»Viel zu lang, schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde das Cembalo monopolisiert durch ein ausschließendes Narrativ. Ich verspreche, dass ich alles tun werde, um genau das infrage zu stellen«, sagte Mahan Esfahani einst in VAN. Und er setzt sein Vorhaben in die Tat um: zum Beispiel mit dieser Playlist mit sieben Hörempfehlungen zur Erweiterung der Cembalo-Wahrnehmung und mit einem Konzert mit Anahita Abbasis Intertwined Distances (2018) für Cembalo und Elektronik und Luc Ferraris Musique socialiste ? ou Programme Commun pour clavecin et bande (1972) für Cembalo und Tonband, am 26. Oktober in der Akademie der Künste Berlin. Tags zuvor spielen beim kleinen, von Samir Odeh-Tamimi kuratierten Festival ›Cembalo und andere Tasten‹ Margherita Berlanda, Claudia Pérez Iñesta und Alexandros Giovano ein Programm mit Musik von Ligeti, Pagh-Paan, Marbe, Xenakis und Hespos.

Mahan Esfahani • Foto Kaja Smith
Mahan Esfahani • Foto Kaja Smith

Wanda Landowska: Domenico Scarlatti – Sonata K. 447 in f#-Moll

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Wo beginne ich? Am besten am Anfang – sagt man so schön. Wanda Landowska markiert nicht wirklich den Beginn des Cembalo-Revivals, aber sie steht auf jeden Fall für den ersten glanzvollen Auftritt des Cembalos als ernstzunehmendes Konzertinstrument. Die 30 Scarlatti-Sonaten, die sie zwischen 1934 und 1940 einspielte, zeigen Landowska auf der Höhe ihrer Kunst und mit der Musik, die sie am besten verstand – Werke, die es ihr erlaubten, ihre ›erzählende‹ Art im Ausdruck und die Registrierung des Instruments besonders gut zur Geltung zu bringen. Sie war die größte – und wird es immer sein, zumindest für mich.


János Sebestyén: Johann Sebastian Bach – Sonate in a-Moll nach J. A. Reinckens Hortus Musicus, BWV 965

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Diese Aufnahme dieses eher rätselhaften Werkes aus J. S. Bachs Jugend machte, als ich sie in der Musikhochschule das erste Mal hörte, einen unauslöschlichen Eindruck auf mich. Natürlich ist sie auf einem dieser ›Panzer-Cembali‹ entstanden, die ihre guten Zeiten damals, 1996, längst hinter sich hatten, aber das stört mich gar nicht. Es ist unglaublich schwer, diese Monster zu bändigen, mit historischen Instrumenten haben sie wenig zu tun. Trotzdem habe ich noch nie ein so geschmeidiges Spiel gehört, bei dem man so sehr den Eindruck hat, dass das Cembalo atmet, wie bei dieser Aufnahme eines leider sehr unbekannten Cembalisten (er starb 2012 und ich bereue es bis heute, dass ich es nicht geschafft habe, ihn persönlich kennenzulernen). Ich hoffe, dass ich eines Tages in der Lage sein werde, so zu spielen.


Christophe Rousset: Jean-Henri D’Anglebert – Passacaille d’Armide (Pièces de Clavecin, 1689)

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D’Anglebert ist für mich der König des französischen Cembalo-Repertoires. Rein musikalisch gesehen ist die Konkurrenz auch nicht besonders groß, denn es gibt nur eine Handvoll, deren Musik wirklich mit zum Beispiel Byrd, Frescobaldi oder C.P.E. Bach mithalten kann (seien wir ehrlich, an Bach kommt eh niemand ran). Diese Passacaille, die frei aus Lullys Oper Armide von 1687 transkribiert wurde, ist das Destillat von allem, was zu Zeiten Ludwigs des XIV. groß, berührend, unaussprechlich, erhaben war. Und wenn es um Aufnahmen von Musik aus dieser Zeit geht, gibt es niemand besseren als »the King« Christophe Rousset.


Me: Anahita Abbasi – Intertwined Distances (2018) für Cembalo und Elektronik

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Ich kann die Leute, die kategorisch nichts mit Neuer Musik zu tun haben wollen, nicht verstehen. Ich habe es wirklich versucht, aber ich kann es nicht. Neue Musik macht unsere Gesellschaft nicht zwangsläufig zu einer besseren (unter dieser Wahnvorstellung leidet vor allem der Diskurs in den USA oft), aber ich finde es einfach spannend, den Wandel der Musik mitzuerleben und auch ein Teil davon zu sein. Ich will hier keine Werbung für mich selbst machen, aber ich muss sagen, dass die junge iranische Komponistin Anahita Abbasi in vielen Dingen genau das trifft, was mir an der sich immerfort wandelnden Musiklandschaft wichtig ist. Aufregend, physisch, berührend – ich liebe es, dieses Werk, das sie für mich geschrieben hat, zu spielen.


Gustav Leonhardt: Thomas Tomkins – Barafostus Dreame (ca. 1600–1610, aus dem Fitzwilliam-Virginal-Buch)

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Wenn es eine Aufnahme gibt, die das Cembalo-Spiel nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend verändert hat, dann ist es Leonhardts Einspielung von 1968: englische Musik auf dem Ahaus-Ruckers, erbaut 1640. Ich höre hier jemanden, der mit der Musik wirklich das beste Mittel gefunden hat, sich selbst auszudrücken. Diese Aufnahme ist so unglaublich energetisch und schwer zugleich – sie erfüllt mich immer wieder mit Bewunderung und Staunen über eine Epoche, die ich als einen der Höhepunkte der westlichen Zivilisation betrachte. Ich habe schon immer gedacht – das ist vielleicht etwas frech–, dass dieses eine dünne Bändchen mit Musik der englischen ›Virginalists‹, das diese unglaubliche Kraft hat, den gesamten Output der französischen Musik aufwiegt.


Felicja Blumental: Krzysztof Penderecki – Partita for harpsichord, electric guitar, bass guitar, harp, double bass, and orchestra (1971)

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Ich werde oft nach meinem Lieblingskonzert gefragt. Ich kann mich nicht wirklich entscheiden, aber wie wäre es hiermit: setz Dir Kopfhörer auf, leg Dich hin, mach das Licht aus, und hör Dir das hier an. Und dann mach einen Spaziergang, am besten alles bei kaltem Wetter. Du wirst es mir danken, das verspreche ich Dir. Ich würde einiges dafür geben, um das irgendwann mal unter Pendereckis Leitung zu spielen.


Francesco Cera: Girolamo Frescobaldi – Toccata Nona (Libro secondo, 1627)

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Mein Freund und Kollege Francesco Cera – ein echter Gentleman, Gelehrter und unvergleichlicher Künstler – hat gerade alles aufgenommen, was Frescobaldi für Tasteninstrumente geschrieben hat, mit vollem Erfolg. Die neunte Toccata aus dem zweiten Buch eignet sich wahnsinnig gut, um als Newbie einen Zugang zu Frescobaldis Mischung aus geerdetem und intellektuellen Komponieren zu finden. Nach Bach und Byrd spiele ich diese Musik am liebsten, und Francesco setzt mit dieser Aufnahme neue Standards. Fun Fact: Frescobaldis Autograph endet mit den Worten »non senza fatiga si giunge al fin« – »nicht ohne Erschöpfung erreichen wir das Ende.« ¶