ins Spiel, abgelöst von den Oboen. Nach etwa drei Vierteln einer Minute buhlt eine feine Moll-Eintrübung leise, gekonnt und erfolgreich um unsere Aufmerksamkeit. Der langsame Teil der Ouvertüre gibt sich terzenselig-pastoral – und spinnt das instrumentale Wechselspiel fort. Musik ihrer Zeit – ganz aktuell informiert und keineswegs rückwärtsgerichtet. ¶