Videobeweis: 100 Pianist*innen mit der bekannten e2-dis2-Kombination im direkten Vergleich.

Text · Datum 12.2.2020

Ja doch: Eigentlich hätte das berühmteste Klavierstück der Welt wohl Für Therese (nämlich für derer von Malfatti) heißen müssen! Für Elise klingt marketingseitig aber einfach besser – der wissenschaftlich »korrekte« Titel Klavierstück a-Moll WoO 59 (also »Werk ohne Opuszahl«, hallo?) ist dagegen die totale Vollkatastrophe.

Wir Klavierspielenden wurden frühkindlich mit diesem Stück in a-Moll aus dem Jahre 1810 konfrontiert. Entweder mussten wir es selbst spielen – oder es immerfort hörend bei Musikschulkonzerten aushalten, weil irgendein*e Luisa, Sören oder Sonja halt doch jedes Mal dazu genötigt wurde, dieses Albumblatt mit dem ewig auftaktigen Dudelbeginn abzuschnurren. Ein Kinderstück ist Für Elise dabei nicht, allein, weil die technischen »Schwierigkeiten« nach dem bekannten Anfang im nächsten Formteil doch um Einiges zunehmen und schon in die nächste höhere Taschengeldklasse fallen. Trotzdem wird dieses Stück weiterhin vor allem von Kindern gespielt – oder etwa als ironische (?) Zugabe nach einem Beethoven-Klavierkonzert. Da wird dann durchaus mal publikumsseitig gelacht, wenn die ersten – quasi ewigen – Töne erklingen. Warum eigentlich? Weil man das nicht mehr spielen kann? Weil alle es kennen? (Letzteres wäre wünschenswerter.) Irgendwie fällt das Stück ohnehin aus Beethovens Gesamtschaffen für das Klavier heraus: zu simpel, zu gefällig das Ganze. Macht man sich Beethovens spezielle Vorliebe für Klavier-Auftakte deutlich, so wirkt Für Elise wiederum ganz eingebettet in das pianistische Oeuvre des heurigen Jubilars: Man betrachte die Auftakte zu den Sonatensätzen c-Moll, op. 13, 3. Satz (1798-99), G-Dur, op. 14 No. 2, 1. Satz (1798-99) oder d-Moll op. 31 No. 2, 3. Satz (1801-02). Alles Vorfahren von van Beethovens Für Elise.

Schon die Fluxus-Künstler*innen der 60er und 70er arbeiteten sich an Für Elise trashig-vertrashend ab. Und 1992 veröffentlichte Jazzer und Komiker Helge Schneider sein Album Guten Tach, dessen siebter Track fast ausschließlich aus mehr als einer Minute »Für-Elise-Erwartung« besteht: Schneider haut die Töne e2 und dis2 brachial und mit einem – die mangelhafte Bereitschaft, hehre Klassik zu generieren, ausdrückenden – Brummgeräusch im Hintergrund in die Tasten, um das pervertierte Warten auf das doch schon eh immer bekannte a-Moll-Geschmeiß mit den Worten »Gleich kommt’s!« und »Nur noch zehn Minuten!« geschmackvoll und stilsicher zu untermalen.

Tatsächlich verzählten sich viele der Luisen, Sörens und Sonjen meiner 80er Jahre bei der exakten Anzahl der e2-dis2-Kombinationen, welche in den Takten 12 und 13 überdies noch im Rahmen eines kurzen Oktavierspiels beider Hände hybridisiert werden.

Videobeweis: 100 Pianist*innen warten auf Elise. Der direkte Vergleich in @vanmusik.

Dieses Gefühl des ewigen – und dann doch nie lustvollen – »Wartens« auf das Eintreffen des harmonisch griffigen wie einfachen Themenverlaufs habe ich nun in einer Compilation aus einhundert Interpret*innen, die ich auf dem bekanntesten Videoportal – Für Elise spielend – angetroffen habe, Dauerschleife werden lassen. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.