Gespräche über das Hören und das Fremde – zwischen Wissenschaft, Philosophie und Musik. Der Bunkersalon ist eine Gemeinschaftsproduktion vom VAN Magazin und vom Ensemble Resonanz. Die erste Folge in der vergangenen Woche war »Galaxy«: Nicht erst seit Joachim-Ernst Berendts Nada Brahma von 1983 erforschen die Menschen in Teilchenphysik und Meditation die Schwingungshaftigkeit des Kosmos. Und nicht erst seit ein wissenschaftlicher Essay über die Weite des Alls dem Komponisten Georges Lentz 2002 für Wochen den Boden unter den Füßen weggezogen hat, sind dessen Werke rar wie bewohnte Planeten im Sonnensystem. Ist der Kosmos Musik? Oder umgekehrt? Und wenn ja, in welcher Stimmung?Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dominik Schwarz (Astrophysiker), Felix Kubin (Weltallexperte und Künstler) und Georges Lentz (Komponist). Moderiert von Patrick Hahn.Teil 1/2: Afrofuturismus und Stockhausen, die Mondlandung und Studio Gagarin und schließlich die Erkenntnis: Das Weltall macht Musik.

Die Städte am Himmel, ihr Leuchten erzählen; / Milliarden von Jahre, wenn ganze Bahnen der Milchstraße schlafen, / sich einmal so ins Verhältnis setzen; zwischen zwei ruhigere Seitenarme, / und in der Ferne Andromeda, der nächste, unfassbare Nachbar. / Die Galaxie also ordnen, ohne ein Oben, das Nichtgekannte / willkommen heißen, als eigenen Atem, lautlos in sich selbst bestimmen, / in Variationen, im Kanon singen; während der Orionnebel / weiter fleißig Sterne gebiert. Da ist soviel Platz da. Und wir, / Kalium in den Knochen, Kohlenstoff in den Zehen, tragen in uns / die Elemente vergangenen Lebens, Neugier im Körper / wie Haare in der Haut, horchen, was sich zusammenbraut; / dieses eine Lieben, älter als wir.

(Rike Scheffler)

YouTube video

Space is the place — Sun Ra

Felix Kubin: Sun Ra ist einer der Erfinder des Afro-Futurismus und hat sich in seiner ganzen Haltung, nicht nur in der Musik, schon sehr früh immer auf das Weltall und die Sterne bezogen. Und er hat eine sehr eigensinnige Musik entwickelt mit seinem ›Arkestra‹, wie er es nennt.

Patrick Hahn: Sun Ra, da steckt auch schon der alte ägyptische Sonnengott Ra drin — was war das denn für eine Bewegung, diese Afro-Futurismus-Bewegung? Kodwo Eshun hat gesagt, die waren heller als alle Sonnen unterwegs.

Felix Kubin: Ja, das ist die beste Beschreibung, würde ich sagen. Also ich bin kein Experte des Afro-Futurismus, ich kann nur sagen: Ich konnte noch ein Konzert von Sun Ra miterleben, 1991 oder ’92 – was ich da gesehen habe hat mein Leben verändert. Ich würde sagen, es hatte viel mehr mit Performance, Theater zu tun. Es war auch so etwas wie eine Art fröhliche religiöse Sekte, die da auf der Bühne unterwegs war, und es wurden zwischen ziemlich freien Improvisationen immer diese Hymnen gesungen. Das Stück Space is the place haben die glaube ich bei jedem Konzert gesungen.

Patrick Hahn: 1969 veröffentlichte Sun Ra sein letztes Studioalbum, Atlantis – 1969 passierte die Mondlandung. Diese neue Erfahrung, dass man plötzlich wirklich im Weltall sein konnte, das ist natürlich etwas, was auch zahlreiche Künstler inspiriert hat, man denkt sofort an Karlheinz Stockhausen. Was hat der denn im Weltraum gesucht? Was anderes als Sun Ra?

