Über die Wiener Mozart Konzerte.

Text & Titelbild (bearbeitet von VAN) · Datum 4.9.2019

Sommer in Wien. Die Bewohner*innen der Stadt sind im Urlaub oder pilgern nach getaner Arbeit in Scharen zu Donaukanal, Alter Donau, Neuer Donau und Donauinsel – Hauptsache Donau und Wasser. Gleichzeitig füllen sich genau 3km² der Innenstadt mit Unmengen von kulturbegeisterten Tourist*innen, die den ersten Bezirk unter sich aufteilen. Von diesem Ansturm sind natürlich einerseits Würstelbuden und Beisl, aber auch die beiden Flaggschiffe der Wiener Hochkultur betroffen: Staatsoper und Musikverein. Was das hauseigene musikalische Programm der beiden Institutionen angeht, sieht es in den Sommermonaten aufgrund der Theaterferien jedoch recht mau aus. Die Staatsoper hat den Betrieb gänzlich eingestellt und der Musikverein fährt ein abgespecktes Sommerprogramm. Wie also die Augen und Ohren jener füllen, die Wien mit Mozart, Beethoven und/oder Strauß verbinden?

Die Antwort ist so einfach wie ein Blick in das Programm beider Institutionen: die Wiener Mozart Konzerte. Seit über 20 Jahren spielt hier das Wiener Mozart Orchester, organisiert und konzipiert von der Wiener Mozart Orchester Konzertveranstaltungs GmbH, die es seit 1986 gibt. Im Musikverein und in der Staatsoper werden in der Hauptsaison von Juli bis September an sechs Tagen die Woche die Klassiker des Mozart’schen Oeuvres zum Besten gegeben: Arien und Duette aus Don Giovanni, der Hochzeit des Figaro, der Zauberflöte, der Entführung aus dem Serail und Così fan tutte, aber auch einzelne Sätze aus Symphonien, die kleine Nachtmusik, das Rondo »Alla Turca« aus der Klaviersonate Nr. 11 in einer Bearbeitung für Orchester…

»Hopefully I learn to open my eyes«, sagt ein junger Konzertbesucher, der als Cellist im Hong Kong Post-Modern Orchestra spielt und sich »ein Aha-Erlebnis« erhofft. Vor den Ohren werden bei vielen Zuhörer*innen im goldenen Saal des Musikvereins zunächst aber die Augen geöffnet. Und als das Orchester in Kostümen und Perücken des 18. Jahrhunderts die Bühne betritt, potenziert sich das Staunen. Ein Zuhörer aus den USA möchte hier »traditionelle klassische Musik hören« und sich vorstellen, mittendrin zu sein, »in den 1750ern«. Eine Familie aus Irland möchte wiederum »unterhalten« werden und sich der »neuen Erfahrung« öffnen. Andere formulieren es recht bodenständig: »We expect to hear Mozart.« Dieser Spaß an der Zeitreise kurbelt auch den Ticketverkauf auf der Straße an. Vor zentralen Orten der Stadt wie dem Stephansdom und der Staatsoper laufen kostümierte und mit Perücke versehene Mozart-Verkäufer auf und ab und versuchen, »Hochkultur« zu veräußern. Allen gefällt das übrigens nicht. 2017 gab es bereits Beschwerden von Anwohnenden und Tourist*innen.

Die Kostüme nach Schnitten aus aus Mozarts Zeiten sind die gängige Dienstkleidung des Orchesters und seiner Solist*innen. »Das war früher für mich ein großer Unterschied, wenn ich es ehrlich sagen darf«, so Wolfgang Zuser, der seit längerer Zeit Mitglied im Orchester ist und an dem Abend das Konzert für Flöte Nr. 1 in G-Dur spielt. Mittlerweile habe er sich daran gewöhnt, da Anzug und Frack letzten Endes auch nur Kostüme seien. Elisabeth Starzinger, am heutigen Abend in den Rollen des Cherubino, der Donna Elvira, der Fiordiligi und der Papagena zu hören, findet die Kostümierung sehr praktisch, da die Kleiderfrage dudurch gelöst sei und man besser in die jeweilige Rolle fände. An der Ernsthaftigkeit der Darbietung würde das nichts ändern. »Das Orchester besteht aus professionellen Musikern aus den unterschiedlichen Orchestern von Wien und wir freuen uns diese Tradition im Musikverein auch mit Kostümen genauso qualitativ zu bringen wie im Frack.«

