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Als wir vor ziemlich genau vier Jahren die VAN’sche Erstausgabe unserer Browser-Version online stellten [bevor man VAN im Browser lesen konnte, gab es drei Ausgaben für Tablets, d. Red.], hätte ich nicht gedacht, dass wir vier Jahre später die 200. Ausgabe produzieren. Umso erfreulicher, dass es dann doch geklappt hat. Darauf ein Piccolöchen – und auf die nächsten Zweihundert! In der klassischen Musik kenne ich mich – wahrscheinlich als einziger des VAN Teams – überhaupt nicht aus. Dafür in der Welt der elektronischen Musik umso mehr. Ich habe das für meinen Job als Art Direktor von VAN immer als positiv empfunden, da ich so relativ unvoreingenommen »frisch und frei« an die Gestaltung rangehen konnte – und das in gleicher Art und Weise wie bei der Gestaltung eines Plattencovers für ein Techno-Label… Erstaunlicherweise funktioniert die Kombination aus »Klassik-Inhalten« und »Techno-Ästhetik« nach wie vor sehr gut.  Vielleicht sind Klassik und Techno doch »nur« nach der Geburt getrennte Geschwister, die immer mehr zueinander finden – genau davon handelt mein Rückblick auf vier Jahre VAN. Achso: 1/5 Metal ist auch dabei…


Die VAN-Playlist von Funkstörung.

Alte und neuere Inspirationen aus Avantgarde, Minimal und »Neo-Klassik«…

Bei uns zuhause konnte man früher kein 1LIVE im Radio empfangen. Leider lief genau dort die unglaublich gute Sendung Raum und Zeit [heute 1LIVE Fiehe, d. Red.]. Als ich herausfand, dass man Radio auch über Satelliten-Schüssel empfangen konnte, verkabelte ich den Satelliten-Receiver mit dem Tape-Deck und schnitt kräftig mit. Ja, auch als »Millenial« und/oder »Digital Native« machte man so was noch. Es gab ja nichts anderes…

Jedenfalls spielte Klaus Fiehe Musikstile, die ich vorher noch nicht kannte. Das war stellenweise gar keine »Musik«, sondern »langgezogene Töne« und »komische Geräusche« beziehungsweise »Rauschen«. Dazu beschrieb und interpretierte er die Musik in einer Art und Weise, die mich unglaublich faszinierte und musikalisch sehr inspiriert hat.

Beste Stelle im Text?

Hallo? Wir nennen uns Funkstörung … was für einen besseren Track [John Cage: Imaginary Landscape No. 4, d. Red.] hätten wir uns da aussuchen können? (Würden wir Funkstille heißen, wäre unsere Wahl natürlich auf 4’33“ gefallen).

Erst mal Kabel stecken.

Der elektronische Musiker und Labelgründer Frank Bretschneider über die ersten Kindergarteninstrumente, Quellen der Ungewissheit und den Unterschied zwischen einer Schalttafel und einem Sinfonieorchester.

Mit 16 oder 17 war ich mal auf einer ziemlich schlechten Party im Nachbardorf. Draußen auf dem Klettergerüst saßen aber zwei Gestalten, die mir eher sympathisch waren. Ich hatte Bier – sie hatten Zigaretten. Der Abend war gerettet. Als wir auf das Thema Musik kamen, wurde es interessant: Ich hatte gerade Drum’n’Bass-Platten für mich entdeckt und die beiden erzählten was von Minimal-Techno. Wir verabredeten uns zum gemeinsamen Musikhören und als ich zum ersten Mal Platten von Perlon, Mille Plateaux oder Raster Noton hörte, ging für mich eine neue Welt auf – und Drum’n’Bass war mir erst mal egal.

Beste Stelle im Text?

Ich will zeitgenössische Musik nicht gegen Club-Elektronik aufwiegen, vielleicht würde ich es so sagen: Letztere ist etwas oberflächlicher, erstere versucht mehr Tiefe zu kriegen. Und das interessiert mich schon eher.

