Unsere Redakteurin Alexandra Svokos traf Elīna Garanča in New York, nachdem sie mit Waltraud Meier den Opera News Award erhalten hatte (Opera News ist das Magazin der Metropolitan Opera New York und die auflagenstärkste Klassikpublikation der Vereinigten Staaten). Seitdem die in Lettland geborene Sängerin 2008 das erste Mal an der Met gesungen hatte, war sie dort fast jedes Jahr zu sehen und zu hören. Das Thema ihres Gespräches waren Neuproduktionen und die Arbeit von Sänger/innen mit Regisseuren, ein ewiges Spannungsfeld, im Guten wie im Schwierigen. (Gerade singt Elīna Garanča in einer Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper in Donizettis Oper La Favorite die weibliche Hauptrolle der Léonor de Guzman.)
VAN: Gibt es für dich einen Unterschied zwischen der Arbeit an einer Neuproduktion im Vergleich zu Sachen aus dem Repertoire?
Elīna Garanča: In einer Neuproduktion muss man sich die Rolle erst einmal irgendwie auf die eigene Innenwelt zuschneidern – natürlich in Übereinstimmung mit dem Verantwortlichen für die Inszenierung. Ich habe es unheimlich genossen, an der Met mit Sir David [McVicar] zu arbeiten (in dessen Inszenierung von Donizettis Roberto Devereux, d. Red.). Es war das erste Mal für mich und ich war so dankbar für all seine Inspiration, all seine Ideen und die Freiheit, die er uns gegeben hat.
Mit welcher Art von Regisseur/in arbeitest du gerne zusammen?
Mit denen, die wissen, was sie wollen. Die den Hintergrund kennen und erklären können, was warum passiert. Ich arbeite immer gerne an meinen Rollen, wenn es etwas gibt, über das ich nachdenken kann. Sir David war einer von den ein oder zwei Regisseuren, die in der Lage waren, jede einzelne meiner Fragen zu beantworten. Das ist extrem selten (lacht).
Du brauchst also den klaren Input von Regisseur/innen?
Absolut. Vor allem, weil ich ja immer auch mit meinem eigenen Verständnis einer Rolle ankomme. Ich bin aber nicht diejenige, die das Gesamtwerk zusammenstellt und den Überblick hat. Damit ich rüberbringen kann, was er oder sie möchte, muss ein Regisseur fähig sein, meine Fragen zu beantworten. Wir haben unser eigenes Leben, unsere eigenen Gefühle und Vorstellungen. Ich kann keine Maschine sein. Deshalb muss ich so viel wie möglich verstehen.
Wenn du ein Angebot für eine neue Produktion bekommst …
… frage ich immer: ›Wer ist der Regisseur, wer ist die Dirigentin und wer ist sonst noch besetzt?‹ Immer.
Was würde dich davon abschrecken, eine bestimmte Produktion zu machen?
Naja, einigen Regisseuren eilt ihr Ruf voraus und du weißt schon vorher, dass es eher skandalös wird. Dann gehst du entweder mit dem Wissen, dass es sehr anspruchsvoll wird, oder du lässt es. Ganz ehrlich, ich fände es sehr schwierig, mich auf der Bühne nackt oder so zur Schau zur stellen. Das ist manchmal eher Effekthascherei als eine wirkliche Notwendigkeit. Ich glaube, es gibt eine feine Grenze. Über guten oder schlechten Geschmack kann man nicht streiten, Geschmäcker sind sehr unterschiedlich.
Ich glaube, in dem Moment, in dem sich ein Sänger für das schämt, was er auf der Bühne tun muss, und sich das Publikum dann ebenso dafür schämt, es anzusehen – in dem Moment läuft offensichtlich etwas falsch.

Wie gehst du in einer Produktion mit so einer Situation um?
Ich diskutiere! Oft frage ich einfach nach und versuche, zu erklären, dass mir das nicht entspricht und dass ich so nicht frei bin und damit nicht meine beste Leistung liefern kann. Weil mich der Schockzustand, in den ich möglicherweise trete, blockiert. Dennoch finde ich es gut, herausgefordert zu werden. Oft gehe ich in Produktionen, von denen ich glaube, dass sie schwierig sein werden, auch gerade deswegen, weil es sich von dem unterscheidet, was ich mir vielleicht für diese bestimmte Rolle gewünscht hätte. Aber mal ehrlich: Ich war noch nie in einer Situation, in der ich die Leute vor die Wahl ›entweder ich oder die Produktion‹ gestellt habe. Entweder habe ich mich also gut geschützt oder ich wurde gut geführt (lacht).
Was war denn bisher das Anstrengendste oder Schwierigste, das du auf der Bühne tun musstest – abgesehen vom Singen?
Abgesehen vom Singen?! Wenn ich auf der Bühne bin, dann singe ich meistens (lacht)! Von den Produktionen hier an der Met gab es zwei, von denen ich sagen würde, dass sie eine sehr intensive physische Vorbereitung nötig machten. Die eine war definitiv Carmen (2009, in der Inszenierung von Richard Eyre, d.Red), weil es darin viel Tanz und viel Bewegung gab. Der Choreograf hat mir wirklich viel abverlangt, ich glaube, ich war in meinem Leben noch nie so fit wie in der Zeit von Carmen. Die andere ist auf jeden Fall das zweite Duett mit der Figur des Duke von Nottingham in Roberto Devereux. Einfach, weil man sich da so viel bewegt und die Bühne sehr groß ist. Um diese beiden Sachen aufführen zu können, bin ich wirklich aktiv ins Fitnessstudio gegangen, nur um so fit zu werden, dass ich mich gleichzeitig bewegen und dabei singen konnte.
Arbeitest du mit den Choreografen und Regisseuren auch, wenn es um die stimmlichen Anforderungen an eine Rolle geht?
Weißt du, ein freier Körper macht eine freie Stimme. Das ist das Wichtigste. Wenn man sich viel bewegt, ist man weniger steif und konzentriert sich nicht ausschließlich auf die Stimme. Trotzdem muss man seine Stimme so gut unter Kontrolle haben, dass die Bewegungen, dass Beine und Füße das Singen nicht beeinflussen. Ich arbeite gerne mit Leuten, die ein gutes Gefühl für Körpersprache haben. Oft sind es die kleinen Gesten – wie du aufstehst, dich hinsetzt, die Hand hebst –, die den jeweiligen Charakter ausprägen. Wenn ein Choreograf mitarbeitet, werde ich ihn mit großer Wahrscheinlichkeit darum bitten, mir zu bestimmten Szenen die passenden Bewegungen zu zeigen.
Machst du lieber Neuproduktionen oder Repertoire?
In den Neuproduktionen kann man eher eine Rolle schaffen, die auf einen selbst zugeschnitten ist. Da kann man versuchen, die Produktion und den Regisseur zu beeinflussen und alles anbieten, was man im Gepäck hat. Das ist aber auf der anderen Seite oft eine sehr lange und einsame Zeit, weil man weit weg von zu Hause und der Familie ist. Es ist ziemlich anstrengend, über sechs Wochen die ganze Zeit zu proben und die Konzentration aufrecht zu erhalten. Manchmal ist man schon vor der Premiere mit den Proben durch, hängt nur rum und wartet, wartet, wartet – und manchmal hat man das Gefühl, noch eine Woche mehr vor der ersten Aufführung zu brauchen. ¶