Die Pandemie hat die Theater fest im Griff, die Stimmung in den Häusern ist aufs Äußerste gereizt: Spielpläne müssen kurzfristigst umgestoßen, Premieren verschoben und digital verwertet werden, weil das Publikum im Home-Office ist, Verträge werden annulliert, die Freien plagen Existenzsorgen, die Festangestellten beklagen »Berufsverbot« ‒ und alle zusammen verzweifeln über den Entscheidungen einer Politik, die Kultur als Freizeitangebot labelt. Noch sind die Überlebenschancen der deutschen Theater in öffentlicher Hand besser als in vielen anderen Ländern. Doch die Frage, wie lange sie am Tropf von kommunalen Geldern und staatlichen Unterstützungsfonds durchhalten können, stellt sich von Lockdown zu Lockdown dringlicher.Aber nicht nur finanziell steht das deutsche Theatersystem auf dem Prüfstand. Denn Corona ist mehr als eine über Nacht ausgebrochene Katastrophe, die kurzfristig das (zumeist kapitalistische) Wirtschaftssystem und die Grundwerte unsere Zivilisation angreift. Die Pandemie fördert, wie letztens die Berliner Konzertagentin Sonia Simmenauer bemerkte, auch das zutage, was schon vor dem Ausbruch problematisch lief ‒ vom CO2-Ausstoß, an dem auch der internationale Kunst-Jetset seinen Anteil hat, bis zum Selbstverständnis der Kulturbetriebe als Teil einer sich verändernden Gesellschaft. Dass sich hier auch die Opernhäuser neu positionieren müssen, legen zwei Personalien nahe, die im deutschen Corona-Herbst 2020 für Aufregung sorgen.
Die eine ist die vorzeitige Vertragsauflösung des Karlsruher Generalintendanten Peter Spuhler auf Antrag der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) und des Karlsruher Oberbürgermeisters Frank Mentrup (SPD). Beide hatten Spuhlers Vertrag erst im letzten Jahr bis 2026 verlängert. Aber die anhaltenden Klagen von Theatermitarbeiter:innen über »Kontrollzwang, beständiges Misstrauen, cholerische Ausfälle« des Intendanten, die ein offener Brief des Personalrats direkt ansprach, zwang die Politik am Ende zum Handeln (VAN berichtete ausführlich). Seither grübelt man in der Kulturszene der Republik darüber nach, wie an einem aus Steuermitteln finanzierten Theater so nachhaltig und ohne unabhängige Kontrolle das Betriebsklima vergiftet werden konnte.
Fall Nr. 2, Köln am Rhein. Mitte November gab die parteilose, von CDU und Grünen gestützte Oberbürgermeisterin Henriette Reker bekannt, den Vertrag der Opernintendantin Birgit Meyer nicht über die Spielzeit 2012/22 hinaus verlängern zu wollen. Als Begründung wurde in der Presse das Bedürfnis der OB nach »frischem Wind« in der Oper kolportiert ‒ was immer das für die nicht auffällig opernbegeisterte Politikerin heißen mag. Offiziell dankte Reker der Intendantin für ihre Arbeit im Interim während der Sanierung des Opernhauses am Offenbachplatz, hielt es aber »für entscheidend, wenn mit einer neuen Intendanz der Umzug der Kölner Oper zurück an den Offenbachplatz mit einer neuen Handschrift beginnt«.
Der Coup aus dem Kölner Rathaus wirkte für viele Kölner Operngänger:innen verstörend, in einer Online-Bürgerpetition protestierte die Lokalprominenz gegen die Kündigung der Intendantin. Wenig später legte der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe nach und verfasste als Vorsitzender der Deutschsprachigen Opernkonferenz einen offenen Brief, in dem er Reker durch die Blume mangelnde Kenntnisse in Planungs- und Vertragsfragen vorhielt und sie aufforderte, doch bitte zu honorieren, dass »Frau Meyer, die momentan übrigens die einzige Frau in der Runde der Intendanten der DOK ist, […] die Oper Köln bisher gut durch die schwierige Phase der Sanierung führt«.