Konzertbeginn. Musikalisch ist wenig einzuwenden, auch wenn der Bratschist, nachdem er sein Instrument auf seinen Stuhl gelegt hat, für die Ouvertüre der Oper Entführung aus dem Serail an die große Trommel wechselt. Kein Witz, aber dafür Spiel mit Wums. Kurz vor der Pause geht bei der kleinen Nachtmusik das erste Mal ein Raunen durch den Saal. Einige gejetlagte und teils an Schultern schlafende Zuhörer*innen blicken auf einmal fasziniert auf die Bühne. Das kennt man doch irgendwoher. Beim darauf folgenden Rondo »Alla Turca« fordert der Dirigent vor dem Flötenlauf das Publikum zum Mitklatschen auf. Der Saal kocht. Überlegungen zum Verschwinden oder dem Erhalt einer sogenannten Hochkultur sind ebenso präsent wie die Frage, ob es nicht solche Konzerte sind, die Menschen für klassische Musik begeistern. Diese Ambivalenz zeigt sich unter anderem auch in den schriftlichen Bewertungen auf TripAdvisor. Rezensent*in mkendler aus der Schweiz schreibt dazu: »Die Aufforderung zum Mitklatschen fand ich äußerst unadäquat. Das entspricht eher Bierzeltstimmung als dem Musikvereinssaal.« Fazit: ungenügend. GoPlaces30089997326 schließt sich dem an: »touristischer Schabernack, reine Geldmacherei«. Viele andere Nutzer*innen sehen das ganz anders: »Musikalische Zeitreise!«, »sehr schön« und »Sommerpause – aber nicht in der Qualität« sind nur einige Titel von Bewertungen des letzten Jahres. TripAdvisor-Nutzer*in dani279, ebenfalls aus der Schweiz, schreibt: »Es hat uns alles gefallen! Speziell, dass auch etwas Humor Platz hatte.« Damit gemeint sind wahrscheinlich kleinere szenische Einlagen wie ein Sprung des Dirigenten beim Abschlagen oder das Mitschreiten des Baritons gegen Ende seiner Figaro-Arie.

Das Ende des Konzerts bilden drei Zugaben inklusive Radetzky-Marsch und An der schönen blauen Donau. Warum jetzt auf einmal Strauss und dann auch noch aus zwei Generationen? Halb so wichtig, denn das Publikum singt und klatscht erlöst mit. Dass dieses Konzept aufgeht, zeigen nicht nur die Kartenpreise zwischen 50 und 320 Euro, sondern auch die Besucher*innenzahlen. Gerald Grünbacher, Geschäftsführer der Wiener Mozart Konzerte, gibt eine Auslastung von ca. 88% im goldenen Saal und ca. 100% im Brahmssaal des Musikvereins, sowie eine Auslastung von ca. 95% in der Staatsoper an. Die beiden Hauptspielorte, goldener Saal des Musikvereins und Hauptbühne der Staatsoper, fassen jeweils etwa 1.700 Plätze. Somit kommt man, bei einer Durchschnittsauslastung von ca. 92% an sechs Tagen die Woche, allein in den drei Monaten der Hauptsaison auf ca. 112.608 Zuhörer*innen. Führt man die Rechnung bei einem Durchschnittskartenpreis von 80 Euro fort, so ergibt das einen Umsatz von ca. 9 Millionen Euro pro Hauptsaison. Das ist beachtlich, vor allem wenn über umwegrentable Angebote, wie ein zusätzlich buchbares Dinner für 50 Euro, die im Programmheft angepriesene Mozart-Jewelry-Collection, oder der Verkauf von CDs (»The Best of Mozart Vol. 1«, »The Best of Mozart Vol. 2«, »A Mozart Concert in Vienna«, »A Mozart Evening in Vienna«), ebenfalls Umsatz erwirtschaftet wird. Laut Ferdinand Hutter, dem Head of Marketing des Wiener Mozart Orchesters, trägt sich die GmbH dadurch vollständig und vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Geschäftsführer und Programmdirektor Gerald Grünbacher verzeichnet »seit vielen Jahren ein jährliches Wachstum« und sieht auch »den kommenden Jahren sehr optimistisch entgegen«. Wichtigster Faktor sei trotzdem die musikalische »Abwechslung in den Programmen«.

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Das erscheint etwas hoch gegriffen. Nimmt man beispielsweise die Mozart Konzerte im Zeitraum vom 21. August 2019 bis zum 21. September 2019, so fällt auf, dass in 28 Konzerten 28 Mal Die kleine Nachtmusik erklingt. Ebenso oft der 1. Satz der Symphonie Nr. 40 in g-Moll oder das Duett der Zerlinda und des Don Giovanni Là ci darem la mano aus Don Giovanni. Befindet man sich also in dem Pool der professionellen Musiker*innen, aus dem Tag für Tag das Wiener Mozart Orchester zusammengesetzt wird, so ist die Chance recht hoch, dass man nicht nur Tag für Tag, sondern Jahr für Jahr ein ähnliches, wenn nicht sogar identisches Programm spielt. Immerhin: Den 1. Satz der Symphonie Nr. 35 in D-Dur gibt’s nur einmal auf die Ohren. Das Konzept ist einfach, erklärt Ferdinand Hutter: »Es gibt die größten Klassiker, die bei jedem Konzert gespielt werden und rundherum gibt es einige kleine Variationen.«

»Beim Rondo ›Alla Turca‹ fordert der Dirigent vor dem Flötenlauf das Publikum zum Mitklatschen auf. Der Saal kocht.« Die Wiener Mozart Konzerte in @vanmusik.

Die Wiener Mozart Konzerte sind ein finanziell erfolgreiches Produkt eben jenes klassischen Musikbetriebs, der seit Jahren versucht, neues Publikum zu erschließen. Möglich wird dies dadurch, dass sie ihre Zuhörer*innen dort abholen, wo sie sich befinden: In ihrer subjektiven Imagination einer vergangenen Zeit und dem damit verbundenen »hochkulturellem« Erbe. Der Aufbruch zu etwas Neuem wird somit nicht nur von den Wiener Mozart Konzerten, sondern auch von ihrem Publikum schlichtweg ausgeblendet. Wien ist Mozart, Strauss, Beethoven und Haydn und nicht Schönberg, Ligeti, Cerha und Neuwirth. ¶