Alina Pogostkina im Interview.

Text · Fotos © 25stunden.com · Datum 17.10.2018

Die Geigerin Alina Pogostkina hatte ich vor etwa zehn Jahren in den üblichen »junge hochbegabte musikalische Elite«-Kreisen kennengelernt und sie auch weiterhin dort verortet – fälschlicherweise, wie ich in letzter Zeit immer öfter von verschiedenen Seiten hörte. Jetzt treffe ich die Geigerin in einem Café im Winskiez in Berlin. Sie wirkt entspannt, selbstbewusst, in sich ruhend.

Du stellst den typischen Wunderkind-Werdegang in Frage, habe ich gehört – wie bist du denn groß geworden?

Ich habe mit fünf angefangen, Konzerte zu spielen, unter einem enormen Leistungsdruck, war ein kleines trainiertes Äffchen, das vorgezeigt wurde, wirklich das Klischee eines russischen Wunderkindes. Viele gehen daran kaputt oder sind nicht erfolgreich und haben dann einfach ihre Kindheit und Jugend weggeworfen, sind nicht integriert, weil viele Teile ihrer Entwicklung auf der Strecke geblieben sind. In meinem Fall hatte ich Glück, es hat funktioniert, ich habe angefangen, Wettbewerbe zu gewinnen, erfolgreich zu sein. Dann kam als Teenager eine erste große Krise: ›Was mache ich hier eigentlich und wer bin ich überhaupt?‹

Dann hast du aber trotzdem erstmal weitergemacht?

Ich habe solche Momente bis heute, in denen ich mich frage: ›Wer bin ich in diesem ganzen Betrieb? Warum mache ich, was ich tue?‹ Ich glaube, es ist unheimlich wichtig für jeden Künstler, sich das immer wieder zu fragen: ›Wie gehe ich auf die Bühne, was habe ich zu geben? Was möchte ich transportieren, warum bin ich hier?‹

Für mich ging das los als Teenager, da habe ich angefangen, mich sehr viel auseinanderzusetzen mit meiner Vergangenheit, mit meiner Aufgabe und mit meiner Rolle in der Musikszene. Ich habe sehr gelitten unter dem Leistungsdruck, erst durch meinen Vater, dann durch Lehrer, Agenten, Veranstalter – bis ich irgendwann gemerkt habe: Die sind gar nicht das Problem, die tragen das weiter, die erinnern mich die ganze Zeit an den Druck, aber der eigentliche Druck ist in mir selbst. Viele meiner Kollegen beschweren sich darüber: ›Die Welt ist so hart, die Musikszene, die Konkurrenz, die Agenten sind so böse‹, und ja, wir sind alle Teil einer ungesunden Dynamik, das stimmt, aber wir lassen es auch selbst zu. Hauptsächlich ist es das, was die Eltern uns beigebracht haben, wie wir aufgewachsen sind, wie wir gelernt haben, mit uns selbst umzugehen und das wird natürlich verstärkt durch das ganze Hochschulsystem, ganz zu schweigen von den großen Plattenlabels und so weiter. Was entscheidend ist, und das habe ich gemerkt irgendwann: Es bringt mir nichts zu sagen, ›die ganze Musikwelt ist so böse und gemein.‹ Entscheidend für mich war, zu bestimmen: Wie gehe ich damit um und was mache ich damit?

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Wann war das so ungefähr, kannst du das festmachen?

Es war eine ganze lange Entwicklung. Die ersten fünfzehn Jahre waren dem gewidmet, so viel wie möglich zu schaffen, zu erarbeiten, zu erkämpfen. Damals ging es in meinem Leben darum, etwas zu erreichen, zu beweisen, bis ich dann mit der größten Agentur gearbeitet und Wettbewerbe gewonnen habe, durch die Welt gereist bin und völlig kaputt war, überarbeitet, übermüdet und unglücklich.

Dann ging es los, dass ich mich fragte: ›Jetzt habe ich all das erreicht, wofür ich mein ganzes Leben gearbeitet habe, und bin nicht mal glücklich, mir gehts körperlich und emotional nicht gut, ich bin einsam, was mache ich hier eigentlich?‹ Wir denken ja immer: ›Wenn der Erfolg erstmal da ist, dann ist alles gut. Jetzt ist es stressig, aber wenn ich dann erstmal das und das erreicht habe, dann hat sich das alles gelohnt und dann ruhe ich mich aus.‹ Aber der Moment kommt einfach nie, habe ich beobachtet. Ich war nicht die einzige, die krank und gestresst wurde. In unserer Zeit und in unserer Welt gilt Stress ja als gut, weil es bedeutet, dass du Arbeit hast. Du bist anerkannt, sprich: Wenn du überarbeitet und überfordert bist, bist du auf dem richtigen Weg, bist integriert in diese Gesellschaft und auf Facebook wird nur gepostet: ›Schaut mal, ich hab so ein Riesen-Programm diesen Sommer, ständig unterwegs, nie zuhause…‹ Ich war da voll mit drin, bis ich gemerkt habe: Das ist nichts, worauf ich stolz bin, das ist nichts, was sich gut anfühlt.