Auch wenn es offenbar Stimmen aus der Kölner Oper gibt, die Birgit Meyer einen ausgeprägten Hang zur Kontrolle nachsagen ‒ mit den dokumentierten Verfehlungen ihres Karlsruher Kollegen Spuhler kann man ihren Leitungsstil sicher nicht vergleichen. Außerdem ist unbestritten, dass die promovierte Ärztin, Dramaturgin und Kulturmanagerin einen der größten Operntanker in Deutschland recht erfolgreich durch mehrere Krisen gesteuert hat. Dazu gehörte das zerrüttete Verhältnis zwischen der Stadt und Meyers Vorgänger Uwe Eric Laufenberg, der die Oper an den Rand der finanziellen Havarie gelenkt hatte. Hier wirkte Meyer ausgleichend. Und sie meisterte die undankbare Aufgabe, während der Sanierung des Opernhauses am Offenbachplatz diverse Ausweichspielstätten bedienen zu müssen, denen es, wie dem »Staatenhaus« auf der rechten Rheinseite, an jeder operngeeigneten Infrastruktur mangelt. Hier musste alles erst gebaut und immer wieder neu erfunden werden ‒ von den Garderoben über Bühne und Orchestergraben bis zur Beleuchtung.
Unter solch schwierigen Bedingungen stellt Meyer seit Jahren einen soliden Spielplan auf die Beine, mit dem sie ‒ vom Repertoire über die Kinderoper bis zu Ausflügen in die Moderne ‒ »alles richtig macht«, ohne wirklich das volle Ideenpotenzial zu nutzen, dass Musiktheater heute bietet. Und wer sich zum wiederholten Mal durch Wind und Wetter über Pfützen den Weg zur ehemaligen Messehalle des »Staatenhauses« bahnen muss, um szenisch mittelprächtige Aufführungen in schlechter Akustik zu erleben ‒ dem kann schon der Gedanke kommen, ob selbst unter misslichen Bedingungen nicht auch innovatives Theater möglich wäre.
Was aber ist innovatives Theater? Und was wird nach der Corona-Krise unter dem Label »Oper« übrigbleiben? »Wieviel Kernrepertoire brauchen wir künftig?«, fragt sich etwa der Bonner Generalmusikdirektor Dirk Kaftan. »Und wie viele Ideen müssten in alternative Projekte fließen, in Community-Arbeit? Diese Fragen werden verstärkt gestellt, daran wird gearbeitet.« Einer, der diese Fragen gegenüber seinem Team, dem Publikum und der Politik seit nun vier Jahren artikuliert, ist der Wuppertaler Opernintendant Berthold Schneider. Seine Ausgangsidee: »Wie schaffen wir es am Theater, in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken und uns mit ihr auf Augenhöhe zu verzahnen ‒ nicht im Sinne eines Rundfunksenders, wo man einfach nur zuhört oder zuschaut, sondern im Sinne einer Plattform, wo Menschen zu uns kommen und gemeinsam mit uns dieses Fest Oper feiern, teilweise auf der Bühne, teilweise in begleitenden Geschichten ‒ und dann merken, was das für eine Kraft haben kann in ihrem Leben?«

So ziemlich alles hat Schneider auf den Kopf gestellt seit seinem Antritt vor vier Jahren, als Wuppertal nur noch ein trauriger Allerweltsbetrieb ohne nennenswertes Ensemble war. Das Repertoire wird neu befragt, die Raumsituation im Opernhaus aufgebrochen, aber auch aktuelle Stücke über Globalisierung oder Kolonialismus gezeigt. Bürger:innen werden auf die Bühne geholt, neue Spielräume in der Stadt aufgetan oder eine Transgender-Baritonsängerin engagiert. Die Wuppertaler Oper richtet sich an alle ‒ auch an die, die erst einmal nicht kommen. »Ich will nicht allen gefallen oder alle erreichen. Aber wir müssen das Programm auch für Menschen machen, die wir hier nicht sehen. Es geht ja auch immer um die Lebenswirklichkeit. Wir können keine Kunst machen, die sich abkapselt oder in einer Blase lebt, die Vergangenes feiert und Bestehendes ignoriert.«
