Geboren am 25. April 1850 in Raststatt war Luise Adolpha Le Beau die einzige Tochter von Karoline (geb. Barack) und Wilhelm Le Beau. Vater Wilhelm, Offizier in badischen Diensten, musizierte, arrangierte und komponierte als begeisterter Musiklaie – und unterrichtete seine Tochter bald am Klavier. Hinzu kamen Unterweisungen im Violinspiel – sprich: eine umfassende musikalische Frühförderung. Über die Zeit als Geigerin in diversen Orchestern, die sie noch vor ihrer Adoleszenz engagierten, schrieb Le Beau in ihrer Autobiographie rückblickend – und mit angemessenem Stolz: »Es galt damals für etwas Unerhörtes in Karlsruhe, dass ein Mädchen Violine spielte!«

Bald beendete Le Beau ihre Laufbahn als Orchestergeigerin, konnte aber die Erfahrungen im Violinspiel für ihre Kompositionstätigkeit später gewinnbringend nutzen, wie sie ausdrücklich notierte. Mit 16 Jahren nahm Le Beau private Klavier- und Musiktheoriestunden in Karlsruhe sowie Gesangsunterricht bei dem bekannten Tenor Anton Haizinger (1796–1869), der als Endzwanziger am 7. Mai 1824 den Solo-Tenorpart bei der Uraufführung von Beethovens neunter Symphonie in Wien gesungen hatte. Ein erster äußerst prominenter Name in der Liste der Lehrer*innen Le Beaus.

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Der Ruf ihres großen musikalischen Talents Le Beaus war auch zu dem Uraufführungsdirigenten von Wagners Parsifal, Hermann Levi (1839–1900), durchgedrungen. Levi vermittelte die 23-jährige Pianistin im Sommer 1873 an Clara Schumann, doch über zwölf Unterrichtseinheiten ging diese Lehrerinnen-Schülerinnen-Beziehung nicht hinaus.

Le Beaus kluge und besonnene Eltern hatten früh dafür gesorgt, dass die pianistischen Fähigkeiten der jungen Luise nicht im Sinne einer – mit Ansage oft übel ausgehenden – Anpreisung als »Wunderkind« ausgenutzt wurden. Voller Dankbarkeit heißt es in Le Beaus Lebensrückblicken: »Man hätte gern ein Wunderkind aus mir gemacht. Meine Eltern wünschten dies jedoch nicht. Ich sollte erst ruhig alles Nötige lernen und nach künstlerischer Ausbildung öffentlich auftreten.« Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – stand einer entfesselten Pianistinnenlaufbahn nichts im Wege, und so stieg Le Beaus klavieristische Prominenz ab Ende der 1860er Jahre, woraus regelmäßige Konzertengagements und Recitals in allen kulturell bedeutsamen Metropolen Mitteleuropas resultierten.

Ihr meist durch und durch romantisches Repertoire – Mendelssohn, Chopin, Schumann, ergänzt durch die damals sehr populären Kollegen Stephen Heller und Ignaz Moscheles – war Le Beau offenbar bald nicht mehr genug: Immer häufiger integrierte sie eigene Komposition in ihre Programme. Das Interesse am Komponieren baute Le Beau schließlich – nach ihrer Übersiedlung nach München 1873 – aus, indem sie Harmonielehre und Kontrapunkt sowie Komposition bei Joseph Rheinberger studierte.

