Im Gespräch über ein Kleidungsstück mit ungewisser Zukunft: Martin Purwin, Mitinhaber von Purwin und Radczun, einer Maßschneiderei in Berlin.

Text · Fotos © Martin Purwin · Datum 16.10.2019

Martin Purwin ist in Eile. Kundentermine, Kundentermine! Purwin ist Mitinhaber des aufstrebenden, klassischen Berliner Modelabels Purwin und Radczun. Jetzt erst mal einen Kaffee und ein Hörnchen. Der Laden in der Torstraße bleibt heute Früh zu, Nahrungsaufnahme hat Vorrang. Wir treffen uns, um über den Frack und seine Rolle in der Musik zu sprechen. Purwin erscheint in einer hellgrauen Anzughose, dazu ein brauner Rollkragenpulli: karajanesk.

Martin Purwin
Martin Purwin

VAN: Herr Purwin, wieviel kostet bei Ihnen ein komplett handgenähter Frack?

Martin Purwin: Der kostet rund 5.500 Euro.

Uff.

Da stecken 80 Stunden Handarbeit drin.

Wer gibt soviel Geld aus?

Solisten zum Beispiel oder Künstler. Für Musiker ist es die Arbeitskleidung. Da will man sich auch wohlfühlen, wenn man seine Arbeitszeit mit diesem Teil verbringt.

Inwieweit kann sich ein Schneider bei einem Frack individuell einbringen?

Das geht fast gar nicht. Der Beruf ist nicht so kreativ, wie man denkt. Außen am Frack sollte nichts Extravagantes sichtbar sein. Natürlich sollte ein guter Schneider aber eine sehr schöne Schnittführung haben, das Revers muss super aussehen, die Manschetten, die Armlänge. Diese Details formen das Gesamtbild.

Der Frack ist ja ein bisschen aus der Mode gekommen. Wie kam er überhaupt hinein, was sind seine Ursprünge?

Der Frack ist im 19. Jahrhundert entstanden. Ein direkter Vorgänger war der Gehrock mit Stehkragen und Schleife, mit Plastron, den sieht man auf alten Gemälden sehr oft. Zum Gehrock trug man eine eng geschnittene Hose. Wenn sie kurz war, gab es Seidenstrümpfe dazu. Im 19. Jahrhundert verschwand diese Mode und der Frack löste den Gehrock als Abendgarderobe ab.

War er immer schon schwarz?

Ja.

Was trug man tagsüber?

Morgens trug man den Cutaway, den Frack zum Dinner. Diese Tradition kommt aus England. Die Hose des Cutaway war nicht schwarz, sondern grau gestreift, in Deutschland nennt man sie auch Stresemannhose. Bei Pferderennen sieht man den Cutaway noch, in der britischen Oberschicht oder bei Hochzeiten.

Er ist fast verschwunden, wie der Frack auch…

Der Frack hat sich eigentlich nur verändert. Es scheiden sich die Geister, ob die Engländer oder die Amerikaner dem Frack seine Schwalbenschwänze abgeschnitten haben. Jedenfalls entstand dadurch der Smoking und der ist ja noch sehr präsent.

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Wie kam es dazu, dass ausgerechnet Orchester Frack trugen?

Als der Frack groß geworden ist, sind auch die Orchester groß geworden. Die Kleidung ist mit der Musik entstanden. Es waren damals ja nicht nur die Musiker: Die Gäste sahen auch so aus, das darf man nicht vergessen. Es gab keine kleidungsmäßige Trennung zwischen Publikum und Bühne.

Bei einigen wenigen Konzerten in Deutschland oder Österreich gibt es manchmal noch den Dresscode White Tie, da sieht es wieder so aus wie früher, auch das Publikum im Frack. Das finde ich schön. Irgendwann ist das Publikum halt anders abgebogen, hat den Frack abgelegt, sich nicht mehr an die Etikette gehalten. Seit ein paar Jahrzehnten kann man im Konzert tragen was man will, sogar Jeans und T-Shirt.

In einigen Orchestern löst sich der Frack-Dresscode aber auch auf.

Das stimmt leider. Dirigenten nehmen sich auch große Freiheiten mit Stehkragen und solchen Geschichten. Oder Solisten. Das Orchester hat oft noch in seinen Arbeitsverträgen drinstehen, dass es Frack tragen soll. Es ist einfach der Orchesterdresscode. Dresscodes haben andere gesellschaftliche Bereiche auch, es fällt uns nur nicht so auf: In der Wirtschaft gibt es beispielsweise einheitliche Kleidung oder unter Medizinern. Diese Kleiderordnungen sind nur subtiler als der Frack.

Woraus besteht ein Frack?

