Eine nervöse, spielende, alberne, geniale Playlist zum Mithören vom Komponisten Hannes Seidl. Zurzeit entwickelt er mit dem Filmemacher Daniel Kötter am Musiktheater im Revier die sechsteilige Musiktheater-Reihe ingolf:

Wir beauftragen Ingolf Haedicke, 72, ehemaliger Mitarbeiter des DDR-Rundfunks, erklärter Verächter des Zeitgenössischen und passionierter Hobby-Bastler, für uns und das MiR eine Oper zu entwerfen, künstlerisch und institutionell. Im Laufe von zwei Jahren werden ausgehend von einer Dokumentation eines Tags von Ingolf Haedicke sechs Arbeitsberichte in verschiedenen Formaten entstehen: Filmkonzert, Installation, Werkstattbegehung, Stadtraumintervention und Orchesterkonzert.

Der zweite Teil der Reihe (ingolf geht arbeiten) läuft am 25. September 2016, eine Stunde vorher klärt der Auftakt-Film ingolf lebt allein die Fragen: »Wer ist ingolf? Und wie lebt er?«

Bernhard Lang – Differenz/ Wiederholung 2

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Die Reihe Differenz/ Wiederholung besteht, glaube ich, aus über 20 Stücken (bisher 26, d. Red). Das zweite ist – bestimmt auch, weil die Reihe da noch nicht so ausgereift war – eines der besten. Ich habe es 2000 zum ersten Mal gehört. Sowohl diese unruhigen Loops, die das wild und unkontrolliert erscheinende klangliche Material zerschneiden und formen, als auch die Mischung aus Neue-Musik- und Pop-Elementen, die weder anbiedernd noch glättend klingt, haben mich extrem fasziniert und beeinflusst.

Steven Takasugi – Jargon Of Nothingness

Steven Takasugi ist ein Hardliner. Innerhalb der eh schon marginalisierten Szene der Neuen Musik nimmt die elektronische einen noch geringeren Platz ein. Aber auch dem hat er sich lange Zeit ferngehalten, indem er Musik für Kopfhörer komponierte, zum Alleinehören, wie man auch ein Buch liest. Die Musik ist aus zigtausenden von Instrumenten-Samples gebaut. Diese sind nicht nur sehr nah mikrofoniert, was ihnen schon eine gewisse Härte gibt, oft wird auch noch der Nachklang abgeschnitten. Musik zum Alleinehören, aber fern davon, zum Wegdämmern einzuladen.

Peter Ablinger – Voices and Piano

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Der Komponist Peter Ablinger hat das Rauschen von Straßenkreuzungen für Instrumente transkribiert oder umgekehrt Instrumentalklänge so oft übereinander geschichtet, bis nur noch Rauschen zu hören war. Im Stück TIM Song wird eine telefonische Zeitansage benutzt, um über den Verlauf der Zeit des Stückes Auskunft zu geben.In der Reihe Voices and Piano hat Ablinger Aufnahmen berühmter Persönlichkeiten auf ihr melodisches Material hin analysiert und dieses für Klavier ausgesetzt. Aus kurzen Statements von Mao Tse Tung, Berthold Brecht, Martin Heidegger oder Mutter Theresa werden Klavierlieder – eine Gattung, von der ich recht sicher war, dass sie sich eigentlich erledigt hatte.

Iannis Xenakis – La Legende D’Eer

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Xenakis’ elektronische Musik (und vieles von ihm für Ensembles und Orchester) hat mich seit meinem Studium immer wieder begleitet. Insbesondere die großen, achtkanaligen Arbeiten Persepolis und La Legende D’Eer. Diese Musik mochte ich vor Allem, weil deren einzelne Elemente zwar immer wieder mal fast lächerlich klingen, dann aber in einer enormen Masse und Wucht auftauchen, vor allem aber in einer unnachgiebigen strukturellen Strenge durchgezogen werden, was ihnen eine Qualität gibt, die jenseits glatter Eleganz liegt. Dass diese Klänge auch noch wild um die Hörer herumrasen, kann man in der Stereoversion natürlich nicht hören. Sollte es eine Aufführung geben, kann ich jeder und jedem nur ans Herz legen, hinzugehen.

Enno Poppe – Arbeit

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Enno Poppe hat viel mit Keyboards gearbeitet, deren Tastaturbelegung er so verschoben hat, dass eigentlich alles rauskommen kann: Vierteltöne, Sechzehnteltöne; hohe und tiefe Töne können vertauscht oder vollkommen durcheinander gebracht werden. Auch wenn dies in manchen Stücken (zum Beispiel in Rad) noch radikaler durchgeführt wird, mag ich Arbeit sehr – vielleicht, weil es noch mehr Ebenen aufmacht als die technische: etwa diesen merkwürdigen Alleinunterhalter, der hinter seinem verstimmten Keyboard sitzt, auf nicht nachvollziehbare Art Orgelklänge durchprobiert und wie von einer Resterampe bekannte Klavierklischees wie Triller und Läufe zum besten gibt, ohne dass diese noch glänzen. Gerade die Stelle von Minute 5:20 an ist in ihrer rohen Schnodderigkeit stilgebend. Leider habe ich nur diese mäßig gute Liveaufnahme gefunden

Adolf Noise – Zuviel Zeit

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Wenn albern, dann auch richtig. Adolf Noise aka DJ Koze hat da mächtig Erfahrung. Sei es früher mit Fischmob oder als DJ gehört er zu einer Gruppe von Hamburger Jungs, die sich so gar nicht »erwachsen« benehmen wollen. Aber dabei ist die Musik sehr professionell produziert, fette Beats mit einer mir sehr sympathischen Schnörkellosigkeit auf den Punkt gebracht.

Christoph Ogiermann – Lebenddurchführung 18: Warum Perversion vielleicht doch Subversion ist (zizek2)

Lebenddurchführungen (= Live Performances) sind nachbearbeitete Improvisationen, die Christoph alleine bei sich im Studio spielt und aufnimmt. Roter Faden der insgesamt 23 Stücke ist ein No-Input-Kasettenrecorder, der analoge Feedbackklänge von sich gibt. Bei Christoph ist es immer dicht, laut, agressiv, direkt – und oft sehr witzig. Er ist immer noch viel zu unbekannt, dabei viel spannender, vielschichtiger und musikalisch komplexer als etwa Tarek Atoui (Wer ist Tarek Atoui?, d.Red.), der ähnlich agil hinter dem Mischpult steht.

Mr Bungle – Mr Bungle (1991)

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Diese erste Platte von Mr. Bungle hat mich zu Schulzeiten sehr beeindruckt und tut es immer noch, auch wenn die 1990er deutlich ihre Spuren hinterlassen haben. Zum einen wegen der schnellen Wechsel zwischen den verschiedenen Stilen – wie eine Cut-up-Technik, die aber nicht geschnitten, sondern von der Band gespielt wurde. Vor allem aber haben mich die »Zwischenspiele« zwischen den »offiziellen« Songs beeindruckt, in denen oft fast nichts zu hören ist, bis auf ein paar pubertär kichernde Jungs. Und dann die großen Lautstärkensprünge! Schon der Anfang: 30 Sekunden fast nichts, ein Schnarchen im Stereopan, dann eine Glühbirne, die zerplatzt, bevor es mit dem ersten Song losgeht; das alles ist ein bisschen narrativ, bildet aber von der Dynamik her eine Ausnahmeerscheinung. ¶