Vor Weihnachten erschien in der Dresdner Morgenpost ein Interview mit Christian Thielemann, in dem er zu Pegida befragt wird. Der Chefdirigent der Staatskapelle Dresden erklärt da, dass er sich auf keinen Fall in die Nähe der Demonstrationen begebe, aber nicht wegen abschreckender politischer Inhalte, sondern weil er sich bei großen Menschenaufläufen grundsätzlich unwohl fühle. Im Übrigen warne er davor, die Demonstranten allzu schnell abzuurteilen.

In der aktuellen Zeit darf Thielemann nun in einem »Ohren auf!«-betitelten Plädoyer nachlegen: »Wir müssen auf die Fragen hören, mit denen uns das Phänomen Pegida konfrontiert«, lesen wir dort. Was insbesondere schon deshalb komisch ist, weil man musikalisch gesehen beim Dauer-Pinsler Thielemann bisher nie das Gefühl hatte, dass es besonders ums »Zuhören« ginge.

Spiritus rector des deutschen Biedermeier

Soweit so skurril. Man hat sich bei Thielemann daran gewöhnt, dass er sich als Maskottchen einer bestimmten Klientel inszeniert und bewusst immer alles so formuliert, dass der zwischen den Zeilen Lesende deutsche Biedermeier ihn als Spiritus rector wähnt. Mittlerweile ist Thielemann eher ein putziger Gralshüter vor den Gnaden allerlei deutscher B’s, des grünen Hügels, der gläsernen Manufaktur und des Meißner Porzellans. Die Premium-Marke »trägt«, das zeigt der Jubel um seine Konzerte, der mit musikalischen Qualitäten nur teilweise erklärt werden kann.

Dass sich Thielemann nun ausgerechnet bei der linksliberalen Zeit als hochkultureller Pegida-Versteher geben darf, verwundert ebenfalls nicht: Zusammen mit der dortigen Klassik-Redakteurin Christine Lemke-Matwey als Ghostwriterin hat er vor zwei Jahren das Buch Mein Leben mit Wagner verfasst, und auch Literaturchef Ijoma Mangold ist Thielemann-Fan. Dass Thielemann sich dort nun aber zu Tagespolitischem einmischen darf, wirkt dennoch absurd.

Obwohl – die Koketterie des Unpolitischen war bei Thielemann bisher natürlich immer politisches Kalkül, weil er sich immer genau dann darauf zurückzieht, wenn er weiß, dass das Schweigen von seinen Anhängern als eigentliche Zustimmung aufgefasst wird. Das ging dann meist so, wie neulich im 3sat Film Christian Thielemann – Mein Strauss. Als man darin bei Richard Strauss´ Engagement als Präsident der Reichsmusikkammer angelangt war, hörten wir:


Wahrscheinlich waren auch die Leute einfach sehr unpolitisch, was auch gar nicht doof ist, ja. Nicht hinter jedem eine politische Sache zu vermuten. Das ist etwas was mich persönlich unglaublich stört: denn Tonarten sind ja zum Beispiel nicht politisch. (Lächelt süffisant, d. Red.) Nech, da können Sie lange rumdiskutieren und sagen was C-Dur oder G-Dur ist – werden Sie nicht hinkommen, dass das politisch ist. Also findet die ganze Diskussion darum letzten Endes ihren Endpunkt. Das finde ich wunderbar, dass man da als Musiker fein raus ist.


Kurz vorher hatte er bereits kundgetan, dass er im Grunde zwischen all dem Bruckner, Strauss, Beethoven, Bruckner und Strauss viel zu wenig Zeit habe, sich »mit Regierungen« und Politik zu befassen, allenfalls vielleicht noch das Heute Journal oder die Tagesthemen sehe.

Mittlerweile guckt Thielemann immerhin auch noch Günther Jauch: Dass Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel in dessen Sendung nicht klarer gesagt habe, wofür und wogegen sich Pegida richte, begreife ein »Theatermensch« wie er als Inszenierung und Strategie, »vielleicht ist es nicht einmal die dümmste«. Er selbst hat damit reiche und gute Erfahrungen gemacht.

Draußen auf dem Balkon

Thielemann berichtet uns, er sei in sehr vielen netten Briefen darum gebeten worden, nach einer von ihm dirigierten Vorstellung auf den Balkon der Semperoper zu treten und montags »zum Volk« zu sprechen. Nun plädiert er also für das Zuhören. Man würde ihn da gleich zu Beginn gerne fragen, wem er eigentlich zuhören möchte. Den Dynamo–Hooligans, Lutz Bachmann, den HoGeSa, Eva Herman, Klagemauer.tv, Udo Ulfkotte oder doch nur den vermuteten Semperoper-Abonnenten, die mittrotten? Rosinen rauspicken gilt nicht.

Dem Diffusen verdankt Pegida seine Existenz. So kann ein jeder seinen Gefühlsstau lösen und projizieren, was ihn gerade umtreibt: Kampf der Kulturen, Verschwörungstheorien, Selbstmitleid, die eigene Opferrolle oder unsichtbare Muslime, deren Nichtexistenz in Nachbarschaft und Stadtbild sicheres Zeichen für das Wirken im terroristischen Untergrund ist. Faktenchecks treffen da ins Leere. Ein politischer Dialog wäre Gift für »die Bewegung«, ein Programm ihr sicherer Tod. Pegida ist ein Pudding, der auf keinen Fall an die Wand genagelt werden will.

