Bilanz einer Reise mit dem Orchesterdirektor des DSO, Alexander Steinbeis
Wie lange habt ihr die Tournee geplant, die gerade zu Ende geht?
Das Orchester gastiert ja regelmäßig in Asien. Die Konzeption für diese Tournee begann vor ungefähr drei Jahren: Wir haben uns mit Kajimoto (eine auf die Organisation von Konzerttourneen in Asien spezialisierte japanische Agentur, d. Red.) auf Grundsätzliches wie Zeitraum und Orte verständigt. Bis der genaue Zeitrahmen klar war, zogen ein paar Monate ins Land, vor etwa zwei Jahren wurden dann die Programme finalisiert. Danach kamen die Detailabstimmungen.
Warum also diese Reise?
Es geht darum, neben Berlin auch in anderen musikalischen Umgebungen präsent zu sein. In den großen Sälen der Welt aufzutreten, im Wiener Musikverein, in London bei den Proms und eben in der Suntory Hall hier in Tokio, das wirkt sich auch auf die Stellung des Orchesters zuhause aus. Unser Publikum, unsere Abonnenten in Berlin – die interessieren sich sehr für unsere Auslandsgastspiele und freuen sich, wenn ›ihr‹ Orchester unterwegs ist. Außerdem sind Tourneen wichtig für die künstlerische Entwicklung des Ensembles. Man setzt sich intensiv mit ausgewähltem Repertoire auseinander und konzentriert sich darauf. Die Orchestermitglieder erfahren sich aus einer anderen Perspektive, der Alltag wird zuhause gelassen. Die Beziehung zum Chefdirigenten und zu den Kolleg/innen wächst, es fördert die Flexibilität. Für den Geist eines Orchesters ist das eine schöne und fruchtbare Angelegenheit.
Ankommen, gut ins Turnier starten, erste Eindrücke von Downtown
Apropos Flexibilität: »Die Planung wurde noch mal interessant, als Korea ins Spiel kam«, sagt Steinbeis. Und so fand der Tourauftakt in Ulsan statt. Wie geht man so eine Reise und das Land an?

Gibt es bestimmte Bedingungen, die ihr vorab definiert?
Bestimmte Konzertsäle zum Beispiel. Wenn es nach Japan geht, gehört ein Konzert in der Suntory Hall in Tokio auf jeden Fall dazu. Es gab dann vier Konzerten in Tokio (zwei in der Suntory Hall, von denen eines von der Automarke Lexus zum 10-jährigen Firmenjubiläum »gekauft« wurde), und jeweils ein Konzert in Kitakyūshū und Miyazaki, beide gelegen auf Japans drittgrößter und zweitbevölkerungsreichster Insel Kyūshū. Kurzfristig vorgeschaltet wurden zwei Konzerte in Südkorea. Das stellte nicht zuletzt die Logistik vor Herausforderungen, wie Orchesterwart Burkher Techel erzählt: » Die Instrumente sind nach dem Konzert in Berlin gleich abgeholt und nach Tegel gebracht worden. Dort wurden dann die Paletten gebaut und der Sicherheitscheck gemacht. Die fertigen Paletten sind dann per LKW nach Frankfurt gefahren worden und dort gleich vom LKW ins Flugzeug und ab nach Korea.«
Der Orchesterwart
Während auf der Bühne der Suntory Hall gerade die Einspielprobe für das zweite Konzert DSO in Tokio lief, habe ich mir backstage den Orchesterwart Burkher Techel geschnappt und mit ihm über Kisten bayerischer Sargbauer, Unterstützung vom Heeresmusikkorps, Lieblingsbühnen und Fehlkonstruktionen gesprochen.

Wie war die Auslastung der Konzerte?
Im Durchschnitt bei über 80 Prozent.
Bleibt unter dem Strich finanziell etwas übrig?
Unsere Tourneen müssen mindestens kostendeckend durchgeführt werden, weil wir als Zuwendungsempfänger nicht befugt sind, Gastspiele mit eigenen Mitteln zusätzlich zu finanzieren. Im Idealfall bleibt natürlich über die schwarze Null hinaus noch mehr übrig. Die Zeiten, in denen man als Orchester nach Japan fuhr, um mit einem deutlichen Überschuss zurückzukommen, sind aber vorbei.
Ist Japan trotzdem nach wie vor das beste Tourneepflaster für internationale Orchester?
Wir gastieren sehr gerne in Japan. Das Publikum hört enorm konzentriert zu und ist begeistert. Die Organisation und Infrastruktur sind fantastisch. Alle Abläufe sind bis ins kleinste Detail geplant und extrem verlässlich. Das ist nicht in jedem Land so. Während in Korea Hysterie und Absatzzahlen alle Rekorde sprengen (das erste Album von Cho Seong-jin, dem diesjährigen Gewinner des Chopin-Wettbewerbs, setzt sich nach Erscheinen gleich an die Spitze der Charts, richtig, nicht nur der Klassik-Charts, es schlug auch alle K-Pop Boygroups), sind Klassikmarkt und Publikum in Japan gesättigter, wie mir Tomoko Fukui in Tokio bei einem Kaffee erzählte. Die Gründerin des Neue Musik Ensembles next mushroom promotion unterrichtet am Osaka College of Music Komposition (hier ein Video ihres Stückes a color song III). Die Gräben zwischen »Repertoire« und zeitgenössischer Musik sieht sie noch tiefer als in Deutschland. Auch die traditionelle japanische Musik wie Gagaku bleibt eher für sich, dort will man wenig mit der westlich geprägten zeitgenössischen Musik zu tun haben. Geld lässt sich mit Kunstmusik nicht verdienen: 80 Prozent ihrer Schüler/innen wollen »Game Music« komponieren.
Warum diese Programme?
Tourneeprogramme werden im Planungsprozess langfristig abgesprochen. Anders als bei unseren Programmen zuhause in Berlin, die wir komplett alleine verantworten, gehören bei Gastspielreisen eine gewisse Flexibilität und die Bereitschaft, auf Wünsche von lokalen Veranstaltern einzugehen immer auch dazu. Daher gibt es hin und wieder auch Kompromisse. Programmatische Ideen und Vorschläge werden in der Regel über die Agentur zwischen den Veranstaltern und uns abgestimmt. Zu viele Variationen im Programm sind schwierig, denn alle Werke müssen bei der Ankunft in Asien bereits fertig geprobt sein. In diesem Fall war schnell klar, dass sich die örtlichen Veranstalter deutsches Repertoire vom DSO und Tugan Sokhiev wünschen. Darauf sind wir gerne eingegangen und schnell kam die 1. Sinfonie von Brahms ins Spiel, da wir mit Tugan in Berlin bisher jedes Jahr eine Brahms-Sinfonie erarbeitet hatten, jedoch noch nicht die erste. Auch auf die Eroica und Beethovens Siebte haben wir uns schnell einigen können. Während an den drei Sinfonien im Gepäck seit Probenbeginn in Berlin fast drei Wochen lang gefeilt wird, kommt es bei den Konzerten mit Gastsolist/innen auf der Tour mehr darauf an, unfallfrei durchzukommen. Drei Gäste sind dabei: Im koreanischen Ulsan wird Beethovens 3. Klavierkonzert von Paik Kun-woo gespielt, der mit dem Dirigenten Chung Myung-whun und der Sopranistin Jo Sumi zur ersten Generation koreanischer Klassikstars gehört, die international Karriere machten.
Der erste Gast, das erste Konzert
Musikkultur in Korea – eine Begegnung mit Paik Kun-woo, der mit dem DSO in Korea Beethovens 3. Klavierkonzert spielt.

