Metallica mag eine hochgelobte Heavy-Metal-Band sein, die kommerziell erfolgreichste noch dazu. Aber ihre Karriere verdankt sich zu einem großen Teil der Tatsache, dass sie immer wieder am Status Quo kratzen: Sei es durch Millionenklagen gegen Napster oder durch schroffe stilistische Kehrtwenden.

Dennoch hat im Jahr 2000 die Entscheidung, einen Cellisten als Support – Präludium – für die Deutschlandtour im Jahr 2000 an Bord zu nehmen, kaum für gepierct-gehobene Augenbrauen gesorgt. Um so erstaunlicher ist das, da Daniel Müller-Schott, bei den Auftritten stets eine ganze Bach-Suite spielte, und das ist nun wirklich kaum die richtige Beschallung des »Circle of Death«, wie das Moshpit bei den eingefleischtesten Fans heißt. Oder doch?

Auch wenn die beiden »Genres« an der Oberfläche als nicht zusammenpassend oder gar völlig unvereinbar erscheinen, ist die entfernte Verwandtschaft zwischen Heavy Metal und Klassik so alt wie Heavy Metal selbst. Genetisch ist Heavy Metal aus dem Blues und dem Rock der 1960er Jahre entsprungen. Er nahm die Elemente einer in ihrer Blüte stehenden Gegenkultur, drehte sie über das Maximum auf, versah sie mit superschnellen, durch Mark und Bein gehenden Akkordwechseln und mit hervorgekrächztem, aggressiven Gesang von Leuten wie Ozzy Osbourne von Black Sabath, Ian Gillan von Deep Purple und Robert Plant von Led Zeppelin. Die Musik war, zumindest an der Oberfläche, ein noch direkterer Affront gegen das Establishment der alten Welt, dessen Musik natürlich der klassische Kanon war. Wegen der okkulten Bild- und Themenwelt und der regelmäßigen Verwendung des Tritonus wurde Heavy Metal gleichbedeutend mit »Teufelsmusik«. Keine christlichen kammermusikalischen Nettigkeiten, also.

Ab den 1970er Jahren war Metal ein autonomes musikalisches Genre, mit einem hochentwickelten Ökosystem aus Musikern und Fans. Heutzutage ist es auch ein großes Geschäft mit unzähligen Subgenres – Thrash Metal, Death Metal, Doom Metal, Power Metal und – Neoclassical Metal.

Richie Blackmore von Deep Purple war in den 1970ern der erste, der die so wehrhaft scheinenden Gräben zwischen Klassik und Metal überquert hat, indem er barocken Glamour und mittelalterliche Einflüsse für sein virtuoses Gitarrenspiel abgezogen hat. Auch wenn er nur ein Jahr lang Unterricht in klassischer Gitarre genommen hatte, baute er doch gerade in späteren Jahren sein Gitarrenspiel darauf auf, speziell mit seiner proto-barocken Heavy-Metal-Gruppe Rainbow.


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EIN ETWAS PLAKATIVER URSPRUNG VON »CLASSICAL METAL«: RAINBOWS BLUES & BEETHOVEN AUS DEN 80ERN; DER TITEL UMREISST DAS KONZEPT GANZ GUT.

»Ich war nie sicher, wo ich sein wollte«, sagte er 1991 der Zeitschrift »Guitar World«. »Der Blues war mir zu beschränkt. Ich war immer der Auffassung – bei allem Respekt, der B.B. King gebührt –, dass man nicht einfach mit drei Akkorden spielen konnte. Die Klassik war mir auf der anderen Seite immer zu stark reglementiert. Ich spielte immer im Zwischenraum, irgendwie im musikalischen Niemandsland.

