Die interessantesten Beiträge der diesjährigen Donaueschinger Musiktage.
Tk tk. T-tk t-tk t-tk tk. Links neben dem Publikum im Mozart-Saal der Donaueschinger Donauhallen klacken einsam die Buchstabenhämmerchen einer Schreibmaschine. Tk tk-tk tk tk. Dann unterbricht: Das SWR Symphonieorchester unter Leitung von Pascal Rophé mit kollektivem Pusten, Sirren, Zischen; einer rauschenden Fläche ohne erfassbare Tonhöhen jedenfalls. Von rechts neben dem Publikum antwortet ein zweiter Schreibmaschinist mit einsamen Klack-Lauten über der pustenden Orchestergrundierung. Intervention des Schlagwerks mit Paukenwirbel und dem Ratschen auf Klangobjekten. Malin Bångs Komposition splinters of ebullient rebellion lebt vom Spiel tonhöhenloser Klangfarben, die durch unterschiedliche, meist perkussive Verfahren hergestellt werden. Bürste auf Styropor, Klopfen auf Geigenrücken, Grollen, Rauschen; Bänder, die durch Trommelfelle gezogen werden und dabei eine Art Heulen verursachen, das Durcheinanderflirren leiser Streicherglissandi, Schläge auf unterschiedlichste Klangobjekte.

Für ihr Stück erhält die schwedische Komponistin mit gutem Recht den Orchesterpreis des SWR Symphonieorchesters. Nicht nur überzeugt die abwechslungsreiche Arbeit mit den unterschiedlichen Klangkonsistenzen. Sie ist gleichsam nur Vorbereitung auf einen zarten, fast zauberhaften Moment: Nach einer Weile tritt wie aus dichtem Nebel von weit entfernt der Glöckchenklang von Spieluhren hervor. Ganz rein klingen die tönchenproduzierenden Apparate, ähnlich dem Zimbelstern einer Orgel an Heiligabend. Und vor allem: Zum ersten Mal in der gesamten Komposition werden – leise, durch Zurücknahme des Orchestertosens – überhaupt Tonhöhen hörbar, auch wenn es keine richtige Melodie ist, die die Spieluhren hervorbringen, sondern eher anarchisches Blinken und Glitzern der Glöckchen. Mit diesem fast magischen Moment ist das Stück noch nicht zu Ende, das Orchester setzt als wirrer Chor murmelnd Sprechender ein und zitiert Texte aus jüngeren Pop-Songs, »die zu Symbolen für Demokratie und Menschenrechte geworden sind«. Was es für Texte sind, erfährt man nur aus dem Programmbuch. Hören tut man: eine irgendwie agitierte Menschenmenge, deren diffuse Äußerungen von Schreibmaschinengeräuschen durchlöchert werden. Der Komposition liegt also auch ein politischer Subtext zugrunde, aber sie überzeugt vor allem durch ihre Klanglichkeit, durch das Zart-Zauberhafte des plötzlich freigelegten Glöckchenklangs. Auch darin könnte man, wenn man wollte, eine politische Botschaft erkennen.