In der Zeit habe ich mich schon ziemlich viel mit Meditation beschäftigt und habe eine Therapie gemacht, meine Kindheit aufgearbeitet, lernte den Vater meines Kindes kennen, der auch aus einer völlig anderen Welt kommt. Ich hab immer schon sehr viele Menschen um mich versammelt, die ganz andere Dinge machen, weil ich immer neugierig war, wie sie die Welt sehen und was es noch gibt da draussen außer dieser Musikwelt, die sehr eng und konservativ sein kann. Musiker daten oft fast ausschließlich Musiker und haben nur Musikerfreunde. Bei mir war es immer das Gegenteil, ich habe gespürt, wie mein ganzes Wesen diesen Ausgleich sucht und deswegen waren auch die Partner, die ich hatte, bis auf eine Ausnahme keine Musiker.

Als ich dann krank war, traf ich die Entscheidung: Ich muss hier einen Schritt rausgehen, und habe dann meiner Agentur gesagt: ›Ich nehme mir ein halbes Jahr Auszeit und trete nicht mehr auf.‹ Der Vater meiner Tochter hat mich sehr unterstützt bei der Entscheidung und dann bin ich schwanger geworden, das war nicht geplant und aus dem halben Jahr sind acht Monate geworden, in denen ich komplett nicht gespielt habe. Als ich Mutter geworden bin, wurde natürlich alles auf den Kopf gestellt, meine ganze Lebenseinstellung und Auffassung.

Das war wahrscheinlich der stärkste Einschnitt und da habe ich wirklich gemerkt: Ich MUSS etwas ändern. Ich arbeite schon so lange und mache so viele Dinge, weil ich glaube, ich sollte sie tun – die sind gut für meine Karriere, meine Agentur sagt, dass es gut ist oder meine Eltern würden es gut finden – aber was will eigentlich ich? Wofür habe ich so viel gearbeitet? Was bedeutet Erfolg? Ein Sklave zu sein von anderen Leuten, die sagen, was zu tun ist? Oder ist Erfolg eigentlich, die Freiheit zu haben, das zu tun, was ich liebe und selbst entscheiden zu können, was ich mache und wieviel ich davon mache?

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Was passierte bei Dir nach dieser Erkenntnis?

Lange Zeit dachte ich: Die Agenturen verstehen mich nicht oder sind nicht wirklich bei mir – bis ich dann verstanden habe: Das ist nicht deren Aufgabe. Deren Aufgabe ist es, Geld zu verdienen, meine Karriere zu managen und das machen die super. Und meine Aufgabe ist es, mich zu schützen und zu gucken: Wo sind meine Grenzen, wo sage ich ja und wo sage ich ganz klar nein, egal ob sie es gut finden? Je mehr ich diesen Weg gegangen bin und weiterhin gehe, desto mehr Freiheit entfaltet sich in meinem Leben und in meinem Spiel, in meinem Ausdruck und desto leichter fließt es auch, es funktioniert. Wenn ich ›nein‹ sage und wenn ich ganz klare Grenzen setze, bedeutet das nicht, dass meine Karriere beendet ist.

Irgendwann habe ich auch gesehen, wofür ich diesen ganzen Prozess von Wunderkind und Leistungsdruck durchlitten habe: Beim Unterrichten habe ich gemerkt, dass viele junge Leute in diesem Hamsterrad hängen. Die gehen alle durch das gleiche und ich hatte den starken Wunsch, sie zu unterstützen und das zu nutzen, was ich selber alles erlebt habe. Für mich ist jetzt die Frage: Wie kann ich damit dienen, wie kann ich damit einen Beitrag leisten, dass diese Welt, nicht nur die Musikwelt, sondern generell die Welt, ein bisschen mehr Menschlichkeit bekommt, Selbstakzeptanz, Verbindung, Langsamkeit, Achtsamkeit? Ich hatte wirklich den ganz starken Wunsch einen Rahmen und eine Plattform zu schaffen um diese jungen Leute mehr unterstützen zu können.

Ich habe dann diese zwei wunderbaren Frauen getroffen: Susanne Feld, die Alexander-Technik lehrt, aber auch von der Geige kommt und Leonie von Arnim, die eine Gestalttherapeutin ist. Ich hatte diese Vision, einen Ort zu schaffen, an den Menschen kommen können, um anzuhalten und auszusteigen aus diesem Teufelskreis und zu schauen: Wo stehe ich, wer bin ich, wo will ich hin, wo komme ich her? So haben wir drei diesen Sommer ein erstes Mindful Music Retreat organisiert in Südfrankreich.

Wie viele haben da mitgemacht?

Wir hatten 8 Teilnehmer, größtenteils Musiker. Die sind gekommen mit Instrument und haben sich ihre Beziehung zu sich selbst, zum Instrument, zum Spiel, zum Publikum angeguckt: Was passiert in meinem Körper, wenn ich mir meine Geige nehme, was geht da alles ab in meinem System, was kommt da alles hoch, welche Muster? Dieses ganze Zeug – wo kommt das her? Diesen Raum gibt es sonst selten, nicht im Studium und schon gar nicht im Berufsleben, im Orchester – das fehlt.

