Maschinenrauschen. Vorne ein leuchtendes, krakenähnliches Ungetüm, das in offene Rohrenden mündet, wie ein großes Maul. Zunächst ertönt ein »Plop« – ich sehe Schlieren durch einen der vielen Schläuche strömen. Dann steigt mir ein Odeur in die Nase: Gülle? Kaum habe ich den Geruch wahrgenommen, verschwindet er wieder und es folgt ein weiteres Ploppen und ein neuer Geruch taucht auf. Autoreifen? Irgendwann wird mir vom ganzen »Zuriechen« ein bisschen schwindelig und immer wieder verliere ich die Orientierung zwischen den Gerüchen. Dann plötzlich: Sattelseife. Ein Bild taucht vor meinem inneren Auge auf, ein ganz bestimmtes Gefühl, eine vergessen geglaubte Erinnerung: Der Pferdestall, in dem ich als Kind Stunden mit dem Putzen des Zaumzeugs verbracht habe. Das Instrument, das mir diese Sinneswahrnehmungen beschert, ist die Geruchsorgel Smeller 2.0 – eine Erfindung von Wolfgang Georgsdorf – die den Beginn einer ganz neuen Kunstform markiert. Das durch die Orgel zu riechende »Osmodrama« ist Teil der von Tino Sehgal und Thomas Oberender kuratierten Ausstellung »Welt ohne Außen. Immersive Räume seit den 60er Jahren« im Martin-Gropius-Bau. Der grenzenlos neugierige Wolfgang Georgsdorf ist Musiker und Maler, Komponist und Bildhauer, Autor, Regisseur und Erfinder. Auf einem zweistündigen Spaziergang durch unseren gemeinsamen Kiez am Görlitzer Park bleibt er immer wieder stehen, weist mich auf den Geruch von Lindenblüten und Marihuana hin oder entdeckt eine besondere Pflanze und identifiziert sie für mich. Es ist ein Eintauchen in die unendliche Welt der Sinneswahrnehmungen.Eine neue Kunstform benötigt eine neue Sprache, erklärt mir Wolfgang Georgsdorf und somit habe ich hier ein kleines, olfaktorisches Lexikon mit seinen Wortschöpfungen zusammengestellt:Smeller 2.0 – Neuestes Modell der GeruchsorgelOsmodrama – Theater für die NaseOsmodrom – Der Raum für die ZuriecherZuriecher – Person, die im Osmodrom Geruchssequenzen erlebtOdience – Das Publikum des OsmodramaSynosmie – Eine Symphonie von GerüchenSmellodie – Kleine Abfolge von GeruchsakkordenHauchmaul – Strömungsleitelement

In Zeitungsartikeln wurdest du mit Daniel Düsentrieb und Jules Verne verglichen. Was gefällt dir besser?

Jules Verne ist ehrenhaft, weil er visionär ist und in die Zukunft blickt, aber Daniel Düsentrieb wäre sogar zutreffender, weil er praktisch umsetzt. Das heißt, ich bescheide mich nicht damit, eine große Vision blumig zu beschreiben, die dann nicht verwirklicht wird und nur in unseren Köpfen bleibt. Der Witz bei meinem Projekt ist ja, dass es erstmalig funktioniert. Es wäre also eher die etwas lachhafte Disneyfigur Daniel Düsentrieb, der ich mich zuordnen würde. Denn wenn ich auf die Piste der Fiktion ginge, würde ich noch ein ganz anderes Fass aufmachen. Das da ist Wirklichkeit, das ist kein Aprilscherz, wie ›Google Nose‹, sondern ein Ansatz, der sich sehr ernst nimmt und es ist ein Tiger auf dem ich reite und von dem ich auch nicht mehr runterkomme.

Was wolltest du als Kind werden?