Felix Kubin: Also Stockhausen hat ja mal gesagt, dass er zwar noch in Kürten bei Köln lebe, aber dass er wieder nach Sirius zurückkehren werde, wo er geboren ist. Und ich glaube, da ähneln sich Sun Ra und Stockhausen, so unterschiedlich sie auch sowohl in ihrer äußeren Erscheinung als auch vielleicht in ihrer Herkunft und ihren institutionellen Werdegängen sein mögen. Beide haben im Grunde in der Welt da draußen nach der Inspiration für ihre Musik und für ihre Kunst gesucht, nicht im Irdischen. Und was mir auch aufgefallen ist, dass sie beide ab einem gewissen Zeitpunkt immer in wallenden Gewändern rumgelaufen sind.

Patrick Hahn: Als junger Künstler haben Sie schon ein Label gegründet, Studio Gagarin. Haben Sie da als kleines Baby etwas von dieser Mondlandung mitbekommen?

Felix Kubin: Also ich habe in den 1990er Jahren aus Frustration über die Radiolandschaft – und ich meine jetzt wirklich alles, öffentlich-rechtliche Sender und private Sender – mit anderen beschlossen, diese Lücke zu füllen. Wir haben dann eine Sendung gegründet, die wir auf dem Hamburger Sender FSK – Freies Sender Kombinat – gesendet haben, die Sendung hieß »Radio Gagarin«. Die Idee dahinter war, dass Juri Gagarin nach seinem ersten Flug gar nicht mehr zurückgekehrt ist auf die Erde, sondern immer noch im Orbit um die Erde herumkreist und im Laufe der Zeit natürlich seinen Verstand ein bisschen eingebüßt hat oder sagen wir mal: sich eine andere Realitätswahrnehmung angeeignet hat. Wir haben dann immer gesagt: Das, was wir da an Programm spielen wurde uns telepathisch mitgeteilt – oder eben über Funktechnik – von Juri Gagarin.

YouTube video

Karlheinz Stockhausen, Sirius

Patrick Hahn: In Ihren Stücken gibt es auch Anspielungen auf Himmelskörper, zumindest lese ich das so, wenn Sie ein Stück geschrieben haben mit dem Titel »Lunatyk« (spricht es englisch lunatic aus).

Felix Kubin: ›Lunatyk‹ (spricht es anders aus). Das ist ein polnisches Wort, und ich war ganz froh, als ich es gefunden habe, denn das ist eine Komposition für einen Freund von mir, Miłosz Pękala, ein polnischer Vibraphonist. Nachdem er mir so ein paar Klänge vorgespielt hat, woraus ich dann die elektronischen Sounds entwickelt habe, hatte ich das Gefühl, dass sich gerade das Vibraphon sehr gut dazu eignet, so etwas wie große Räume darzustellen oder komplexe harmonische Obertonreihen. Es hat so ganz eigenartige Schwingungsverhältnisse. Und »Lunatyk« ist polnisch für ›Schlafwandler‹. Also das gefiel mir wahnsinnig gut, weil ich mir das gut vorstellen konnte, so einen Schlafwandler im Weltall, vielleicht ein Astronaut, der irgendwie abgekoppelt wurde von seiner Sauerstoffversorgung und dann so langsam eindämmert und vor sich hin träumt.

YouTube video

Lunatic

Felix Kubin: Wir gehen immer davon aus, dass wir genau wissen, was Klang und was Hören ist, die Wahrnehmung von irgendwelchen Schwingungen, ›Klang ist nichts weiter als bewegte Luft‹. Klang kann man aber auch unter Wasser wahrnehmen, also es geht eigentlich nur um das Fortpflanzen bestimmter Wellenbewegungen oder Schwingungen in einem Medium. Da habe ich mir natürlich gedacht: Die String-Theorie geht ja auch davon aus, dass es so was ähnliches, wie ein weitverzweigtes, riesiges, vielleicht unendliches Netz von energetischen Schwingungen gibt oder eben sogenannte Strings, die entweder geschlossen sind oder offen – das wissen Sie wahrscheinlich besser Herr Schwarz, ob wir tatsächlich alle aus kleinsten schwingenden Teilchen bestehen … Aber diese permanenten Schwingungen produzieren vielleicht die ganze Zeit Musik?

