Ein Gespräch mit Saul Williams.

Interview · Titelbild Geordie Wood · Datum 28.6.2017

Der Rapper, Schauspieler, Musiker und Slam-Poet Saul Williams lebt in New York. Der Poetry-Sprecher liebt das »Hacken von Wörtern«. Er spielt mit Ähnlichkeiten und Gleichklängen von Silben, Wörtern oder Begriffen. Seine Texte werden inzwischen von klassischen Musikern aufgegriffen: Der amerikanische Komponist Ted Hearne hat Saul Williams »Spoken-Word-Texte« vertont. Bei Williams’ Auftritt beim »Acht Brücken« Festival 2017 war das Mivos Quartet aus Brooklyn im Kölner Funkhaus dabei.

›To write, to rap, to hack‹! Wenn Sie Ihre Kunst dem Publikum erklären sollten, wie würden Sie’s tun?

Ich schreibe vor allem Poesie. Poesie ist für mich, modern ausgedrückt, eine Form der Kodierung. Die Idee von Kodierung, Programmieren und Hacken ist und war immer schon verbunden mit dem, was Poesie eigentlich auch will, etwas festzumachen, herauszustellen. Verse und Wörter können Verbindungen zu Kulturen, Ideologien, Gedankenwelten, Emotionen herstellen, alles spontan verbinden und dadurch Emotionen auslösen.

Steckt dahinter manchmal auch eine poetisch-politische Strategie?

Da ist sicherlich eine politische Strategie mit im Spiel, weil ein Gedicht nicht einfach da endet, wo es beginnt. Also haben Sie die Möglichkeit, den Leser oder Zuhörer mit auf eine Reise zu nehmen, Dinge zu hinterfragen, die der Leser oder Zuhörer vielleicht auch schon mal hinterfragt hat. Dadurch bekommen Sie Antworten oder sogar weitere Fragen, die sich auch im Publikum auftun, das darauf wieder neue Antworten findet. In diesem Sinne können wir strategisch einen Ort ansteuern, der ganz woanders liegt als der Anfang.

Sie verkörpern eine Art Dichter-Thinktank für das Publikum und haben Philosophie und Schauspiel studiert. Welche Philosophen haben Sie zu Ihren Studienzeiten am meisten geschätzt?

Ehrlich gesagt, ich habe nie einen Philosophen bevorzugt. Es gab viele, die mich berührt haben in vielerlei Hinsicht. Aber ich habe dann nie gedacht: ›Oh, also hinter genau dieser Philosophie stehe ich.‹ Wenn ich drüber nachdenke: Die, mit denen ich mich am meisten identifiziert habe, haben sich selbst gar nicht als Philosophen gesehen! Poetinnen wie Maya Angelou oder Schriftstellerinnen wie Alice Walker oder Marguerite Duras. Einige sind auch wirklich Philosophen, wie Paul B. Preciado.

Wie sind Sie eigentlich Musiker geworden?

Ich schätze mal, genauso wie ich gelernt habe zu kochen. Ich wurde hungrig. In dem Fall nach Sound. Es reichte mir nicht, mich durch das Bestehende zu suchen. Da habe ich begriffen, dass, wenn ich etwas in einer besonderen Art und Weise hören möchte, ich es erschaffen muss.

Ist Rebellion und Widerstand auch eine Motivation gewesen, Künstler zu werden?

Irgendwie schon. Ich sage mal so: Was ich in der Kunst schätzen gelernt habe, ist Mut – und wenn die Künstler sich wirklich auf die Zeit beziehen, in der sie leben, und einen Weg finden im Moment oder durch den Moment zu sprechen. Die, die mich am meisten berührt haben, sind Autoren oder Musiker, die ins Exil getrieben wurden, die Geflüchtete waren, sich gegen etwas erheben mussten oder darüber sprachen, wie man auf sie blickte – und auf andere, die wie sie denken oder aussehen. Ich habe mich nach und nach mit Künstlern identifiziert, die Widerstand geleistet haben und durch ihr diesbezügliches Schaffen die Gesellschaft weiterbrachten.

Haben Sie da auch persönliche Erfahrungen gemacht?

