Ob ein Plakat wirklich funktioniert, entscheidet ein einziger Augenblick: beim Rennen zur U-Bahn, beim Stopp an der roten Ampel oder beim Vorbeifahren eines Busses. Wie die öffentlichen Bekanntmachungen von Operhäusern die/den Betrachter/in in den Bann ziehen, überprüfen wir mit Andreas Uebele anhand von acht aktuellen Beispielen.

Bayerische Staatsoper

Plakatgestaltung Jorinde Voigt
Plakatgestaltung Jorinde Voigt

Andreas Uebele: Welchem Gestalter trete ich hier auf die Füße, wenn ich jetzt was schlechtes sage? Es ist so leicht, Dinge zu kritisieren, ohne den Hintergrund zu kennen, aber diese Arbeit kommt mir schwach vor. Erst mal finde ich es nicht gut, dass der Text in Blocksatz und Versalien gesetzt ist und zudem stimmt der Ausgleich zwischen bei den beiden A’s nicht – das ist jetzt natürlich dieses Besserwisser-Genörgel, das ich eigentlich nicht leiden kann.

Mich stört auch, dass es so Opern-mäßig daherkommt – also einen klassischen Auftritt hat – aber überhaupt nicht kommuniziert, worum es in dem Stück eigentlich geht. Das könnte aber auch an meiner Bildungslücke liegen. Ich finde die Illustration etwas schwach; dass sie transluzent über den Titel ragt, finde ich auch nicht gut gelöst. Die Form auf dem Plakat lässt einen ratlos zurück, weil sie eine bildhafte Aussage hat, die aber nicht enträtselbar ist – auch nicht auf den zweiten Blick.

Ich maße mir an, gewisse Codes in ihrem kulturellen Kontext entziffern zu können. Aber es passiert ja auch, dass es was ganz neues gibt und man es dann nicht versteht. Dann sollte so eine Arbeit aber für sich alleine und ohne den Kontext funktionieren können. Das heisst, sie müsste etwas Schönes haben. Und so schön finde ich die Typografie und die Illustration hier nicht.

VAN: Funktioniert es vielleicht in der Serie besser?

Ja, in der Serie funktioniert es auf jeden Fall besser. Zumindest beim Feurigen Engel: Da sieht man eine Art Gefieder, das von einem Vogel oder einem Engel stammen könnte. Die Verbindung stellt sich sofort ein. Leider wurde auch hier wieder schwächlich mit der Typografie umgegangen. Da muss man entschiedener und mutiger ran gehen. Aber dieses Plakat ist im Vergleich zum Vorgänger ein big image – dieser schwarze Klecks auf der weißen Fläche ist ein kräftiges Motiv, das sofort funktioniert, auch ohne den Kontext zu kennen.

Kann man mit Plakatmotiven, die man vielleicht auf den ersten Blick nicht versteht, dennoch – oder gerade deswegen – Aufmerksamkeit erzeugen?

Wenn ich mir Arbeiten von bekannten Plakatgestaltern anschaue – zum Beispiel von Uwe Lösch oder Gunter Rambow – dann sind das immer starke Bilder, die auch rätselhaft sind und nicht sofort alles erklären. Es muss nicht alles sofort offen, klar und erklärbar sein. Es muss einen berühren und dann will man es automatisch verstehen – eben weil es unverständlich ist.


Neuköllner Oper

Plakatgestaltung daokta design mit Fotografien von Matthias Heyde
Plakatgestaltung daokta design mit Fotografien von Matthias Heyde

Das mag ich auf den ersten Blick gar nicht. Das ist mir etwas zu platt, und die Motive erzählen nichts. Man sieht ist eine hübsche junge Frau, der man im Studio gesagt hat Jetzt schau mal grimmig. Das ist so offensichtlich und geht dann meistens in die Hose. Auch der geschminkte Mann (siehe Bilder unten), der einfach nur in die Kamera schaut. Beide erzählen nichts.

