Titelbild Gründungssohle des Opernhauses Köln mit angeschnittenen Bohrpfählen · Foto Geolina163 via Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Die Pandemie hat die Theater fest im Griff, die Stimmung in den Häusern ist aufs Äußerste gereizt: Spielpläne müssen kurzfristigst umgestoßen, Premieren verschoben und digital verwertet werden, weil das Publikum im Home-Office ist, Verträge wer­den annulliert, die Freien plagen Existenzsorgen, die Festangestellten beklagen »Berufsverbot« ‒ und alle zu­sammen verzweifeln über den Entscheidungen einer Politik, die Kultur als Freizeit­ange­bot labelt. Noch sind die Überlebenschancen der deutschen Theater in öffentlicher Hand besser als in vielen anderen Ländern. Doch die Frage, wie lange sie am Tropf von kommunalen Geldern und staatlichen Unter­stützungsfonds durchhalten können, stellt sich von Lockdown zu Lockdown dring­licher.Aber nicht nur finanziell steht das deutsche Theatersystem auf dem  Prüfstand. Denn Corona ist mehr als eine über Nacht ausgebrochene Katastrophe, die kurzfristig das (zumeist kapitalistische) Wirtschaftssystem und die Grundwerte unsere Zivili­sa­tion angreift. Die Pandemie fördert, wie letztens die Berliner Konzertagentin Sonia Simme­nauer bemerkte, auch das zutage, was schon vor dem Ausbruch proble­matisch lief ‒ vom CO2-Ausstoß, an dem auch der internationale Kunst-Jetset seinen Anteil hat, bis zum Selbstverständnis der Kulturbetriebe als Teil einer sich verändernden Gesellschaft. Dass sich hier auch die Opernhäuser neu posi­tio­nieren müssen, legen zwei Personalien nahe, die im deutschen Corona-Herbst 2020 für Auf­re­gung sorgen.

Die eine ist die vorzeitige Vertragsauflösung des Karlsruher Generalintendanten Peter Spuh­ler auf Antrag der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) und des Karlsruher Oberbürgermeisters Frank Mentrup (SPD). Beide hatten Spuhlers Vertrag erst im letzten Jahr bis 2026 verlängert. Aber die anhal­tenden Kla­gen von Theatermitarbeiter:innen über »Kon­troll­zwang, bestän­diges Miss­trauen, cholerische Ausfälle« des Intendanten, die ein offener Brief des Personal­rats direkt ansprach, zwang die Politik am Ende zum Handeln (VAN berichtete aus­führlich). Seither grübelt man in der Kulturszene der Republik darüber nach, wie an einem aus Steuermitteln finanzierten Theater so nach­haltig und ohne unab­hängige Kontrolle das Betriebsklima vergiftet werden konnte.

Fall Nr. 2, Köln am Rhein. Mitte November gab die parteilose, von CDU und Grünen gestützte Oberbürgermeisterin Henriette Reker bekannt, den Ver­trag der Opern­intendantin Birgit Meyer nicht über die Spielzeit 2012/22 hinaus verlängern zu wollen. Als Begründung wurde in der Presse das Bedürfnis der OB nach »frischem Wind« in der Oper kolportiert ‒ was immer das für die nicht auffällig opernbegeis­terte Politikerin heißen mag. Offiziell dankte Reker der Intendantin für ihre Arbeit im In­te­rim während der Sanierung des Opernhauses am Offenbachplatz, hielt es aber »für entscheidend, wenn mit einer neuen Intendanz der Umzug der Kölner Oper zurück an den Offenbachplatz mit einer neuen Handschrift beginnt«.

Der Coup aus dem Kölner Rathaus wirkte für viele Kölner Operngänger:innen verstörend, in einer Online-Bürgerpetition protestierte die Lokalprominenz gegen die Kündigung der Intendantin. Wenig später legte der Frankfurter Opern­intendant Bernd Loebe nach und verfasste als Vorsitzender der Deutsch­spra­chigen Opernkon­ferenz einen offenen Brief, in dem er Reker durch die Blume man­gelnde Kenntnisse in Pla­nungs- und Vertragsfragen vorhielt und sie aufforderte, doch bitte zu honorie­ren, dass »Frau Meyer, die momentan übrigens die einzige Frau in der Runde der Intendanten der DOK ist, […] die Oper Köln bisher gut durch die schwie­rige Phase der Sanierung führt«.