Oh, ohne Zweifel. Ich bin das, was die meisten ›African American‹ nennen, das heißt aber erst mal: ein dunkelhäutiger Mensch auf dem Planeten Erde. Und ich habe natürlich regelmäßig Erfahrungen mit White Supremacy, Minderwertigkeit, Unterdrückung, Verdrängung gemacht. Wahrscheinlich an jedem einzelnen Tag meines Lebens, selbst wenn ich zuhause geblieben bin.

Sie schreiben Texte, die aufgeführt werden sollen. Also ist auch Ihre Arbeit als Autor eine Performing Art. Schreiben Sie nur für sich selbst oder auch, damit andere ihre Texte aufführen?

Ich bin ganz offen dafür, dass andere meine Texte aufführen. Und ich hoffe, ich schreibe in einer Weise, die wiederum offen für andere ist, ihre eigene Position darin zu finden. Also bin ich nur selten überrascht, wenn ich mitkriege, dass ein Künstler eine persönliche Verbindung zu meiner Arbeit finden konnte. Mit dieser Absicht sind die Sachen geschrieben.

Der US-amerikanische Komponist Ted Hearne hat The Answer to the Question that Wings Ask 2016 vertont. Worum geht es in Ihrem Text?

Besonders dieses Gedicht ist ein offenes Nachdenken darüber, was es bedeutet, ein Künstler zu sein, zu leben, Ideen zu haben, sie zu teilen oder sie für sich zu behalten. Es ist ein Gedicht, das die Bedeutung von Teilnahme im modernen Zeitalter in jeder Hinsicht hinterfragt. Mit Teilnehmen meine ich, dass man eine Radioshow haben kann. Andere haben einen Twitter-Account, Snapchat-, Instagram-Accounts. Sie alle haben entschieden, irgendwie teilzunehmen. Sie können auch die Wahl treffen, sich nicht mitzuteilen. The Answer to the Question that Wings Ask handelt eben davon, wie man das Leben formt, erntet und die Erfahrungen, die mit diesem Beitragen oder Nicht-Beitragen zusammenhängen.

Die Zusammenarbeit mit einem Streichquartett, ist das ein Unterlegen Ihrer Worte mit klassischen Klängen oder erzeugt das auch neue Energien?

Das bringt ganz sicher neue Energien …

Ehrlich?

Ja! Es kontextualisiert Ideen und erlaubt mir, meine eigenen Klänge und Worte in einem neuen Zusammenhang zu hören. Es beschert mir den Widerhall von Klängen, die mal nicht von den Maschinen kommen, mit denen ich normalerweise arbeite … (lacht)

YouTube video

Saul Williams & Mivos Quartet, The Answer to the Question that Wings Ask (Komposition: Ted Hearne); Aufführung im Rahmen der Serie »Liquid Music« vom Saint Paul Chamber Orchestra (Minnesota).

Ist Improvisation darin vorgesehen?

Eines der Stücke, die wir heute (bei Acht Brücken, d. Red.) aufführen, ist improvisatorisch. Die meisten sind aber sehr genau ausgeschrieben, ohne dass da viel Raum für Improvisation ist.

Martyr Loser King ist ein virtueller Charakter, den Sie vor noch gar nicht so lange Zeit erschaffen haben. Für was kämpft ihr Cyber-Held?

Im einfachsten Sinn ist das bloß ein Hacker, der sich einen Namen machen will. Er hat sehr simple Ziele. Aber wie er denkt und auf die Welt schaut, das ist davon geprägt, woher er kommt. Und wie die Welt auf diese Herkunft schaut.

Wo kommt er her?

Aus Burundi. Martyr Loser King ist aus Burundi. Burundi hat gerade jetzt mit horrender Gewalt gegen Menschen, vor allem Studierende, zu kämpfen. Der Präsident hat sich eine 3. Legislaturperiode erzwungen. Die Leute, die dagegen protestiert haben, sitzen im Gefängnis oder sind ermordet worden. Es gibt inzwischen Hunderttausende von burundischen Flüchtlingen außerhalb des Landes.

Sie haben Kontakt zu Leuten aus Burundi?

Als ich zu schreiben begann nicht. Aber jetzt habe ich Kontakte.