Jede Stadt ist anders ‒ und nicht überall funktionieren die gleichen Ansätze. Cornelius Meister hat als GMD in Stuttgart ein treues bürgerliches Publikum, dem das Staatstheater eine Art gute Stube bedeutet. Aber auch Meister hat nicht nur die gelungene Aufführung, sondern den kulturellen Auftrag vor Augen. »Und der geht weit über eine Aufführung hinaus, die um 20 Uhr beginnt und um 22 Uhr zu Ende ist. Es gibt in Stuttgart eine ganze Reihe von Politikern, die regelmäßig zu uns kommen und das Gespräch suchen über Themen, die über den Tag hinausreichen. Nehmen wir die aktuelle Diskussion um schulische Bildung in Corona-Zeiten ‒ da geht es meist um Wissensinhalte. Das ist alles richtig, aber mir fehlt in der Diskussion die Frage: Wie wird man kreativ, wie können wir Musisches an unsere Kinder weitergeben? Das gehört zur Bildung genauso dazu wie die Lösung einer Mathematikaufgabe. Darum müssen auch wir als Opernhaus eine Antwort auf die Frage geben, in welcher Stadt, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen.«
Theater und Oper als Plattform und gemeinsame Spielfläche für Kreativität, die nahe an den sozialen Problemen und Bedürfnissen einer Stadt agiert: Könnte es das sein, was sich Oberbürgermeisterin Henriette Reker auch für Köln wünscht ‒ und keine Oper, die sich am traditionellen Repertoire festklammert und dabei ganze Teile der Bevölkerung ignoriert?
Andererseits: reichen ästhetisch-soziale Argumente aus, um eine Intendantin fallen zu lassen, obwohl der Laden läuft und man in Köln selbst in Corona-Zeiten eine Aufführungsserie mit Mozarts Zauberflöte in voller Besetzung und Länge auf die Bühne bringt? Diese Frage stellen sich im Moment viele ‒ und vermuten hinter Rekers Argument vom »frischen Wind« einen Mann, der im Hintergrund kräftig bläst.
François-Xavier Roth ist seit 2015 Generalmusikdirektor in Köln ‒ und viele verehren ihn seitdem als den musikalischen Messias, den die Domstadt dringend ersehnt hat. Das Gürzenich-Orchester liebt seine kommunikative Art und seine stilistische Bandbreite vom Barock bis zur Gegenwart, das Publikum mag Roth als GMD zum Anfassen, die Musikkritik sein breites Repertoire und seine Experimentierfreudigkeit, die Politik seine Weltläufigkeit zwischen Köln, Paris und London, die den Marktwert des Dirigenten steigert.
Aber François-Xavier Roth hat seinen eigenen Kopf und möchte seine künstlerischen Vorstellungen auch an der Oper durchsetzen ‒ zwar im Dialog mit der Intendantin, aber doch mit eigener Handschrift. Schon 2018 kam es deshalb zu Kompetenzstreitigkeiten mit Birgit Meyer. Weil die ihren Posten damals nicht aufgeben wollte, konnte Roth nur mit Mühe in Köln gehalten werden ‒ manche munkeln, dass man ihm dafür einige Zugeständnisse machen musste. Zwar betonte Roth jüngst im Zeitungsinterview, dass Meinungsverschiedenheiten konstruktiv seien und er selbst Künstler und kein »Machtmensch« sei. Aber dass Dirigenten auch Machtmenschen sein können, beweisen nicht nur zahllose Beispiele aus Geschichte und Gegenwart, sondern auch einige Details aus dem Entwurf für Roths künftigen Vertrag, die der Kölner Stadt-Anzeiger publik machte. Das »Letztentscheidungsrecht« über die Auswahl der Gastdirigenten und Rollenbesetzungen, das sich Meyer bisher gesichert hatte, obläge demnach ab 2022 dem Chefdirigenten ‒ was die Musikfreund:innen begrüßen werden, die sich in den letzten Jahren über die mittelmäßigen (weil offenbar viel zu kurzfristig engagierten) Gastdirigenten an der Kölner Oper geärgert haben.