Die in Berlin lebende Russin Yulianna Avdeeva spielt Beethovens 3. Klavierkonzert bei drei Konzerten in Japan, zupackend und auf Zug, aber nicht ohne Poesie. Und dann gibt es noch die Japanerin Mayuko Kamio, Gewinnerin des Tschaikowski-Wettbewerbs 2007, die in Tokio zwei Mal Mendelssohns Violinkonzert spielt, in Darbietungen, die zu den musikalischen Tiefpunkten der Reise gehören, und schon bei den ersten Tönen bei allen Beteiligten Ratlosigkeit auslösen. Ihre Intonation verlegte Mendelssohn irgendwo in den mikrotonalen Bereich, ein leierndes Vibrato und bizarres Überspielen aller Nuancierung machten es nicht besser.
Wie kommt die Auswahl der Solisten zustande?
Das DSO hat einige Namen ins Spiel gebracht, dazu gehört auch die Pianistin Yulianna Avdeeva, mit der Tugan Sokhiev bereits zusammen gearbeitet hatte, sie also kannte. In Asien wird es darüber hinaus gerne gesehen, wenn man auch mit lokalen Solisten zusammenarbeitet. In Korea ein Altmeister, in Japan eine junge Geigerin, die einige Jahre früher den Tschaikowski-Wettbewerb gewonnen hatte

Was waren für dich die Höhepunkte der Reise?
Das letzte Konzert in der Suntory Hall mit der 1. Sinfonie von Johannes Brahms war eine absolute Sternstunde für mich. Man hätte das Konzert eins zu eins so auf CD pressen können. Das japanische Publikum war begeistert. Eine Entdeckung war für mich auch das Publikum in Korea. Es waren viele junge Leute in unseren Konzerten. Die Qualität des Zuhörens war beeindruckend – auf der einen Seite waren sie still und äußerst konzentriert bei der Sache, auf der anderen Seite haben sie das DSO frenetisch bejubelt und das auf eine völlig direkte und unaffektierte Art und Weise.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Weiter nach Daegu, das DSO und Beethovens Eroica im Gepäck. Ich treffe eine koreanische Soziologin, und im Konzertsaal klingt die Marcia Funebre irgendwie unheilvoller als zuvor, was nicht nur an der seltsamen Anordnung der Sitze in der Business Class liegt.

Und die Tiefpunkte?
Ich bin auf einer solchen Tournee praktisch rund um die Uhr im Einsatz. Das beginnt morgens beim Frühstück und hört auf, wenn ich abends mein Hotelzimmer betrete. Mir ist wichtig, für alle Mitwirkenden ansprechbar zu sein und sämtliche organisatorische Abläufe eng zu begleiten. In der Summe ist das allerdings manchmal etwas viel.
Wie hast du Tugan Sokhiev während der Tour erlebt?
Er ist jemand, der sehr konzentriert arbeitet und aus diesem Grund auch bewusst mit seinen Kräften haushaltet. Das ist wichtig, wenn Abend für Abend Höchstleistungen von ihm verlangt werden. Es entspricht seinem Naturell, dass er sehr klar trennt zwischen Dienst und der verbleibenden Zeit. In dem Moment, wo er irgendwo erscheint, wollen die Leute etwas von ihm. Es ist wichtig, dass das Umfeld versteht, wann er greifbar ist und wann nicht, damit Dinge zügig geklärt und auf den Punkt gebracht werden können.
Kannst du schon sagen, wohin die nächste Tour geht?
In der kommenden Spielzeit 2016/17 steht wieder eine große Tournee nach Übersee mit einem Gastdirigenten an. Wohin kann erst verraten werden, wenn die Planungen in trockenen Tüchern sind. ¶