Musikalische Stationen im Leben von Jazzfest-Leiterin Nadin Deventer
Ruhrgebiet:
The Dorf Now
The Dorf ist der Sound des Ruhrgebiets, Grassroots, Selfmade und wertvoll – mit diesem Musikerkollektiv habe ich viel zusammengearbeitet während meiner zehnjährigen Tätigkeit beim jazzwerkruhr. Die Musiker*innen um den Saxofonisten und Komponisten Jan Klare herum organisieren alles selbst – ihr Label, ihre Auftritte und das Festival »umland«, das gerade stattgefunden hat. Sie proben einmal im Monat im Club domicil und diese Proben sind auch öffentlich. Ich bewundere bei dieser Formation die soziale Energie und das Engagement für die Region.
Gent/Belgien:
Flat Earth Society Da Beava
Ein Aushängeschild für die flämische Jazzszene um Peter Vermersch, auch bereits zu Gast beim Jazzfest Berlin; im Gegensatz zu The Dorf aus dem Ruhrgebiet ganz anders aufgestellt, strukturell gefördert und professionalisiert…davon können wir und vor allem die Musiker*innen in Deutschland leider nur träumen.
Berlin:
Seeed Deine Zeit
Wir sind gerade in einer Zeit – auch mit dem Jazzfest Berlin – in der es darum geht, sich Dinge zu trauen, aus der Komfortzone herauszutreten, mutig, voranschreitend und kreativ zu sein. Warte nicht, bis Dir jemand den Arsch hinterherträgt, mach‘ es einfach selber, – dies ist »Deine Zeit, jeden Tag!« Es gibt dieses Video von 2013, in dem Seeed den Song vor dem Karl-Marx-Monument in Chemnitz spielen – ja, das ist dann auch wieder unsere Zeit.
Sophie Hunger She Makes President
Sophie Hunger, Schweizer Neuberlinerin und durch ihre Gelassenheit, Souveränität und ihr wahnsinniges musikalisches Singer-Songwriter-Talent ein heller Stern am Popfirmament. »Ladies, stand up, alles geht«, ist die Message dieses Songs, Vorabsingle zu ihrem aktuellen Album »Molecules«, was ich einfach sehr mag. Es gab hier in Berlin gerade die sogenannten »Sophie-Hunger-Festspiele«: Da hat sie nicht mehrere Konzerte in einer Venue, sondern hintereinander in verschiedenen Clubs wie dem Berghain, dem SO 36 oder dem Heimathafen Neukölln gespielt. Wie geil ist das denn bitteschön?!?
Jazzfest Berlin:
Janelle Monáe Pynk
Childish Gambino This Is America
Diese beiden Songs aus Amerika stehen für den aktuellen Diskurs, in dem sich auch das Jazzfest Berlin bewegt, dem afroamerikanischen Empowerment-Diskurs um Emanzipation, Gleichstellung und Feminismus. Childish Gambinos Video ging in kürzester Zeit durch die Decke – es ist hochpolitisch und radikal. Ebenso das Video von Janelle Monáe, die stark dem Afrofuturismus zugewandt ist. Im Video wird die Sexismus- und MeToo-Debatte schrill und unfassbar klar thematisiert. Die Farbigkeit dieses Videos hat das ganze Erscheinungsbild des diesjährigen Jazzfest Berlin inspiriert.
Familie:
Bilderbuch Maschin
Bilderbuch mag ich total – eine ehemalige Schülercombo aus Österreich, die jetzt groß geworden ist. Das ist eine der wenigen Bands, auf die sich mein zehnjähriger Sohn und ich verständigen können. Daneben gibt es noch Hip-Hop oder Michael Jackson, die wir beide lieben. Als ich auf dem Bilderbuch-Konzert in Berlin in der Columbiahalle war, waren da auch Familien – das Alter des Publikums lag irgendwo zwischen 6 und 66 Jahren. Das ist eben richtig Zeitgeist, alles mit so einem leichten Augenzwinkern, sehr selbstkritisch, schrill, humorvoll auch im Blick auf die eigene verwöhnte Generation. ¶