Geboren wurde Amy Marcy Cheney am 5. September 1867 im  kleinen Ort Henniker im bildungsbürgerlichen und wohlhabenden US-Bundesstaat New Hampshire; in einer Art größerem Dorf also, dessen Town Hall des dortigen New England College allerdings prominent von vielen ehemaligen US-Präsidentschaftskandidat:innen als Veranstaltungsstätte für den Wahlkampf auserkoren wurde.

Amys Mutter Clara galt als exzellente Pianistin und Sängerin – und steckte ihre Tochter offenbar sehr früh mit ihrer Liebe zur Musik an; vielleicht sogar zu sehr, so, dass die Mutter, um ihre eigene Autorität nicht untergraben zu lassen, Amy Klavierunterricht zunächst versagte. Auch später blieben Amys Eltern gegenüber der Musikerinnenlaufbahn ihrer Tochter sehr kritisch eingestellt. Eine Leopold-Mozartsche Verzückung und entsprechende Wunderkind-Anpreisung in der Öffentlichkeit gab es nicht; und das, obwohl Amy bereits im Alter von einem Jahr Lieder mit erstaunlicher Intonationspräzision nachgesungen haben soll; mit zwei Jahren konnte sie angeblich einen Kontrapunkt zu einer vorgegebenen Stimme singen – und mit drei Jahren habe sie sich selbst das Lesen beigebracht. Mit vier Jahren legte Amy eine Reihe von kleinen Klavierwalzern vor: ihre ersten eigenen Kompositionen.

1875 zog Amys Familie in einen Vorort von Boston. Dort erhielt sie unter anderem Klavierunterricht bei dem Liszt-Schüler Karl Baermann (1839–1913), Sohn des legendären deutschen Klarinettisten Carl Baermann. Als 14-Jährige nahm sie ihre einzigen Kompositionsstunden in Harmonie und Kontrapunkt bei dem heute völlig unbekannten Junius W. Hill (1840–1916); wie es heißt, habe sich Beach andere Kompetenzen aus dem Bereich Komposition und Musiktheorie vollständig autodidaktisch erarbeitet.

Schon mit 16 Jahren wurde Amy in der Boston Music Hall als Pianistin frenetisch gefeiert. Im Oktober 1883 hatte sie dort unter der Leitung von Adolph Neuendorff (1843–1897), der 1871 die allererste Aufführung von Wagners Lohengrin in den USA dirigiert hatte, mit Werken von Chopin und Moscheles reüssiert. Zwei Jahre später, im Jahre 1885, heiratete Amy als 18-Jährige den damals bereits 42-jährigen Mediziner Henry Harris Aubrey Beach (1843–1910) – und nahm dessen Nachnamen an. Der – für die Zeit durchaus nicht unübliche – Ehevertrag sah ihre totale Unterordnung vor, wiewohl die (kinderlose) Ehe in der Literatur auch immer wieder als »glücklich« beschrieben wurde; Amy Beach erklärte sich bereit, niemals aktiv Klavier zu unterrichten und ihre Konzerttätigkeit als Pianistin auf ein oder zwei Auftritte pro Jahr zu beschränken. Ihre Konzerthonorare musste sie für Wohltätigkeitszwecke spenden, ein weiteres Studium musikalischer Fächer wurde ihr ebenfalls untersagt.

Diese Restriktionen ließen jedoch eine umso umfangreichere Beschäftigung mit dem Komponieren zu. Am 30. Oktober 1896 fand auf diesem Wege – gespielt vom Boston Symphony Orchestra – die Uraufführung von Beachs Gaelic Symphony statt. Keiner der damaligen Rezensenten unterließ den Hinweis darauf, dass es sich bei dieser Komposition um das Werk einer Frau handele.

1910 starb Beachs Ehemann – und sie nahm ihre Konzerttätigkeit wieder auf. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs absolvierte sie erfolgreiche Tourneen durch Europa, wo sie als Pianistin immer auch ihre eigenen Kompositionen auf das Programm setzte. Bald äußerte sich Beach öffentlich gegen die intellektuelle und lebensweltliche Benachteiligung der Frau, proklamierte den Nutzen umfassender Bildung für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Verheiratung oder Mutterschaft. 1926 wurde sie Mitgründerin und Vorsitzende der »Association of American Women Composers« – und wird heute als eine Pionierin der Frauenbewegung in den USA angesehen.

Nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten lebte Beach wieder einige Jahre in New Hampshire, zog dann aber in den 1920er Jahren nach New York, wo sie gewissermaßen als »Composer in Residence« viele Jahre lang Musik für die St. Bartholomew’s Episcopal Church komponierte. Eine Herzkrankheit führte 1940 zu ihrer Pensionierung. Amy Beach starb am 27. Dezember 1944 im Alter von 77 Jahren in New York City an den Folgen ihrer Erkrankung.

Amy Beach (1867–1944)Romanze für Violine und Klavier (1893)

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Der Kompositionsstil von Amy Beach wird nicht zu Unrecht als »spätromantisch« beschrieben, wobei deutlich hervorzuheben ist, dass die Komponistin sich nicht etwa – wie damals viele Kollegen in Europa und den USA – mit dem offensichtlichen Nach- und Anbeten der Musik von Brahms, Bruckner und vor allem Wagner zufrieden gab. Der frische Wind, der ihre Musik energetisierend durchzieht, resultierte dabei unter anderem aus ihrer Beschäftigung etwa mit den Musiktraditionen der Inuit und von amerikanischen Ureinwohner:innen.

1932 entstand unter anderem Beachs einzige Oper Cabildo, die allerdings wohl erst zwei oder drei Jahre nach ihrem Tod uraufgeführt werden konnte. In Europa scheint das Werk noch auf keiner Bühne realisiert worden zu sein, aber immerhin war der Einakter Thema in einem Salon am Theater Basel Ende 2019. In der Oper geht es um die Flucht eines eingesperrten Piraten, der im Britisch-Amerikanischen Krieg gegen die Kolonialherrscher zu kämpfen sich anschickt.

Neben einer Hand voll Kompositionen für Orchester schrieb Beach außerdem vor allem Klavier-Solo-Musik für ihre eigenen Recitals, Kammermusikwerke sowie geistliche und weltliche Vokalmusik mit und ohne Orchester. Vor allem das Liedschaffen ist in seiner Quantität und Qualität zu rühmen – und wird inzwischen auch in Europa stärker rezipiert.

In letzter Zeit widmete sich die Geigerin Judith Stapf in mehreren Konzerten der Kammermusik von Amy Beach. Darunter befindet sich die Romanze für Violine und Klavier op. 23 aus dem Jahr 1893. Wie ein Liebesmotiv Wagners erklingt im Klavier eine E-Dur-Linie in sonorer Baritonlage, die sich zur gleich darauffolgenden Imitation eignet; vorhaltsdurchflochten, wehmütig. Das Klavier erzählt in vier Takten eine bittersüß-kurze Lovestory; noch bevor die Violine ihre Sicht auf die Dinge darstellen darf. Doch die unterscheidet sich nicht etwa von der Version des Klaviers, nein, die Violine lässt sich auf einem weichen Bett aus A-Dur hinfort tragen.

Der sanfte und kindlich schmerzvoll-süße Gesang spinnt sich zunächst nur mit sublimen, leisen Drängereien in den Tönen zwischen den Zeilen fort; die synkopierte Begleitung in Liaison mit dem gechillt-wagnerischen E-Dur-Säuseln der Melodie erinnert angenehm an Elgars Salut d’Amour, das 1888 – also fünf Jahre vorher – entstand.

Amy Beachs ›Gaelic Symphony‹ wurde vor fast genau 124 Jahren vom @BostonSymphony uraufgeführt. @vanmusik blickt genauer auf ihre Romanze für Violine und Klavier.

Doch die Sachlage ist weitaus ernster. Das Stück von Beach ist stärker chromatisch durchsiebt, übermäßige und verminderte Halbtonzustände werden mittelstimmig, aber undogmatisch unauffällig aufgelöst. Verhalten dramatische Einbrüche bringen subtilste Abwechslung – ohne mit dem Hammer verstören zu wollen.. Alles bewegt sich äußerst klug, sinnlich und elegant gesetzt auf einen Höhepunkt zu, der in seiner starken Empfindung überrascht und frappierend ehrlich dem Gegenüber sein »Ich liebe dich!« gesteht; doch ohne peinliches Berührtsein der Beistehenden; alles entwickelt sich kreatürlich-natürlich aus der präsenten Musik heraus wie »von selbst«. Was für ein maximales Kleinod der Kammermusikliteratur für Violine und Klavier! ¶

Arno Lücker

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.