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Theresa Kronthaler, Mezzosopran

 

Text Benedikt von Bernstorff · Fotos David Fischer und Bernadette Ypso


Theresa Kronthaler ist mir zuerst in einigen Produktionen des ungarischen Regisseurs David Marton aufgefallen, in denen die junge Sängerin musikalisch mit einem wunderbar schlanken und runden Mezzo, darstellerisch mit einer seltenen Mischung aus Anmut, Kraft und Witz beeindruckte. Martons Inszenierungen sind Grenzgänge zwischen Musik- und Sprechtheater, Klassik und Jazz, Vokal- und Instrumentalmusik, in ihnen verbinden sich eine an Castorf erinnernde Anarcho-Dramaturgie und ein Hang zur Schwermut zu einer eigenwilligen Bühnensprache. Kronthaler, die seit Studientagen mit Marton und seiner Truppe zusammenarbeitet, sind Berührungsängste mit Crossover-Projekten schon wegen dieser Erfahrungen fremd. »Man muss es einfach nur sehr gut machen«, sagt sie mir.

Gleichzeitig ist sie als Sängerin im klassischen Musiktheaterbetrieb erfolgreich. Drei Jahre war sie an der Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg, seit der Spielzeit 2012/2013 ist sie Mitglied im Ensemble der Komischen Oper in Berlin. In einem zwölfstündigen Monteverdi-Marathon, der Eröffnungsinszenierung von Barrie Koskys Intendanz, übernahm sie gleich zwei Rollen, seither ist sie an der Komischen Oper unter anderem als Dorabella in Mozarts Cosi fan tutte und als Hänsel in Humperdincks Märchenoper aufgetreten. Und gerade feierte sie mit Händels Giulio Cesare in Egitto an ihrem Stammhaus Premiere. Die Rolle des Sesto, die sie zuvor bereits in zwei Produktionen interpretiert hatte, ist für die Sängerin »old news«. Neues Terrain hat sie dagegen in der letzten Zeit mit zwei anderen Projekten erobert: In Bremen sang sie ihre erste Carmen, bei Sony brachte sie im Frühjahr ihre Debüt-CD heraus. Das Album mit dem Titel The living loving Maid ist eine Anthologie mit Barockarien, denen Kronthaler und ihre Mitstreiter, der finnische (E-)Gitarrist Kalle Kalima und der Kontrabassist Oliver Potratz, ein Folk-/Rock-ähnliches Gewand übergeworfen haben.

VAN: Für Mezzosopranistinnen ist Bizets Carmen ja die Rolle aller Rollen. Wann bist Du ihr zum ersten Mal begegnet?

Theresa Kronthaler: Mir liegt diese Oper sehr am Herzen, mit 9 stand ich zum ersten Mal als einer der Gassenjungen auf der großen Bühne. Die Musik hat mich schon damals gepackt, diese Frau mich fasziniert und angewidert. Ich dachte: Wenn ich groß bin, möchte ich sie spielen.

Ich hätte trotzdem nicht gedacht, dass die Rolle jetzt doch so relativ früh in meiner Karriere kommen würde. Das musikalische Ausdrucksspektrum ist gewaltig, es reicht von dem ganz Leichten, Chansonnesken bis zur dunklen Tragik, zum Beispiel im Kartenterzett. 

Wer ist deine Lieblingscarmen?

Ich bin mit der Aufnahme von Jessye Norman aufgewachsen. Ich finde diese Interpretation nach wie vor unglaublich eindrucksvoll.

Jessye Norman entspricht ja in jeder Hinsicht nicht gerade den Erwartungen, die man mit der Carmen verbindet. Hat man als Sängerin, gerade wenn man die Rolle zum ersten Mal auf der Bühne singt, keine Angst vor den fürchterlichen Carmen-Klischees?

Ich habe überhaupt kein Problem mit Klischees, sie gehören ja zu dem Material, aus dem wir Darsteller unsere Figuren entwickeln. Aber bei Carmen ist das natürlich extrem: Jeder hat eine  Vorstellung von dieser Frau, der Femme fatal, der Verführerin, der flamencotanzenden Zigeunerin. Die Regieanweisung: »Jetzt gib mir die Carmen!« hätte ich als Zwangsjacke empfunden. Sowohl in der Musik als auch in der Figur interessiert mich gerade nicht das vermeintlich »Rassige«, sondern die kleinen Verzierungen, die subtilen Zwischentöne, das scheinbar Flüchtige: die Momente, wenn die Stimmung mit einem Mal kippt, das Unfassbare, Psychedelische. Es war eine glückliche Fügung, dass die Regisseurin Anna-Sophie Mahler da einen ganz ähnlichen Ansatz wie ich hatte. Die Proben habe ich als frei und dennoch ganz konkret empfunden. Musiktheater im besten Sinne.

Wo spielt in Eurer Produktion die Oper?

Die Handlung findet in einem bürgerlichen Salon statt, Carmen ist ein Dienstmädchen. Die Geschichte wird aus der Perspektive von Don José erzählt, vieles spielt sich nur in seiner Fantasie als Projektion ab. Durch diesen Rahmen konnte ich an manchen Stellen dann auch wieder lustvoll mit den Rollenklischees spielen.

