Viera Janárčeková wurde am 23. September 1941 in der Hohen Tatra, genauer: in der slowakischen Stadt Svit geboren. In Bratislava studierte sie Musiktheorie, Klavier und Orchesterleitung. In Prag kamen weitere Klavier- und Musiktheorieunterweisungen sowie Cembalo-Unterricht hinzu. Nach pianistisch-pädagogischen und künstlerischen Tätigkeiten für das Radio ging sie – politisch wie künstlerisch unangepasst – nach Deutschland, wo sie zunächst Asyl erhielt und später die deutsche Staatsbürgerschaft annahm.
Janárčeková unterrichtete im Folgenden an der Kirchenmusikhochschule in Rottenburg und absolvierte ein Klavier-Aufbaustudium in Luzern bei Rudolf Firkušný, einem Schüler Janáčeks und ein Freund Martinůs. Gewissermaßen kehrte Janárčeková auf diese Weise zu ihren »tschechoslowakischen Wurzeln« zurück.
In den 1980er und 1990er Jahren nahm die Komponistin eifrig an der Darmstädter Ferienkursen teil, war im Jahr 2000 »Composer in Residence« bei Gidon Kremers Festival im burgenländischen Lockenhaus und engagierte sich zudem im slowakischen Komponistenverband. Janárčeková ist als Komponistin eine Spätberufene; eine Künstlerin, die als Interpretin über das bloße Verwalten der klavieristischen Vergangenheit hinauswollte. Bereits in ihren Vierzigern angekommen, legte Janárčeková ab Ende der 1980er Jahre Werke ganz unterschiedlicher Gattungen vor: Orchesterwerke, Solo-Konzerte, Kammermusikstücke und Vokalkompositionen. Orchester wie die Bamberger Symphoniker brachten ihre Werke zur Uraufführung. Am 14. Mai 2023 ist Janárčeková im schwäbischen Großbottwar gestorben. Sie wurde 81 Jahre alt.
Viera Janárčeková (*1941)
Banyan (crazy wisdom) für Posaune und Bassklarinette (1996)
Dieses YouTube-Video lässt in seiner Beschreibung einen Teil des Titels weg. Vollständig heißt das Werk (so kann man auf Janárčekovás Seite nachlesen): Banyan (crazy wisdom) für Posaune und Klarinette.
Das etwa achtzehnminütige Stück hebt mit einem Einsummen beider Instrumente an – abwechselnd auf dem gleichen Ton. Dann eine Flatterzungenfärbung, ein leises Vibrieren. Dort ein Glissando-Absinken; ein Hinterfragen des Tones, der Gegenwart: Hier und jetzt sind wir zusammen in einem Ton. Zweifel. Nun steigt der Ton in einem Instrument kurz nach oben und im gleichen Moment im anderen Instrument nach unten – und umgekehrt; es wippt. Nach etwa zwei Minuten zieht die Posaune den vermeintlich gleichberechtigten Dialog sympathisch-unsympathisch in den Dreck; eine Clownerie. Fast die Komik der Posaunen-Sequenza von Luciano Berio. (Aber vielleicht auch nur aufgrund des Instrumentariums hier.) Die Bassklarinette folgt mit viel nachdenklicheren Tönen. Doch die Posaune knötert mit einem tiefen und kurzen »Nope!« dazwischen. »Wollen wir uns jetzt ernsthaft unterhalten?« Aus lauter Verzweiflung knöpft die Bassklarinette, Klappengeräusche evozierend, an ihrem Instrument herum – derweil sich die Posaune um eine Klangwerdung ihrer Jazzherkunft bemüht. Sehr lustig und eigenartig.
Nach vier Minuten ein fühlbarer Umsprung. Eine Motivik entsteht, die jetzt tatsächlich beide Partner*innen gemeinsam zu exponieren sich anschicken. Doch nun ist es die Bassklarinette, die mit Multiphonics – also mit geräuschhaften Mehrklängen, die durch bestimmte Fingerstellungen und entsprechendem Blasdruck entstehen – Zweifel an der Gesamtsituation anmeldet.
Fast tonlos – nur mit den resultierenden Luftgeräuschen alleinbleibend – pustet die Bassklarinette dahin. Die Luft ist raus aus dem Dialog. Klappengeräusche, fragende Gesten, äußerst kurze Kommentare der Posaune – ein pseudo-bedrohlicher Triller aus den Untiefen der Bassklarinette.
Kleine Ausraster bezeugen die Unzufriedenheit dieser Musik, die sich dennoch extrem gechillt gibt. Das Werk Janárčekovás ist ein profundes Stück und dient als »Beweis« dafür, dass sich die Konzentration auf die Form im Zusammenwirken mit einem quasi im Hintergrund mitlaufenden »Gespräch« beim Komponieren dramaturgisch meistens ausgeht. Durch kurze Pausen wirkt das Stück dabei wie eine kleine Charaktersuite. Gute Hörmusik, Neue Musik zum aufgeregten Zurücklehnen.
Ich hatte – nach meiner eigenen kurzen Interpretation des Stückes – die Möglichkeit, persönlichen Kontakt zu der Komponistin aufzunehmen, auch, um nach der Bedeutung des eigentlichen Haupttitels Banyan zu fragen. »Banyan« – gemeint ist der ursprünglich in Indien beheimatete Banyan-Feigenbaum – beschreibe die, so Janárčeková, »innigen Verflechtungen von Wurzel- und Astwerk dieses Wunderbaumes; ein Dickicht aus Urbaum-Ausläufern und neuen Exemplaren, die einen Organismus mit dem alten Stamm bilden. Eine schöne Formvorstellung! Im Hintergrund geistert die Saga von Savitri umher, die ihren Gemahl aus dem Totenreich durch ihre Weisheit zurückholte; die Bedrohung mit dessen chthonischer Färbung, der in der ungewöhnlichen Besetzung mit Posaune und Bassklarinette Musik werden kann. Ich fantasierte entlegene Regionen… Ich hatte mich also mittels der Bezugnahme auf den indischen Sonnengott Savitri eher nach Indien gedacht. Dann kam ein japanischer Tänzer aus New York – Kensaku Shinohara – auf mich zu und setzte meine Komposition für Tanzensemble um. Seine eigene Fantasie habe aus dem Stück japanische Elemente herausgehört. Ich widersprach nicht, da ich eine Verehrerin der Zen-Musik und des altjapanischen Nō-Theaters bin. Aber nie gab ich meinen anderen Kompositionen je japanische Titel! Es musste also etwas dran sein…« ¶