In der Geschichte vom Rotkäppchen und dem Wolf geht es ja um Mythen, Gefahr, Verführung, Vertrauen und das Älter werden – das steckt hier alles gar nicht drin und ist eher eindimensional gelöst. Dann kommt noch hinzu, dass das Rotkäppchen grimmig schaut, so wie eigentlich der Wolf. Das ist auch auf der semantischen Ebene problematisch.

Die Verteilung der Schrift wirkt willkürlich und nicht sehr strukturiert: Kapitälchen hier, Groß-Klein-Schreibung da, Versalien dort. 1, 2, 3, 4, 5 Schriftgrößen – Blocksatz, Mittelachse, linksbündig, rechtsbündig – das ist viel zu viel.

Wie sieht es hier mit dem Serien-Charakter aus?

Hier funktioniert der Serien-Charakter nicht so gut. Es fehlt die grafische Klammer und es gibt zu wenig Basics, die auf allen Plakaten gleich sind.

Welchen Zweck muss ein Plakat generell erfüllen?

»Ein gutes Plakat muss ein kleines Rätsel beinhalten, das der Betrachter lösen will. Deshalb machen die Leute Kreuzworträtsel – weil das Lösen von Rätseln Spaß macht. Dieses Spiel nennt man Kommunikation.«

Oper am Rhein

Plakatgestaltung Markwald Neusitzer Identity mit Fotografien von Hans Jörg Michel
Plakatgestaltung Markwald Neusitzer Identity mit Fotografien von Hans Jörg Michel

Das finde ich jetzt – obwohl ich es eigentlich schlecht finde – bisher am besten. Ich weiß aber gar nicht, warum. Das Plakat ist für Don Carlo, und wahrscheinlich steht da auch der Don Carlo. Wenn man schon ein Foto von einem Don Carlo zeigt, dann müsste das eines sein, vor dem man in die Knie geht. Der Bildaufbau und die reduzierte Farbigkeit sind zwar gut und funktionabel gelöst, gestalterisch sauber und solide – leider aber eher langweilig.

In der Serie wird die Solidität sogar noch besser – das ist in Ordnung, es funktioniert. Man ist gespannt, welche Figuren als nächstes auf den Plakaten auftauchen. Wahrscheinlich sind die abgebildeten Menschen Schauspieler/innen der Oper. Das ist eine nette Idee, und dass die auch mal nach vorne kommen, ist eine gute Sache. Eine ganz ehrliche und saubere Arbeit. Im Zweifel ist mir so etwas unspannendes, leises, aber fehlerloses lieber als das bemühte, verkrampfte, besondere Ding.

Auf vielen Plakaten heutzutage – und auf drei Vierteln der Beispiele in dieser Stilkritik – wird eher mit Fotos als mit (typo-)grafischen Elementen gearbeitet. Vor, sagen wir, 50 Jahren war das eher andersherum. Warum hat sich das dahingehend verändert?

Wir leben heute in einer Bilderwelt – umso mehr müssten wir eigentlich auf Bilder verzichten, um aufzufallen. Man kann immer mit Fotos arbeiten, wenn sie gut sind. Wenn man aber radikaler sein will, kann man gut auf Bilder und Illustrationen verzichten. Wenn die Sprache stark ist, provoziert sie auch alleine Aufmerksamkeit.

Vielleicht sind Fotos der einfachere Weg. Das winkt der ein oder andere Auftraggeber dann schneller durch als eine rein typografische Umsetzung, die wahrscheinlich auch aufwändiger in der Umsetzung wäre. Aber meistens sind ja die schwierigen und steinigen Wege im Leben die interessanteren und spannenderen – um es mal etwas pathetisch auszudrücken.


Oper Leipzig

Plakatgestaltung Formdusche und Hausgrafik der Oper Leipzig
Plakatgestaltung Formdusche und Hausgrafik der Oper Leipzig

Sagenhaft – das sieht cool aus! Die Bildsprache ist eine ganz andere als zum Beispiel bei der Oper am Rhein. Das sieht total geil aus. Das packt einen und man steigt sofort ein. Das ist lustig und schräg – da passiert was. Die Person auf dem Plakat sitzt komisch und mit verführerischem Blick im Farn, schaut mich an, und im Hintergrund ist eine nixen-artige Figur zu sehen. Tolles und starkes Motiv.

