Am 24. Mai veranstalten die Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und die Universität der Künste Berlin zum ersten Mal gemeinsam einen »Aktionstag zum Umgang mit Nähe und Distanz im künstlerischen Studium«. Mit dabei sind unter anderem Freia Hoffmann, die schon 2006 ein Buch über sexuelle Übergriffe im Instrumentalunterricht geschrieben hat, Christine Schornsheim, Vizepräsidentin der Münchner Musikhochschule, die mit ihrer Anzeige das Verfahren gegen Siegfried Mauser in Gang setzte, und Studierende der HfM und der UdK. Ich spreche mit Antje Kirschning, der Frauenbeauftragten der HfM Hanns Eisler, über den aktuellen Stand der Planungen und die Veränderungen, die sie in den letzten Jahren in der Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch, Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt an Musikhochschulen erlebt hat.
VAN: Der Veranstaltungstitel ›Nähe und Distanz‹ kommt erstmal nicht so kämpferisch daher wie andere Aktionen oder Headlines, die ›alltäglichen Sexismus an Musikhochschulen‹ oder ›sexuelle Übergriffe‹ kritisieren. Warum?
Antje Kirschning: Das war eine strategische Entscheidung. Noch vor #metoo habe ich mit dem Asta [der HfM Hanns Eisler] und Fachleuten von den Beratungsstellen Tauwetter und Lara eine Veranstaltung zum Thema sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch organisiert. Wir haben auch den Rektor eingeladen, um zu zeigen: Das ist offiziell. Da hatten wir im Titel ›sexuelle Belästigung‹ – und da ist niemand gekommen. Unsere Asta-Vorsitzende hat gesagt: ›Die Studierenden trauen sich nicht, die haben Angst, dass jemand sieht, wie sie in die Veranstaltungen gehen, und denkt: Ah, die oder der hat ein Problem damit.‹ Deshalb habe ich jetzt dafür plädiert, dass wir den Titel neutral formulieren.
Um miteinander Kunst zu machen, ob Musik, Malerei oder Theater, braucht man viel Nähe. Es machen viele fantastischen Einzelunterricht und das Format ist ja auch ›alternativlos‹ – in Anführungszeichen. Aber man braucht Spielregeln und die fallen nicht vom Himmel. Wir haben alte, überkommene Spielregeln, die nicht mehr funktionieren. Dass Lehrende sagen: ›Ich musste mich da damals auch durchbeißen. Stellt euch nicht so an. Der große Maestro schreit euch nachher noch viel mehr an und ihr braucht eine dicke Haut, um in diesem Metier zu bestehen‹ – damit will ich mich nicht abfinden.
Ich höre in der Debatte manchmal: ›Studierende sind doch erwachsene Menschen. Die können für sich selbst sorgen, selbst Grenzen setzen.‹ Wenn ich meine eigene Biografie angucke und überlege, wie ich mich verändert habe in fünf Jahren Studium – was Kommunikationsfähigkeiten, das Setzen von Grenzen angeht –, war ich zu Studienbeginn im Vergleich zu heute ziemlich hilflos, obwohl auf dem Papier volljährig.
Die Frauenbeauftragte der UdK, Naile Taniş, und ich finden auch, Dozentinnen und Dozenten können sich nicht damit rausreden, dass Studierende erwachsen sind. Wir sind Ausbildungsinstitutionen und tragen eine Fürsorgepflicht. Dazu kommt noch das Machtgefälle.
An wissenschaftlichen Universitäten hat sich mittlerweile rumgesprochen, dass man im ersten Semester nicht erwarten kann, dass junge Menschen richtig zitieren und argumentieren können. Da werden Einführungskurse in wissenschaftliches Arbeiten angeboten. Meine Vision ist, dass es an künstlerischen Hochschulen Einführungskurse gibt, in denen ich mich mit meinen eigenen körperlichen und seelischen Grenzen auseinandersetzen darf: Wie mache ich die deutlich? Wie rede ich darüber? Was mache ich, wenn ich merke, dass ich Grenzen meines Gegenübers verletze? Das muss gelernt und ausgehandelt werden. An dem Punkt sind wir gerade. Da ist die #metoo-Debatte ein guter Rückenwind. Den müssen wir nutzen und rauskommen aus diesen Skandalgeschichten.
An Ihrer Hochschule gab es in den letzten Monaten Seminare zum Thema ›Kontakt und Grenze(n) – Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit in künstlerischen Arbeitsbeziehungen‹. Wie sind die besucht?