Forscher, auch wenn das Berufsbild gar nicht in meinem Bewusstsein war. Ich hatte in meiner Kindheit, wenn ich nicht einschlafen konnte, tranceartige Bilderlebnisse. Da waren lange Alleen dabei und diese Alleen, das spüre ich heute noch, waren metaphorisch für viele Jahre und Momente, Stationen, Sekunden, Gedanken, Gefühle, Ereignisse auf einem Weg, den dieses Kind dann in seinem Leben beschreiten wird. Mein Großvater war Chemiker, die älteste Schwester meiner Mutter ebenfalls. Ich bin die ersten Jahre bei meinen Großeltern aufgewachsen. Mein leiblicher Vater ist ein bekannter Biologe geworden. Er war Entomologe, Parasitologe und Taxonom – der auch einige neue Insektenarten entdeckt hat – und an ihm ist in Wien kein Medizinstudent vorbeigekommen. Und der Bruder meiner Mutter ist ironischerweise ein Zwölfender der Klimatechnik und Strömungslehre geworden.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das dich zum Thema Geruch gebracht hat?

Meine Großeltern kamen aus der Österreich-Ungarischen Monarchie und haben zwei Weltkriege miterlebt. Da war der kleine Wolfi nach dem Krieg ein Lichtblick, ein Neuanfang – das Leben geht weiter. Ich spürte die Sonderrolle, die ich hatte. Ich war wohl recht unterhaltsam und aufgeweckt, habe gesungen und Gedichte nachgesprochen und alles gleich auswendig gewusst. Sie waren, ich würde nicht sagen hypochondrisch, aber überausgestattet mit Medikamenten. Regelmäßig haben sie ihre umfangreiche Hausapotheke ausgemistet. Ich habe gesagt: ›Werft die Sachen bitte nicht weg.‹ ›Na wieso denn?‹ ›Ich will damit spielen.‹ ›Um Gottes Willen, Wolferle, das geht nicht, das sind giftige Dinge.‹ Mein Großvater erzählte mir oft nebenbei so Sachen, wie zum Beispiel, dass man aus dem Kondensat des gelben Rauches von verbranntem Zelluloid Herzmittel herstellen kann. Er wusste nicht, was in dem Kind für ein Mythos entsteht. Das ist tief in mein Bewusstsein eingedrungen. Meine Großeltern haben gesagt: ›Wenn du es isst, dann stirbst du oder wirst sehr krank.‹ ›Ich will es gar nicht essen. Darf ich riechen?‹ ›Ja, riechen darfst du.‹ Sie haben dem fünfjährigen Kind das Vertrauen entgegengebracht und damit hatte ich meinen ersten Geruchsbaukasten zusammen, meine erste olfaktorische Panflöte aus Tropfen und Tabletten, die ich stampfte. Ich habe sogar Spritzen mit Nadeln bekommen. Ich habe sie aufgezogen und Pflanzen und Schnecken geimpft. Meine Tante war die Bibliothekarin des Instituts für Chemie an der Universität Wien. Sie war Messie und beim Ausräumen ihrer Wohnung vor ein paar Jahren – nachdem wir mit vereinten Kräften dieses Schichtwerk in archäologischer Mühe freigelegt hatten – war unter dieser Lava, unter diesem ganzen Magma, meine Kindheit: Der Schrank mit den Fläschchen. Das ist eine kleine, wahre Entstehungslegende dazu, wie es mit dem Smeller angefangen hat.

Hast du selber eine besonders gute Nase?

Ich glaube es gibt bessere Nasen als meine. Frauen können besser riechen als Männer und Jüngere besser als Ältere. Man kann aber sagen, dass Riechen nicht so sehr Nasensache ist, sondern viel mit Übung zu tun hat.

Hat der Smeller Ähnlichkeit mit einer herkömmlichen Orgel?

Ganz viel, wenn man einmal vom Auditiven absieht! Das Hauptmerkmal einer Orgel ist ein System mit Windladen. Meine Windladen sind denen der Orgel ganz ähnlich: ansteuerbare Ventile, die Windströme öffnen oder schließen können, um sie in einen Gesamtwindstrom einmünden zu lassen. Da gibt es einzelne Kammern, in denen die Zutaten der Komposition ruhen, wie einzelne Töne oder Klänge. Bei der Orgel haben wir die Register, Wind, Windwege, Rohre, Schläuche, Pfeifen und Ventile, die sich öffnen und schließen – so kann der Ton, beziehungsweise Geruch nach draußen dringen. Es sieht auch ähnlich aus. Nur, dass es bei mir wilde Schläuche sind, die das Aggregat der Windladen mit dem Hauchmaul verbinden, wo alles zusammenmündet.

