Ein Interview mit Terre Thaemlitz

Text · Titelbild © COMATONSE RECORDINGS · Datum 7.3.2018

Vor einigen Jahren hörte ich zum ersten Mal von Terre Thaemlitz, beziehungsweise von DJ Sprinkles, einem Pseudonym der Künstlerin. Ich entdeckte gerade meine Leidenschaft für Elektro und Freunde zeigten mir seine Tracks, insbesondere die synchronisierten Überarbeitungen einiger sample-lastiger Deep House Tracks.Während die Musik, die ich hörte, immer dunkler und härter wurde, bekam ich immer weniger von Thaemlitz mit (oder besser gesagt: Ich machte mir nicht die Mühe, ihre Musik zu finden, denn das erfordert einiges an Tatkraft seitens des Hörers). Doch ich sah und las Interviews, in denen er scharfe Sozialkritik übte und sich weigerte, gegenüber der institutionellen Politik der Musikindustrie klein beizugeben. Thaemlitz war im Laufe ihrer Karriere immer sehr produktiv, sowohl in ihrem musikalischen Schaffen als auch als Autorin. Neben einer Vielzahl von Essays, die er für Zeitschriften und Bücher schrieb, entstanden Videoprojekte, Alben, die Deeperama Mix-Serie, zahlreiche Singles und Remixe, und das längste Album der Welt.Die japanische Produzentin ist nur selten in Europa zu sehen, tritt aber bald bei MaerzMusik auf – als Terre Thaemlitz und als DJ Sprinkles. Das Programm beinhaltet eine 30-stündige Klavier-Performance. Als ich die Gelegenheit für ein E-Mail-Interview mit Thaemlitz bekam, habe ich erst ihre herausfordernde Comatonse.com-Website gecheckt und ihm dann eine Reihe an Fragen geschrieben. Hier ihre Antworten.

VAN: IN EINIGEN FRÜHEREN INTERVIEWS HABEN SIE ERWÄHNT, DASS SIE NICHT GERNE PERFORMEN; INSBESONDERE IM HINBLICK AUF DAS GANZE HIERARCHIE- UND MACHOGEHABE, DAS DIE BÜHNE MIT SICH BRINGT. DIE BEVORSTEHENDEN AUFTRITTE SCHEINEN SIE ABER NICHT AUS EINER NOTWENDIGKEIT ODER EINEM PFLICHTGEFÜHL HERAUS ZU MACHEN. HAT SICH IHRE EINSTELLUNG GEGENÜBER AUFTRITTEN VERÄNDERT?

Terre Thaemlitz: Was für eine merkwürdige Annahme. Ich bin nicht sicher, warum Sie denken, dass sich etwas verändert hat. Ich trete nur aus finanzieller Notwendigkeit auf.

Vielleicht scheint das für mich so, Weil SIE so viel Arbeit in diese Auftritte steckEN – allein der Aufwand für CANTO V des Albums Souliness zum Beispiel, oder dER zusätzliche aUFWAND, dEN die Arbeit mit anderen Künstlern bedeutet, im Gegensatz zu einem DJ-Set. Das ist ja nicht der einfachste weg.

Naja, es gibt da keinen Eins-zu-eins-Zusammenhang zwischen Produktionszeit und Einkommen, und alleine von den Lizenzeinnahmen von Album-Verkäufen kann ich nicht leben – wie übrigens die meisten in diesem Bereich. Ich komme nur drei Mal im Jahr nach Europa, immer jeweils für zwei Wochenenden. Alles, was länger dauert, versaut mir mein Privat- und Berufsleben zuhause. Also nehme ich alle Aufträge an, die ich in diesen Zeiträumen kriegen kann. Berno versucht schon seit drei Jahren, mich für MaerzMusik zu buchen, aber es dauert immer sehr lange, bis das Festival definitiv zusagt, also war mein Terminkalender schon voll mit DJ-Sets. Ich glaube, es ist ihnen ziemlich schwergefallen, meine Art, meine Touren zu planen, zu begreifen. Ich mache das nach dem Motto ›Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‹. Sie haben recht, wenn Sie sagen, DJ-Sets seien weniger aufwändig, aber ich muss auch die elektroakustischen Sachen am Laufen halten, wenn es mal nicht so viele DJ-Buchungen gibt, oder Kunstsachen, Vorträge etc. Ich will nicht alles auf ein Pferd setzen – zunächst einmal, weil keines dieser Felder für sich genommen genug finanzielle Stabilität bietet, aber auch, weil ich mit der kritischen Richtung meiner Projekte unabhängiger bin, wenn ich nicht dazu verdammt bin, der sozialen Dynamik eines Marktes Folge zu leisten aus Angst, gefeuert zu werden. Wenn mich eine Szene eine Weile lang nicht buchen will, kann ich mich immer noch in den anderen bewegen.

