Letzte Woche plädierte Maximilian von Aulock für eine Reform des Hauptstadtkulturfonds, der hinter einer Reihe von Gatekeepern immer mehr zur Black Box wird. Sebastian Solte ergänzt hier seine persönlichen Erfahrungen mit dem Fördertopf.
Vorab zur Klarstellung: Ich habe rein gar nichts gegen die Kultur- und Musikinstitutionen Berlins. Im Gegenteil, ich bin grundsätzlich großer Fan der diversen Klangkörper, Konzert- und Opernhäuser sowie der institutionellen Veranstalter (allesamt aus öffentlichen Mitteln gefördert), genauso wie ich die Gruppen und Aktivitäten der Freien Szene schätze (ebenfalls zum Teil aus öffentlichen Mitteln gefördert, wenn auch auf einem deutlich bescheideneren Niveau). Auch die Berliner Festspiele mag ich. Als Wahlberliner freue ich mich über das vielseitige und hochkarätige Programm, das diese Institution mit ihren (Musik-)Festivals in der Bundeshauptstadt anzubieten vermag. Generell ist Berlin ja vor allem im Bereich der Orchester und des Musiktheaters unglaublich gut aufgestellt, und zwar institutionell. Die internationale Strahlkraft ist enorm, die zuletzt stetig gestiegenen Besucher- und Auslastungsziffern spiegeln die Attraktivität deutlich wider – selbst wenn nicht alles Gold ist, was glänzt.

Als freier Musikmanager und -Produzent habe ich jedoch auch noch eine andere Perspektive. Wie die jüngere Vergangenheit zeigt, scheint die Kulturpolitik nicht gewillt zu sein, dass aus dem Nährboden freier Ensembles etwas Neues entsteht, das sich wirklich etablieren kann und entsprechend unterstützt wird. Die Basisförderungen im Bereich der Neuen Musik beispielsweise sind bislang derart gedeckelt und kurzfristig angelegt, dass keine tragfähigen Strukturen entstehen können, die es größeren Gruppen ermöglichen würden, auch am internationalen Markt ernsthaft konkurrenzfähig zu agieren. Wie soll ein Maximalbetrag von bislang 50.000 € Jahresförderung beispielsweise für Ensembles mit etwa zehn festen Mitgliedern, Geschäftsführung, Minimalbüro und Probenraum ausreichen? Damit lässt sich nicht seriös arbeiten, geschweige denn mit internationalen Spitzenensembles mithalten, die über siebenstellige institutionelle Förderungen und großzügige Räumlichkeiten verfügen. Andererseits gibt es in Berlin eine Vielzahl hochkarätiger Gruppen, die bislang das Beste aus den bestehenden Möglichkeiten gemacht haben und sich dabei wesentlich über auswärtige Engagements, Projektförderungen und Selbstausbeutung tragen.
Unter diesen Bedingungen ist es umso wichtiger, dass den freien Ensembles ausreichend Projektmittel zur Verfügung stehen und zudem die Institutionen mit ihnen kooperieren. Beides funktioniert trotz einiger Lippenbekenntnisse bislang nur bedingt, letztlich wirken sich am Ende oftmals die etablierten Machtverhältnisse aus. Zudem werden die Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage durch die Gatekeeper häufig zu ihrem Vorteil ausgenutzt. Doch ist es für die Bundeshauptstadt Berlin gut, wenn das musikalische Potential der Freien Szene derart vernachlässigt wird?

