Am 16. Mai wird das ›Opus Magnum‹, Falling Still, von Felix Kubin in der Laeiszhalle aufgeführt. Hier führt er seine liebsten Anarchisten, Amateure, Außerirdischen, Borderliner und Punks vor.

Fotos Thomas Ekström · Datum 11.5.2016

Eigentlich müsste man an dieser Stelle noch eine Playlist mit Sachen von Felix Kubin einfügen. Weil wir euch aber auf dem Weg durch seine Lieblingsmusiken nicht aufhalten wollen, sei gesagt, dass der Hamburger mit zwölf seine ersten Sachen aufnahm, wovon die Mut spendende Compilation Wir Triumphieren. Bergedorfs Kinderbandszene 1982-85 ein messerscharfes Zeugnis ablegt. Er ist Radio-, Dada-, Lieder- und Soundkünstler, und sich auch der visuellen Dimension der Kunst mehr als bewusst. What’s New? Auf seiner super Website steht unter News:

my opus magnum Falling Still will be premiered at the grand hall of Hamburg’s beautiful Laeiszhalle. Tickets are going fast, so don’t be shy. Although there’s a children choir involved it’s not necessarily a piece that children would fancy on their ipod, unless they like disharmonic contemporary music. Here’s a nice little article of the local newspaper.

Neben den Chorknaben Uetersen sind noch zwei Schlagwerk-Solisten und das Ensemble Resonanz mit im und am Werk. Hamburg, du hast es gut. Das ganze findet nächsten Montag statt, in der Laeiszhalle, im Rahmen des 2. Internationalen Musikfests Hamburg.

Holger Hiller: Ohi oh bang bang

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Als gebürtiger Hamburger muss ich als allererstes eine Lanze für den Hamburger Holger Hiller brechen, einen der ganz großen Pioniere der elektronischen Sampling-Musik. Seine Experimentierfreudigkeit und seine Bezüge zur klassischen Moderne haben zeitlose (Anti-)Hits wie Hosen, die nicht aneinander passen und Johnny, Du Lump hervorgebracht. Im Ausland wird er dafür verehrt, in Deutschland ist er eher einem Insiderpublikum bekannt. Dass er auch ausgezeichnet mit Bildern umgehen kann und dazu einen großartigen Sinn für Humor hat, sieht man in diesem Musikvideo, das durch seine raffinierte Schnitttechnik (auf U-Matic, wohlgemerkt) damals neue Standards gesetzt hat und oft kopiert wurde.

Jani Christou: Strychnine Lady

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Anarchisch, archaisch, verstörend. Jani Christou, der auch Student der Philosophie bei Wittgenstein war, habe ich zum ersten Mal als geballte Ladung in den 90er-Jahren kennengelernt. Seitdem beschäftigt er mich. Seine Aufführungen haben eine starke psychologische Wirkung, manchmal erinnern sie an griechisches Theater, vor allem aber wird man das Gefühl nicht los, dass auf der Bühne gleich eine Panik ausbricht oder sich das Orchester in seine Bestandteile auflöst.

Renaldo & the Loaf: Songs for Swinging Larvae

https://www.youtube.com/watch?v=3n3MbVoLYns

Mein Lieblingsmusikvideo. Ich kenne nichts Vergleichbares, und meines Erachtens ist es auch das einzige reguläre Video von Renaldo & the Loaf, das übrigens damals in England noch Sendeverbot hatte. Die Musik wurde von den beiden Amateurkünstlern im Homerecordingverfahren aufgenommen und ist so speziell, dass man etwas Gewöhnungszeit braucht. Aus geheimen Quellen weiß ich, dass viele ihrer Stücke aus merkwürdigen Spielregeln hervorgegangen sind. Ein Beispiel: ein Text musste rückwärts aufgenommen werden, dann vom anderen vorwärts abgehört und lautmalerisch nachgesprochen werden, allerdings mit zwei Haken in den Mundwinkeln. So entstand dann das Stück Fluorescent Showboat to Tangier, das ich hiermit auch gleich wärmstens empfehlen möchte:

