Konzerte, Texte und andere Dinge des vergehenden Jahres, die die VAN-Autoren und Autorinnen gut fanden.

Text VAN-Redaktion und Autor/innen · Datum 21.12.2016

Wir haben unsere Autoren gefragt: »Los spontan, was fandet ihr am Besten im ablaufenden Jahr: Aufführungen, Konzerte, die 2016 geschahen, aber auch Platten, Bücher um die Musik, den Tanz, die Kunst herum.« Und so antworteten sie:

Am 13. Mai bei den Kunstfestspielen Hannover in der Musikhochschule: Three Tales von Steve Reich und Beryl Korot (Bild unten), drei Video Operas, ergänzt durch WTC 9/11 ohne Video. Mit dem Ensemble Modern. Sehr intensiv, sehr klar, und gerade in dieser Klarheit auch nicht einfach nur so katastrophisch wie die Themen – Ende der »Hindenburg«, H-Bomben-Test im Bikini Atoll, Klonschaf Dolly und eben 9 / 11. Man kam da klüger raus, erschüttert, aber auch gestärkt.

Volker Hagedorn (Autorenlink bei VAN)

Foto © Helge Krückeberg / Kunstfestspiele Herrenhausen
Foto © Helge Krückeberg / Kunstfestspiele Herrenhausen

Was ganz anderes: Jaroussky und das FBO am 6. November im Münchner Prinzregententheater mit Kantaten von Bach und Telemann. So geradezu mediterran vorfreudig – und doch verzweifelt existentiell – habe ich die Arie »Ich freue mich auf meinen Tod« noch nicht gehört. Als Zugabe (!) das »Laudamus« aus der h-Moll-Messe, eine in der üblichen deutschen Oratorienszene undenkbare Auskoppelung, in der das Gotteslob ganz licht, heiter und dialogisch (mit Sologeige) wurde.

Volker Hagedorn (Autorenlink bei VAN)

Vivaldi: Concerto in D-Dur für 2 Violinen, Cello, Orchester RV 565, bei einem kleinen Kirchen-Konzert einer Freundin in München. Eines dieser Konzerte, die man eigentlich nur besucht, weil ein Freund teilnimmt. Hat mich aber umgehauen. Außerdem: die Uraufführung von Klaus Schedl, Blutrausch für Orchester und Elektronik (2015–16) bei den Donaueschinger Musiktagen.

Holger Kurtz (Autorenlink bei VAN)

Foto © Leo Higi
Foto © Leo Higi

»Confusion« Jam-Session (Bild oben) beim Podium Festival Esslingen: Keller. Bier. Freunde. Klassik. Mehr braucht’s oft nicht.

Holger Kurtz (Autorenlink bei VAN)

auch wenn es mich stört, wenn es nur ein, zwei sein sollen ([… ]Leute: Vielfalt is it! Diversity! Es gibt nicht das Eine, es gibt nur das Viele. Lasst uns darin baden.), hier, spontan und ohne Anspruch auf Vollständigkeit und langes Nachdenken: Beethovens Missa Solemnis, dirigiert von Harnoncourt (Live-Aufnahme, Link zur CD). Wieder aufs Neue erschüttert, was für eine atemberaubende Musik zum Beispiel das »Benedictus« ist. Und wie dialektisch Beethoven komponiert hat – etwa im »Dona nobis pacem«, wo er ja ausdrücklich nach dem erschütternden Schlachtengemälde erfleht: Gib uns Frieden! Der ist noch nicht da. Aktueller kann Musik schwerlich sein.

Berthold Seliger (VAN-Autorenlink)

das Ligeti-Violinkonzert mit Pekka Kuusisto und der Jungen Deutschen Philharmonie unter Nott […] – inklusive der wundervollen Zugabe, nämlich des Emigranten-Folksongs Vi sålde våra hemman (wir verkaufen unser Zuhause). Ach, und dann fällt mir noch ein, dass ich dieses Jahr eine wahnsinnige Version von Mahlers Siebter erstanden habe, mit Kirill Kondraschin und dem Concertgebouw, eine Liveaufnahme von 1979, wahrscheinlich nicht ganz legal auf CD erschienen, aber einzigartig – ziemlich sicher mein Album des Jahres.