Die Gespräche im Bunkersalon begleiten die Konzertserie »Into the Unknown« des Ensemble Resonanz. Hier ein Live-Mitschnitt der »Galaxy«-Augabe: Variation 1 aus den Goldberg-Variationen von J.S. Bach; Laeiszhalle Hamburg am 23.9.2016

Seit der Revolution in der Moderne können wir davon ausgehen, dass Musik nicht durch harmonische Klänge definiert ist, sondern dass jedes Geräusch auch als Musik wahrgenommen werden kann, wenn man es als Musik wahrnehmen möchte, also das hier (Wasserglas klingt) kann ich auch als Musik wahrnehmen, das ist jetzt ein Stück gewesen, das habe ich gerade komponiert, das kann ich bei der GEMA anmelden. Die GEMA liebt es übrigens für solche Stücke, die so eine Zehntel Sekunde lang sind, eine Anmeldung zu bekommen. Aber was ich damit sagen möchte: Diese ganzen Schwingungen aus denen wir auch selbst bestehen, wir bestehen ja auch aus Elektrizität, — alles, was im Gehirn läuft, sind ja elektronische Abläufe — das Hören ist eine Umwandlung einer Luftbewegung in Elektrizität, die wiederum uns das Gefühl gibt, dass wir irgendeinen Klang oder eine Sprache wahrnehmen. Also wenn man davon ausgeht, dann wäre es interessant zu sagen, klingt das ganze Weltall und wonach klingt es und wo setzen sich die ganzen Schwingungen fort?

v.l.n.r. Prof. Dr. Dominik Schwarzer, Moderator Patrick Hahn, Felix Kubin
v.l.n.r. Prof. Dr. Dominik Schwarzer, Moderator Patrick Hahn, Felix Kubin

Dominik Schwarz: Also streng genommen, im Sinne von Akustik oder Schall, wie wir ihn wahrnehmen, klingt im Universum natürlich nichts, weil es größtenteils ein luftleerer Raum ist. Und wie Sie ja schon gesagt haben, ist Schall oder Akustik etwas, was sich in einem Medium ausbreitet und wenn es kein Medium gibt, dann hört man das natürlich nicht.

Felix Kubin: Aber früher dachte man immer, es gäbe den Äther! Das war ein erfundenes Medium?

Dominik Schwarz: Ja, das war ein erfundenes Medium, das gibt’s nicht, den Äther. Es gibt natürlich Wellen, die können auch schwingen, ohne, dass sie ein Medium haben, das sind elektromagnetische Wellen, die Sie mit ihrem Radio empfangen können. Oder Gravitationswellen, die man vor kurzem entdeckt hat.

YouTube video

Hier ist das Signal, das man mit diesen Gravitationswellendetektoren aufgefangen hat, einfach hörbar gemacht. Was hier schwingt, ist nicht Luft oder so, sondern was hier schwingt, ist der Raum und die Zeit selbst. Raum und Zeit werden durch Gravitationswellen deformiert, das heißt: die Abstände ändern sich, also wenn eine Gravitationswelle zwischen uns vorbeiläuft, dann ändert sich unser Abstand, aber nur unmerklich.

Felix Kubin: Die ändern sich periodisch?

Dominik Schwarz: Ja, genauso wie bei einer Schallwelle. Und das Interessante ist: Diese Gravitationswellen, die man vor kurzem entdeckt beziehungsweise zum ersten Mal nachgewiesen hat, haben Frequenzen, die genau unseren hörbaren Frequenzen entsprechen. Deswegen hat man das dann einfach auch umgesetzt in ein Schallbeispiel. Und wie weist man das nach? Man hat zwei riesengroße sogenannte Laserinterferometer in den USA gebaut. So ein Laserinterferometer schießt Laser in zwei Richtungen, da ist ein Spiegel aufgehängt an beiden Enden und der Strahl wird sehr sehr oft reflektiert und wird zur Interferenz, zur Überlagerung gebracht. Das heißt, wenn sich zwei Wellenberge überlagern, dann wird das Signal stärker und wenn sich ein Berg und ein Tal gegenseitig überlagern, dann wird das Signal ausgelöscht. Und dann stellt man das Interferometer so ein, dass man, wenn alles ruht, dort wo man es beobachtet, nichts sieht, dass man ein ausgelöschtes Signal sieht. Und wenn jetzt eine Gravitationswelle durchläuft, dann beginnen sich diese Spiegel, die man gleichzeitig als Testmassen verwendet, leicht zu bewegen, und dadurch sieht man plötzlich das Laserlicht wieder und so kann man das nachweisen. Man sieht sozusagen wie das Laserlicht kommt und geht und das ist das Signal, was man wirklich misst und das kann man dann ummessen in ein akustisches Signal.