Auffällig viele Kompositionen der diesjährigen Donaueschinger Musiktage für Neue Musik zielen auf Zartheit. Filigran bleibt etwa über lange Strecken Oscar Strasnoys d‘amore, eine Komposition, die sich um den weichen, leisen Klang der von Garth Knox gespielten Viola d‘amore entwickelt und bei der das Ensemble Modern die Klangfarben des Soloinstruments quasi zum Rückgrat nimmt, um deren einzelne Strukturmomente weiterzuspinnen. Das reine Uraufführungsfestival unter der künstlerischen Leitung Björn Gottsteins bringt in diesem Jahr überdurchschnittlich viele Stücke auf die Bühne, die sich hören lassen können: einige richtige gute und sonst viel Solides. Zu den richtig guten Stücken gehört Klaus Langs parthenon. Auch dies eine zarte Komposition. Angenehmerweise verweigert sich Lang dem vage labernden und plustrigen Programmtextgenre und schickt zum Druck lediglich eine Fotografie des athenischen Parthenon ein. Das Verhältnis der Ruine zum klingenden Gebilde zu erraten bliebe der Hörerin selbst überlassen, die das Stück allerdings lieber mit Nebelmetaphern beschreiben möchte. Beeindruckend an der Komposition: Innerhalb des Nebels geschieht in den zwanzig Minuten enorm viel. Das vom Cikada Ensemble aufgeführte Stück beginnt in zwei Gruppen aufgeteilt, in höhere und tiefere Instrumente, die jeweils gemeinsam einen liegenden Ton spielen, ihn auch hin und wieder gemeinsam wechseln. Wie Bång kreiert auch Lang leise, sirrend-flirrende Flächen, transparent und porös, zunächst aus Flageoletts und einem einzelnen im Klavier immer wieder sanft angeschlagenen Ton. Langs Klangflächen lassen aber mehr Tonelemente erkennen, statt ihre Identität aus dem Perkussiven zu beziehen. Die beiden liegenden Tonlinien zu Beginn von Langs Stück zerstäuben sich bald und fächern sich auf in den Klangnebel aus Clustern. Weiterhin bleibt die Musik leise und flirrend, arpeggierte Akkorde kreieren etwas Schwebendes. Der Nebel ändert stetig seine Konsistenz: mal leuchten reine Geigenquinten daraus hervor, mal verdüstert sich die geclusterte Harmonie. Die Binnenbewegungen bleiben trotz ihrer Subtilität ergiebig und münden in ein schillerndes, arpeggiertes Prisma mit einer Ahnung von Dur, auch hier auf einmal eine leuchtend-zarte, fast sakrale Klarheit, ähnlich dem Bångschen Zimbelsternmoment. Der Nebel hat sich inzwischen verzogen.
Die Nebelassoziation drängt sich vielleicht genauso wegen der örtlichen Gegebenheiten wie wegen der kompositorischen Faktur der Lang‘schen Komposition auf: Samstagmorgens wabern dichte, kalte Wassertröpfchenmassen durchs Schwarzwaldstädtchen Donaueschingen. Am späten Vormittag weichen sie warmem Sonnenschein, der das bunte Laub leuchten lässt und zum Spaziergang entlang der Brigach in den Schlosspark lockt, wo man am Fischhaus eine der fünf Klanginstallationen erleben kann, bestehend aus bolivianischen Pfeifengefäßen, die im und um den kleinen Parkpavillon verteilt sind. Oder man setzt sich am Rande der zentralen Karlsstraße auf die Terrasse der Konditorei und sonnt sich dort. Trotz der offensichtlich starken Auslastung des Cafébetriebs wegen des Festivals findet der Bedienstete an der Theke die Zeit, sich freundlich zu erkundigen, wie denn der diesjährige Musiktagejahrgang sei? Ganz gut eigentlich, nur etwas sehr dicht bepackt das Programm… Die Donaueschinger Bevölkerung beeindruckt jedes Jahr von Neuem mit einer fast surrealen Gastfreundschaft, statt sich darüber zu beschweren, dass ihre kleine Stadt jeden Oktober ein Wochenende lang von den schrägen Gestalten der Neuen Musik gekapert wird, von Komponistinnen und Musikstudierenden, Ensemblemusikern, Dramaturginnen, Berichterstattenden natürlich, und solchen, die aus bloßer Neugier gekommen sind. Da in keinem Jahr das gesamte Musiktagepublikum in Donaueschingen selbst beherbergt werden kann, organisiert die Touristeninformation einen kostenlosen Fahrdienst in die umliegenden Ortschaften, und die Fahrerinnen führen dann informations- und anekdotenreich über die Landstraßen zur anvisierten Unterkunft. Auch im Ort selbst kann man sich zwischen den Spielstätten stets zuverlässig kutschieren lassen, um sogar dann pünktlich im nächsten Konzert zu landen, wenn die Konzerte so lang dauern, dass die zwanzig Fußminuten zwischen der Sporthalle der Erich-Kästner-Schule und den Donauhallen nicht mehr drin sind. Denn genau genommen bleibt für Donauspaziergänge zumindest am Samstag nicht viel Zeit.