Eifrig bemühte sich Le Beau um die Bekanntmachung ihrer ersten »vollwertigen« Werke: meist für Klavier solo gesetzt – oder als Kammermusik mit Klavier im Verbund mit anderen Instrumenten. 1885 siedelte Le Bau nach Wiesbaden über, wo sie im Dezember desselben Jahres erstmals ein Programm mit ausschließlich eigenen Werken präsentierte. Frei von materiellen Sorgen pflegte Le Beau ihr Leben lang eine ausgezeichnete Beziehung zu ihren Eltern; ob eine Heirat jemals zur Debatte stand, ist ungeklärt. Aus freien Stücken, aus einem pädagogischen Antrieb heraus, und eben nicht wirtschaftlich motiviert, gründete Le Beau 1878 eine private Musikschule, an der die Fächer Klavier und Musiktheorie angeboten wurden. Überhaupt scheint sie neben ihren vielfältigen musikalischen Fähigkeiten ebenso ein Sinn für das Organisatorische, für entsprechende Vereins- und Verwaltungstätigkeiten gehabt zu haben; in dieser Rolle wird sich Le Beau – angesichts sehr wahrscheinlicher chauvinistisch-skeptischer Blicke von allen (männlichen) Seiten – selbstbewusst, kompetent und engagiert durchgesetzt haben. Eine Frau, die sich auf Basis sehr geordneter familiärer Strukturen ihre Karriere selbst aufbaute, um so – den Zeitpunkt einer zeittypisch frühen Heirat durch das Studium aller möglichen musikalischen Fächer möglicherweise »versäumt« habend – zu ihrer vollen künstlerischen Entfaltung zu gelangen.

Anfang 1890 zog Le Beau nach Berlin, wo sie aufreibende, durchaus konfliktreiche aber auch glückliche Zeiten durchlebte. Kollege Georg Vierling hätte sie hier gerne als »Professor« der Königlichen Musikschule oder als »Königlichen Musikdirektor« gesehen, allerdings scheiterte das Vorhaben, da diese Titel in der Hauptstadt damals grundsätzlich nicht an Frauen verliehen wurden. Ihre letzten drei Lebensdekaden verbrachte Le Beau in Baden-Baden. Dort starb sie im Alter von 77 Jahren am 17. Juli 1927.


Luise Adolpha Le Beau (1850–1927)
Konzert für Klavier und Orchester d-Moll op. 37 (1887/88)

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Noch als 72-Jährige war Le Beau als Pianistin aktiv – und konnte die Uraufführung ihres Konzerts für Klavier und Orchester d-Moll op. 37 am 20. Oktober 1922 selbst als Solistin bestreiten. Das Werk war allerdings schon in den Jahren 1887 und 1888 entstanden – als Le Beau noch nicht einmal das dreißigste Lebensjahr überschritten hatte.

Mit einer kleinen Sekunde der Streicher, sehr ernst und etwas dramatisch – mit einem darauffolgenden grolligen Anlauf – beginnt Le Beaus Klavierkonzert. Das ganze Orchester kommentiert nach guter alter Vorhang-auf-Sitte. Auf einem zitternden Bett erheben sich Bläser. Da, der Lauf der Geigen noch einmal – nur im Piano. Und da setzt auch schon das Solo-Klavier ein; ein wenig an die akkordische Machart Brahmsens erinnernd; und dementsprechend bärig-prankig geht es in der ersten virtuosen Mini-Kadenz zu.

Die Violinen führen das Thema aus. »Komm, erzähl doch mehr von dem, was dir passiert ist!« Da geht eine Phrase durchaus mal Dur (gut) aus – nicht ohne im Leisen den besagten Anlauf als Mitabschlussgeste wiederzuverwenden. Nach etwa zweieinhalb Minuten bringt eine ländlich-befriedende Kombination von Klarinette und Horn einen schönen Kontrast. Dementsprechend sanfter setzt nun erneut das Solo-Klavier ein; das ist profunde Konzertarbeit: Themen werden klug, variativ weitergesponnen; und an den genau den richtigen Stellen folgen charakterstückartige Andersfarben, so nach fast vier Minuten. Hier bricht tatsächlich ein wenig die Begeisterung für entsprechende Einbrüche im zweiten Klavierkonzert von Brahms durch; genauer: für jene Stellen, an denen es plötzlich angenehm ritterlich staccatiert und akkordisch wuchtig gesetzt zur Sache geht. Trotzdem ist das Werk freilich viel mehr als nur eine Stilkopie; es zeigt die äußerst souveräne, ja: erhabene Beherrschung spätromantischen Interieurs. Nicht mehr – und nicht weniger. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.