Persischen Gedichte und Klagemeditationen über Fremdheit, Flucht, Sehnsucht und Einsamkeit, verwoben mit Schuberts Winterreise. Eine Palestrina-Messe als Ausgangspunkt für eine musizierte Zusammenkunft der monotheistischen Weltreligionen. So klingt das Asambura-Ensemble, das sich aus Profis an Oud, Santur, Kamancheh, Duduk, Riq, Tar und Kora und in der westeuropäischen Klassik ausgebildeten Musiker:innen zusammensetzt. Werke aus Feder von Maximilian Guth, dem Gründer und Künstlerischen Leiter des Ensembles, bilden den größten Teil des Asambura-Repertoires, neben Gemeinschaftskompostionen mehrerer Mitglieder des Kollektivs.In VAN teilen die Musiker:innen, was sie inspiriert, wie sie komponieren und zusammenarbeiten, was sie berührt und wie sie sich interkulturelles Zusammenleben vorstellen.

Alaaddin Zaitounah, Oud:

Wa Habibi

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Wa Habibi ist eine der bekanntesten Hymnen des Christentums im Nahen Osten und wird am Karfreitag gesungen, als Erinnerung an die Kreuzigung von Jesus. Die Melodie ist in vielen Kulturen zu finden, auch als fröhliches, französischen Liebeslied, wurde aber von einem Priester in eine traurigere Melodie umgearbeitet, zu einem Trauergesang und Gebet für Jesus.

Ich bin als Druse in Syrien aufgewachsen, also ohne christlichen oder muslimischen Hintergrund. Aber meine Mutter hat mich als Kind oft bei einer Nachbarin im Dorf gelassen, die Christin war und von der ich dieses Lied kenne. Wa habibi erinnert mich an diese Nachbarin, die mich sehr geliebt hat, und ist für mich das schönste Beispiel von friedvollem Zusammenleben.

Daniel Seminara, Gitarre/Laute:

Igor Stravinsky – Pulcinella Suite

https://www.youtube.com/watch?v=_tm4SmvxnHc

Academy of St Martin in the Fields / Neville Marriner, Dirigent

Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Interesse begegnete ich als Teenager der damals für mich sehr schwer zugänglichen Pulcinella Suite von Igor Strawinsky zum ersten Mal. Vorher kannte ich von Strawinsky nur den Sacre du Printemps mit seiner brutalen und primitiven Energie – und den Dinosauriern aus Disneys Fantasia. Pulcinella bewegt sich in einer ganz anderen Welt. Strawinsky nutzt als Grundlage Musik Giovanni Battista Pergolesis und drei seiner Zeitgenossen aus dem 18. Jahrhunderts. Er kürzt, verlängert, instrumentiert neu und ändert Akzente. Das ergibt eine Vielfalt an Perspektiven und eine Musik, die sich gleichzeitig in mehreren Dimensionen bewegt. Bis heute bin ich von diesem Werk fasziniert, weil das einen positiven Umgang mit dem Alten zeigt. Vergangenheit und Gegenwart kommen in Dialog, um etwas Neues zu kreieren und letztendlich etwas für die Zukunft zu setzen.

Ehsan Ebrahimi, Komposition, Santur:

Missa Melasurej – Gemeinschaftskomposition für das Asambura-Ensemble

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Asambura-Ensemble

Ich habe zwei Sätze der interreligiösen Missa Melasurej komponiert. In dieser Gemeinschaftskomposition verbindet sich Palestrinas Missa Papae Marcelli mit den Musiktraditionen der Religionen, die in Jerusalem ein gemeinsames Zentrum haben: Christentum, Judentum und Islam – Melasurej ist die Wortspiegelung von Jerusalem.

Religion ist für mich etwas sehr Persönliches. Jede:r Gläubige, egal in welcher Lehre oder Religion sie oder er verankert ist, hat letztlich eine eigene Verbindung zu Gott, die einzigartig gestaltet ist und von keiner Religion oder anderen Menschen bis ins Letzte vorgeschrieben werden kann. Im Rahmen einer Religion – aber auch einer Gesellschaft – leben wir miteinander als Gemeinschaft und eben doch jede:r auf ihre oder seine Weise.