Jedenfalls ist das Verhältnis von Intendant:in und Musikchef:in ein heikles Thema an jedem Opernhaus, welches das Betriebsklima auf Dauer belasten kann. Meist sind die Voraussetzungen und Traditionen an den einzelnen Häusern so komplex wie die Einzelverträge. Dirk Kaftan hat als GMD in Bonn das Glück, dass das Beethoven Orchester vom Opernhaus abgekoppelt ist und er damit relativ frei im Konzertbereich agieren kann. Ist der GMD der Intendanz unterstellt, gibt es weniger Gestaltungsspielraum, Konflikte sind quasi vorprogrammiert, ebenso bei der Sänger:innenbesetzung. »Ich wundere mich allerdings«, so Kaftan, »dass nicht öfter Teams engagiert werden, also dass sich Intendant:in und Dirigent:in gemeinsam bewerben. Aber das verhindern oft die Häuser selbst. In Graz zum Beispiel entscheidet die Intendantin allein über den GMD, während in Bonn die Wahlen von Intendant:in und Dirigent:in komplett abgekoppelt sind. Da gibt es relativ wenig Teamgeist in der Besetzungspolitik.«

Teamgeist im Vorfeld mahnt auch Kaftans Stuttgarter Kollege Cornelius Meister an. Allerdings haben beide Dirigenten schon in ihrem Kernbereich ‒ Chor und Orchester ‒ mit Arbeitsstrukturen zu tun, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Kaftan formuliert es provokant: »Solch ein Maß von Gehorsam gibt es sonst im zivilen Bereich eigentlich gar nicht, es existiert in der Musik traditionell eine ganz starke Hierarchie. Geändert hat sich aber natürlich der Anspruch der Mitarbeiter:innen auf eine nicht-übergriffige Führung.« Andererseits führe, so Cornelius Meister, Basisdemokratie in der Kunst selten zu den besten künstlerischen Ergebnissen. »Wenn ein politisches Gremium eine Entscheidung fällt, müssen alle unterschiedlichen Aspekte gehört werden, und man einigt sich auf einen Kompromiss. In der Kunst bin ich skeptisch, ob ein Kompromiss das ist, was wir auf der Bühne sehen wollen. Bei einem Konzert kann ich nicht erst eine demokratische Abstimmung herbeiführen, ob wir jetzt gemeinschaftlich der Meinung wären, dass wir schneller oder langsamer spielen sollten. Da muss es jemanden geben, der die Führungsverantwortung übernimmt.«
Mitbestimmungsmodelle bei Chor und Orchester werden sich in den Institutionen auf Dauer wohl nicht durchsetzen ‒ jedenfalls nicht in denen, die sich ans traditionelle Repertoire halten. »Man kann die Strukturen und die Machtverteilung natürlich infrage stellen und neue Theaterformen wie die Bürgerbühne oder neue Leitungsmodelle finden«, gibt der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe zu bedenken. »Wenn ich aber die ›klassische‹ Oper auf die Bühne bringen will, benötige ich dafür in gewissen Bereichen auch eine klassisch-hierarchische Struktur.« Aber vielleicht ist ja beides möglich: das klassische Repertoire ebenso wie flexible, hierarchisch flache Strukturen. Es müsste sich nur einiges ändern ‒ zum Beispiel das Bild von lediglich »ausführenden« Musiker:innen. »Für mich sind das nicht nur Kräfte, die im Kollektiv aufgehen«, meint Dirk Kaftan, »sondern Musikerpersönlichkeiten in ganz vielen Facetten, die auf eigene Initiative in die Schulen gehen und Workshops machen, die Kammermusik spielen oder auch einzeln einsetzbar sind. Für diese Flexibilität im Kulturbetrieb einer Stadt sind aber die Verträge einfach zu veraltet. Daran müssen wir arbeiten.«