Was ist dein Ziel mit den Retreats, was möchtest du Kollegen oder jungen Musikern damit vermitteln?

Meine Vision ist wirklich, dass das eine Bewegung wird – dass die Menschen anfangen anders miteinander zu kommunizieren. Dass Musiker merken: Wir sind nicht nur Konkurrenten.

Ich bin da sehr leidenschaftlich, was dieses Thema angeht, weil ich merke, wie sehr es gebraucht wird, wie wichtig das ist für junge Menschen vor allem im Studium, die überarbeitet sind und schon Alkoholprobleme haben oder sonstige Drogen nehmen, Burn-out und alle möglichen Symptome haben, einfach nur, weil sie da komplett den Kontakt zu sich selbst verlieren.

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Wir wachsen auf mit einer Autorität, uns wird beigebracht, dass jemand von außen besser weiß, was gut für uns ist. Erst sind es die Eltern, dann sind es die Lehrer. Es gibt immer eine Autorität, die sagt: ›Mach das und mach das nicht.‹ Und dann irgendwann sagen dir die Leute: ›Hör auf dein Herz.‹ Toll, wie geht das bitteschön?

Wir leben in einer Zeit, in der die Dinge nicht mehr so ablaufen müssen. Ich sehe das sehr optimistisch. Ich merke einen Wandel, so viele Menschen, die spüren, dass es so nicht weitergeht, auch in der Musikszene. Meine Agentur steht auch dahinter. Manchmal sage ich nein zu Engagements von den krassesten Top-Orchestern. Für meine Karriere wäre es offensichtlich gut, wenn ich das mache, aber für mein Herz fühlt es sich nicht richtig an. Weil das Programm nicht mit mir schwingt, weil ich mit dem Dirigenten nicht arbeiten möchte oder aus welchen Gründen auch immer.

»Uns wird beigebracht, dass jemand von außen besser weiß, was gut für uns ist.« Sich fragen, was man hier eigentlich macht und warum mit Alina Pogostkina in @vanmusik.

Wie triffst du diese Entscheidung?

Ich höre komplett auf mein Herz und das bedeutet inzwischen, wirklich den Körper zu spüren. Wenn ich eine Einladung bekomme für ein Projekt und ich merke: Das Pro-und-Contra-Abwägen geht los, eigentlich wäre es super vom Kopf her – dann ist es schon vorbei.

Wenn es aber im Körper losgeht und ich fühle: Es inspiriert mich und ich habe Lust drauf, da ist der lange Flug egal oder die kleine Gage, dann ist es richtig.

https://www.youtube.com/watch?v=vTZQqHkD47g

Ich glaube, dass es den meisten Musikern die größte Angst macht, auch mal nein zu sagen.

Ich habe immer mehr Vertrauen, dass sich einem der Weg dann zeigt und dass das sogar für manche Leute bedeutet, dass man gar keine Konzerte mehr hat und das man dann anfängt, etwas anderes zu machen und dann ist das auch richtig.

Im Sport und im Business ist es so normal, dass man an Coachings teilnimmt, dass man sich immer wieder auf den neuesten Stand bringt von ›Wie kommunizieren wir, wie nutzen wir unser Potential, wie lösen wir Konflikte, wie gehen wir mit Angst und mit Nervosität um?‹ Dass es so ein Angebot gibt für Musiker… Klar, jeder organisiert sich und geht mal zum Therapeuten – aber das ist noch ziemlich wenig und da muss was passieren. Da bleibt so viel auf der Strecke, weil wir so viel auf unserem Instrument üben und viel weniger in sozialen Kontakten sind als andere Jugendliche. Deswegen ist es umso wichtiger für Musiker, das nachzuholen.

Wir brauchen nicht noch mehr perfekte Geigenroboter, die Paganini runterspielen können, sondern bewusste Menschen. Was machen wir Musiker? Das wird mir immer klarer: Wir erschaffen einen Raum, in dem Menschen sich, ihre Gefühle erfahren können – auf einer sehr sehr tiefen Ebene und um das machen zu können, muss man nicht jeden Tag acht Stunden üben. Also ja, man muss üben und es gibt vielleicht eine Phase im Leben, in der man acht Stunden am Tag üben muss, oder zumindest vier, um dieses Instrument zu lernen, um dieses Werkzeug zu beherrschen. Aber darum geht es nicht. Du beherrscht dieses Werkzeug, um dann diesen heiligen Raum erschaffen zu können und da als Mensch so transparent und bewusst zu sein – um das überhaupt bieten zu können, braucht es eine ganz andere Entwicklung. Die bleibt auf der Strecke, dabei ist sie so wichtig und darum möchte ich mich für sie einsetzen. Es ist erstaunlich, auf wie viel Widerstand ich dabei stoße. Die Fassade scheint uns in der Musikszene sehr wichtig zu sein. Es gibt kaum eine andere Szene, die da so daran festhält. ¶

Julia Kadar

… ist Kulturmanagerin und Gründerin von premiertone. (http://premiertone.com/de)