Wie spielt man die Geruchsorgel?

Man kann sie mit Klaviaturen spielen, mit MIDI-Keyboards. Jeder Geruchsgrundstoff ist einem Ton auf dem Keyboard zugeordnet. So kann man ganz normale Partituren niederschreiben. Unsere Forschung beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, welche Grundgerüche ideal sind, um die größtmögliche Bandbreite von Geruchsmischungen herzustellen – ein Weltmalkasten der Düfte. Die Länge der Öffnungszeiten der Ventile drücken wir durch die Notenwerte aus, eine Sechzehntelnote ist eine kurze Ventilöffnung und eine Ganze eine lange Öffnung. Wir benutzen Pausenzeichen und die gleichzeitige Ausströmung verschiedener Komponenten wird durch die entsprechenden polyphonen Akkorde ausgedrückt. Aber meistens programmieren wir Synosmien direkt am Computer. Für die Kompositionen gibt es verschiedene Notationssysteme. Wir komponieren Geruchssequenzen zum Beispiel mit Musikprogrammen, die auch DJs verwenden, wenn sie ihre Soundtracks und Samples machen.

Wie setzt sich ein ›geruchlicher‹ Dreiklang zusammen?

Ein Dreiklang, sozusagen eine Triosmie, wäre zum Beispiel Kresyl-Acetat, der dem Pferdegeruch sehr nahe kommt, dazu etwas Zibet aus der Analdrüse der Zibetkatze, der sehr stark nach Kot riecht (und übrigens ein unverzichtbarer Grundstoff für die Parfümerie ist) und vielleicht noch ein wenig Heu, dann habe ich einen Pferdeapfel. Jeder Geruch, den wir hier im Smeller verwenden, ist eigentlich an sich schon ein Akkord, weil es komplexe Moleküle sind. Unter Kaffee mischt man ein bisschen kalten Rauch und schon hat man den Röstgeruch, dann könnte noch Holz dazukommen oder Labdanum, Mittelmeerharz. Es sind immer nur Annäherungen. Mit meiner Arbeit schaffe ich unsichtbare, unhörbare, untastbare Skulpturen von hoher Flüchtigkeit, ätherisch und atmosphärisch. Ich baue etwas Skulpturales in uns auf: Da entsteht zum Beispiel das Abbild eines Pferdes, aber nicht vor den Augen, wie beim Film, sondern hinter den Augen. Das spricht so stark für den Einsatz von kinetischer Olfaktorik als künstlerische Praxis.

Du erzählst also mit den Gerüchen Geschichten?

Sprache ist sehr wichtig für mich, ich drücke mich gerne aus, aber ich werde mir zunehmend bewusst, wie eingeschränkt unsere Sprache ist, auch in Wittgensteins Sinn, vielleicht kennst du das Gleichnis: Wir müssen aus der Sprache herausfinden, wie die Fliege aus dem Fliegenglas. Ich habe sieben Jahre lang ein Gebärdensprache-Programm entwickelt und habe es nicht umsonst ›Mudra‹ genannt. Übersetzt aus dem Sanskrit bedeutet ›Mudra‹ Siegel und Zeichen gleichzeitig. Das will sagen, wo eine Bezeichnung an eine Stelle als Bedeutung hingesetzt wird, da versiegelt es. An derselben Stelle kann zur gleichen Zeit nichts anderes mehr sitzen. Worte sind wie Ziegelsteine, wir bauen regelrecht Mauern aus ihnen. Aus der Arbeit mit Gehörlosen – ich habe auch Gebärdensprache gelernt – ist mir ganz deutlich geworden, dass die Gebärdensprache über viel mehr Register verfügt als unsere gesprochene Sprache, weil sie nicht so von der Festlegung abhängig ist. Ich denke, dass auch Gerüche in diesem Bereich sehr viel Entgrenzung leisten können, was sehr heilsam sein kann für uns Menschen.

Bisher hast du Osmodrama oft in Kombination mit anderen Kunstformen aufgeführt. Bei Quarter Autocomplete im Martin-Gropius-Bau steht der Geruch ganz für sich.

