Ein Gastbeitrag von Joosten Ellée. Und ein Plädoyer für mehr Zusammenhalt.
Joosten Ellée studiert in Frankfurt Barockgeige im Master (nach einem »modernen« Geigen-Bachelor-Studium in Bremen). Er hat diesen Gastbeitrag zur von ihm erlebten Lagerbildung zwischen freier Szene und öffentlich geförderten Klangkörpern ursprünglich mit sehr demütigen Worten eingeleitet: Er selbst sehe sich als Student eigentlich noch nicht in der Position, sich zu dieser Thematik äußern zu dürfen. Weil aber gerade der frische Blick manchmal anderes entdeckt, darf er genau das an dieser Stelle.
»Life creates it, makes it grow. Its energy surrounds us and binds us. Luminous beings are we, not this crude matter.« – Yoda (Star Wars V)
Die durchschnittliche wirtschaftliche Situation von (freiberuflichen) Musikern ist den meisten bekannt, wird von fähigeren Leuten als mir diskutiert und immer häufiger Thema im politischen Diskurs. Es ist leider wahr, dass (freiberufliche) Musiker teilweise an der Armutsgrenze arbeiten. Aber auch die Schere, die zwischen dem Gehalt des Star-Chefdirigenten der Marsianischen Philharmoniker bis hin zum 3.-Geige-Tuttisten des Staatsorchesters Asgard (Namen vom Autor geändert) aufgeht und so weit offen ist, dass man Industriekletterer engagieren müsste, um die Scheiben dazwischen zu putzen, ist ein Fehler im System.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Zukunft nicht in der Anstellung bei einem festen symphonischen Orchester liegen wird, aus vielen Gründen. Allerdings nicht, weil ich die Musiker, die dort arbeiten, nicht respektiere. Es gibt einfach viele Leute, die diese Stelle mit Sicherheit besser füllen als ich. Außerdem möchte ich mein Arbeitsumfeld stärker selbst bestimmen können. Das geht in der momentanen Situation in Profi-Orchestern einfach nicht und das ist auch gar nicht schlimm. Durch diese Entscheidung bin ich relativ viel mit Musikern (teils etablierten teils sich etablierenden) der ultra-freien Alte-Musik-Szene unterwegs und ich liebe es!

Allerdings kann ich ein paar Klischees schon jetzt nicht mehr hören:
»Das Philharmonische Orchester Gotham City hat letztens Bach gespielt, das war furchtbar! Das geht ja sowieso nur mit Darmsaiten…«
oder
»Ich würde mich im Orchester nicht wohl fühlen, weil da ja nur Dienst nach Vorschrift gemacht wird«
Das kommt übrigens meistens gerade von den Mitmusikern, die dann um 21:30 am lautesten auf das Ziffernblatt ihrer peinlich beobachteten Uhr deuten. Da schämt sich selbst die Uhr.
Wenn man von der »freien Szene« liest, stellt man sich idealistische, fähige und wahnsinnig unabhängige Künstlerpersönlichkeiten vor. Die Wahrheit kann manchmal leider auch anders aussehen: Manche Freiberufler treiben das, was sie an ihrem »Feind« im Opernhaus kritisieren, mitunter selbst auf die Spitze. Bei allen Bemühungen, anders, beweglicher, autonomer zu sein, laufen Abgrenzungsversuche Gefahr, sich in Ignoranz und Intoleranz zu wandeln. Es ist nicht verwunderlich, dass eine Ausbildung, die hauptsächlich in der Übezelle stattfindet, nicht von Natur aus Sozialwunderkinder produziert. Absurderweise aber haben wir das Glück, dass der essentielle Teil unseres Jobs sich später außerhalb der Übezelle und in Zusammenarbeit mit anderen Menschen abspielt.
Was ist mit uns seit den exzessiven Projekten in Jugendorchestern, in denen wir bedingungslos unseren Tschaikowski geliebt haben, passiert? Wo ist all diese Energie hin? Dass das Studium einem teilweise die jugendliche Naivität beim Musikmachen nimmt, ist nicht zu vermeiden und in Maßen sicherlich auch sinnvoll. Allerdings habe ich das Gefühl, dass uns das Konkurrenzdenken und die Existenzangst vom eigentlichen Kern abbringt. Natürlich wird das Jugendorchester-Szenario oft glorifiziert, aber das Bild passt hier ganz gut: Lasst uns doch erstmal begreifen, dass Musik ein riesiger, bunter, polymorpher Haufen von Glitzer ist. Oder so etwas in der Art jedenfalls. An die eigene Kindheit denkend ist dieser Haufen auf dem komplexen Grundstein von musikalischer Erziehung aufgebaut. Wir sollten als Musiker also allen voran der Pädagogik danken, ihr den allerhöchsten Stellenwert einräumen und sie nicht als künstlerisch wenig erfüllenden Notfall-Plan betrachten. Und: Dieser Haufen ist letztendlich dann am stärksten, wenn er fest zusammenhält. Nur dann kann die Vielfältigkeit glänzen.

Ich erlebe das Ganze noch durch den Filter eines Studierenden /Berufsanfängers, aber gerade das erschreckt mich! Wir sollten doch allesamt als Musiker, oder vielmehr als Kreative ausgebildet werden und auch gemeinsam für einen vielfältigen Kreativmarkt ohne Scheuklappen einstehen. Wenn die Ausbildung sich nicht nur auf Solo-Karriere oder Orchester oder Pädagogik beschränken würde, fielen die Ähnlichkeiten von Musikern und gestressten Zugpferden vielleicht so gering aus, dass wir keine Scheuklappen mehr bräuchten. Wir sollten nicht gegeneinander kämpfen, sondern gemeinsam für mehr Mittel. Wir sollten für eine Gesellschaft kämpfen, in der Kultur insgesamt bewusst gefeiert wird.
Man könnte jetzt hier argumentieren, dass in unserer heutigen, kapitalistischen Welt Entscheidungsträger eben einfach nicht mehr Geld für Musik zur Verfügung stellen wollen. In einer Postwachstumszukunft könnte das alles sehr anders aussehen – mit Kunst als sehr nachhaltiger Möglichkeit, das Leben lebenswert zu machen. Es ist aber meiner Meinung nach noch viel einfacher: Wir brauchen Musik, weil sie als Kunstform uns Menschen wirklich menschlich macht – aber nur, wenn wir alle ein bisschen weniger aneinander herumnörgeln.
»That’s how we’re gonna win, not fighting what we hate, but saving what we love.« – Rose (Star Wars VIII) ¶