Der Grundschnitt ist immer gleich, egal wer ihn schneidert. Wenn zwei Orchestermusiker unterschiedliche Schneider haben, soll es ja trotzdem gleich aussehen, soll einheitlich sein. Es gibt seit eh und je gewisse Regeln, wie ein Frack auszusehen hat. Da gibt es keinerlei Variationsmöglichkeiten und das ist auch gut so.

Welche Teile gibt es?

Man hat immer eine schwarze Hose. Die hat keine Bundfalten und wird mit Hosenträgern getragen. Sie ist hoch geschnitten. Das weiße Hemd ist ein spezielles Frackhemd mit Stehkragen. Ein normaler Hemdkragen ist ein Fauxpas. Das Hemd ist aus Marcellastoff. Das ist so ein Waffelmuster. Die Weste ist auch daraus, die Schleife auch. Die Weste ist hinten offen – im Gegensatz zur Smokingweste, die hinten geschlossen ist.

Warum ist sie offen?

Kostümhistorisch betrachtet gilt das Hemd als Unterwäsche. Es musste versteckt werden. Davon durfte man nicht viel sehen. Also hat man das Hemd mit einer Weste kaschiert. Hinten saß ja eh der Frack drauf, da gab es keinen Grund da noch Stoff hinzuschneidern. Der Marcellastoff nimmt die Unterwäscheoptik des Hemdes weg, er wirkt eleganter als ein normales Oberhemd.

Dann gibt es noch die Jacke.

Über Weste, Hemd und Fliege kommt die Jacke. Sie ist in der Front kürzer, hinten aber länger mit zwei Schwänzen und zwei Knöpfen. Die Knöpfe sind bezogen. Vorne hat die Jacke auf jeder Seite nochmal drei Knöpfe, die aber offen getragen werden. Das Material der Jacke ist eine spezielle Schurwolle, die eher an Krepp erinnert. Sie ist sehr matt und schluckt das Licht, sie ist nicht glänzig. Möchte man Glanz drinhaben, nimmt man Mohair als Material.

Und das alles gibt es nur in Schwarz?

Schwarz kann einen Grauschleier haben. Die einzige Möglichkeit, das zu umgehen ist Mitternachtsblau. Das geht auch noch und sieht unter Umständen sogar dunkler als Schwarz aus.

Warum hat die Hose an den Seiten Streifen?

Galonstreifen? Das kommt aus dem Militär. Viele Uniformhosen haben an der Seite Streifen und viele Details klassischer Herrenkleidung stammen aus dem Militär.

Es gehen zum Frack nur Lackschuhe?

Heutzutage geht jeder hochpolierte schwarze Schuh. Eigentlich sollte es Lack sein, wie beim Smoking auch. Samt nehmen aber viele. Ein Musiker, den ich kenne, trägt schwarze Rochenleder-Schuhe. Damit kann man spielen. So lange es schwarz ist und poliert, geht es.

Wenn sie sich ein Orchester anschauen, was geht da gar nicht in Sachen Frack?

Es gibt eine seltsame Variation, die vor allem in Österreich auftaucht. Eigentlich ist es ein Fehler. Die Weste sollte nicht unten unter der Frackjacke hervorlugen. Tut sie in Österreich aber immer, sogar viel, und in Deutschland auch oft. In England wäre das undenkbar. Ich kann mir das nicht erklären. Aber es ist falsch.

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Vielleicht einfach schlecht geschneiderte Fräcke?

Möglich, aber ich weiß es nicht.

Was ist davon zu halten, dass manche Dirigenten Kummerbund statt Weste tragen?

Das ist eine gute Frage! Ich weiß nicht, was sie sich dabei denken. Vielleicht wollen sie ihre Figur beschönigen. Der klassischen Herrenmode zollt man Respekt, indem man ihre Regeln befolgt. Meiner Meinung nach sehen diese Dirigenten aus, als hätten sie einen Fehler gemacht. Der Frack will befolgt werden! Es ist so, als würde man sich ein teures Auto kaufen und das an den falschen Stellen pimpen. Wenn man aus der Rolle fallen will, dann sollte man etwas ganz Anderes anziehen. Wenn schon, denn schon.

Manche Dirigenten tragen so Mao-Anzüge. Seidenteile mit Stehkragen.

Das machen viele.

Ja, aber warum?

Als Solist oder Dirigent ist man ja der Star. Da ist es vielleicht legitim, dass der Chef, der Kapitän des Ganzen auch ein Merkmal hat, das die anderen nicht haben. Ich weiß nicht, wer damit angefangen hat, vielleicht Karajan. Why not? Die Engländer sagen Nero suit zu diesen Stehkragenjacken. Die kommen eigentlich aus dem Indischen. Ich finde die Dinger legitim. Ein normaler Anzug wäre zu casual. Ein Smoking wäre unpassend, deplatziert.