Das ist immer mein Wunsch gewesen. Bei den vielen begleitenden Synosmien der ersten Jahre, hört man zum Beispiel vier Minuten lang die Soundscape von einem Flughafen, einer Kirchenmesse, einem Urwald oder einem Zoo und jeweils synchron kommen die Gerüche. Oder als Begleitung zu einem Film. Die Rückmeldungen, die ich für die reinen Geruchsstücke kriege, sind aber besonders interessant. Gerade haben wir Leute aus unterschiedlichsten Ländern dazu befragt, was sie gerochen haben.

Riecht jeder Zuriecher dasselbe?

Die Interpretation von Gerüchen hängt stark von der jeweiligen Kultur ab. Wenn wir den Geruch von Kamel ausströmen, kommt bei dir die Erinnerung an Zirkus oder Zoo. Bei einem Kind aus Jordanien entsteht aber die Assoziation Großmutter, weil es sie auf dem Land besucht hat und es dort Kamele gab. Beim Geruch der Großmutter, zum Beispiel, kommen die Geister aber auf einmal wieder zusammen. Ein bisschen Muff, da nehmen wir Indol, aber auch Erfrischungstuch, Citrus, Neroli, bisschen Naftalin, bisschen Mottenkugeln, Pelz. Bei weit mehr als der Hälfte der Odience gibt es da die Assoziation Großeltern. Die Erinnerungen wohnen so tief in dir und die Gerüche sind imstande, diese Erinnerungen aus dem Archiv zu heben. Das können auch Bilder machen, aber nicht so untrüglich, unmittelbar und zwingend. Du kannst nicht wegriechen, aber du kannst weghören oder wegsehen. Es gab Leute, die im Smeller angefangen haben zu weinen, tief gerührt waren oder auch rausgehen mussten, weil es ihnen unerträglich wurde.

Wie kommen die Synosmien und Smellodien zustande? Was hast du dir bei der Abfolge der Geruchsakkorde im Gropius-Bau gedacht?

Ich habe mich bei der Komposition leiten lassen von der Idee ›Evolution in 12 Minuten‹. Es sollen keine stehenden Gerüche sein, in denen wir baden, bis wir kotzen – die Überdosis von allem macht uns ja nausisch, man hat schnell zu viel. Der Geruch im Smeller, ist aber kurz da und dann wieder weg. Dadurch können wir das Feld der Semantik betreten. 12 Minuten, in denen ich sage Meer, dann sage ich Lagune, Brackwasser, Ufer, Schlick, Sumpf, Morast, Schilf, Erde, nasse Erde, Entstehung von Pilzen, erste Pflanzen, krautiges Grün, Säfte, Bäume, Harze, Rinden, Blüten, Früchte, Tiere, die die Früchte essen, alles was diese Tiere ausscheiden, Tigerpisse, Affenkacke. Und irgendwann tritt der Mensch auf. Das zeige ich geruchlich mit Schweiß. Es folgt Feuer und die Zubereitung von Speisen, Garen, Bratengeruch, Gekochtes. Dann kommen die menschlichen, abgründigen Kloakengerüche, fauler Zahn, Kackgeruch, verwesendes Fleisch. Ich würde es gerne die Gerüche des Zerfalls nennen – des Vergehens und Werdens. Dann kommt die Industrie, später Deos, Seife, unweigerlich Nivea – die olfaktorische Pumuckl-Kassette der Jugend – Coca Cola. Gerüche, wie ich sie in den Synosmien im Osmodrama ausströme, sind Morse von sanften Wölkchen, die uns durchziehen, die wir erhaschen, Ahnungen, die wir in die Brise träufeln. Es war mir wichtig, mit der Geruchsorgel die Künstlichkeit unserer Kontemplation zu zeigen. Es ist künstlich, auf einem Sofa zu liegen und in einem Film die Wüste zu sehen ohne zu schwitzen. Auch bei der Musik: Wir bewegen uns nicht, aber die Töne bewegen sich. Mit dem Smeller haben wir jetzt die Technologie, diese Künstlichkeit auch mit Geruch zu erzeugen. Wir sitzen einfach nur so da und alles bewegt sich. Die Kinetik ist entscheidend.