Wir müssen dafür viel Werbung machen. Aber die Studierenden, die da waren, konnten daraus viel für ihren persönlichen Studienalltag ziehen. Wir haben dieses Seminar ganz neu entwickelt. Die Dozentinnen wollen an dem anknüpfen, was die Studierenden erlebt haben, gestalten das sehr offen. Für manche Studierende ist das neu, viele sind es gewohnt, dass es eine klare Vorgabe gibt, nach der gehandelt wird. Das ist vielleicht musikhochschulspezifisch. Ich frage bei den Studierenden viel nach: Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch? Und dann ist es ein Ausprobieren.
Sie haben in Ihrem Text in VAN ja auch dargestellt, dass die Studierenden an Musikhochschulen so vereinzelt sind: Die haben Konkurrenzdruck, müssen so viel alleine üben, viele sprechen verschiedene Sprachen. Bis man da das mit den Gremien und der akademischen Selbstverwaltung erstmal versteht und was Studierende da alles bewegen können, wo man eine Stimme hat und gehört wird, zum Beispiel in Berufungskommissionen … Mein Appell an die Studierenden ist darum auch: Organisiert euch! Aber wir müssen einen Rahmen dafür schaffen, wie zum Beispiel diesen Aktionstag.
Hat sich die Haltung gegenüber solchen Themen im Hochschulkontext in den letzten Jahren verändert?
Ja, sehr. Man kann jetzt nicht mehr sagen: ›Ihr übertreibt doch!‹ Es gibt ja mittlerweile auch die Handlungsanweisung der Arbeitsgruppe ›Sexualisierte Diskriminierung‹ der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen.
Die Arbeitsgruppe ›Sexualisierte Diskriminierung‹ der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen hat bereits im Januar 2017 alle 24 Musikhochschulen Deutschlands unter anderem dazu aufgerufen,
- innerhalb von zwei Jahren Richtlinien gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt und Beschwerderichtlinien zur Etablierung informeller und formeller Beschwerdewege zu erlassen.
- die zu dem Zeitpunkt an 10 Hochschulen bereits vorhandenen Richtlinien auf Aktualität und Passgenauigkeit zu prüfen.
- die Richtlinien von allen Hochschulmitgliedern und –angehörigen bei Ernennungen, Aufnahme von Beschäftigungsverhältnissen und Immatrikulation unterschreiben zu lassen.
- einschlägige Schulungen und Fortbildungen zur Prävention von Grenzüberschreitungen anzubieten.
- einen Geschäftsprozess für einen Lehrerwechsel, der durch Vorkommnisse aus dem Bereich der sexualisierten Diskriminierung veranlasst ist, zu entwickeln.
Sie haben eben von ›Skandal-Geschichten‹ gesprochen. Ich habe das Gefühl, dass die in der Debatte, wie sie in den Medien, gerade in Deutschland, geführt wird, noch immer im Zentrum stehen. Ich habe auf meinen Artikel hin auch Zuschriften bekommen, in denen es in etwa hieß: ›Jetzt lassen wir sie alle hochgehen!‹ Das schreckt dann wahrscheinlich eher davon ab, sich im Alltag mit Grenzen und Grenzüberschreitung auseinanderzusetzen, bei denen es ja meist um ganz andere Größenordnungen geht. Wie erleben Sie das?
Das geht mir ganz genauso. Ich habe für das Deutschlandradio mal einen kurzen Beitrag gemacht und war danach ganz unzufrieden, weil der Journalist immer nur in diese Skandal-Richtung gefragt hat. Das ist nicht mein Interesse.
Ich fände es großartig, wenn auch Lehrende sich mehr austauschen könnten. Es gibt da schon einen Kulturwandel, eine neue Generation. Ich habe von Lehrenden gehört, die sich zusammenschließen und selbst Supervision finanzieren. Die sich Hilfe holen, sich auch mal trauen zu fragen: ›Ich komme an der Stelle im Unterricht nicht weiter, kannst du nicht mal dazukommen und gucken?‹ So Lehre zu verbessern, das wäre doch großartig! Das geht aber nicht, wenn es immer nur um Skandale geht. Ich hätte gern ein Klima, in dem Lehrende Fehler eingestehen und ihr Verhalten dann auch ändern können.
Mein persönlicher Wunsch ist, dass wir gemeinsam einen Wertekodex, ähnlich dem des Bühnenvereins [›Wertebasierter Verhaltenskodex zur Prävention von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch‹ des Deutschen Bühnenvereins], erarbeiten und der dann unterschrieben wird von den Lehrenden. Der Kodex soll aber gerne breit diskutiert werden. Der Frauenbeirat unserer Hochschule sitzt an einem Entwurf, den wir am Aktionstag diskutieren können. Ich will da nicht zu viel vorgeben, das soll gemeinsam entwickelt werden. Durch die Diskussion, denke ich, verstehen dann auch immer mehr Personen, worum es geht: dass es gar nicht erst zu Vorfällen, Missverständnissen, Problemen kommt. ¶