Andrew Normans Gran Turismo erfährt durch die Camerata Berlin am 1.11. seine Deutsche Erstaufführung
»Pedal to the Metal«, heißt die erste Vortragsbezeichnung in Andrew Normans Streicherstück Gran Turismo. Zu deutsch könnte dies heißen: Das Gaspedal bis zum Bodenblech durchtreten. Die geforderten 132 Viertelschläge pro Minute sind eine Ansage genug, vor allem, wenn durchgängig Sechzehntelarpeggien zu spielen sind – mit ständig wechselnden Betonungen und laut einer weiteren Anweisung »mit exzessiver Energie«! Acht Violinen gehen für diesen Parforceritt an den Start. Wer behält die Pole Position?

Der kalifornische Komponist Andrew Norman holte sich die Inspiration für Gran Turismo bei der gleichnamigen Car-Racing-Simulation für die Playstation. Fiel es ihm doch wie Schuppen von den Augen, dass sich für ihn hier die Visionen der italienischen Futuristen wie Marinetti und co. völlig spielerisch verwirklichten. Um die Schönheit der Geschwindigkeit, um blitzschnelles Reagieren und Agieren geht es hier wie dort – sowohl auf der virtuellen Rennstrecke wie in der Komposition Gran Turismo, die am 1. November durch acht Geigerinnen und Geiger von der Berliner Camerata im Kammermusiksaal der Philharmonie ihre deutsche Erstaufführung erfährt.
Das Bostoner Kammerorchester A Far Cry spielt Andrew Normans Gran Turismo.
Andrew Norman, 1979 in Grand Rapids, Michigan geboren, ist einer der gefragtesten amerikanischen Komponisten. Schon früh war er vom Musikschreiben und Viola spielen gleichermaßen infiziert. Als er die großen Errungenschaften der neutönerischen Avantgarde des. 20. Jahrhunderts kennen lernte, bracht ihn dies erst mal zum Verstummen. Doch warum sich von so etwas einschüchtern lassen? Bald schöpfte der heute in Los Angeles lebende Komponist neues Selbstbewusstsein und balanciert seitdem äußerst geschickt auf dem subtilen Grat zwischen mitreißenden Energien und orchestraler Farbigkeit auf der einen Seite und einer mutigen künstlerischen Avantgarde auf der anderen. Eine solche Philosophie führte dann auch in die großen Konzerthäuser der Welt. Norman erhielt Kompositionsaufträge seitens der großen Klangkörper wie Los Angeles Philharmonic, New York Philharmonic. Seine Werke werden im Concertgebouw bei der BBC oder dem Orchester National de France aufgeführt. Gerade hat ihn die Zeitschrift Musical America zum »Composer of the Year 2017« gemacht.
In Deutschland trat Andrew Norman bislang erst sporadisch in Erscheinung. Aufmerksamkeit erregte er unter anderem als Composer in Residence beim Heidelberger Frühling im Jahr 2012.
»Denke immer an deine Hörerschaft« lautet Normans Credo. Sein Kapital ist es aber, hierbei nicht im Reaktionären oder Populistischen stecken zu bleiben. Viele seiner Kompositionen, etwa sein im Jahr 2016 für den Grammy nominiertes sinfonisches Werk Play transportieren bei aller wagemutigen Komplexität immer auch eine emotional fassbare Botschaft. Der direkte Draht zwischen Sender und Empfänger ist nach eigenem Bekunden das erklärte Anliegen.
Entsprechend setzt auch das Streicherstück Gran Turismo auf suggestive Wirkung und rhythmische Akzentuierung. Die acht Spielerinnen und Spieler preschen aber keineswegs ungeordnet brachial voran. Vielmehr geht es auf einen formal streng ausformulierten Rundkurs. Die oft unisono zu spielenden, betont repetitiven Auf- und Abwärtsbewegungen sind gleichberechtigt aufgeteilt. Jeder erhält dieselbe Chance, um die Zielgerade zu erreichen – schließlich im dreifachen Fortissimo! ¶