Auch wenn es offenbar Stimmen aus der Kölner Oper gibt, die Birgit Meyer einen ausgeprägten Hang zur Kontrolle nachsagen ‒ mit den dokumentierten Ver­feh­lungen ihres Karls­ruher Kollegen Spuhler kann man ihren Leitungsstil sicher nicht vergleichen. Außerdem ist unbestritten, dass die promovierte Ärztin, Drama­turgin und Kulturmanagerin einen der größten Operntanker in Deutschland recht erfolg­reich durch mehrere Krisen gesteuert hat. Dazu gehörte das zerrüttete Verhält­nis zwischen der Stadt und Meyers Vorgänger Uwe Eric Laufenberg, der die Oper an den Rand der finanziellen Havarie gelenkt hatte. Hier wirkte Meyer ausgleichend. Und sie meis­terte die undankbare Aufgabe, während der Sanierung des Opernhauses am Offen­bachplatz diverse Ausweich­spielstätten bedienen zu müssen, denen es, wie dem »Staaten­haus« auf der rechten Rheinseite, an jeder opern­geeig­neten Infra­struktur mangelt. Hier musste alles erst gebaut und immer wieder neu erfunden werden ‒ von den Garderoben über Bühne und Orchestergraben bis zur Beleuchtung.

Unter solch schwierigen Bedingungen stellt Meyer seit Jahren einen soliden Spiel­plan auf die Beine, mit dem sie ‒ vom Repertoire über die Kinderoper bis zu Ausflügen in die Moderne ‒ »alles richtig macht«, ohne wirklich das volle Ideen­potenzial zu nutzen, dass Musiktheater heute bietet. Und wer sich zum wiederholten Mal durch Wind und Wetter über Pfützen den Weg zur ehemaligen Messehalle des »Staatenhau­ses« bahnen muss, um szenisch mittelprächtige Aufführungen in schlech­ter Akustik zu erle­ben ‒ dem kann schon der Gedanke kommen, ob selbst unter miss­lichen Bedin­gungen nicht auch innovatives Theater möglich wäre.

Was aber ist innovatives Theater? Und was wird nach der Corona-Krise unter dem Label »Oper« übrigbleiben? »Wieviel Kernrepertoire brauchen wir künftig?«, fragt sich etwa der Bonner Generalmusikdirektor Dirk Kaftan. »Und wie viele Ideen müss­ten in alter­native Projekte fließen, in Community-Arbeit? Diese Fragen werden ver­stärkt gestellt, daran wird gearbeitet.« Einer, der diese Fragen gegenüber seinem Team, dem Publikum und der Politik seit nun vier Jahren artikuliert, ist der Wupperta­ler Opernintendant Berthold Schneider. Seine Ausgangsidee: »Wie schaffen wir es am Theater, in die Stadt­gesellschaft hineinzuwirken und uns mit ihr auf Augen­höhe zu verzahnen ‒ nicht im Sinne eines Rundfunksenders, wo man einfach nur zuhört oder zuschaut, sondern im Sinne einer Plattform, wo Menschen zu uns kommen und gemeinsam mit uns dieses Fest Oper feiern, teilweise auf der Bühne, teilweise in begleitenden Geschichten ‒ und dann merken, was das für eine Kraft haben kann in ihrem Leben?«

So ziemlich alles hat Schneider auf den Kopf gestellt seit seinem Antritt vor vier Jahren, als Wuppertal nur noch ein trauriger Allerweltsbetrieb ohne nennens­wertes Ensemble war. Das Repertoire wird neu befragt, die Raumsituation im Opernhaus aufgebrochen, aber auch aktuelle Stücke über Globalisierung oder Kolonialismus gezeigt. Bürger:innen werden auf die Bühne geholt, neue Spielräume in der Stadt aufgetan oder eine Transgender-Baritonsängerin engagiert. Die Wupper­taler Oper richtet sich an alle ‒ auch an die, die erst einmal nicht kommen. »Ich will nicht allen gefallen oder alle erreichen. Aber wir müssen das Programm auch für Menschen machen, die wir hier nicht sehen. Es geht ja auch immer um die Lebenswirklichkeit. Wir können keine Kunst machen, die sich abkapselt oder in einer Blase lebt, die Vergangenes feiert und Bestehendes ignoriert.«