Für die Entwicklung von Heavy Metal als eigenständigem Genre in der Tradition von Rock ‘n’ Roll war klassische Musik entscheidend. Wenn man »classical metal guitarist« in die Internetsuche eintippt, dann ist man einem Ansturm von Youtube-Filmchen ausgesetzt mit langhaarigen Metal-Vertretern, die sich die Finger blutig spielen mit Bearbeitungen von Mozart, Vivaldi und jenem Musiker, der unter Metalheads am stärksten verehrt wird, aufgrund seiner Virtuosität und der Nähe zum Leibhaftigen, die ihm in verschiedenen Darstellungen immer wieder unterstellt wird. Was man sieht, verschlägt einem die Sprache, oft durch wahnwitzige Geschmacklosigkeiten, aber hin und wieder auch wegen des technischen Könnens. Man nennt diese Schnellfeuer-Technik shredding (zerschnipseln), und ihre Urväter sind Blackmore, Eddie Van Halen und – am pompösesten – der Schwede Yngwie Malmsteen. Sie haben eine Generation von Möchtegern-Paganini-Metallern geprägt, bei denen allzuoft Perfektion vor Leidenschaft geht.

»Ich mag dieses schlimme Angeberzeug echt überhaupt nicht.« Richard Tognetti lacht aus Australien durch den Telefonhörer. Er leitet das Australian Chamber Orchestra (man nennt die Gruppe auch »Rockstars der Klassik«). Tognetti hat eine Karriere auf höchstem Niveau in der Klassikwelt gemacht. Aber er ist in der Arbeiterstadt Wollongong eben auch mit Hard Rock großgeworden. Jetzt lotet er die Verbindungen zwischen populären Stilen und klassischen aus, zur Zeit des Interviews bereitet er die Aufführung eines neuen Werkes vom Radiohead-Gitarristen Jonny Greeenwood, Water, in Sydney im Oktober 2014 vor.


»Es scheint eine spezielle Verbindung zu geben zwischen diesen Sagen, Herr der Ringe, Wagner und Heavy Metal.«


»Im Paganismus (Heidentum) und im Paganini-ismus, da treffen sich Klassik und Heavy Metal«, witzelt Tognetti. »Aber im Ernst, natürlich ist Wagner die wichtige Schnittstelle. Das gewaltige Orchester bei Wagner und die überwältigende Wucht der Heavy-Metal-Bands haben Gemeinsamkeiten. Das geht zurück auf Götter, Monster und die Ursprünge des Ring-Zyklus … und auch Island! Die Isländersagas, heidnische Mythologie, auch das Kalevala (ein finnisches auf vielen Mythen gegründetes Epos) – so viele Metal Bands beziehen sich auch genau darauf. Es scheint eine spezielle Verbindung zu geben zwischen diesen Sagen, Herr der Ringe, Wagner und Heavy Metal.«

Gerade die nordischen Länder sind bekannt für ihre Heavy-Metal-Vorliebe, und es gibt dort viele erfolgreiche Bands, die auch Klassik miteinschmelzen, etwa die finnischen »Opera-Metal«-Pioniere Nightwish – deren erste Sängerin Tarja Turenen Operngesang an der Sibelius Akademie in Helsinki und der Karlsruher Hochschule für Musik studiert hat. Auch Therion aus Schweden ist so eine Metal-Band, die viel aus der nordischen Mythologie und der Klassik abgreift – vom Sampling von Klassik-Passagen bis zur massiven Verwendung klassischer Instrumente.

Es gibt eine Argumentation, gerade in Nordeuropa, nach der Heavy Metal natürlicherweise auf die klassische Tradition folgt – als europäische Musik, die zwar moderne populäre Instrumente verwendet, dabei aber eine Geburt aus Wagner, Schostakowitsch und Sibelius ist. Für die Vertreter dieser These ist der Ritt der Wallküren genau so eine Metal-Hymne wie es ein Meisterwerk der Klassik ist.

Therion: Poupée de cire, poupée the son (Opening Version); aus dem Album Les fleurs du mal (Eigenveröffentlichung, 2012); mit freundlicher Genehmigung der Band

»Was mich vielmehr wirklich musikalisch als nur theoretisch interessiert, ist die Verbindung zwischen dem Unbehagen und der Angst, die man beim Hören der Zweiten Wiender Schule mit Webern, Schönberg und Berg bekommt, und von da aus weiter zu Schostakowitsch bis zu Punk und Metal«, fährt Tognetti fort. Kürzlich hat er eine Heavy Metal/Klassik-Kollaboration ausprobiert, um Werke von Wagner zu spielen.