Ihr Text Coltan as Cotton aus Martyr Loser King kritisiert das Smartphonezeitalter.

Coltan ist ein Edelmetall wie Titan, Gold, Silber, Nickel, Eisen, es wird wie die anderen auch an der Börse gehandelt. Coltan ist so wichtig für die Technologie heutzutage, weil es in all unseren Smartphones und Laptops steckt. In dem Stück Coltan as Cotton spreche ich über den virtuellen, digitalen, den technologischen Fortschritt, der auf einer sehr analogen Form der Ausbeutung basiert, die seit Menschengedenken stattfindet. Es sind die Plünderung der wertvollen Ressourcen in Afrika, auf denen Imperialismus, Kolonialismus, Kapitalismus seit hunderten von Jahren aufbauen. Und das geht weiter – es geht weiter durch unsere Technologie hindurch. Das hat auch schon vorher eine große Rolle gespielt, in der Zeit der industriellen Ära – das Gummi für unsere Autoreifen – alle diese Dinge stehen nicht einfach ohne Konsequenzen zur Verfügung. Das Öl, mit dem wir unsere Autos antreiben, alle diese Dinge. Und die meisten von ihnen sind auf eine ganz bestimmte Art mit dem Kontinent Afrika verbunden und mit seiner Ausbeutung und Plünderung. Ein fokussiertes Bewusstsein dafür könnte helfen, unsere Bündnisse zu ändern und uns darüber bewusst zu werden, welche Rolle wir selbst spielen.

Saul Williams & Mivos Quartet, Coltan as Cotton; beim Ecstatic Festival 2014, NYC.

NGH WHT ist eine Abkürzung für ›Nigger what‹. Ist das politisch korrekt?

Das ist der Name eines Gedichts, das wir als Sinfonie aufführen (und im Rahmen von Acht Brücken als Version für Streichquartett und Poetry-Sprecher, d. Red.). Das ist das längste Stück, das wir machen und wurde vertont vom Schweizer Komponisten Thomas Kessler. Es ist ein Stück, das über die Ursprünge von Hip Hop, über die Essenz des Widerstands und auch die Rolle des Weiblichen in diesem Widerstand und in unserer Zeit spricht. Ja, es ist politisch korrekt, diese Themen anzugehen.

Wir haben über poetische-politische Strategien gesprochen. Braucht man im heutigen Amerika einen neuen zivilen Widerstand?

Ohne Zweifel – und global auch. Unsere Probleme in Amerika sind die gleichen wie hier in Deutschland oder in Frankreich oder auf der ganzen Welt. Überall haben die Menschen vergessen, welche Rolle der Faschismus und andere extrem rechte Ideologien in der Gesellschaft gespielt haben. Und je weiter wir uns zeitlich von diesen schrecklichen Realitäten entfernen, um so mehr beginnen die Leute wieder mit solchen Ideologien zu flirten. Sie bekommen immer mehr Angst vor dem Fremden. Und was kommt dann dabei heraus? Was in Amerika passiert ist eine direktes Resultat davon. Und kein Platz ist sicher … wie wir wissen.

Also brauchen wir Leute wie Sie, die die Finger in die Wunde legen. Tanzen Sie eigentlich noch?

Natürlich, so lange es Musik gibt, wird getanzt. Wenn ich meine Musik aufführe, ist es eigentlich unmöglich, nicht zu tanzen. Nur in einem Rahmen wie hier, mit diesen klassischen Musikern, sitze ich während eines großen Teils der Performance, weil ich die Musik lese, zusammen mit den Musikern. Das trägt mich dann wiederum an einen anderen Ort. Aber das Publikum hat Platz zum Tanzen. ¶

... arbeitet seit über 15 Jahren für verschiedene Radioprogramme der ARD. Dazu zählen Beiträge, Features, die Moderation von Musiksendungen und live moderierte Konzertübertragungen. Darüber hinaus ist sie für verschiedene Printmedien und Online-Magazine als Opern- und Konzertkritikerin oder Berichterstatterin für internationale Festivals unterwegs. In ihrer Freizeit rudert sie auf dem Rhein, auch wettkampfmäßig.