Der Druck, der von der Führungsverantwortung für einen Betrieb wie die Kölner Oper mit rund 500 Mitarbeiter:innen ausgeht, ist zweifellos enorm ‒ das betrifft nicht nur den GMD, sondern vor allem Intendantinnen und Intendanten. Und nicht nur das Beispiel von Peter Spuhler in Karlsruhe zeigt, dass man mit dem sozialen und psychologischen Anforderungen des Intendantenjobs auch überfordert sein und, je nach Charakter, überreagieren kann. Dafür kann man Verständnis aufbringen ‒ nicht aber Toleranz auf Kosten des Personals. »Die meisten von uns kommen woanders her«, sagt der Wuppertaler Opernintendant Berthold Schneider, ein gelernter Pianist und Dramaturg. »Wir kommen letztlich aus der Inhaltlichkeit, wir machen keine kontinuierliche Management-Ausbildung wie bei einer Bank, sondern da kommen Regisseure, Schauspieler, Musiker und werden plötzlich Intendanten. Das ist auch gut so, und man muss es schützen. Nur würde ich die frühzeitige Überprüfung des Leitungsgebarens für unbedingt wichtig halten.«

Das bedeutet, dass Beschwerden aus der Belegschaft ernstgenommen und geprüft werden müssen ‒ aber auch, dass sich die Politik mit den künstlerischen Zielen intensiver auseinandersetzt als bisher und sich nicht nur eine prominente Personalie ans Revers heftet, die sie dann mit unliebsamen Entwicklungen konfrontiert. »Oftmals wundert man sich«, so Bernd Loebe, »dass dieselben Politiker, die sich für eine Person aussprechen, sehr überrascht sind, wenn sie eine markante Handschrift zeigt, Dinge anders macht und künstlerische Akzente setzt. Da würde ich mir wünschen, dass sich die Entscheidungsträger eingehender mit den Kandidat:innen und deren künstlerischer Vision auseinandersetzen und sich wirklich fragen: Welches Theater möchten wir für unsere Stadt?«
Auch wenn Loebe überzeugt ist, dass »Kunst und Kultur nicht den politischen Stellenwert haben, um Wahlen zu entscheiden«, sollte man den Prestigewert einer Intendant:innenbesetzung nicht unterschätzen. Die Entscheidung der Kölner OB gegen ihre Opernintendantin, aber auch die vorzeitige Verlängerung von Peter Spuhler in Karlsruhe, die jetzt nach seiner Vertragsauflösung zu empfindlichen Entschädigungszahlungen führen könnte, zeigen, dass Kultur durchaus zum Thema, wenn nicht zum Spielball der Politik werden kann. Vor allem im Zeitpunkt von Vertragsverlängerungen erkennt Berthold Schneider häufig außerkünstlerisches Kalkül: »Die Politik besetzt ein Amt ‒ und wenn sich herausstellt, dass etwas nicht gut läuft am Theater, wäre sie eigentlich gefordert, zu agieren. Wenn die Politik aber einen Vertrag nicht verlängert, wird man ihr die Personalie als Fehler anrechnen. Sie versucht also, durch die erste Verlängerung ihre Entscheidung sozusagen zu legitimieren. Das ist reine Psychologie! Und das macht es so gefährlich ‒ es geht nicht um die Sache, sondern um die Bestätigung des eigenen Tuns.«
Solche Strategien entwerten die Solidarität zwischen Politik und Kulturinstitutionen, die nach der Corona-Pandemie unter erheblichen finanziellen Druck kommen werden. Wenn sich die Politik dann nicht entschieden zum Bildungs- und Integrationsanspruch der Theater bekennt, wenn nicht gemeinsam die Ziele entwickelt werden, wie sich auch Stätten der »Hochkultur«, zum Beispiel Opernhäuser, öffnen können in Richtung einer diversen Stadtkultur ‒ dann könnte das Schreckens-Szenario von entlassenen Orchestern, Sänger:innen und Belegschaften in den USA auch bei uns virulent werden. Es reicht heute nicht mehr, ein Theater als Repertoire-Anstalt einigermaßen solide durchs Haushaltsjahr zu bringen. Der Pakt der Kultur mit der Gesellschaft braucht den ständigen Dialog mit vielen Gruppen ‒ und manchmal auch den frischen Wind eines Leitungswechsels. ¶