Ein Besuch in einem Musiktherapieprogramm der US Army
Wie seltsam es ist, älter zu sein als ein Army Specialist. An einem grauen, nieseligen Tag in Fort Campbell, Kentucky, kämpft eine 24-jährige Feuerwehrfrau mit braunen Haaren, einem blassen Teint und einem Hang zu selbstironischem Humor auf einem kleinen Keyboard mit einer zweihändigen C-Dur-Tonleiter. Während ich ihrem blonden Lehrer, einem Mitglied der Militärkapelle der 101st Airborne Division namens Richard, dabei zusehe, wie er ihr zeigt, wo und wie sie den Daumen untersetzen muss, erinnere ich mich an mein eigenes frühes Unbehagen im Klavierunterricht. »Das sieht lächerlich aus«, sagt sie.
Der Raum um uns herum ist weiß, an der Decke hängen Leuchtstoffröhren, an den Wänden bilden kitschige Motivationsposter (»Kommunikation: Bau Brücken, keine Mauern«) eine gerade horizontale Linie. In einer Ecke schlägt sich ein älterer Herr, der darum bittet, mit Vornamen – Jonathan – angesprochen zu werden, sanft durch eine Akkordfolge, wobei er vor allem an Dominant-Vorhalten herumtüftelt. In einer anderen Ecke arbeitet Arnaldo, ein massiger Mann in Uniform, mit seinem jungen Lehrer an einem Song von Adele. Sie hören ihn auf Spotify an und singen ihn dann nach. Arnaldos sauberes, dünnes Falsett will nicht recht zu seiner fast einschüchternden körperlichen Erscheinung passen.

»Die Kraft ihrer Stimmen in Liedern der Heilung«, »die heilende Kraft der Musik spendet Hoffnung auf ein glücklicheres Leben« – die Musiktherapie-Programme für Veteranen sind gespickt von Klischees über die Trauma-Bewältigung durch Musik. Als klassisch ausgebildeter Musiker störe ich mich an solchen Behauptungen genauso wie an der Verklärung von Musik als »universale Sprache«. Manchmal geht es dir mit Musik besser, manchmal schlechter. Handelt es sich bei ihr um Medizin oder um eine Kunstform wie jede andere, die mehrdeutig und widersprüchlich sein und wirken kann?
Ich fahre von Nashville, Tennessee nach Fort Campbell, vorbei an Waffengeschäften, Friseuren und Gebrauchtwagenhändlern, die Militär-Rabatte anbieten, und versuche, auf ganz unwissenschaftliche Art und Weise gegen meine Skepsis an zu arbeiten. Das Programm, das ich besuche, wird als Teil der »Fort Campbell’s Warrior Transition Battalion’s occupational therapy Services« angeboten. Die Teilnehmer*innen sind dabei, sich von ganz verschiedenen körperlichen Verletzungen zu erholen, die nicht zwangsläufig aus Gefechten herrühren (ein Soldat, mit dem ich sprach, hatte sich bei einem Fußballspiel in Katar am Bein verletzt). Sie alle sind verpflichtet worden, an einer Form von Ergotherapie teilzunehmen und hatten sich aus der Liste der Wahlmöglichkeiten für Musik entschieden. Die meisten haben gerade erst angefangen, unterrichtet von Musiker*innen der Militärkapelle der 101st Airborne Division. »Die Ergotherapeuten setzen hier Musik zur Trauma-Bewältigung und Erholung von Gehirnerschütterungen ein«, erklärt Offizier Charles Doswell, der Kommandant der Militärkapelle. »Das bedeutet eigentlich nur, dass meine Soldaten Musikunterricht geben. Die Entwicklung und die Sozialisierung kommen automatisch, wenn man lernt, in der Gruppe Musik zu machen.« Ich beobachte, wie Gefühle und Frustration in den Gruppen-Sessions immer mal wieder zutage treten. Arnaldo findet die Noten, die er braucht, nicht. »Ich hasse es, wenn ich nicht finde, was ich suche«, sagt er. Sein Lehrer, ein Pianist namens Walter, versichert ihm: »Auch abseits von der Musik ist das in Ordnung.« Arnaldo scheint nicht sehr überzeugt. Später spreche ich allein mit der Feuerwehrfrau. Die erste Stunde, die neben der C-Dur-Tonleiter auch Akkorde, Arpeggien (fälschlicherweise akustisch als »Abrizio« verstanden) und Notenschlüssel umfasste, »war von Anfang bis Ende gut«, erzählt sie. »Mir fällt es schwer, Dinge im Kopf zu behalten und mich zu konzentrieren. Am Ende fehlte mir die Konzentration. Aber der Lehrer war wirklich gut und hat mir geholfen, wieder reinzukommen.« Sie stört allerdings die Mischung aus sanften Keyboard-Sounds und Stimmen: »So viele Geräusche gleichzeitig zu hören … das hat mich gestresst.« Ich schwebe am Rande der Frage nach ihrer spezifischen Diagnose. Welches Leiden kann eine Soldatin haben, das durch Musik gelindert werden kann? »Ich habe körperliche Verletzungen, aber ich habe auch Sachen, die meine Psyche betreffen, um die ich mich kümmere«, antwortet sie. Ich bitte sie, das näher zu erläutern, und sie willigt ein, solange ich sicherstelle, dass sie anonym bleibt. In diesem Moment klinkt sich der für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortliche Offizier, der diese Story überwacht, ein und sagt ihr, dass sie das nicht machen muss.
Der Musikunterricht an diesem Nachmittag in Fort Campbell hat etwas Stoisches. Die Unterhaltungen zwischen Lehrenden und Lernenden beschränken sich nur auf musikalische Themen: Fingersätze auf der Gitarre, die Stufen einer Skala, inwiefern Jazz spielen wie »puzzeln in Realtime« ist. Genau andersrum macht es die »Group Analytic Music Therapy«, die im Oxford Handbook of Music Therapy von Wissenschaftlerin und Therapeutin Heidi Ahonen beschrieben wird. Anstatt Musikunterricht zu bekommen, um besser spielen zu können, improvisieren die Teilnehmenden in ihren Sitzungen, hören zu und nehmen dann an therapeutischen Gruppendiskussionen teil. Die Qualität der Musik ist unwichtig. Hier wird eher auf verbaler Ebene mit der Musik gearbeitet: Sie »aktiviert archetypische Bilder« und »erlaubt den Teilnehmenden, ihre Gefühle auszudrücken und diese aus sicherer symbolischer Entfernung heraus zu kommunizieren.« Obwohl Ahonen Musiktherapie mit einem »Spiegelkabinett« vergleicht, das die Emotionen und Traumata der Behandelten auf diese zurückwerfe, erkennt sie an, dass »der musikalische Prozess an sich therapeutisch ist.« Was aber bedeutet »musikalischer Prozess«? Als ich alleine mit Jonathan, der an Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen und Angstzuständen leidet, spreche, beschreibt er sehr greifbar, auf welche Weise Musik ihm Freude bereitet. Er fühlt sich besser »vor, während und nach« dem Musikunterricht: »Ich komme hierher, ich kriege eine Chance. Ich hole das Keyboard aus dem Kasten und hier sind Leute, denen ich etwas zeigen kann. Bevor ich das mache, gibt es diese Art Vorbereitung. Ich muss üben, ich muss mich dafür begeistern. Es hat etwas Aufregendes. Die Leute sehen dich mit dem Keyboard herumlaufen … Wir kommen hier an und dann packe ich es aus und wir beginnen mit dem Unterricht.«