Jede Stadt ist anders ‒ und nicht überall funktionieren die gleichen Ansätze. Cornelius Meister hat als GMD in Stuttgart ein treues bürgerliches Publikum, dem das Staatstheater eine Art gute Stube bedeutet. Aber auch Meister hat nicht nur die gelungene Aufführung, sondern den kulturellen Auftrag vor Augen. »Und der geht weit über eine Aufführung hinaus, die um 20 Uhr beginnt und um 22 Uhr zu Ende ist. Es gibt in Stuttgart eine ganze Reihe von Politikern, die regelmäßig zu uns kom­men und das Gespräch suchen über Themen, die über den Tag hinausreichen. Nehmen wir die aktuelle Diskussion um schulische Bildung in Corona-Zeiten ‒ da geht es meist um Wissensinhalte. Das ist alles richtig, aber mir fehlt in der Diskussion die Frage: Wie wird man kreativ, wie können wir Musisches an unsere Kinder weiter­geben? Das gehört zur Bildung genauso dazu wie die Lösung einer Mathematik­aufgabe. Darum müssen auch wir als Opernhaus eine Antwort auf die Frage geben, in welcher Stadt, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen.«

Theater und Oper als Plattform und gemeinsame Spielfläche für Kreativität, die nahe an den sozialen Problemen und Bedürfnissen einer Stadt agiert: Könnte es das sein, was sich Oberbürgermeisterin Henriette Reker auch für Köln wünscht ‒ und keine Oper, die sich am traditionellen Repertoire festklammert und dabei ganze Teile der Bevölkerung ignoriert?

Andererseits: reichen ästhetisch-soziale Argumente aus, um eine Intendantin fallen zu lassen, obwohl der Laden läuft und man in Köln selbst in Corona-Zeiten eine Auffüh­rungs­serie mit Mozarts Zauberflöte in voller Besetzung und Länge auf die Bühne bringt? Diese Frage stellen sich im Moment viele ‒ und vermuten hinter Rekers Argument vom »frischen Wind« einen Mann, der im Hintergrund kräftig bläst.

François-Xavier Roth ist seit 2015 Generalmusikdirektor in Köln ‒ und viele verehren ihn seitdem als den musikalischen Messias, den die Domstadt dringend ersehnt hat. Das Gürzenich-Orchester liebt seine kommunikative Art und seine stilisti­sche Band­breite vom Barock bis zur Gegenwart, das Publikum mag Roth als GMD zum Anfassen, die Musikkritik sein breites Repertoire und seine Experi­men­tier­freu­digkeit, die Politik seine Weltläufigkeit zwischen Köln, Paris und London, die den Marktwert des Dirigenten steigert.

Aber François-Xavier Roth hat seinen eigenen Kopf und möchte seine künstle­rischen Vorstellungen auch an der Oper durchsetzen ‒ zwar im Dialog mit der Inten­dantin, aber doch mit eigener Handschrift. Schon 2018 kam es deshalb zu Kompe­tenzstreitigkeiten mit Birgit Meyer. Weil die ihren Posten damals nicht aufgeben wollte, konnte Roth nur mit Mühe in Köln gehalten werden ‒ manche munkeln, dass man ihm dafür einige Zugeständnisse machen musste. Zwar betonte Roth jüngst im Zeitungsinterview, dass Meinungs­verschie­denheiten konstruktiv seien und er selbst Künstler und kein »Machtmensch« sei. Aber dass Dirigenten auch Macht­men­schen sein können, beweisen nicht nur zahllose Beispiele aus Geschichte und Gegenwart, sondern auch einige Details aus dem Entwurf für Roths künftigen Vertrag, die der Kölner Stadt-Anzeiger publik machte. Das »Letztentscheidungs­recht« über die Aus­wahl der Gastdirigenten und Rollenbesetzungen, das sich Meyer bisher gesichert hatte, obläge demnach ab 2022 dem Chefdirigenten ‒ was die Musikfreund:innen begrüßen werden, die sich in den letzten Jahren über die mittelmäßigen (weil offenbar viel zu kurzfristig engagierten) Gastdirigenten an der Kölner Oper geärgert haben.

