»Was glaubt ihr denn? Was glaubt ihr denn, wer wir sind? Was glaubt ihr denn, wo wir uns verstecken?« Der Autor und Regisseur Björn Bicker lässt in seinem Theaterstück und Buch Urban Prayers den Chor der Gläubigen sprechen, die Religionsgemeinschaften der Megacities. Muslime, Juden, Hindus, Sikhs, Buddhisten und Christen – von orthodox bis evangelistisch – fallen sich ins Wort, sprechen über das jeweils Fremde, ihren Glauben, das Miteinander. Bei der diesjährigen Ruhrtriennale ging Bicker mit lokalen Künstlern und dem ChorWerk Ruhr in Gotteshäuser, gerade war er mit der Veddel Embassy in Venedig, am 26. November kommt er zum von VAN und Ensemble Resonanz veranstalteten Bunkersalon in den Resonanzraum nach Hamburg. Nach einer musikalisch durchsetzten Lesung wird er im Gespräch mit Christoph Twickel und Musikern verschiedener Glaubensrichtungen der Frage nachzugehen, ob Musik den Glauben noch braucht – und anders herum. Wir haben ihn angerufen.

Was fasziniert Dich am Glauben?

Ich habe mich in den letzten Jahren sehr intensiv mit Migration befasst, noch bevor das Thema nun explodiert ist und auf einmal überall diskutiert wird. Dabei ist mir immer wieder aufgefallen, dass die Religion in all ihren Facetten immer mehr in den Vordergrund gerückt ist. 2010 habe ich mit den Recherchen für das Theaterstück Urban Prayers begonnen und bin auf so viele spannende Themen, aber auch politische Schieflagen gestoßen, dass mich das nicht mehr losgelassen hat. Mein Interesse am Glauben ist aber auch ganz persönlicher Natur. Religiöse haben mich immer fasziniert, ich beneide die wahnsinnig. Um vieles.

Ist der Chor der gläubigen Bürger eigentlich eine Referenz ans antike Theater?

Der Chor verweist tatsächlich auf alte Formen des Sprechens, des Singens. Als ich mit den Recherchen begonnen und damit angefangen habe, in München diese vielen, verschiedenen, religiösen Gemeinschaften zu besuchen, ist plötzlich ein Bild in mir entstanden: Das Bild einer Gleichzeitigkeit von ganz vielen, sonst im Verborgenen stattfindenden Religionen und ihren Gottesdiensten, Ritualen, Gebeten und ihrer Musik. Ich bin zwar von einer Gemeinschaft zur anderen gegangen, aber plötzlich habe ich alle Stimmen gleichzeitig gehört. Da kam mir der Gedanke, dass das chorische Sprechen eine interessante Form sein könnte für den Text. Die Stimmen fallen sich ja immer wieder selber ins Wort, widersprechen sich. Das ist im Grunde das Thema: Eine Gruppe von sehr unterschiedlichen Leuten versucht, eine Stimme zu finden und obwohl das nie passiert, bleiben sie ein Chor. Dieses ästhetische Mittel ist dann auch ein politisches: Die Frage, was eigentlich in unserer Gesellschaft nötig sein wird, um diese Diversität auszuhalten und gleichzeitig damit eine Gemeinschaft zu bilden.

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Was heißt das genau – ›im politischen, gesellschaftlichen Sinne‹. Muss diese Vielstimmigkeit anders organisiert werden?

Auf jeden Fall. Im ersten Schritt muss man sich dieser Vielstimmigkeit bewusst werden. Im Bereich des Religiösen fängt das ja gerade erst an. Die klassischen Machtverhältnisse zwischen christlichen Volkskirchen und anderen Religionen sind extrem ins Wanken geraten, das wird denen jetzt auch gerade erst bewusst, dass sie diese Mehrheit und Machtposition nicht mehr für sich beanspruchen können, dass es immer mehr andere Gläubige gibt, die auch mal dran sind – und all das muss jetzt eben neu organisiert werden. Das kriegt man zum Teil ja auch mit, der Islam ist da natürlich gerade das sinnfälligste Beispiel: Jedes Mal, wenn eine Moschee gebaut werden soll, oder es darum geht, dass die muslimischen Gemeinden als Religionsgemeinschaften anerkannt werden sollen, ob die Arbeitnehmer einen Tag Urlaub nehmen können undsoweiter … dann geht es genau um diese Frage: Wie organisieren wir das?

Bremst unser Credo der Säkularisierung diesen Prozess, dass die religiöse Vielfalt vernünftig organisiert wird?

Da sind wir ja in Europa eigentlich in einer komischen Zwittersituation. Auch in Deutschland selber: Irgendwie sind wir ein säkularer Staat, aber im Kern sind wir das auch oft nicht. In Bayern werden die Gehälter der Bischöfe vom Staat gezahlt, basierend auf alten Vereinbarungen aus dem 18. Jahrhundert. Aber eigentlich könnte eine säkulare Verfassung via Grundgesetz mit der Kombination der Religionsfreiheit eine gute Grundlage sein, nämlich für Gerechtigkeit, denn darum geht es letztlich. In diesem Prozess befinden wir uns gerade, und ich bin mir sicher, wenn es einigermaßen gut läuft, dann haben wir in 20–30 Jahren eine ganz andere Situation.

Hartmut Rosa, der ja im dann folgenden Bunkersalon zu Gast ist, spricht in seinem Buch Resonanz von einem wachsenden Bedürfnis nach Glaubens als Antwort auf die zunehmende Beschleunigung und Entfremdung …

… das finde ich relativ naheliegend. Mir ist zum Beispiel im Kontakt mit vielen jugendlichen Muslimen aufgefallen, dass für ihren Glauben auch ein antikapitalistischer Impuls eine wichtige Rolle spielt. Viele sagen: ›Hey Leute, es gibt auch noch etwas anderes als den Austausch der Waren. Und etwas anderes als das permanente Sich selbst verkaufen müssen, Sich selbst optimieren müssen, und da ist der Islam eine sehr attraktive Sache, das Christentum genauso. Hier wird der Mensch an sich ganz anders ins Zentrum gestellt.

Bist Du in Deinen Beobachtungen auch der Frage begegnet, wie die verschiedenen Glaubensrichtungen mit Musik umgehen?

Ja klar, Musik ist natürlich in jedem religiösen Kontext vertreten. Ich würde noch weitergehen: Es gibt keinen Glauben ohne Musik. Der Umgang, die Regeln und auch die Skepsis der Musik gegenüber, zum Beispiel als Rauschmittel, sind jedoch sehr unterschiedlich. Das war jetzt auch im Ruhrgebiet interessant, da haben wir mit dem ChorWerk Ruhr gearbeitet, und es ging mit der muslimischen Gemeinde in Duisburg um Fragen wie: Kann man in der Moschee singen oder nicht? Instrumente zum Beispiel dürfen nicht benutzt werden, in München hatten wir sogar die Situation, dass sie auch keinen Chor haben wollten, sondern eigentlich nur Koran-Rezitationen gesungen werden dürfen. Diese Unterschiede hängen auch oft von kulturellen Entwicklungen ab. Aber dieser Clash verschiedener musikalischer Traditionen, die Frage, was passiert, wenn andere musikalische Traditionen im eigenen, rituellen Kontext stattfinden, das waren permanente Debatten und Gespräche.

Du kommst ja aus der ›Hochkultur‹, warst Dramaturg am Wiener Burgtheater, lange an den Münchner Kammerspielen. Gibt es manchmal Ähnlichkeiten zwischen Religionskultur und Kulturbranche?

Doch, doch, diese hochkulturellen Gemeinschaften, die mit und innerhalb ihrer ganz bestimmten Milieus arbeiten, haben natürlich auch manchmal religionsähnliche Züge und Übereinkünfte. Das zu brechen ist immer ein totales Sakrileg, da werden Sachen mit Hauen und Stechen verteidigt. Und letztlich geht es auch oft, das ist in der Religion ganz ähnlich, um eine Art von Machtfrage. Ganz banal gesagt: Wer bekommt das Geld, wie ist die Hierarchie, welches Konzert ist mehr wert als das andere, wer wird gefördert, wer nicht. Das andere wird als Bedrohung wahrgenommen, das ist ja klar. Das interessante finde ich – das habe ich bei der Recherche deutlich gespürt –, dass die Leute, die mit ihrem eigenen Glauben sehr sicher sind, die mit Zweifel umgehen können und den Glauben wie den Zweifel  zum integralen Bestandteil ihres Lebens gemacht haben  meistens mit dem Fremden und Anderen kein Problem haben. Interessant wird es immer bei denen, die bei sich selbst schon unsicher sind. Die denken ›Oh mein Gott, ich tu’ nur so als ob, ich weiß gar nicht genau, was meine Tradition ist‹, die haben dann meist ein Problem mit den anderen.

Im Bunkersalon geht es ums Hören, aus verschiedenen Perspektiven. Was bedeutet das Ohr für den Glauben?

Was mir da natürlich sofort einfällt, ist, dass es in allen Religionen diesen Topos von dem Wort Gottes gibt, das man hört. Es gibt natürlich auch Erscheinungen, aber letztlich finden diese irren Momente, wo man nicht mehr interpretieren, sondern nur noch glauben kann, hörend statt. Da muss es eine Art drittes Ohr geben, mit der Fähigkeit, Dinge zu hören, die andere nicht hören. Die Ebene finde ich interessant. Dazu kommt dann natürlich das ganz reale Zuhören. Egal in welcher religiösen Praxis, ohne Zuhören macht das alles keinen Sinn. ¶

YouTube video
DJ Sebastian Reier alias Booty Carrell legt nach dem Bunkersalon auf und empfiehlt heute Dia Prometido mit Hey Al-Lah. »Persich-Spanisches Duo mit einem weiteren multireligiösen Oberknaller.«

Was glaubt ihr denn? – Urban Prayers von Björn Bicker mit Fotos von Andrea Huber ist beim Verlag Antje Kunstmann erschienen.

... hat französische und deutsche Literatur sowie Kulturmanagement in Bonn, Paris und Hamburg studiert. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, Kuratorin und Dramaturgin im Bereich klassischer Musik. Unter anderem ist sie für die Donaueschinger Musiktage oder die Elbphilharmonie tätig, kuratiert die Philosophiereihe »Bunkersalon« mit dem Ensemble Resonanz, entwickelt die globale Konzertreihe »Outernational« und schreibt für das VAN Magazin.