»Es wird nicht reichen, einfach eine 4/4-Bassdrum darunter zu legen.«

Interview mit Henrik Schwarz

Im Oktober 2017 war ich zum ersten Mal in Japan und mein Kumpel Tobias legte mir einen Besuch im sagenhaften Synthesizer-Laden Five G ans Herz. Gesagt getan gingen wir dorthin und wurden am Eingang von einer überdimensionierten Döpfer-Modular-Wand empfangen. Außer uns waren noch zwei sehr europäisch aussehende Herren im Laden, die mir irgendwie bekannt vorkamen. Klar, in Japan kommt einem (gefühlt) jeder Europäer bekannt vor, aber spätestens als ich auf Instagram einen Post sah, dessen Entstehung wir live vor Ort verfolgten, war mir klar, dass die beiden Herren Henrik Schwarz und Frank Wiedemann waren – zwei mir doch sehr bekannte Protagonisten der Elektronischen Musikszene…

Beste Stelle im Text?

Es ging in der elektronischen Musik immer um Zukunft, um Technologie, aber generell um das Weiter; und wenn wir jetzt in der Lage sind, uns auch mit klassischer Musik zu beschäftigen, dann machen wir auch das.

Klassik Remixen.

Zugang und Haltung zwischen E- und U-Musik.

Ich liebe Remixe – sowohl passiv als Hörer als auch aktiv als Hobby-Techno-Produzent. Einerseits fasziniert mich die Limitierung, nur mit bestehendem Material zu arbeiten und andererseits alle Möglichkeiten der Verfremdung und Interpretation zu haben. So kann aus einem werden oder aus einem »Peak-Time-Killer« [ein Track, der auf dem Dancefloor gegen 4 Uhr nachts für Ekstase sorgt, d. Red.] eine atmosphärische Ambient-Nummer.

Beste Stelle im Text?

Die entkörperlichten digitalen Prozesse, in denen das codierte Material keine Physis mehr besitzt, lassen sich dann vielleicht auf interessante Weise auf einer Bühne aufführen, wenn man ihnen wieder eine definierte Materialität  zuweist.

Das Zwischenreich von Heavy Metal und Klassik.

Die – wenn auch entfernte – Verwandtschaft zwischen Heavy Metal und Klassik ist so alt wie Heavy Metal selbst. Mindestens.

Anfang 20 war ich Mitglied einer Metal-Band. Am Synthesizer. Klingt komisch – war auch so! Ich fand es immer doof, dass die beiden Gitarristen headbangend in der ersten Reihe standen und ich nur relativ gelangweilt im Hintergrund. Aber ich hatte einen Plan: Ein Keytar musste her. Als ich dies der Band mitteilte, drohten sie mir mit Rausschmiss. Ein Keyboard zum Umhängen habe ich bis heute nicht, dafür steht der »Metal-Synth« noch im Keller und erinnert mich bei jedem Besuch der Katakomben an meine »wilde« Metal-Zeit…

Beste Stelle im Text?

Für die Entwicklung von Heavy Metal als eigenständigem Genre in der Tradition von Rock ‘n’ Roll war klassische Musik entscheidend. Wenn man »classical metal guitarist« in die Internetsuche eintippt, dann ist man einem Ansturm von ausgesetzt mit langhaarigen Metal-Vertretern, die sich die Finger blutig spielen mit Bearbeitungen von Mozart, Vivaldi und jenem Musiker, der unter Metalheads am stärksten verehrt wird, aufgrund seiner Virtuosität und der Nähe zum Leibhaftigen, die ihm in verschiedenen Darstellungen immer wieder unterstellt wird. Was man sieht, verschlägt einem die Sprache, oft durch wahnwitzige Geschmacklosigkeiten, aber hin und wieder auch wegen des technischen Könnens. ¶

... arbeitet als freier Art-Direktor und Grafik-Designer in Köln. Er kuratiert Ton, Text und Bild für verschiedene Labels und Projekte und gibt Workshops im Spannungsfeld von klassischer Typografie, experimentellem Design und interaktivem Sound. Bei VAN kümmert er sich um Pixel, Codes und Kreatives. alex@van-verlag.com