Aus aktuellem Anlass möchte ich ein einfaches Fallbeispiel schildern, das sich so sicher schon unzählige Male abgespielt hat und das sich leider auch endlos wiederholen wird, wenn die Kulturpolitik nicht die Rahmenbedingungen ändert. Vergangenes Frühjahr hat ein sehr innovativer, hochkarätiger Komponist von außerhalb mit einem sehr hochkarätigen, innovativen Ensemble aus Berlin ein Projektkonzept entwickelt, mit dem ich an die Berliner Festspiele herangetreten bin. Das angedachte Projekt wäre für das neue Sonderprogramm Immersion ideal geeignet, würde allerdings auch zu den bestehenden Festivals wie der MaerzMusik passen. Nach der üblichen Wartezeit und mehrmaligem Nachhaken wurde uns Interesse bekundet und ein Termin vereinbart, bei dem neben dem von außerhalb anreisenden Komponisten auch die zukünftig verantwortliche, ebenfalls von außerhalb anreisende Programmdramaturgin anwesend sein sollte. Für die einzig mögliche Terminschnittmenge sagte wiederum ich eine Dienstreise ab. Als der Komponist und ich dann zu dem sorgfältig vorbereiteten Termin bei den Festspielen erschienen, wurde uns mitgeteilt, dass die Dramaturgin nun doch nicht nach Berlin gekommen sei, wir aber mit dem sehr netten und motivierten Leitungsassistenten ja mal alles durchgehen könnten. Einen Monat später erreichte mich von ihm die freundlich formulierte Absage an unser Projekt mit der Begründung, dass es nun doch nicht mehr in die Programmausrichtung passe. Damit war klar, dass sich diese Produktion, an der schon einige hochkarätige internationale Partner ihr Interesse bekundet hatten, nur mit selbst aufzutreibenden Projektfördermitteln auf den Weg bringen lassen würde, weswegen das Vorhaben in der aktuellen Runde beim Hauptstadtkulturfonds eingereicht wurde. Ich denke, dass unsere Enttäuschung nicht näher beschrieben werden muss, als vorletzte Woche die Ergebnisse veröffentlicht wurden: Unser Vorhaben war nicht dabei, dafür aber zwei Projekte der Berliner Festspiele, die mit der MaerzMusik und dem Musikfest in dieser Runde ein Viertel der für Musik vergebenen HKF-Projektmittel abziehen. Doch ist das so richtig?
Laut den aktuellen HKF-Förderkriterien kommt ja grundsätzlich erstmal alles in Frage: »Gefördert werden kleine wie größere Projekte: innovative Ansätze, die zur Entwicklung der Künste beitragen, ebenso wie Vorhaben, die bedeutende Traditionen aufnehmen und weiterführen. Berücksichtigt werden Konzepte für alle künstlerischen Sparten sowie spartenübergreifende, interdisziplinäre und themenorientierte Vorhaben. Entscheidend für die Auswahl sind inhaltliche und künstlerische Qualität. Die Projekte sollen für Berlin erarbeitet und in Berlin präsentiert werden, müssen aber für ein Publikum oder eine Fachöffentlichkeit über Berlin hinaus relevant sein und/oder bisher in Berlin bestehende künstlerische Defizite ausgleichen. Es können Projekte in der Regel komplementär gefördert werden.«
Und zwar für alle, solange die Realisierung in Kooperation mit einem Berliner Träger oder Partner steht: »Antragsberechtigt sind natürliche und juristische Personen des In- und Auslands, wobei internationale Kooperationspartnerschaften möglich und erwünscht sind. Die Realisierung des Projektes sollte in Kooperation mit oder durch einen Berliner Träger/Partner erfolgen.«
Die Ausschlusskriterien schränken den Spielraum wiederum ein: »Ausgeschlossen sind kommerziell realisierbare Vorhaben und solche, die sich im Rahmen der normalen Arbeit der kulturellen Institutionen Berlins mit deren Mitteln realisieren lassen. […] Gemeinsame Förderungen durch Förderinstitutionen, die Gelder des Bundes vergeben, sind ausgeschlossen. Das betrifft die Kulturstiftung des Bundes, den Fonds Darstellende Künste, den Fonds Soziokultur, den Musikfonds und die Deutschen Kunst-, Literatur-, Übersetzerfonds.«

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern die jetzt geförderten Sonderprojekte von MaerzMusik und Musikfest auch »im Rahmen der normalen Arbeit der kulturellen Institutionen Berlins mit deren Mitteln« hätten realisiert werden können. Das ist freilich Ermessenssache: Wie groß soll ein Festival sein? Was macht man, was lässt man weg? Darf’s bitte noch ein zusätzliches Event im Kraftwerk sein, wo bekanntlich gern viel für Miete, Heizung und Tribünen verbrannt wird (siehe auch Luigi Nonos Revolutions-Musiktheater Al gran sole carico d’amore zum Preis »von zwei kleinen Kreuzberger Theatern«, 2012 der Staatsoper gegen die Empfehlung der HKF-Jury von oben bewilligt)? Besteht ein Festival eigentlich nicht per se aus Sonderprojekten?
Und was die Doppelförderung durch Bundesmittel angeht, wer finanziert nochmal die Berliner Festspiele? Nur zum Vergleich: Für den Fall, dass man als freier Akteur ein eigenes Festival oder eine Festivalreihe initiiert und über die Kulturstiftung des Bundes, den Fonds Darstellende Künste oder den neuen Musikfonds mitfinanziert, ist eine Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds bereits explizit ausgeschlossen. Nichts für ungut, aber das ist doch irgendwie schief. ¶