»Wenn man über die Macht der Musik spricht, dann muss man sehen, wie Metallica in Moskau spielen. Würde der Lead Singer sagen, hier, das ist der Kreml, los, da laufen wir jetzt rein, es gäbe einen Regierungssturz. Das ist die Macht von Heavy Metal. So etwas will doch eigentlich jeder Musiker erreichen, oder etwa nicht?«

Metal und Klassik teilen also die ein oder andere Vorliebe und bisweilen einen Hang zur Dramatik, die sie auch den ZuhörerInnen vermitteln wollen. Die beiden Genres verschaffen sich gegenseitig auch voreinander Respekt aufgrund der Ergebenheit ihrer jeweiligen Fans. Außer – vielleicht – für Jazz, Country und Techno gibt es kaum irgendwo so loyale Anhänger. Der andauernde nachhaltige Erfolg der Heavy-Metal-Branche beruht genau so sehr auf Merchandise wie auf dem Verkauf von Musik – und die Branche ist nur auf Metal ausgerichtet. Diese konsequente Beschränkung führt manchen Metal-Fan zur Klassik, die für viele ein ähnlich profilscharfes Ökosystem darstellt.


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APROPOS FANTUM: ZU DEM IM SOMMER 2015 ERSCHEINENDEN NEUEN ALBUM VON NIGHTWISH PRODUZIERTE DAS LABEL NUCLEAR BLAST RECORDS EINIGE MAKING-OF-TRAILER, HIER: STUDIOEINDRÜCKE.

Viele geben sich damit zufrieden, dass dies eine Einbahnstraße ist: von »Pop«-Musikern, die das eigene Ansehen über »ernste« Musik aufwerten. Aber damit übersieht man zum Beispiel, dass viele unter den Heavy-Metal-Superstars eine klassische Ausbildung haben, aber sich bewusst für die ganz andere Karriere entscheiden. Apocalyptica, das Cello-Trio mit Schlagzeug, ist durch und eine Heavy Metal-»Marke«: Die Band macht aber Klassik-Metal-Welttourneen und hat dabei über vier Millionen Alben verkauft.

»Metal und Klassik sind bloß Ausdrucksstile, die manchmal ›Genre‹ genannt werden«, diese These vertritt der amerikanische Gitarrist Tony MacAlpine. Er absolvierte am Springfield Musik-Konservatorium im US-Bundesstaat Connecticut ein Studium in klassischer Gitarre, nennt Chopin, Skrjabin, Liszt, Bach und Rachmaninoff als stärkste Einflüsse – und ist einer der bedeutendsten Heavy-Metal-Gitarristen der Welt. Auf dem inzwischen legendären Album Edge of Insanity finden sich dann auch Chopins Préluden op. 16 und 28 neben Schrammelhymnen wie The Witch and the Priest.

»Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, dass ich irgendeinen Hörer vor den Kopf stoßen können, wenn ich eine Chopin-Prélude mitten in einem Heavy Metal Instrumental-Programm bringe. Diese Kontraste innerhalb des Materials machen doch eigentlich viel besser sichtbar, welche Gemeinsamkeiten mein Kompositionsstil mit dem von Liszt hat. Ich habe so viel von diesen Komponisten gespielt, dass es für mich selbstverständlich ist, eine Entsprechung dazu in einem anderen Genre auszudrücken.«


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Apocalyptica: Path

Annäherungen scheinen zunehmend normal zu werden. Die Hochzeit zwischen Bach und Metallica schien vielleicht im Jahr 2000 noch leicht schräg, 2008 aber wurde Daniel Müller-Schott zum Roskilde-Festival eingeladen, wo von Metallica, über Iron Maiden, Tool, Slayer, Slipknot, Megadeth bis zu Black Sabbath und Judath Priest schon alle Metal-Größen gespielt haben. Er spielte Schostakowitsch, Britten und Strawinski mit den Kopenhagenern Philharmonikern. »Die Essenz, die innere musikalische Botschaft, ist voll rübergekommen«, beschrieb er es später. »Es war intensiv. Ich hatte den Eindruck, dass sich ein Fenster öffnet.« Es mag ein Fenster sein, aber langsam werden immer mehr unbezwingbar scheinende Barrikaden zwischen Klassik und Heavy Metal niedergeschmettert. (After all, it is called heavy metal.)