Die versale Condensed-Schrift gefällt mir nicht so. Aber dieses rosa Dreieck unten rechts finde ich gut – obwohl es vom Schauspiel Stuttgart geklaut ist. Da gab es in den Neunzigern eine Plakatserie von Frieder Grindler, auf der oben links ein rotes Dreieck mit dem Logo war. Ob die das jetzt wirklich geklaut haben oder überhaupt kennen, weiß ich nicht – aber mir gefällt es.

Wo wir eben über Fotografie auf Plakaten sprachen: An dieser Fotoserie kann man deutlich erkennen, dass Fotos nicht immer einfacher umzusetzen sind als grafische Lösungen. Ein gutes Foto kostet ebenfalls Zeit und Geld. Es braucht eine spannende Location, ein Stylist muss dabei sein, das Licht muss passen und der Fotograf muss auch ein guter sein.


Staatsoper Unter den Linden Berlin

Plakatgestaltung Vivien Anders & Judith Gärtner nach dem Corporate Design von BOROS
Plakatgestaltung Vivien Anders & Judith Gärtner nach dem Corporate Design von BOROS

Total langwelig. Das ist ein Szenenfoto, oder? Simon Rattle, Patrice Chéreau – das sind Stars. Aber eigentlich ist das Plakat total langweilig. Das ist eine Momentaufnahme, die als Großfigur gar nicht wirkt. Alles viel zu kleinteilig und fummelig.

Auch das ist wieder eine Serie …

… die ich leider schwach finde. Die Typo sitzt total langweilig drauf und interagiert überhaupt nicht mit dem Bild im Hintergrund. Man kann ja durchaus Schrift auf Bilder setzen, aber warum ist ›Bergfest‹ wesentlich größer als ›Aus einem Totenhaus‹ oder ›The Turn Of The Screw?‹ Da sind auch wieder keine Konstanten drin. Auch wie man den Kopf von Berg zwischen ›Staatsoper‹ und ›Daniel Barenboim‹ gequetscht hat – das wirkt total peinlich und mutlos. Insgesamt leider miserabel und schlecht umgesetzt.

Es ist ein wenig offensichtlich, dass die hier mit den Stars hausieren gehen – da muss man aufpassen. Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Kultur kommerzialisiert, aber wenn die schon subventioniert werden und das so machen, dann erwarte ich eine bessere Umsetzung. Ich muss die Namen nicht so groß sehen. Da fehlt es ein wenig an typografischer Hierarchie.

Stichwort Kommerzialisierung: Muss ein Plakat einer (Opern)-Produktion mit hohem Budget gut und hochwertig gestaltet sein – oder anders gefragt: darf man schlechte(re)s Design mit geringen Budgets entschuldigen?

Budgets sind keine Ausrede für schlechtes Design. Wenn das Budget zu gering ist, muss man als Gestalter ›Nein‹ sagen. Das untergräbt auch die herrschende Unsitte, dass kulturelle Institutionen nicht bereit sind, für Design Geld auszugeben. Am Ende gibt es immer einen Designer, der es macht, weil er der billigste ist und dringend einen Auftrag braucht. Es gehört Mut dazu, nein zu sagen. Wenn der Auftraggeber kein angemessenes Budget bereitstellt, ist das ein Zeichen der Haltung und der mangelnden Wertschätzung.


Oper Stuttgart

Plakatgestaltung Discodoener
Plakatgestaltung Discodoener

Erstmal funktioniert das als Plakat gut. Das Motiv ist ein Hingucker, der einen erst mal in den Bann zieht. Ich finde es insgesamt aber ganz grausam: Das Schräge sieht irgendwie nach Media-Markt aus. Wenn es wirklich so trashig wäre, fände ich das noch gut – aber in Kombination mit diesem komischen Hintergrund schreit einen das zu sehr an. Das wollte ich mir zuhause nicht aufhängen. Schrecklich.