Ist das Ziel der Synosmie, dass der Zuriecher die Gerüche zuordnet?

Hineingehen, Augen zu, nichts erwarten, nichts wollen, einfach 12 Minuten durch die Nase atmen, alles erleben und nicht sofort bewerten oder benennen müssen. Nicht die Quizqual und obsessives Raten. Wir müssen unbedingt immer gleich ein Wort haben, dann hat nichts anderes mehr Platz. Es ist ein menschliches Phänomen mit der Sprache, sobald wir einen Namen für etwas haben, meinen wir, es zu verstehen. Dabei ist das überhaupt keine Erklärung.

Woran liegt es, dass Geruch wie kaum ein anderer Sinn Erinnerungen hervorruft?

Der Geruchssinn ist der tiefste Sinn. Beim Sehen und beim Hören haben wir es mit Lichtwellen und Schallwellen zu tun. Beim Riechen sind es Teilchen, nicht im quantenphysikalischen, sondern im molekularen Sinn. Wenn du etwas riechst, dann hast du es schon im Körper. Das ist etwas Intimes, was wir uns instinktiv nicht ohne Weiteres gefallen lassen möchten, dass etwas von Außen in uns eindringt, ohne dass wir da ein Wörtchen mitzureden haben. Wenn du Hundekacke riechst, dann hast du die Moleküle dieser Kacke schon in deiner Schleimhaut eingebettet liegen und sie ist gerade dabei, es zu verdauen und aufzunehmen. Wir reagieren auf Gerüche reflexartig, wir können unsere Reaktion nicht steuern und damit komme ich zurück auf den Ursprung des Geruchs. Im limbischen System, das eng mit dem Geruchssinn zusammenhängt, liegen gleichzeitig Gefühle, Triebe, Erinnerungen und Geruch. Anders als beim Sehen oder Hören passiert dort also eine durch den Verstand und das Urteilsvermögen nicht beschränkte oder gefilterte Wahrnehmung. Auch wenn Schall oder Licht viel schneller von der Quelle zum Empfänger gelangen können, kommt der Geruch in seiner Komplexität viel schneller im Gehirn an.

»Es muss verdächtig erscheinen, dass wir ungefähr 4000 Jahre Musikgeschichte haben, aber kaum bewegte Geruchsgeschichte.« Wolfgang Georgsdorf über seine Geruchsorgel in @vanmusik.

Warum ist Geruch denn als Kunstform so unterrepräsentiert?

Wir haben es mit einem besonders speziellen Fall zu tun, denn es muss verdächtig erscheinen, dass wir ungefähr 4000 Jahre Musikgeschichte haben, aber kaum bewegte Geruchsgeschichte. Wir einigen uns schnell, dass die Musik das Höchste ist, noch über der Philosophie, der Malerei und dem Theater. Aber die Gerüche haben es nicht verdient, als Stiefsinn durch die Kultur geschleift zu werden. Osmodrama ist der Beginn von etwas Neuem. 150 Jahre, nachdem wir die Bilder das Laufen gelehrt haben, betreten wir nun eine Ära, in der wir die Gerüche das Laufen lehren. Dem Geruch können wir eine Konjunktur voraussagen, weil die Menschen einfach übersättigt sind von audiovisuellen Reizen und gerade dabei sind, ihren Körper wieder neu zu entdecken. Das geht einher mit der anschwellenden Sehnsucht nach der Natur, nach aufrichtiger Produktion, nach Fairness. Die Evolution ist ein permanentes Wabern von Molekülen. Dieses Gärfass reduziert auf die Gerüche, das An- und Abebben dieses und jenen Stoffes, kann man körperlich erleben in einem nicht sagbaren, nicht sichtbaren und nicht hörbaren Bereich, hoch ätherisch, transformativ. Wenn Du etwas riechst, hast du fünf Möglichkeiten: Angreifen, davonlaufen, essen, paaren oder (seltener) ignorieren. Menschen haben noch eine Variante, die ich als den Ursprung der Kunst und Kultur bezeichnen würde: Spielen. Aber wir müssen erst mal eine Kultur des Riechens entwickeln. Wir sind völlig ungeübt im semantischen Riechen und müssen viel mehr Umgang haben mit Gerüchen. ¶