Cardiacs: To Go Off and Things

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Und da wir schonmal bei musikalischen Borderlinern sind, dürfen natürlich auch nicht die Cardiacs fehlen. Eigentlich hab ich für Indierock nicht so viel übrig, aber der wahnwitzige Collagenpop aus Ska, Punk, Rock, Zappa-Elementen und atonaler Musik, den diese Band seit den 80er Jahren produziert hat und in vollkommen ungebremsten, ziemlich kaputten Slapstickperformances präsentiert, ist so komplex und hakenschlagend, dass es nicht verwundert, dass sie niemals wirklich erfolgreich wurde. Die Musik wurde übrigens bis Ende der 90er Jahre eigentlich immer irrsinniger und bombastischer (hier noch ein Beispiel), bis schließlich Sänger und Komponist Tim Smith irgendwann seinen zweiten Schlaganfall bekam. Seitdem hört man nichts mehr von ihm.

Lucrecia Dalt: Ou (Album)

https://www.youtube.com/watch?v=of5ea1Th-hY

Eine junge Künstlerin aus Kolumbien, die seit geraumer Zeit in Berlin lebt und eine sehr sinnliche, verspielt-assoziative elektroakustische Popmusik produziert. Live arbeitet sie mit Echtzeitsampling ihrer Stimme, Gitarre und elektronischen Effekten. In einem Interview sagte sie einmal, dass sie beim Musikmachen gerne deutsche Autorenfilme der 70er Jahre schaut. Ihre neuen Veröffentlichungen klingen immer außerirdischer, wie man an diesem Beispiel hören kann. Irgendwann wird sie den Planeten vermutlich verlassen.

Last Ex: Girl Seizure

Auf diese Band bin ich zufällig gestoßen, durch dieses Video. Bisher haben die beiden Quebecer Musiker nur ein Album veröffentlicht, aber das wollte 2014 nicht mehr meinen Plattenspieler verlassen. Die Musik schwankt und oszilliert, mit Lapsteel-Gitarren, Elektronik, Schlagzeug (nie klang es schöner), sogar Violinen verlieren sich in Tape-Manipulationen, fremdelnden Melodien und suggestiven Modulationen. Manchmal schaut David Lynch durchs Schlüsselloch. Wir hören ein einziges aus der Achse der Welt brechendes Timbre exzentrischer Schwingungen, die den Mittelpunkt verloren haben, so wie diese Platte, die mit einem dezentralen Loch zur Welt gekommen zu sein scheint. Jeder Track ist ein Verbrechen, das niemals aufgeklärt wird, schon die Titel deuten darauf hin: Girl Seizure, It’s not Chris, Cape Fear, Ressurection Drive Part I, Hotel Kiss ….

Rashad Becker: Dances II

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Wer spricht? Möchte man fragen. Das Musikdebüt von Rashad Becker – Musikproduzent und bekannt als einer der weltweit gefragtesten und schwersterreichbaren Mastering-Engineers – lässt sich musikalisch sehr schwer einordnen. Seine ›traditional music of national species‹ hat großen Redebedarf. Gutturale, formantenartige elektronische Laute winden sich wie Girlanden um des Hörers Ohr, und wer sich nicht auf dieses Volapük einlassen will, wird das Weite suchen.

Sun Ra: Live-Improvisation

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Dieser Mann darf natürlich in meiner Liste nicht fehlen. Viel ist über ihn gesagt und geschrieben worden. Ich hatte 1991 eines seiner letzten Konzerte gesehen und wusste sofort, warum ich ihn so viel mehr schätzte als viele seiner Jazzkollegen: Ihm ging es nicht um Fingerfertigkeit, sondern um Ausdruck, um Haltung und um Grenzüberschreitung. Darin war er der Idee des Punk näher als viele Punkbands. Seine theatralischen Auftritte, seine künstlerische Unabhängigkeit, sein saturnisches Strahlen, das für mich eine bestimmte Form von Religiosität verkörperte, haben einen großen Eindruck bei mir hinterlassen. Als er starb, wusste ich sofort: das geht gerade erst los, wir fangen gerade erst an, ihn zu begreifen. Die posthume Wiederveröffentlichungsflut seiner Musik, die bis in die Jetztzeit reicht, scheint das zu bestätigen.