Das ist alles so bemüht, psychologisch erklärend und einfach nicht schön. Es funktioniert zwar, weil diese weißen Flächen nur draufgelegte Labels sind und das Motiv durchlaufen kann. Irgendwie wirkt es auch zerschnitten mit diesen drei Flächen. Da wird versucht, eine Aussage ins Motiv reinzupressen.


Theater Basel

Plakatgestaltung Raffinerie
Plakatgestaltung Raffinerie

Super – das sieht geil aus! Alles richtig gemacht. Warum sind da Einschusslöcher oder das Batik-Shirt? Weiß ich zwar nicht, sieht aber schräg aus. Geiles Plakat. Wunderschöne Arbeit. Das würde ich mir sofort zuhause aufhängen. Die Typo ist gut: eine Schriftgröße für alle wichtigen Informationen und alles gleichwertig behandelt. Sauber, fair und korrekt gelöst und nicht den Star besonders groß gesetzt. Ich kenne die Oper zwar nicht, aber das Plakat alleine macht mir schon Lust, da rein zu gehen – und ich denke, das geht nicht nur mir als Gestalter so, sondern auch meiner nicht mehr lebenden Ur-Ur-Großmutter hätte das gefallen.

Ob die Motive nun etwas mit der Handlung der Zauberflöte zu tun haben oder nicht, ist egal. Das Motiv irritiert einen, weil es schwer lesbar ist und Aufmerksamkeit fordet. Man kommt ins Grübeln und fragt sich, was es damit auf sich hat – damit haben die Baseler schon gewonnen.


Theater Bielefeld

Plakatgestaltung Marcellini Media
Plakatgestaltung Marcellini Media

Nicht schlecht. Schön reduziert, eine ruhige Schrift und eine interessante Illustration. Man versteht direkt, dass diese Zick-Zack-Linie eine Krone darstellt. Insgesamt eine schöne, ruhige und saubere Arbeit.

Mich haben die Plakate sofort ein wenig an eine Serie vom Designer Albert Exergian erinnert. Da kommt man schnell auf den Gedanken, jemand könnte die Idee kopiert haben. Aber Kopie hin oder Kopie her – ist es Ihnen schon mal passiert, dass Sie eine Sache gestaltet haben und danach feststellen mussten, dass wohl schon mal vorher ein Anderer die gleiche Idee hatte?

Natürlich kommt es vor, dass zur gleichen Zeit von verschiedenen Personen ähnliche Ideen geschöpft werden. Davor ist keiner gefeit. Wer jedoch absichtlich kopiert, für den ist das tödlich. Uns ist so etwas noch nicht passiert. Wenn man ganz lange an etwas arbeitet und versucht, seinen Weg zu gehen, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass es diese Arbeit oder Idee schon gibt.

Zu guter Letzt: Wer sind Ihre persönlichen Lieblings-Plakat-Gestalter

Gunter Rambow ist jemand, den man da nennen müsste; Uwe Lösch – vor allem das Little Boy Plakat –  gehört definitiv dazu genau wie Philippe Apeloig; dann gibt es noch eine ganze Riege von Gestaltern in Ost-Europa, deren Namen ich gerade nicht parat habe. Auch Japan und Korea sind brutal gut, zum Beispiel die Arbeiten von Ikkō Tanaka. Mendell und Oberer gehört auch in die Reihe rein und auf jeden Fall noch Paul Rand, der mein Vorbild ist und auch sehr gute Plakate gemacht hat. ¶

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... arbeitet als freier Art-Direktor und Grafik-Designer in Köln. Er kuratiert Ton, Text und Bild für verschiedene Labels und Projekte und gibt Workshops im Spannungsfeld von klassischer Typografie, experimentellem Design und interaktivem Sound. Bei VAN kümmert er sich um Pixel, Codes und Kreatives. alex@van-verlag.com