Jedenfalls ist das Verhältnis von Intendant:in und Musikchef:in ein heikles Thema an jedem Opernhaus, welches das Betriebsklima auf Dauer belasten kann. Meist sind die Voraussetzungen und Traditionen an den einzelnen Häusern so komplex wie die Einzelverträge. Dirk Kaftan hat als GMD in Bonn das Glück, dass das Beethoven Orchester vom Opernhaus abgekoppelt ist und er damit relativ frei im Konzertbereich agieren kann. Ist der GMD der Intendanz unterstellt, gibt es weniger Gestaltungsspielraum,  Konflikte sind quasi vorprogram­miert, ebenso bei der Sänger:innenbesetzung. »Ich wundere mich allerdings«, so Kaftan, »dass nicht öfter Teams engagiert werden, also dass sich Intendant:in und Diri­gent:in gemeinsam bewerben. Aber das verhindern oft die Häuser selbst. In Graz zum Beispiel ent­scheidet die Intendantin allein über den GMD, während in Bonn die Wahlen von Intendant:in und Dirigent:in komplett abgekoppelt sind. Da gibt es relativ wenig Teamgeist in der Besetzungspolitik.«

Teamgeist im Vorfeld mahnt auch Kaftans Stuttgarter Kollege Cornelius Meis­ter an. Allerdings haben beide Dirigenten schon in ihrem Kernbereich ‒ Chor und Orchester ‒ mit Arbeitsstrukturen zu tun, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Kaftan formuliert es provokant: »Solch ein Maß von Gehorsam gibt es sonst im zivilen Bereich eigentlich gar nicht, es existiert in der Musik traditionell eine ganz starke Hierar­chie. Geändert hat sich aber natürlich der Anspruch der Mitarbeiter:innen auf eine nicht-über­griffige Führung.« Andererseits führe, so Cornelius Meister, Basis­demokratie in der Kunst selten zu den besten künstlerischen Ergebnissen. »Wenn ein politisches Gremium eine Entschei­dung fällt, müssen alle unterschied­lichen Aspekte gehört werden, und man einigt sich auf einen Kompromiss. In der Kunst bin ich skeptisch, ob ein Kompromiss das ist, was wir auf der Bühne sehen wollen. Bei einem Konzert kann ich nicht erst eine demokratische Abstimmung herbeiführen, ob wir jetzt gemeinschaftlich der Mei­nung wären, dass wir schneller oder langsamer spielen sollten. Da muss es jemanden ge­ben, der die Führungsverantwortung übernimmt.«

Mitbestimmungsmodelle bei Chor und Orchester werden sich in den Institu­tionen auf Dauer wohl nicht durchsetzen ‒ jedenfalls nicht in denen, die sich ans tra­ditionelle Repertoire halten. »Man kann die Strukturen und die Machtvertei­lung natürlich infrage stellen und neue Theaterformen wie die Bürgerbühne oder neue Leitungsmodelle finden«, gibt der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe zu bedenken. »Wenn ich aber die ›klas­sische‹ Oper auf die Bühne bringen will, benötige ich dafür in gewissen Bereichen auch eine klassisch-hierarchische Struktur.« Aber vielleicht ist ja beides möglich: das klassische Repertoire ebenso wie flexible, hierar­chisch flache Strukturen. Es müsste sich nur einiges ändern ‒ zum Beispiel das Bild von lediglich »ausführenden« Musiker:innen. »Für mich sind das nicht nur Kräfte, die im Kollektiv aufgehen«, meint Dirk Kaftan, »sondern Musikerpersön­lich­keiten in ganz vielen Facetten, die auf eigene Initiative in die Schulen gehen und Workshops machen, die Kammermusik spielen oder auch einzeln einsetzbar sind. Für diese Flexibilität im Kulturbetrieb einer Stadt sind aber die Verträge einfach zu veraltet. Daran müssen wir arbeiten.«