In einem Artikel über Musiktherapie in der psychischen Behandlung Erwachsener beschreibt McCaffery ihr Vorgehen als »Mittel, um jenseits von verbalen Medien ›Dinge durchzuarbeiten.‹« Das »jenseits« bezieht sich auf klanglichen Ausdruck, aber noch unmittelbarer, so denke ich, auf die konkreten körperlichen Bewegungen und Empfindungen, die Teil des Musikmachens sind. »Deine Finger verkrampfen«, sagt Lehrer Richard der Feuerwehrfrau, und sie stimmt zu und schüttelt ihre Hand, um sie zu entspannen, körperlich sehr präsent in diesem Moment. Als ein Soldat namens Tim, dessen große Uniform die ganze Gitarre mit einzuhüllen scheint, versucht, einen G-Dur-Septakkord zu finden, sein Lehrer die Hand ausstreckt und leicht seine Finger berührt, schüttelt auch Tim seine Hand. Wenn posttraumatischer Stress eher physisch als emotional wirkt, wie ein Neuropathologe laut eines New York Times Magazine Artikels von 2016 festgestellt hat, dann scheint die Idee, dass im Heilungsprozess Körperlichkeit eine Rolle spielt, einleuchtend. Die Soldatinnen und Soldaten, die ich in Fort Campbell treffe, zeigen eher mit ihren Körpern als mit Worten, was diese gesunde Ablenkung mit ihnen macht. Ihre Körpersprache signalisiert, dass sie völlig in diese eine Sache vertieft sind.
Das alles heißt nicht, dass dem Musikunterricht magische Heilkräfte zugesprochen werden sollten. Jonathan erzählt mir, dass er zusätzlich zur Musiktherapie meditiert gegen seine Depressionen, Posttraumatischer Belastungsstörung und Angstzustände. Allein die Musiktherapie reicht nicht, um ihn im Gleichgewicht zu halten, er nimmt immer auch an anderen Aktivitäten teil. »Sobald ich nicht mehr am Klavier sitze, bin ich wieder rastlos«, sagt er.
Für mich als Zivilist kann es unmöglich scheinen, nachzuvollziehen, wie tief die vom Krieg bedingten Verletzungen reichen und wie diese durch kleine Maßnahmen wie Musiktherapie gelindert werden können. Ein alter Freund, der in Kindertagen nebenan wohnte und mit dem ich als Kind Star Wars spielte, ging 2007 zu den Marines. Er kam tief traumatisiert nach Hause und wurde später von der Polizei angeschossen, nachdem er sie, high von Inhalaten, mit einem Messer bedroht hatte (er überlebte). Gegenüber der harten Realität von posttraumatischem Stress scheinen Plattitüden wie »Musik gibt uns wieder Lebensmut« erbärmlich unzureichend, auch, wenn sie ein wenig Wahrheit enthalten.

Wenn man ängstlich, depressiv oder traumatisiert ist und versucht, Musik zu hören und sie einem nicht weiterhilft, dann kommt man schnell auf die Idee, dass einem auch sonst nichts helfen kann. Das ist ein Problem der Vorstellung von einer der Musik inhärenten heilenden Kraft. Musiktherapie, so meine Überzeugung nach diesem Nachmittag in Fort Campbell, ist am besten aufgehoben als Teil eines Therapie-Cocktails. Medikamente und traditionelle Therapieformen sind dabei die wichtigsten Zutaten. Hinzu kommt dann die soziale Integration: der Smalltalk mit den Lehrenden, die Vorfreude auf das Keyboard-Auspacken, die leichte Berührung durch die Hand eines anderen Menschen. Erst danach kommt der Klang selbst. Das ist, so denke ich, was McCaffery mit »Dinge durcharbeiten« in Bezug auf Musiktherapie wirklich meint. So, wie David Ferry in seinem Gedicht » Measure 100« schreibt: