Le Encantadas o le avventure nel mare delle meraviglie ist die neueste Komposition von Olga Neuwirth. Nach der Uraufführung bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen, den ersten Radioausschnitten und Erzählungen von Besucher/innen haben wir uns schwer geärgert, dass wir nicht selbst dabei waren. Neben ihrer Musik, der Sympathie für Herman Melville, ihrer Auseinandersetzung mit Österreich und der herrschenden (Männer-)Klasse, an der auch die Verleihung des Staatspreises 2010 nichts geändert hat, liefert Olga Neuwirth uns mit dieser Playlist den nächsten Grund, sie toll zu finden.
Malaria!: Geld/Money
Als Punk in der österreichischen Provinz der 1980er Jahre hat mich eher das harte Pflaster der Großstadt angezogen als die Almwiesen, und diese Berliner All-Girl-Band hatte es mir besonders angetan. Sie waren mir mit ihren provokativen sozial-politischen Songs, die nach Beton rochen, Vorbild dafür, die miefige Umgebung ironisch-laut zu verunsichern. Auch ihre experimentellen Video-Clips, die ihrer Zeit weit voraus waren und mich an meine Auseinandersetzung mit der Filmemacherin Valie Export erinnerten, waren eine sehr wichtige Anregung, einen unangepassten Weg zu gehen.
Klaus Nomi: Simple Man
Da ich zwischen Klassik, Jazz und Pop aufgewachsen bin, war mir Klaus Nomi sofort nahe, als ich 1982 das erste Mal eine LP von ihm hörte. Wieder kam dieser musikalische Anstoß aus der New Yorker Punk- und No Wave-Szene, die ich so bewunderte. Ich bin Nomis eigenwilliger Countertenorstimme und seinen tiefsinnigen Songs, viele vom geistreichen Songwriter Kristian Hoffman geschrieben, verfallen. Wegen der bis heute mich so tief berührenden wilden Mischung aus Ironie, Dada, Künstlichkeit, Dramatik, Klassik und Pop sowie dem augenzwinkernden Einsatz von Elektronik. Unersetzlich für mich.
Screamin’ Jay Hawkins: There’s Something Wrong With You
Auch Screamin‘ Jay Hawkins wollte ursprünglich Opernsänger werden wie Klaus Nomi. Wieder die mich musikalisch prägenden frühen 1980er Jahre: Ich hörte sein legänderes I Put a Spell on You in einem Film, den ich mir damals mehrfach reingezogen hatte: Jim Jarmusch’s Stranger than Paradies. Jay Hawkins ironisch und verzweifeltes »Schreien« ums und fürs Leben.
Beastie Boys: Cooky Puss
Als ich Mike D, den Schlagzeuger der Band, 2010 kennengelernt habe, habe ich mich bei ihm dafür bedankt, dass er mir, als ich mit 15 Schlagzeugerin in einer Punk Band war, ein großes Vorbild war und mich sehr inspiriert hatte. Denn auf meiner Suche nach Identität waren die drei nerdigen jüdischen Jungs von den Beastie Boys prägend für mich, besonders auch durch ihre Hinwendung zum Rap, obwohl sie als Punker begonnen hatten. Sie gaben sich gefährlich, und ich bewundere noch heute ihre Songs und ihren fast kindlichen Enthusiasmus sowie ihre oft anarchisch-ironischen Sprachspiele, wie zum Beispiel der Scherz-Telefonanruf mit den daruntergelegten Beats und dem Scratching – das alles fegt mich noch heute weg.
Meira Asher: Dissect Me Again 1
Radikale, kompromisslose Musik, die Bauch und Hirnwindungen anregt und erschüttert. Welch’ authentische und realistische Umsetzung von Gefühlen!
Miles Davis: Blue In Green von Kind of Blue
Als ich ihn live hörte mit seiner roten Trompete, wollte ich Jazz-Trompeterin werden. Schon beim ersten Einsatz mit dem für ihn so charakteristischen harmon mute nahe am Mikrophon falle ich in Ohnmacht …
Israel López ›Cachao‹: Mambo Cambió de Swing
Seitdem mich Barry Gifford 2010 in den auf lateinamerikanische Musik spezialisierten CD-Laden in der U-Bahnstation an der New Yorker 42. Straße schickte – an dem hunderttausende von Menschen Tag ein und aus vorbeilaufen – kann ich dort nicht mehr vorbei gehen, ohne vom Verkäufer – dem ich mit einem Empfehlungs-Briefchen und einer Liste an zu kaufenden CDs an Herz gelegt wurde – nicht wieder unzählige »Schmankerln« an CDs vorgestellt zu bekommen.
Da ich so auf Blechblasinstrumente stehe: Metallige Bläsersätze und belebende Rhythmus-Gruppen in der Musik des zunächst klassisch ausgebildeten Kontrabassisten »Cachao« bringen mir das Blut wieder zum Wallen, wenn ich down bin. Höchste musikalische Wahrhaftigkeit.
N.W.A. (Niggaz With Attitude): Gangsta, Gangsta
Zurück zu den 1980ern. Geprägt vom Leben auf der Straße: kritisch und . Die Mischung aus hart rhythmisierten provokanten Texte, eingebettet in eine Soundcollage aus Beats, Schüssen, Sirenen, Autogeräuschen, Schreien und Flüchen verursachen mir heute noch Gänsehaut und Begeisterung zugleich.
Giuseppe Maria Orlandini: Berenice – Col Versar, Barbaro, Il Sangue
Die große jüdische Königin Berenice, eine Ausländerin am Hofe Kaiser Titus‘, droht sich das Leben zu nehmen – es klingt in dieser Arie von Orlandini gar nicht nach einer hohlen Geste. Wunderbar perlende Koloraturen voller Trotz und Missachtung, immer wieder »barbaro« ausrufend im steten Kampf zwischen Liebe und Pflicht. Klar, detailgenau und empfindsam vorgetragen von Joyce DiDonato.
Reinette l’Oranaise: Nhabek Nhabek (»I love you I love you«)
Reinette l’Oranaise war eine algerisch-jüdische Sängerin, die ich 1991 live erlebt habe. Ich war unglaublich beeindruckt von dieser blinden älteren Dame, die mit eindringlicher Energie, Intensivität und Authentizität sang und sich selbst auf diversen Saiteninstrumente begleitete, so dass ich ständig zwischen Euphorie und Melancholie hin- und hergeworfen wurde.
Franz Schubert: Klaviersonate No. 19 c-Moll, D 958; IV. Allegro
Zwischen meinem 15. und 19. Lebensjahr hatte ich die wunderbare Möglichkeit, Sviatoslav Richter mehrfach in unserer kleinen Musikschule in der Steiermark zu hören – bei dessen Klavier-Recitals übrigens immer ein KGB-Mann dabei saß. Ich durfte ihn persönlich kennenlernen: was für ein belesener, bescheidener, höchst sensibler, ernsthafter Mann! Sein unorthodoxes, klares, unverschnörkeltes, riskantes und befreites Spiel hat uns alle in eine Art hypnotische Trance versetzt in diesem kleinen Konzertsaal, in dem man ihm aus nächster Nähe auf die Finger sehen konnte. Obwohl ich mich besonders an seine Interpretation von Anton von Weberns Variationen Op. 27 erinnere, möchte ich ihn hier mit Schubert zu Gehör bringen. War nicht Schubert auch eine Art Blues-Sänger, der den weinenden Himmel transformieren wollte? Durch heitere oder wehmutsvolle Stimmungen eilt man ihm im Geiste hinterher. Die Gefühle werden im zeitlichen Ablauf geradezu verzweifelt zur Ordnung gebracht und wir können, selbst ruhelos, sie nur mühsam eingefangen. Oh Wanderer! ¶