2014 habe ich mich entgegen vieler Ratschläge an der Universität der Künste Berlin mit viel Idealismus für die Künstlerisch-Pädagogische Ausbildung beworben. Damals war ich unglaublich stolz darauf, einen der rar gesäten 17 Studienplätze für Bachelor und Master aller Instrumentalgruppen inklusive Gesang, Rhythmik, Elementare Musikpädagogik, Chor- und Ensembleleitung erhalten zu haben. Heute kommt es mir verglichen mit der Studienplatzanzahl in der Künstlerischen Ausbildung absurd vor. Lektion Nummer Eins im Hochschulalltag war: »Wer’s kann, der macht’s, wer’s nicht kann, der lehrt’s.« Diesen Satz bekommt man nicht nur des Öfteren ins Gesicht gesagt, er manifestiert sich in den hochschuleigenen Strukturen und wird dadurch regelmäßig erfahrbar.

»Bei mir ist jeder Student herzlich willkommen, der das entsprechende Niveau hat.«

Dieser Ausspruch stimmt nur bedingt. Bei bestimmten Instrumenten werden die Instrumentalklassen systematisch in »Künstler« und »alle anderen« getrennt, was nicht nur bedeutet, dass man keinen professoral betreuten Hauptfachunterricht hat. In der Regel werden innerhalb der Professor*innenverträge Zusätze wie Räume, Instrumentarium und Korrepetitoren verhandelt, die dann ausschließlich von den Studierenden der eigenen Klasse genutzt werden dürfen. Dieser Usus hat seine Ursache in einer grundsätzlichen Ressourcenknappheit, die wiederum dafür sorgt, dass jede*r sich zunächst selbst am nächsten ist, anstatt sich zu solidarisieren und gemeinsam für mehr Kapazitäten zu streiten. Folge ist also auch, dass man zu klassenspezifischen ›Specials‹ keinen Zugang hat. Oder damit zumindest nicht natürlicherweise in Kontakt gerät.

»Dafür, dass du Pädagoge bist, spielst du erstaunlich gut.«

Und wenn man doch zufällig in einer »KA-Klasse« gelandet ist, kann es schon einmal passieren, dass man an den öffentlichen Vorspielen nicht teilnehmen darf. Oder eben nur, indem im Programmheft oder – noch besser – in der Anmoderation klargestellt wird, dass man ja Instrumentalpädagogik oder Schulmusik oder was auch immer studiert, quasi als Vorabentschuldigung für das nun folgende Niveau. Alternativ kommen Klassenabende einfach nicht zustande, weil eine Klassenstärke von beispielsweise drei Studierenden abseits der Abschlussprüfungen kein abendfüllendes Programm auf die Beine zu stellen vermag.

»Hat’s für KA nicht gereicht?«

Während man sich also als Studierende*r zweiter Klasse durch ein Curriculum wühlt, das versucht, so viel wie möglich zu sein (was toll ist) und dabei hauptsächlich zu viel ist (was wiederum weniger toll ist), beginnt man, sich schon mal über 30 Minuten Üben am Tag zu freuen. Dass man auf diese Weise im instrumentaltechnischen Vergleich mit einer Person, der ein sechs- bis zwölffaches an Zeit zur Verfügung steht, abfällt, ist in der Feststellung dieser Offensichtlichkeit keine besondere Beobachtungsleistung. Mit der eigenen musikalischen Befähigung hat es allerdings wenig bis gar nichts zu tun.

»Willst du das eigentlich noch richtig studieren?«

Gleichzeitig bleibt Außenstehenden unvorstellbar, dass man die Entscheidung gegen die Künstlerische Ausbildung freiwillig gemacht und diese ernst gemeint hat, und ein Ziel abseits der Solo- oder Orchesterkarriere verfolgt – was im Umkehrschluss übrigens nicht bedeutet, dass man nicht trotzdem passioniert und bisweilen sogar sehr gut spielt – auch im Orchester.

»Künstlerische Berufe sind hochgradig kompetitiv und müssen es auch sein!«

Angesichts der breitgefächerten Ausbildung, die man erhält, und der entsprechenden Voraussetzungen, die man zum Beispiel als Schul- oder Kirchenmusiker*in bereits zur Aufnahmeprüfung nachweisen muss, könnte man meinen, dass auch andere Instanzen diese Qualitäten anerkennen. Läuft man mit offenen Augen während der Vorlesungszeit durch eine Musikhochschule in Deutschland, wird man fast erschlagen von der Masse an Werbeplakaten und Ausschreibungstexten zu Wettbewerbs-, Meisterkurs- und Stipendienangeboten – für exzellente Künstler*innen. Deutschlandweit gibt es einen Wettbewerb für Instrumentalpädagog*innen (Hochschulwettbewerb Musikpädagogik). Schulmusiker*innen können u.a. im Zweijahresturnus am Bundeswettbewerb Schulpraktisches Klavierspiel teilnehmen. Das ist verglichen mit der Anzahl an Wettbewerben für ›reine‹ Instrumentalist*innen erstaunlich wenig. Und es drängt die Studierendenschaft der pädagogischen (und anderer) Studiengänge in eine Art Schattendasein, da sie ohne Öffentlichkeit weder prestigeträchtig sind, noch zum Renommee der Hochschule beitragen.