Das möchten wir auch in der Musik dieser Gemeinschaftskomposition abbilden: Es gibt einen Rahmen, aber jede:r Musiker:in spielt für sich selbst, hat Freiheiten, darf gestalten (in der persischen Musik wird überwiegend improvisiert). So entstehen unterschiedliche Schichten, die aber in die gleiche Richtung weisen und miteinander verbunden sind. Ich wollte dieses Gefüge nicht auf herkömmliche Weise durch Kontrapunkt oder Harmonik herstellen. Ich ging auf die Suche nach Verbindungen zwischen Palestrina und traditioneller persischer Musik. So wie die beiden Religionen Ähnlichkeiten aufweisen, so versuchte ich auch Ähnlichkeiten in der Musik beider Religionen zu finden.

Maximilian Guth, Komposition:

Knut Nystedt – Immortal Bach

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Nederlands Kamerkoor / Risto Joost, Dirigent

Neue Dimensionen im Bekannten zu erkennen, Hören als komponierte Interpretation, das finde ich sehr faszinierend! Ich bin überzeugt, dass jede Musik eine Referenz zu etwas bildet, oder von etwas stammt, es gibt keine bezugslose Musik.

Bekanntes weiterentwickeln, eine andere Perspektive anbieten, neu konstruieren, auflösen oder verändern – Knut Nystedt ist hier sehr inspirierend. Er experimentiert mit Metrik, lässt Bachs Choral Komm süßer Tod in verschiedenen Geschwindigkeiten auseinanderfließen – eine wunderbare Form des mehrstimmigen Proportionskanons. Immer weiter verschwimmt Bachs Sterbe-Choral in die auskomponierte Ewigkeit des Todes.

Friederike Kayser, Oboe/Englischhorn:

Jaber Fayad – Sufi Taksim (Hijaz Improvisation)

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Jaber Fayad, Oud

Mit Improvisation und freiem Musizieren bin ich in meiner klassischen Musikausbildung kaum in Berührung gekommen. Nach mehreren musikpädagogischen Projekten im Libanon und auch durch meine Begegnung mit Musiker:innen des Asambura-Ensembles fasziniert mich die Oud und der Corona-Lockdown hat mir Zeit beschert, um mich mittlerweile auch aktiv mit dem Instrument zu beschäftigen. An der Oud gefällt mir der warme, vibrierende Klang und die Möglichkeit, arabische Tonarten genauer kennenzulernen. In die Welt der »Taksim«, der Improvisation in der arabischen Musik, versuche ich über die Oud auch auf Oboe und Englischhorn tiefer einzutauchen.

Cornelius Rauch, Pianist:

Avishai Cohen – Leolam

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Avishai Cohen, Kontrabass, Gesang / Itamar Doari, Percussion / Karen Malka, Gesang / Shai Maestro, Klavier

Avishai Cohen ist ein israelischer Jazzpianist, der aber, wie in diesem Stück, auch Kontrabass spielt. Den Titel Leolam vom Album Aurora habe ich viele Male im Bus gehört, während ich durch Israel und Palästina gereist bin – übrigens gemeinsam mit Maximilian Guth. Diese Musik ist für mich stark mit einem Gefühl von Fernweh und der kontrastreichen Schönheit Israels und Palästinas verbunden.

Moderner Jazz trifft auf traditionelle jüdische und israelische Musik. Die klassische Jazz-Besetzung wird durch Instrumente aus dem arabischen Raum ergänzt und der 13er Takt des Stücks erzeugt einen faszinierenden Groove. Die Musikstile unterschiedlicher Kulturen verschmelzen hier miteinander auf eine ähnliche Weise wie bei Maximilians Kompositionen für Asambura. ¶