Der Druck, der von der Führungsverantwortung für einen Betrieb wie die Kölner Oper mit rund 500 Mitarbeiter:innen ausgeht, ist zweifellos enorm ‒ das betrifft nicht nur den GMD, sondern vor allem Intendantinnen und Intendanten. Und nicht nur das Beispiel von Peter Spuhler in Karlsruhe zeigt, dass man mit dem sozialen und psycho­logischen Anforderungen des Intendantenjobs auch überfordert sein und, je nach Charakter, überreagieren kann. Dafür kann man Verständnis aufbringen ‒ nicht aber Toleranz auf Kosten des Personals. »Die meisten von uns kommen woanders her«, sagt der Wuppertaler Opernintendant Berthold Schneider, ein gelernter Pianist und Dramaturg. »Wir kommen letztlich aus der Inhaltlichkeit, wir machen keine kon­ti­­nuierliche Management-Ausbildung wie bei einer Bank, sondern da kommen Regis­seure, Schauspieler, Musiker und werden plötzlich Intendanten. Das ist auch gut so, und man muss es schützen. Nur würde ich die frühzeitige Überprüfung des Leitungs­gebarens für unbedingt wichtig halten.«

Das bedeutet, dass Beschwerden aus der Belegschaft ernstgenommen und ge­prüft werden müssen ‒ aber auch, dass sich die Politik mit den künstlerischen Zielen intensiver auseinandersetzt als bisher und sich nicht nur eine prominente Personalie ans Re­vers heftet, die sie dann mit unliebsamen Entwicklungen konfrontiert. »Oft­mals wundert man sich«, so Bernd Loebe, »dass dieselben Politiker, die sich für eine Person aus­sprechen, sehr überrascht sind, wenn sie eine markante Handschrift zeigt, Dinge anders macht und künstlerische Akzente setzt. Da würde ich mir wünschen, dass sich die Entscheidungsträger eingehender mit den Kandidat:innen und deren künstleri­scher Vision auseinandersetzen und sich wirklich fragen: Welches Theater möchten wir für unsere Stadt?«

Auch wenn Loebe überzeugt ist, dass »Kunst und Kultur nicht den politischen Stellenwert haben, um Wahlen zu entscheiden«, sollte man den Prestigewert einer Intendant:innenbesetzung nicht unterschätzen. Die Entscheidung der Kölner OB gegen ihre Opernintendantin, aber auch die vorzeitige Verlän­gerung von Peter Spuhler in Karlsruhe, die jetzt nach seiner Vertragsauflösung zu empfind­lichen Entschä­di­gungs­zahlungen führen könnte, zeigen, dass Kultur durchaus zum Thema, wenn nicht zum Spielball der Politik werden kann. Vor allem im Zeitpunkt von Vertragsver­länge­rungen erkennt Berthold Schneider häufig außerkünstlerisches Kalkül: »Die Politik besetzt ein Amt ‒ und wenn sich herausstellt, dass etwas nicht gut läuft am Theater, wäre sie eigentlich gefordert, zu agieren. Wenn die Politik aber einen Ver­trag nicht verlängert, wird man ihr die Personalie als Fehler anrechnen. Sie versucht also, durch die erste Verlän­gerung ihre Entscheidung sozusagen zu legitimieren. Das ist reine Psy­cho­logie! Und das macht es so gefährlich ‒ es geht nicht um die Sache, sondern um die Bestätigung des eigenen Tuns.«

Opernhäuser müssen sich neu positionieren. Wo es hingehen könnte in @vanmusik.

Solche Strategien entwerten die Solidarität zwischen Politik und Kulturinstitu­tionen, die nach der Corona-Pandemie unter erheb­lichen finanziellen Druck kommen werden. Wenn sich die Politik dann nicht ent­schieden zum Bildungs- und Integra­tionsanspruch der Theater bekennt, wenn nicht gemeinsam die Ziele entwickelt werden, wie sich auch Stätten der »Hoch­kultur«, zum Beispiel Opernhäuser, öffnen können in Richtung einer diversen Stadtkultur ‒ dann könnte das Schreckens-Sze­na­rio von entlassenen Orchestern, Sänger:innen und Beleg­schaften in den USA auch bei uns virulent werden. Es reicht heute nicht mehr, ein Theater als Repertoire-Anstalt einigermaßen solide durchs Haushaltsjahr zu bringen. Der Pakt der Kultur mit der Gesellschaft braucht den ständigen Dialog mit vielen Gruppen ‒ und manchmal auch den frischen Wind eines Leitungswechsels. ¶