Manche Orchester spielen im Smoking, die schauen dann ein bisschen aus wie Kellner.

Ja, es ist seltsam.

Welche Frack-Sünden kann ein Orchester noch begehen?

Wenn man sich an die Regeln hält, kann man wenig falsch machen. Ein Frack sieht immer elegant aus. Es sei denn, man hat ihn zur Kommunion bekommen und seither nicht mehr getauscht oder krass ab- oder zugenommen. Du musst deine Garderobe eben in Schuss halten, das gilt für den Frack auch. Die Shirt Studs zum Beispiel…

…die Steckknöpfe des Hemds…

Das sind halt tolle Schmuckstücke. Die muss man abnehmen und kann sie nicht mitwaschen. Sie sind aus hochwertigem Material. Das ist Veredelung, das ist Schmuck.

Was ist das weibliche Pendant zum Frack? Frauen in Orchestern wissen ja oft nicht, was sie tragen sollen, denn es ist nicht richtig festgelegt.

Einfaches Schwarz. Ich finde Kleid schön.

Können Frauen Frack tragen?

Ja, wir haben auch schon Frauenfracks gemacht. Es sieht sehr elegant aus. Die erste, die damit angefangen hat war im Grunde genommen Marlene Dietrich. Die ist zu einem Herrenschneider gegangen und hat sich da die Hosen machen lassen. Weil es keine Damenschneider gab, die Hosen gemacht haben. Seitdem kann frau Frack tragen.

Welche Wünsche haben Ihre Kunden in Bezug auf ihren neuen Frack?

Die vertrauen uns. Wollen einfach einen Frack haben, der gut gearbeitet ist, an dem sie Spaß haben.

Ist ein Frack für einen Pianisten anders zu schneidern als für einen Sänger?

Nee, das ist komplett gleich. Das ist eine Sache des Zuschnitts. Sänger haben vielleicht mehr Brustvolumen, das kann man dann anpassen.

Ich habe gelesen, dass Posaunenspieler immer zu große Jacken kaufen, damit der ausgestreckte Arm auch noch von der Jacke bedeckt ist…

…der gute Schneider macht dann aber die Taille wieder enger.

Muss man schlank sein für den Frack?

Wenn du eine Taille hast, ist die Jacke tailliert, wenn du keine hast, dann halt nicht. Der Frack passt jedermann, man kann ihn gut für jemanden schneidern, der einen Bauch hat.

In Amerika scheint die Orchestermode manchmal anders zu sein. Orchester in weißen Dinner Jackets habe ich da schon gesehen. Geht das?

Wenn es Sommer ist und ein Open Air gespielt wird, geht es. Ein weißes Dinner Jacket ist immer noch ein ganz klassisches Kleidungsstück. Es ist elegant. So etwas fände ich im Winter in der Berliner Philharmonie deplatziert, aber bei einem Sommerkonzert im Freien, warum nicht?

Wird der Frack aussterben?

Ich denke, die Orchester werden ihren Beitrag dazu leisten, dass er nicht ausstirbt. Er ist bei den meisten noch Bestandteil der Garderobe. Ich fände es schade, wenn er verschwindet. Für viele ist der Frack das schönste Kleidungsstück, das man haben kann, jeder Schneider wird Ihnen das bestätigen.

»Als würde man sich ein teures Auto kaufen und das an den falschen Stellen pimpen.« Martin Purwin, Mitinhaber einer Berliner Maßschneiderei, über den Frack und wie man ihn (nicht) trägt in @vanmusik.

Warum?

Weil es den Herrn über die Maßen schmückt. Früher war es normal, einen Frack im Straßenbild zu sehen. Heute nicht. Deshalb ziert er den Träger heute wahnsinnig. Man sieht natürlich komplett overdressed aus, wenn man ihn anhat und die anderen nicht. Gelegenheiten, dass mehrere Frackträger in einem Raum zusammenkommen, sollte es öfter geben. Ich glaube nicht, dass es ein großes Frackrevival geben wird, weil es ein sehr aufwendiges und teures Teil ist. Viele greifen bei so einem Anlass dann auf den kleinen Bruder, den Smoking zurück. Den kann man überall anziehen, auch als Gast im Opernhaus. Der Frack wird es schwer haben.

Tragen Sie denn selbst etwas zur Rettung bei? Haben Sie einen?

Nein, einen Cutaway habe ich, für einen Frack hatte ich noch keinen Anlass. ¶

... arbeitet als Redakteurin bei der Religionsbeilage der ZEIT, Christ & Welt. Ausgebildet wurde sie an der Henri-Nannen-Schule. Falls es mit dem Geigenspiel nicht klappt, möchte sie auf Oboe umsteigen.