An wen richteN SIE ihre auftritte im Martin-Gropius-Bau und IM haus der berliner festspiele? Mir scheint, dass Menschen nicht unbedingt in Clubs gehen, um dort gefordert zu werden, oder dass solche zumindest in der Minderheit sind und dass Clubs, die einen Diskurs anregen wollen, eher separate Gesprächsformate und Diskussionen veranstalten. Inwiefern profitiert man davon, an einem Ort aufzutreten oder zu kommunizieren, der sich als ›Plattform für Performance-Kunst‹ versteht, im Gegensatz Zu Clubs?

Generell profitiert man davon nicht. Ich bin kein Veranstalter und mein Gehalt ist nicht von den Ticketverkäufen abhängig. Deswegen beschäftige ich mich nicht viel mit einem Publikum in einem sozialen Umfeld, zu dem ich keine direkte, persönliche Verbindung habe. Ich weigere mich, mich als Teil irgendeiner ›Szene‹, die mich zurzeit bucht, zu begreifen. Ich werde allerdings gebucht, um Werke zu spielen, die generell schwere Themen betreffen, also passiert dort schon eine gewisse Vermittlung von Inhalten. Ich weiß nicht wirklich, was ich persönlich noch tun könnte. Das Publikum in Clubs steht in der Regel unter dem Einfluss von unterschiedlichen chemischen Substanzen – mehr als das beim Publikum in der Kunstszene der Fall ist – was es weniger wahrscheinlich macht, dass bestimmte Informationen klar verarbeitet werden. Auf der anderen Seite berufen sich Leute aus der Kunstszene immer auf ihr Interesse an ›gesellschaftlichen Problemen‹, verwechseln allerdings ›politische Kunst‹ mit tatsächlichen gesellschaftlichen Strukturen – also gibt es keinen Mehrwert. Deswegen sehe ich im Auftreten keinen besonderen Wert und würde es vermeiden, wenn ich könnte.

FOTO © COMATONSE RECORDINGS
FOTO © COMATONSE RECORDINGS

Sie haben mal gesagt, dass ihre Erwartungen, bestimmte Ideen auf der Tanzfläche kommunizieren zu können, gering sind. Funktioniert das bei den anderen Auftrittsformen besser? Wie stellen sie sicher, DASS SICH EINE PERFORMANCE NICHT NUR AUF Der THEORETISCHEn EBENE abspielt, SONDERN AUCH Ihre grundlegenden IDEEN DArstellt?

In meiner gesamten Laufbahn geht es darum, die Art und Weise, in der Missverständnisse entstehen, zu akzeptieren – und aktiv zu kritisieren. Missverständnisse, die sich daraus ergeben, wie wir gesellschaftlich konditioniert sind, als Publikum zu ›hören‹. Unsere Erwartungen an die Bedeutung eines bestimmten Genres stehen im Weg. Zum Beispiel versuche ich seit Jahrzehnten, deutlich zu machen, dass ich nicht nur ›nicht spirituell‹ bin, sondern ›anti-spirituell‹, und doch bekomme ich unablässig ›Komplimente‹ für meine DJ-Sets und Veröffentlichungen, die sich auf das Spirituelle beziehen. Musikindustrien schränken wirklich sehr stark ein in der Art, Musik wahrzunehmen, und verhindern die Entwicklung eines wirklichen ›akustischen Diskurses›. Das liegt daran, dass die Musik- und Kunstindustrie immer noch davon abhängig ist, Musik über Begriffe wie Gefühl, Seele, Herz, Authentizität und Originalität zu vermarkten. Über diesen ganzen ›kreativen‹ Schwachsinn, den ich verachte.

so weit ich das verstehe, ist ihre Vorliebe für aufgenommenen Klang mit einer Art Präzision verbunden, mit der sie das Hörerlebnis fast bis zu dem punkt steuern können, an dem jemand ›play‹ drückt. Riskieren sie bei der kommenden 30-stündigen Performance von CANTO v nicht, diese Präzision zu verlieren? Wenn man bedenkt, dass jemand, der die Aufgezeichneten Audiodatein hört, die Aufnahme stoppen und weiterspielen kann, wie kann man dann die digitale version mit einer Performance in einklang bringen, die die meisten Leute nicht vollständig hören können?

Mir geht es gar nicht so sehr um die Präzision und auch nicht um poetische Einfälle und traditionelle Improvisation. Ich ziehe die Studio-Werke den Live-Shows aus demselben Grund vor, aus dem ich gesellschaftliche Analysen lieber lese als freie Verse. Das gibt mir viel mehr. Ich hätte auch keine Lust, Kraftwerk live zu sehen (Sorry, Kraftwerk!). Es macht mir nichts aus, wenn die Leute nicht die ganze Klavierperformance hören können. Tatsächlich ziehe ich es sogar bei der aufgenommenen Albumversion vor, dass die Leute die Aufnahme 30 Stunden lang durchspielen lassen, ob sie wach sind oder schlafen, essen, scheißen, ficken, lesen, Fernsehen gucken, ausgehen – ich schlage vor, dass sie es einfach im Hintergrund laufen lassen, als Teil eines bestimmen Ortes zu einer bestimmten Zeit. Wenn man den Begleittext gelesen hat, kann das Thema des Stücks zu einer Art Pawlowschem Auslöser werden. Ich weiß nicht, ob ein oder zwei Hardcore Leute die gesamte Länge des Stücks bleiben werden, aber das ist für die Arbeit der Performer nicht wesentlich. Es ist auch eindeutig nicht die Art von Komposition, in der es um ›die Noten‹ geht oder um einen beliebigen Moment von ›gestischer Brillanz‹ in Stunde 21. Es geht um Zeit und Mühe. Die Partitur – die Regeln der Performance – ist präzise, aber nicht, um irgendeinen großartigen Moment zu manifestieren. Sie ist eher dahingehend präzise, dass sie sich einem ›Unterhaltungswert‹ verwehrt, und den körperlichen Einsatz der Spieler berücksichtig. Die Originalaufnahme habe ich ganz alleine eingespielt, also musste ich eine Partitur entwickeln, die ich über einen sehr langen Zeitraum spielen konnte, mit einiger Abwechslung, aber ohne in die Sphäre des Melodischen überzugehen.

FOTO © BART NAGEL
FOTO © BART NAGEL

Sie schreiben sehr viel. Gibt es etwas, dass Musik besser kommunizieren kann als text? Gehen sie ein risiko ein, wenn sie eine weniger diskursive Form der Kommuniktion wählen, so wie Musik oder Film?

Die meisten Menschen hören in erster Linie auf die Sprache, aber auch nonverbale Klänge sind ein Mittel der Kommunikation. Sie schweifen schnell in Affekt und emotionale Manipulation ab, aber genau darin liegt auch die kommunikative Kraft. Man kann diese Kraft leicht missbrauchen – meiner Meinung nach machen das alle Kulturen in der Art und Weise, wie Pop- und Hochkultur, klassische oder traditionelle Musik eingesetzt wird. Sie neigen dazu, bestimmte kulturelle Standards aufrechtzuerhalten, die fast immer politisch regressiv sind und dazu dienen, etablierte Machtstrukturen zu wahren.

Ist das Risiko ausgenutzt zu werden bei affektiven, nonverbalen Kommunikationsweisen größer Als bei Sprache? Oder wird dieses risiko kompensiert durch die Freiheit von der politischen Struktur der Sprache?

Ich habe das Wort ›Risiko‹ in der letzten Frage ignoriert, aber jetzt haben Sie es wieder benutzt, also sage ich Ihnen, dass ich es ein wenig zu dramatisch finde. Ich kann mir nicht sehr viele wirkliche ›Risiken‹ in dieser Branche vorstellen. Der Vanguardismus hat so ziemlich dafür gesorgt: Je verrückter oder extremer unsere kritischen Gesten werden, desto offener und gnädiger erscheinen Kunst- und Musikinstitutionen – und zwar auf eine völlig herablassende Art und Weise, in etwa so: ›Schau dir an, wie offen wir sind, dass wir Menschen unterstützen, die uns so gründlich auseinandernehmen.‹ Das Risiko wird strategisch von unseren Arbeitgebern zerstreut. Und so ist es niemals etwas Anderes, als eine Kritik, die ihren Gegenstand bestätigt. Auch das Wort ›Freiheit‹ stört mich, aber ich werde es vorerst ignorieren. Sie haben noch Träume, das sehe ich. So stelle ich einfach fest, dass der Einsatz von Affekten durch die Medien immer mit Politik und gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat. Wie Affekte eingesetzt werden, hängt immer mit Machtverhältnissen zusammen.