Wären die Kompositionen im Durchschnitt um etwa ein Viertel kürzer, nicht nur der logistische Ablauf der Musiktage würde davon profitieren. Es präsentieren ja wirklich viele Stücke gute Ideen in diesem Jahr: anregende Klangexperimente oder poetische Interaktionen zwischen Bühne, Bild und Klang. Vielversprechende Materialkonstellationen in einen prägnanten Zeitstrukturierungsentwurf umzusetzen drängt sich aber als Aufgabe auf, der grundsätzlich vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden könnte. Selbst einige der besten Kompositionen des Musiktagejahrgangs weisen leichte Beeinträchtigungen durch diese Problemlage auf. Enno Poppes Rundfunk gelingt es noch mit Abstand am besten, die ganzen sechzig Minuten nicht bloß auszufüllen, sondern die Dauer durch sinnvolle Dramaturgie zu rechtfertigen.

Die Musiker des ensemble mosaik unter Leitung des Komponisten (und lustigerweise alle mit Oberteilen in dessen Haarfarbe bekleidet) haben ihre gewohnten Instrumente gegen Synthesizer eingetauscht, anhand derer sie über historisches Klangmaterial von Computern und Keyboards der 60er- und 70er-Jahre verfügen: Aus diesen Sounds setzt Poppe seine neue Musik zusammen. Sie beginnt mit kurzen Klangtrauben aus Pünktchen unterschiedlicher Soundcharaktere um eine Tonhöhe herum, sodass harmonieähnliche Tiefe eher zwischen den unterschiedlichen, aneinander gruppierten Charakteren entsteht als durch klassische Akkorde. Die Trauben lösen sich auf zugunsten einer flächigeren Textur aus den gleichen atomistischen Bausteinen. Schichtungen von Orgelpunkten leiten einen neuen Formteil ein. Die Komposition folgt einem gedehnten Spannungsbogen, der aber doch bis ins Detail wahrnehmbar ist, sofern einem die Konzentration auf die langsame Entwicklung desselben gelingt.
Im Gegensatz zu Marco Stroppas Come Play With Me, einer Studie über die Amalgimierung und Transformation scharf-knittrig-glänzender Klänge von SWR Symphonieorchester und IRCAM-Elektronik. So interessant die Neumischung der Farben gelegentlich gelingt oder so charmant die Boxen an einer Stelle schrille Melodiewürmer in den Saal schicken – insgesamt scheint die Technik des IRCAM hier ausufernd viele Möglichkeiten zu eröffnen, die durch klarere kompositorische Kontur hätten gebändigt werden müssen. Ähnlich Georges Aperghis’ Thinking Things: eine Kreation, die sich (ebenfalls unter Beteiligung des IRCAM) mit den transhumanistischen Möglichkeiten von Roboterimplantaten im Menschen beschäftigt. Auf der Bühne steht eine Leinwand. Wie ein Puppenhaus hat sie Fenster, durch die die Schauspieler-Sänger mit verkabelten Köpfen gucken oder durch die man diese Menschen bei einem kleinen aufgebahrten Roboterwesen wachen sieht. Die Leinwand dient auch als Projektionsfläche für die Aufnahmen der Überwachungskameraaufnahmen, die die Szene aus anderen Winkeln im Blick behalten. Die motivische Verzahnung der verschiedenen Ebenen inklusive der klanglichen, die etwa Stimmmelodien abstrahiert oder als Fiepsen und Scan-Geräusche aus der Vermessung der Körper und ihrer robotischen Anbauten gewonnen zu sein scheint, ist fein gearbeitet und produziert nicht wenige poetische Bilder. Aber nachdem man bald die Szenerie erfasst hat, erschließt sich der weitere Verlauf in seiner Begründung von Dauer und Reihenfolge nicht mehr richtig.

Ganz anders Mirela Ivičeićs CASE WHITE: Mit seinen kompakten neun Minuten gesellt sich die Komposition fürs Klangforum Wien am Sonntagmorgen in die Spitzengruppe zu Bång, Lang und Poppe. Äußerst prägnant fügt die Komponistin Felder und Ebenen unterschiedlicher Aktivitätsmodi in- und aneinander, wagt sogar eine kurze melodiöse Eskapade der Bratsche und lässt kurz vor Schluss eine gestopfte Trompete traurig-dramatisch aufsingen.
Damit ist es nicht nur gelungen, immerhin ein Drittel der diesjährigen Donaueschinger Uraufführungen von Frauen schreiben zu lassen, wie Gottstein bereits zu Beginn des Festivals zufrieden festgestellt hatte. Mit den Kompositionen von Bång, Lang, Ivičeić und Poppe als den interessantesten des Festivals wäre in dieser Liga erfreulicherweise sogar vollständige Parität hergestellt. ¶