Der Name Eurer CD, »The living loving maid« klingt wie ein Kontrastprogramm zu Carmen, nicht nach 19., sondern nach 18. Jahrhundert.

Stimmt, dabei zitieren wir mit dem Titel einen Song von Led Zeppelin.

Du hast erzählt, dass das Studio Dir für Dein Debütalbum eine carte blanche ausgestellt hat. Warum hast Du Dich für ein Crossover-Projekt entschieden?

Ich hatte einfach keine Lust auf die übliche Arien-CD. Die Verbindung von Barock und Pop- oder Jazz-Musik ist für mich sehr naheliegend. Manche der von uns ausgewählten Arien wirken schon im Original fast wie Popsongs, man muss sich nur einmal die unglaublich effektvollen Monteverdi-Interpretationen von Christina Pluhar anhören. Bei uns steht Musik von Monteverdi und Purcell im Mittelpunkt. 

Wie habt Ihr Eure Versionen entwickelt?

Wir haben monatelang mit der Musik experimentiert, viel ausprobiert und dann wieder verworfen und uns den Stücken mit riesiger Lust aber auch viel Respekt genähert. Für mich war das Projekt, der Wechsel von der Bühne ins Aufnahmestudio, natürlich eine große Herausforderung. Am Anfang hatte ich Hemmungen, meine Stimme »klein« zu machen und habe mich immer wieder gefragt: Bin das überhaupt noch ich? Das fühlte sich manchmal an, als würde ich »am Rande meiner Stimme« singen. 

Beim ersten Stück, vi ricorda o boschi ombrosi aus Monteverdis Orfeo hat man
wegen der Geigen-und Gitarrenklänge das Gefühl, per Liveschaltung mit einer Country-Party im Mittelalter verbunden zu werden. Sonst überwiegen eher traurige Stücke, oder?

Ja. Obwohl ich sicher über das Maß an Melancholie verfüge, das man als Künstler braucht, betrachte ich mich nicht als unglücklichen Menschen. Aber ich fühle mich musikalisch bei den Lamenti einfach besonders wohl. Und diese Musik bleibt bei aller Traurigkeit immer eigentümlich »hell« und tröstlich. Trotzdem drohte die CD eine Zeit lang, hemmungslos melancholisch zu werden. Deshalb haben wir dann noch einige schnellere Stücke dazu genommen.

Ihr habt auch eine Version von Purcells Cold Song gemacht, der schon auf eine längere popmusikalische Karriere zurückblickt. Er war zum Beispiel eine Paradenummer des gelernten Opernsängers und Konditors Klaus Nomi, der in den 1980er Jahren die amerikanische New-Wave-Szene aufmischte.

Ja, auch von Sting gibt es den Cold Song. Bei uns ist das sicher das »poppigste«  Stück geworden, bei dem wir uns die größten Freiheiten herausgenommen haben. Bei Possente spirto aus Monteverdis L’Orfeo dagegen haben wir keine Note geändert. Das ist schon im Original einfach unglaublich freie und moderne Musik.

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Du machst Projekte jenseits des traditionellen Klassikbetriebs, gastierst auch viel und bist gleichzeitig festes Ensemblemitglied. Wie findet man die richtige Mischung aus künstlerischer Freiheit und »Angestellten«-Dasein?

Ich möchte gerade auf nichts davon verzichten. Es war zum Beispiel eine großartige Erfahrung, bei meinem Gastspiel am Theater an der Wien mit Edita Gruberova in Bellinis La Straniera auf der Bühne zu stehen. Ich schätze andererseits die Verlässlichkeit, die man in einer Festanstellung finden kann.Vertraute Kollegen in neuen Zusammenhängen zu erleben, ist eine Wonne. Es gibt dann immer etwas, was ich am Anderen nicht kenne, und im selben Moment denke ich, das kann nur von ihm kommen.

Gleichzeitig hat das Bedürfnis nach Freiheit von Anfang an im Zentrum meiner Berufswahl  und meiner künstlerischen Arbeit gestanden.

Auf welche Projekte in der Zukunft freust Du Dich besonders?

Im März werde ich an der Komischen Oper in Heinrich Marschners Der Vampyr auftreten. Mit dem jungen Regisseur Antú Romero Nunes wird das sicher eine wilde, auch multimediale Inszenierung. Und dann werde ich im September 2016 am Theater an der Wien in der Uraufführung einer neuen Hamlet-Oper die Ophelia singen.

Nach der Carmen wieder eine ikonische Frauenfigur….

… aber als Charakter fast das Gegenteil. Carmen ist autonom und lässt sich durch nichts in ihrer Freiheit einschränken. Ophelia dagegen ist ohne Hamlet nicht denkbar. Sie ist seine Verbündete, verbalisiert seine dunklen Gedanken und verfällt am Ende dem Wahnsinn. Beide Rollen sind ungeheure Aufgaben, musikalisch und darstellerisch. In kurzer Zeit in zwei so unterschiedliche und reizvolle Frauenfiguren zu schlüpfen, ist ein unfassbares Glück für mich. ¶