»Für Schulmusiker gibt es innerhalb der Musikerauswahl ein eigenes Verfahren; sie konkurrieren also nicht mit den Studierenden in der künstlerischen Ausbildung […]«

Nächster Versuch: Stipendium. Die meisten Hochschul- und Musikerförderprogramme beschränken sich vor allem auf herausragende Leistungen am Instrument als Hauptauswahlkriterium. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat für Studierende von Kunst- und Musikhochschulen ein gesondertes Auswahlverfahren, und auf den ersten Blick scheint es, als würde auf die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Studiengänge besonders Rücksicht genommen. Innerhalb der Stiftung herrscht jedoch keine einheitliche Meinung darüber, wer nun eigentlich in die Schublade Musikpädagog*in gehört oder nicht, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass es an den 24 Hochschulen in Deutschland fast genauso viele Studiengangskonzepte für das Feld Instrumentalpädagogik gibt. Heißt: Wer Pech hat, tritt also gegen KA-Studierende an. Doch auch für alle, die in die Kategorie Schulmusiker*innen und Musikpädagog*innen fallen, besteht der Hauptteil der Auswahl aus einem Vortrag am Hauptfachinstrument und man kommt nicht umhin, sich darüber zu wundern, insbesondere beim Vorspiel vor einer mehr als 10-köpfigen Jury, von denen eine Person aus dem Feld Musikpädagogik stammt, während es sich bei den anderen Mitgliedern um Professor*innen der Künstlerischen Ausbildung handelt.

»Willst du das eigentlich noch richtig studieren?« Wie Musikpädagogik-Studierende an Hochschulen unter den Tisch fallen. In @vanmusik.

Heinz Geuen erwähnt in seiner Stellungnahme zum Interview mit Esther Bishop: »Übrigens machen reine Orchesterstudiengänge weniger als ein Drittel unseres Studienangebots aus.« Dass diese Aussage in Klammern gerückt wird, empfinde ich nicht nur als äußerst spannend, sondern fast symptomatisch für die Auseinandersetzung mit der Ausbildung zur Berufsmusiker*in, die zwar immer wieder auf strukturelle Mängel hinweist, dabei aber selbst nicht die Vielfalt an Berufsbildern abdeckt, die sich hinter dem Zauberwort »Musikstudium« noch verbergen. Das grundsätzliche Problem ist dabei wohl, dass wir nicht in der Lage sind, genau zu definieren, ab wann man sich selbst als Musiker*in bezeichnen kann. Gefühlter Konsens an Musikhochschulen und auch über ihre Grenzen hinaus ist unausgesprochen, dass man KA studiert haben muss, um sich zum Berufsstand zählen zu dürfen. Absolvent*innen der Künstlerischen Ausbildung erhalten in diesem Zusammenhang einen Bachelor bzw. Master of Music, während Pädagog*innen mit einem Bachelor bzw. Master of Arts abschließen. Erwähnenswert ist an dieser Stelle vielleicht, dass es auch einen Bachelor of Education gibt – allerdings nicht im Musikhochschulbereich. Wer keine Stelle im Orchester erhält und aus der Not heraus Musikschullehrer*in wird, bekommt den Stempel gescheiterte*r Musiker*in, als studierte*r Musikpädagog*in hat man diesen immerhin mit akademischer Legitimation. Die Selbstverständlichkeit, mit der Instrumental- (und in manchen Regionen neuerdings auch) Musikunterricht als Plan B erteilt wird, ist nicht nur wahnsinnig überheblich, sondern hat fast selbstzerstörerische Züge. Hier sägt der klassische Musik(hochschul)betrieb an dem Ast, auf dem er sitzt, denn wer bildet eine nächste Generation von Musiker*innen, und vor allem auch begeisterten Laieninstrumentalist*innen, Konzert- und Opernbesucher*innen aus? Der Wunsch nach Musiker*innen, die pädagogisch fundiert und reflektiert handeln können, darf hier gern lauter werden. Er muss es sogar. Die eigentliche »Schieflage« besteht letztlich darin, dass an überholten Strukturen und vor allem Denkmustern festgehalten wird, die kompetitives Verhalten in einem Feld fördern, dessen zeitgemäßer Auftrag in einer leistungsorientierten Gesellschaft die Förderung eines gemeinsamen und wechselseitigen Miteinanders sein sollte. Es bedarf unbedingt grundlegender Reformen innerhalb der Musikausbildung in Deutschland – und zwar in allen Bereichen. Der Anstoß hierfür könnte eine gegenseitige Begegnung auf Augenhöhe sein. ¶

… lebt und arbeitet als freie Oboistin und Instrumentalpädagogin in Berlin. Darüber hinaus leitet sie die Jugendmusiziergruppe »Michael Praetorius« in Leipzig. Ihr musikalisches Interesse gilt insbesondere der (ganz) Alten Musik und dem Musiktheater. Nach ihrem Abschluss in Instrumentalpädagogik begann sie außerdem ein Stadt- und Regionalplanungsstudium an der TU Berlin.