Während aller Orten die Gegendemonstranten weit überlegen sind, beunruhigt es, dass es bei »den Eliten« und also nun auch im Feuilleton eine allmähliche Verschiebung gibt in Richtung eines vermeintlichen Randes, von dem man aber immer schon befürchten konnte, dass er vielleicht doch näher am Konsens ist. Thielemann ist eine gute Gallionsfigur dafür, er ist kein Nazi, vermutlich ein bisschen naiv, vielleicht sogar sympathisch in seiner Gehemmtheit, Schrulligkeit und seinem Preußenfimmel. Das eigentlich Besorgniserregende sind eher die Sehnsüchte, die er bei vielen anderen schon seit geraumer Zeit weckt.

Die gute Suppe

Thielemann braut sich in seinem »Plädoyer« sein eigenes anbiederndes Süppchen und würzt noch mit einem bisschen Kulturpessimismus. Von »Reflexen der Medien« ist die Rede, die Leute, die nicht »mitspielen«, mundtot machen wollen. Von Meinungen, »die niemand hören will«, dass es ein »Gefühl der Ohnmacht« gebe, »das so viele bedrückt« und gute und richtige Gründe für die Unzufriedenheit. Dass Menschen sich nicht trauten, zu sagen was sie denken, weil sie nirgends auf offene Ohren stoßen. Und auch die obligatorische Schelte der Politiker, »die nur an Symptomen herumdoktern&laq
uo;, kommt immer gut an.

Man würde nur gerne all die Beispiele hören für das Übergangen-und-nicht-gehört-werden. Dann würde man vielleicht schnell feststellen, dass da, wo »der Bürger« nach seiner Meinung gefragt wird, oft Schweigen herrscht. Zum Beispiel gerade mal wieder beim Bürgerdialog zur Bebauung des Tempelhofer Feldes. Sozialwissenschaftler haben dies »low involvement« getauft, als Argument für den Parlamentarismus und gegen die direkte Demokratie. Oder, um mit Thielemann zu sprechen: Wie soll man sich zwischen Bayreuth, Salzburg, Dresden und Wien noch um all die Politik kümmern?

Oder die Beispiele dafür, dass nicht offen geredet und geschrieben werden darf. Man muss sich gar nicht erst die Mühe machen, die Bibliotheken an Studien, Untersuchungen und Berichten der Migrationsforschung zu konsultieren, vielleicht reicht schon die Tatsache, dass der Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky, der nach Thielemann schließlich »genau die richtige Balance trifft«, in jeder zweiten Talkshow sitzt. Aber mit der Mär vom »Sprechverbot« lässt sich natürlich gut Politik betreiben. Blöd auch, dass Buschkowsky selbst im Gegensatz zu Thielemann mit Pegida gar nichts zu tun haben wil (Link zu Artikel in der Sächsischen Zeitung.

Die Krankheit als Symptom des Eingebildeten

Die Methode, mit diffusen emotionalen Postulaten einen faktischen politischen Dialog auszubremsen, hat scheinbar Erfolg gehabt, wenn jetzt zunehmend nicht mehr über den Wahrheitsgehalt der Hypothesen gesprochen wird, sondern immer schon die falschen Hypothesen als Ausgangspunkt dienen für weitere Fragen und Handlungsanweisungen: zum Beispiel, dass wir uns vielleicht von einer vermeintlichen »Freizügigkeit« verabschieden müssen, weil »wir der Situation nicht mehr Herr werden«, wie Thielemann schreibt. Worin besteht denn diese Freizügigkeit, und was ist »die Situation«, meint er damit vielleicht eine »unkontrollierte Zuwanderung« oder eine »Islamisierung«? Es ist tausendfach aufgezeigt, dass diese ausfällt.

Dann schreibt Thielemann noch, dass es keine differenzierte Sprache mehr gebe. Damit hat er Recht. Zum Beispiel wird gerade im Diskurs Islam, Islamisierung und Islamismus permanent durcheinander in einen Topf geschmissen. Bei Thielemann selbst geht bald darauf differenziert gesehen auch so einiges durcheinander, oder wie ist das verschwurbelte Argument zu verstehen, dass – solange das Christentum nicht zur Türkei und das Judentum nicht zur arabischen Welt – der Islam auch nicht zu Deutschland gehöre? Christliche Tradition, Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn? Wie du mir, so ich dir? Lustigerweise führt Thielemann dann ausgerechnet Monika Maron als Kronzeugin an, die vor einiger Zeit unter anderem mit der sehr differenzierten Artikelüberschrift »Politiker müssen Muslimen die Grenzen aufzeigen« aufwartete. Pegida sei nur das Symptom, nicht aber die Krankheit, sagt Maron. Nur: vielleicht wird ein Hypochonder durch noch mehr Aufmerksamkeit immer noch »kranker«?

Die Verschiebung der Koordinaten wird versteckt unter dem Deckmantel des »Ausgewogenen«, der »Sorge«, des scheinbar immer richtigen »Zuhörens«, der »Moral«, der »klassischen Musik«, des »Bildungsbürgertums«, des Zeit-Feuilletons. Und wer wäre besser geeignet, die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« hochkulturell zu rehabilitieren, als Christian Thielemann? ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com