Das ist das Original-Signal, und dann ist es nochmal in der Frequenz hochgesetzt, dass man es besser hört. Was man sieht: Es passiert auf beiden Interferometern das Gleiche, und man hört ein Signal, was mit niedrigen Frequenzen beginnt und dann in der Amplitude um diese Frequenz zunimmt. Interpretiert wird das Signal so, dass das zwei große schwarze Löcher sind, die umeinander kreisen und immer schneller werden und am Schluss verschmelzen und dann ist das Signal weg. Das war also gerade die Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern, die wir da gehört haben.

Ensemble-Resonanz Bratscher Tim-Erik Winzer am DJ-Pult
Ensemble-Resonanz Bratscher Tim-Erik Winzer am DJ-Pult

Felix Kubin: Und das passiert so schnell?

Dominik Schwarz: Das ist wirklich die reelle Zeitachse. Hier steht 0,5 Sekunden bis 1 Sekunde, also so lange hat das Ganze gedauert. Der ganze Prozess – die zwei schwarzen Löcher treffen sich irgendwann und beginnen sozusagen einen Tanz –, der geht Jahrhunderte lang, ohne dass wir ihn bemerken, aber dann verlieren die beiden Energie, und die Bahn wird immer enger und enger. Und den allerletzten Moment, wo so viel Energie abgestrahlt wird, dass sie dann ineinander fallen, den kann man messen.

Felix Kubin: Und die löschen sich aus in dem Moment?

Dominik Schwarz: Nein, die werden dann ein großes schwarzes Loch. Also aus dem Signal kann man rekonstruieren, dass das zwei schwarze Löcher waren, die beide ungefähr um die 30 Sonnenmassen hatten und dass in dem Moment, wo die verschmelzen, die Energie von drei Sonnenmassen abgestrahlt wurde in Form von Gravitationswellen.

Patrick Hahn: In einer Entfernung von?

Dominik Schwarz: Das war in etwa …

Patrick Hahn: … es kommt nicht so auf das Lichtjahr an.

Dominik Schwarz: Das ist eine Entfernung von Milliarden Lichtjahren.

Felix Kubin: Aber woher weiß man, dass es keine Fehlermessung ist? Weil es gab ja in den 1970er Jahren schon einmal dieses berühmte Wow!-Signal.

Dominik Schwarz: Ja, das waren nicht Gravitationswellen, sondern die Idee, extraterrestrisches Leben nachzuweisen.

Felix Kubin: Genau, aber da wurde glaube ich ein ganz starkes akustisches Signal auf irgendeiner Frequenz von Wasserstoff oder so empfangen und da ist aber auch nicht ganz klar, ob das vielleicht doch irgendwie nur ein …

Dominik Schwarz: Genau, deswegen hat man zwei Detektoren, die sind 3.000 Kilometer entfernt voneinander. Und wenn man das nur an einem Detektor sehen würde, dann wär’s wesentlich unklarer, ob das etwas ist, was aus dem All kommt, oder was Irdisches. Also ganz normale seismische Aktivitäten wie ein Erdbeben und die Brandung der Ozeane und so weiter setzen diese Detektoren auch in Schwingung und das passiert aber nicht kohärent, das passiert zu unterschiedlichen Zeiten anders an den beiden Detektoren.

Patrick Hahn: Aber was wir jetzt gehört haben, war ja auch ein Ergebnis eines Übersetzungsprozesses in Schall. Und Sie haben gesagt, diese Wellen entsprechen den Frequenzen dessen, was wir auch hören können. Also das heißt: Das Weltall macht Musik.

Dominik Schwarz: Ja, also das ist wirklich im 100-Hertz-Bereich, also 400–1.000 Hertz, sowas in der Richtung, ja.

Patrick Hahn: Also heißt das, das Weltall macht Musik, wir können es nur nicht hören?

Dominik Schwarz: Ja, das kann man so interpretieren, natürlich.

Patrick Hahn: Und die Musik, die das Weltall macht, klingt aber eher so wie Deephouse.

Felix Kubin: Wie der Break im Deephouse. ¶

Nächste Woche Teil 2: Georges Lentz mischt sich ein und: Warum ist das Weltall verstimmt?