Berthold Seliger (VAN-Autorenlink)

Die Lebendigkeit einer Kultur erwächst aus der Summe ihrer Geschichten, die sich über sie erzählt werden. Die Geschichten wiederum werden zur Erschließung von Welt. Und kaum irgendwo brodelt die narrative Ursuppe so sehr wie im Pop, in der großen Erzählung von Nonkonformität, Sinnsuche, Coming of Age und Provokation. Bruce Springsteen hat dem mit seiner Autobiographie Born to Run (erschienen beim Heyne-Verlag) eine weitere berührende, kraftvolle, befreiende Geschichte hinzugefügt, die sich zudem aus der großen Erzähltradition speist, um die man amerikanische Literatur schon immer beneidet hat. Auch die Klassikkultur hat ihre Geschichten, nur scheint es, als würden sie oft erdrückt von der eigenen in Stein gemeißelten Geschichte. Wir wünschen uns, dass sie öfter und mit einem emphatischeren ›Ich‹ erzählt werden. Zum Beispiel so, wie es Volker Hagedorn (Bild unten) in seinem Buch über die Bachs vor Bach (Bachs Welt, erschienen bei Rowohlt) tut, ein Hybrid aus historischem Roman und Road Trip zu den Bach-Orten in der Jetztzeit, in dem der Autor in Raucherkneipen und Kirchenarchiven so manchen journalistischen Indiana-Jones-Moment erlebt. Das VAN-Interview und die kommentierte Playlist zum Buch.

Hartmut Welscher (VAN-Autorenprofil)

Foto SAMANTHA FRANSON 
Foto SAMANTHA FRANSON 

Noch so ein großartiges, aber bereits letztes Jahr erschienenes Geschichtenbuch ist das des Tenors Ian Bostridge über Schuberts Winterreise (erschienen bei C.H. Beck), weil sich die Legitimation der Subjektivität nicht im Expertenwissen verflüchtigt. Bostridge erzählt Geschichten und historische Zusammenhänge eher assoziativ, wie sie ihm bedeutsam erscheinen. »Dass ich nicht die fachliche Qualifikation habe, Musik in einem traditionellen, musikwissenschaftlichen Sinn zu analysieren – ich habe Musik nie an einer Universität oder Musikhochschule studiert –, hat seine Nachteile, aber vielleicht auch Vorteile.«, schreibt Bostridge im Vorwort. Unbedingt Vorteile! Ein Konzerthöhepunkt im zu Ende gehenden Jahr war das Konzert zum Buch, Bostridge’ Aufführung der Winterreise mit dem Pianisten Julius Drake bei der diesjährigen MaerzMusik. Auch empfehlenswert: die Anthologie Shakespeare Songs (Warner Classics), mit 29 Liedern nach Shakespeare-Texten von Finzi, Byrd, Korngold, Tippet und anderen, gesungen von Bostridge, begleitet am Klavier von Antonio Pappano.

Hartmut Welscher (VAN-Autorenprofil)

Drei Bühnen sind es, von denen ich noch Gutes weiß, und natürlich liegt dies an den Menschen, die sie bespielt haben. Erst dunkel, innig und ernst in der Württembergischen Landesbühne Esslingen: Da spielten und tanzten Musikerinnen in der Podium-Festival-Produktion um Schumann, Szenen der Frühe, hier habe ich schon drüber geschrieben).

Die zweite ist ein warmweiß leuchtendes Quadrat unten in der Kölner Philharmonie; nach der Choreografie Figure a Sea von Deborah Hay mit Musik aus den Lautsprechern von Laurie Anderson, als die Tänzerinnen und Tänzer des Cullberg Ballet wieder davon runter getreten waren, schien die Fläche friedlich schwingend wie nach Sex zu atmen.

Tobias Ruderer (VAN-Autorenprofil)

Foto Островский Александр, Киев CC BY-SA 3.0
Foto Островский Александр, Киев CC BY-SA 3.0

Und dann der prunkvolle und überschwängliche Treppenaufgang im Schloss Augustusburg, beim Festspielauftritt der Salzburg Orchester Solisten. Man muss dazu sagen, wir hatten auch wirklich die besten Plätze, Zuhörerin und Zuhörer, in fast jeder Kultur hätte man uns als König und Königin erkennen müssen, wir schauten frontal auf das Treppenhaus, leicht runter zu den Musikerinnen und Musikern. Die Figure, Säulen und das Gold; und dann am Schluss Schuberts 50 Jahre danach entstandene 3. Sinfonie, mit 14 Leuten gespielt: Das Denken und Fühlen einer vergangenen Zeit kam so frei, so in seinem Recht und Platze stehend, nach vorne, dass es in das Jetzt sprang. Treppenhaus, Musik und das eigene drin Sein: Auf eine tiefe Art lustig, existenziell entzückt. Hoffentlich gibt bald es mehr solcher historischer Re-Enactments, Rokoko oder Romantik, Hauptsache guter Jahrgang.

Tobias Ruderer (VAN-Autorenprofil)

Free Beethoven Debüt des Stegreif-Orchesters im Radialsystem. Ausbaufähig, aber als erster Aufschlag eine Revolution: Herausragende junge Musikerinnen und Musiker, die eine Beethoven-Sinfonie komplett auswendig spielen und mit Improvisation anreichern. Und: das Bach-Buch von Volker Hagedorn.

Folkert Uhde (VAN-Autorenlink)

Weitere Favoriten von Susanne Øgland, Barbara Doll, Sabine Weber, Bastian Zimmermann: