Die Popmusik ist für das Remixen prädestiniert: Die Melodie eines Folksongs mit einem hakeligen Elektronikbeat, ein Soulklassiker als Refrain eines Hip-Hop-Songs — ganze Musikstile bauen auf dem Auseinanderbauen und Wiederzusammensetzen von konservierten Klängen und Strukturen auf. In der klassischen Musik hat der Begriff einen selteneren Klang; bekannt ist vielen vielleicht die Recomposed-Reihe der Deutschen Grammophon, in der zentrale Künstler aus Techno, Dub, Elektronika, Hip Hop auf Debussy, Vivaldi und andere losgelassen wurden und werden. Gerade in der wachsenden Unschärfezone zwischen E- und U-Musik ist das Manipulieren, Filtern, Schneiden, Sampeln auch von klassischem Material immer häufiger zu hören. Wir haben zwei Künstler nach ihrem Zugang, ihrer Haltung gefragt und hören auch einmal rein.
Andi Otto / Springintgut
Ein neues Verhältnis zwischen Körper und musikalischem Material
»Remix« bedeutet für mich nicht mehr nur »Neu-Abmischen«, so wie der Begriff ursprünglich verwendet wurde, wenn Popsongs mehr Bass, mehr Zeit, Repetition und Drums verpasst bekamen, um nicht nur im Radio, sondern auch im Club zu funktionieren.
Heute – und gerade wenn es darum geht, eine alte Musik wie Beethovens Streichquartett cis-Moll op. 131 zu »remixen« – verstehe ich darunter: Mein Rohmaterial im digitalen Tonstudio ist eine bereits fertig gemasterte Aufnahme. Wenn der Prozess, den dieses Material durchläuft, transparent durchgeführt wird, kann dabei etwas Interessantes entstehen.
Im Sommer 2014 kam vom Ensemble Resonanz in Hamburg der Auftrag, einen »Live-Remix« des Streichquartetts aufzuführen; diesen habe ich mit meinem selbstentwickelten Instrument, dem sensorisch erweiterten Cellobogen Fello im September im Nachtasyl des Hamburger Thalia Theaters aufgeführt. Die Bewegungen des Cellobogens in der Luft sendet ein Modul am Frosch des Bogens an den Computer, der diese Daten in der Audiosoftware verwendet. Damit kann ich sowohl den Klang des verstärkten Cellos als auch jede andere Klangquelle elektronisch bearbeiten. In diesem Fall habe ich das Cello zu Hause gelassen, mich mit dem Spezialbogen allein auf die Bühne gesetzt und durch Gesten in der Luft die Aufnahme des Adagio quasi un poco andante neu interpretiert. Die Bearbeitung beschränkt sich fast ausschließlich auf ein rhythmisches Auslöschen der neu zusammengeschnittenen Originalaufnahme des Alban Berg Quartetts.
Der Bogen dient nicht mehr als Interface für die Saiten des traditionellen Instruments, sondern nur noch als Interface für die Bearbeitung des aufgezeichneten Materials der Saiteninstrumente. Durch die Performance in der Luft, die manch eingeweihte ZuschauerIn an das Theremin-Instrument der 1920er Jahre erinnert, wird die Leerstelle des Cellos, von dem nur noch der Bogen übrig ist, unterstrichen. Die entkörperlichten digitalen Prozesse, in denen das codierte Material keine Physis mehr besitzt, lassen sich dann vielleicht auf interessante Weise auf einer Bühne aufführen, wenn man ihnen wieder eine definierte Materialität zuweist.
Wer es genau wissen will: Die Entstehung des op. 131-Remixes dargestellt für Musiktechnik-Nerds.
Fabian Russ
Eine Art kaleidoskopische Samplekäsereibe mit intuitiver Geilness-Funktion
Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob »Remix« überhaupt die richtige Bezeichnung für diesen Umgang mit dem Material ist. Remixen wäre ja, wenn man es genau nimmt, die Situation, in der ich alle einzelnen Spuren eines Stückes für zum Beispiel Sinfonieorchester in ihren Lautstärkeverhältnissen zu einander abmischen, ergo mixen oder re-mixen würde.
Das mache ich aber nicht. Wir sind heutzutage technisch weit über den Stand eines floppydisk-gespeisten Akai Sampler, wie man ihn aus dem Hip-Hop kennt, hinaus. Damals waren 16 Felder belegt mit Schnippseln aus verschiedenen Musikstücken, die man gut fand und in einen anderen Zusammenhang bringen wollte, meistens in Pattern, das heißt einander immer wiederholend.
Bei der Produktion von Inside Partita des Radialsystems mit Folkert Uhde, Midori Seiler an der Barockgeige, Renate Graziadei als Tänzerin und Lutz Deppe am Licht bin ich ganz anders vorgegangen und habe das kompositorische Material aus den CDs der im Schloss Köthen entstandenen Aufnahmen der Partiten von Midori geknetet – bis auf diverse Sounds, die ich selbst aufgenommen oder entsprechenden Klang-Bibliotheken entnommen habe. »Kneten« trifft es richtig, »Sampleknete« könnte man es nennen, und es kommen noch einige Zutaten hinzu, wie bei einem guten Rezept, die allerdings auch geheim bleiben, um den Ohrenschmaus richtig fein zu bereiten. Eine Art kaleidoskopische Samplekäsereibe mit intuitiver Geilness-Funktion. Das variiert aber auch von Produktion zu Produktion, je nachdem, was mir gerade in den Sinn kommt.
Bei der Zusammenarbeit mit Il Giardino Armonico (Kammerorchester, das sich der historischen Aufführungspraxis verschrieben hat, d. Red.) unter der Leitung Giovanni Antoninis im Rahmen des Haydn2032-Projektes zum Beispiel bin ich wesentlich hip-hoppiger vorgegangen und wollte, dass es tanzbar wird oder man zumindest ein bisschen Blut leckt und spürt: davon will ich mehr hören. Ich habe Stereospuren der Orchesteraufnahme zu Haydns Sinfonie No. 49 La Passione erhalten und einfach angefangen verschiedene Tracks zusammenzusetzen, immer mit dem Wunsch mich selbst zu faszinieren, denn ohne Faszination und Grenzenlosigkeit geht so ein Projekt auch gar nicht.
Bei der Eröffnung einer neuen Musikbiennale in der Schweiz im September habe ich wiederum eine ganz neue Technik angewandt für den Traditional Folk Song Black Is the Colour (of My True Love’s Hair) für Countertenor Andreas Scholl und Elektronik. Hier habe ich mich erneut abgewandt von der Ästhetik eines Hip-Hop-Samplings und durch verschiedenste Techniken vor allem eine starke Verwebung mit der Gesangstimme von Andreas gesucht, nach einer funktionieren Dramaturgie, die beide Elemente gleichwertig behandelt. Alles im Grunde mit stark verfeinerten Samplingtechniken, »remixen« ist was anderes.