In Ihrem Essay VIVA MCGLAM? schreiben Sie, ›DAS RAMPENLICHT, das vom publikum aus auf Trans*-Menschen gerichtet wird, Mag WARM UND HELL AUSSEHEN, ABER auf der BÜHNE BRENNT ES, SCHAUT prüfend, UND VOR ALLEM BLendet es‹. GLAUBen Sie, DASS SICH Gerade TRANS-Menschen AUF DER BÜHNE IMMER SEHR KONKRETEN ERWARTUNGEN AUSGESETZT SEHEN? ICH DENKE HIER AN gesellschaftlich ›SANKTIONIERTE‹ FORMEN DES TRANSGENDERING AUF DER BÜHNE (Sie SCHREIBen Zum Beispiel ÜBER RUPAUL), DIE IN VIELEN FÄLLEN ZU Einem KONSUMIERBAREn ENTERTAINMENT-PRODUKT GERATEN SIND.

Nun ja, die traditionelle westliche Transgender-Bühne war schon immer eine Kabarett-Bühne für ein heterosexuelles oder gemischtes Publikum. Auch die meisten musikalischen und theatralen Referenzen stammen aus der Popkultur. Also ja, es gibt sehr etablierte Konventionen rund um diese Bühne und ihr vermeintliches Publikum. Das soll nicht heißen, dass viele von uns mit diesen Konventionen spielen. Ich verstehe meine eher ›nicht-performativen‹ elektroakustischen Performances, in denen ich für eine Stunde oder länger still dasitze, während ein Tonband spielt, als eine kritische Ablehnung dieser traditionellen Trans-Bühne.

FOTO © WAK HIDEAKI
FOTO © WAK HIDEAKI

Warum haben sie sich entschieden, in Japan zu leben?

Ich hasse diese Frage wegen ihres völligen Mangels an Verständnis dafür, was der Prozess der Immigration mit sich bringt. Wie bei den meisten Menschen, die emigrieren, habe ich nicht aus freiem Willen und in Anbetracht einer unendlichen Menge an möglichen Zielorten gehandelt. Im Jahr 2000 hatte ich die Chance, die USA zu verlassen, und ich habe sie genutzt. Um ganz offen zu sein, mein Partner hatte damals eine Vagina und ich habe einen Penis, was einen von uns für ein heterosexuelles Ehe-Visum qualifizierte und keiner von uns wollte in den USA leben. Wir waren ein ›richtiges Paar‹, aber natürlich war die Emigration durch dieses spezielle Visum mit vielen politischen Kompromissen verbunden. Dennoch war es der einzige mögliche Weg der Einwanderung, aufgrund meiner Selbstständigkeit und weil ich kein Geld hatte, etc. Die Situation ist in dem elektroakustischen Hörspiel ›Trans-Sister Radio‹, das ich vor Jahren für den Hessischen Rundfunk produziert habe, gut dokumentiert.

MIT DEPRODUCTION Sprechen sie die UNSICHTBARE INSTITUTIONELLE GEWALT der FAMILIENSTRUKTUR AN, DIE SEHR REALE, körperlich GEWALTsame FOLGEN HAT. ICH HABE das VIDEO-ELEMENT NOCH NICHT GESEHEN UND bin gespannt die PERFORMANCE MIT ZEITKRATZER. DAS MUSIKALISCHE ELEMENT IST KLANGLICH nicht ›GEWALTTÄTIG‹ –das sage ich MANGELS EINES BESSEREN WORTES – VOR ALLEM DIE DJ-SPRINKLES-Überarbeitung. ICH WÜRDE SAGEN, DASS durch Ihre samples dem ganzen eher ein subtilere UNBEHAGEN unterliegt. VIELE KÜNSTLER, DIE IN IHRER ARBEIT Themen der Gewalt AUFGREIFEN, PRODUZIEREN ARBEITEN, DIE VISUELL ODER KLANGLICH SEHR NAH AM THEMA SIND. WARUM machen sie das nicht?

Komm schon, so unklar ist das nicht! Der erste Track trägt den Titel Names Have Been Changed und man hört praktisch 45 Minuten lang eine sich anschreiende Familie und häusliche Gewalt durch die Wände der Wohnung, vertont mit melancholischen Streichinstrumenten. Das ist, denke ich, nicht so subtil. Aber selbst wenn Ihre Beschreibung zutrifft, bin ich anderer Meinung und habe das Gefühl, dass mein Ansatz sehr ›nah am Thema‹ ist, gerade weil die Tracks (hoffentlich) keine eindimensionalen Argumentationen sind, und beinhalten, dass häusliche Gewalt so oft toleriert wird, weil sie ›positive‹ Vorstellungen von Familie, Liebe, Zuhause, Trost und so weiter enthält. Ich wollte diesen Widerspruch darstellen. Übrigens, es wird kein Video bei der zeitkratzer-Performance geben, also erwarte nicht, dort eines zu sehen. ¶