Das kleine 3 x 3 der Programmvorschau. Heute: 12 Seiten Farbe solo.
Heute ist Maifeiertag. Wir feiern mit und kommentieren im zweiten Teil der Stilkritik Inhouse-Edition die Arbeit hinter drei weiteren Saison-Broschüren.Nachdem wir im ersten Teil in Berlin geblieben sind, geht es heute von Leipzig über Hamburg nach München.
Oper Leipzig
Gestaltung: formdusche
KNOCKOUT – so heißt die Schriftart, die hier als einziges grafisches Element den Weg auf den Titel gefunden hat. Das gefällt mir gut, weil diese Schrift – nicht zuletzt wegen der wunderschönen »1« – eine meiner »All-Time-Font-Heroes« ist. Dazu ein zweifarbiger Farbverlauf in grisseliger Optik – so eine Gestaltung feiere ich!
Der Blick ins Innere überrascht mich positiv, denn schlägt man in Zeiten von Kostenoptimierung den Kund*innen vor: »Ich hab ne super Idee: Wir bringen auf den ersten zwölf Seiten nichts – außer einem Farbverlauf!«, dann müssen diese schon sehr cool sein. Und auch ein bisschen mutig. Vor allem, wenn die Ansprechpartner der Grafiker*innen nicht die direkten Leiter der (öffentlichen) Institutionen sind, sondern diese die Konzepte selbst noch »nach oben« präsentieren müssen. Findet am Ende das Gestaltete wirklich den Weg auf die Druckmaschine, können alle Beteiligten sehr stolz auf sich sein.
Das grafische Konzept der Premieren ist sehr analytisch. Der Überblick erinnert mich an einen Busfahrplan und ich wünsche mir direkt, dass alle Städte sich daran ein Beispiel nehmen. Denn auch Busfahrpläne dürfen gut aussehen – ohne dabei die Übersicht und gute Lesbarkeit zu verlieren.
Für die einzelnen Stücke wurden sehr minimale Landschaftsbilder mit einem Farbverlauf eingefärbt. Wahrscheinlich korrespondieren auch hier die Bilder symbolisch mit den Inhalten der Stücke. Bei einer so minimalen Bildsprache stelle ich mir die Auswahl sehr spannend vor.
Die Typografie und das Layout der Informations-Doppelseiten gefällt mir. Schönes Raster, spannungsvoll gesetzt und guter Kontrast aus serifenlosen und serifenbetonten Schriften. Die verschiedenen Informationsebenen sind schön voneinander getrennt und hat man das System einmal verstanden, findet man sich auch im Rest der Saisonbroschüre gut zurecht.
Das Repertoire ist nicht so opulent gesetzt wie die Premieren, aber auch hier wird das typografische Konzept gut durchgezogen. Der Kalender ist minimal gehalten, beinhaltet relativ viele Informationen, ohne aber überladen daher zu kommen. Das ist sauber und übersichtlich gemacht. Sehr gut!
Die Mitarbeiter des Hauses werden in schwarz-weiß portraitiert. Weitestgehend – mit wenigen Ausnahmen – sehen die Bilder wie aus einem Guss aus. Auch hier alles sauber und was das Raster angeht, spannungsvoll umgesetzt, ohne langweilig und öde zu wirken.
Auch bei den sonstigen Inhalte wurde das gestalterische Konzept ordentlich adaptiert. Für die Bebilderung hat man eine schöne grafische Klammer gefunden, die die verschiedenen Bildsprachen unaufdringlich und zum Konzept passend zusammenfasst.
Die Anzeigen werden zwar zwischendurch platziert, aber zumindest so, dass sie den Lesefluss nicht besonders stören. Logo-Seiten sind immer furchtbar und es gibt wahrscheinlich so viele schöne Logo-Seiten wie es gerade Bäume im Wald gibt. Von daher: Gut umgesetzt. Der Rest muss eben so sein, wie es ist.
Bevor man aus der Broschüre »entlassen« wird, darf man auf 14 Seiten noch einen Blick hinter die Kulissen werfen. Jetzt fragen sich manche bestimmt, warum man denn diese tolle Fotoserie nicht an den Anfang gestellt hat… statt der »ollen« Farbverläufe?! Ich hingegen finde die Idee dahinter sehr gut.
Nachdem man am Anfang von der Mystik der Opernwelt hereingebeten wurde, zwischendurch einen guten Überblick über das Angebot und die Hard Facts bekommen hat, wird am Ende noch mal so richtig schön das Wasser im Mund zum Zusammenlaufen gebracht, damit man sich für das einzig Richtige entscheidet: einen Besuch im Haus, dessen Saisonbroschüre man gerade liest.
Zusammenfassend gefällt mir das alles sehr gut. Man merkt, dass alle Beteiligten – von der Marketingabteilung über das Gestaltungs-Studio bis zu den Entscheider*innen im Haus – richtig Lust auf das Projekt hatten. Sowas zahlt sich am Ende immer aus!
Staatsoper Hamburg
Gestaltung: PETER SCHMIDT, BELLIERO & ZANDÉE (Konzept) & Annedore Cordes (Gestaltung)
Beim Betrachten des Covers muss ich direkt an die »Hanseatische Nüchternheit« denken. Leider erweckt das bei mir nur wenig Emotionen – und das obwohl ich wirklich großer Fan von minimaler »Typo-Only-Gestaltung« bin. Auch der Gedanke daran, dass der Farbton in der gedruckten Version wahrscheinlich Gold (oder eine andere ähnliche Sonderfarbe) sein könnte, lässt mich in diesem Fall eher kalt. Mir ist das zu neutral und negativ ausgedrückt fast schon beliebig.
Im Gegensatz zum Cover gefällt mir der Einstieg dahinter sehr viel besser. Die Serie Gesichter der Staatsoper ist farbenfroh fotografiert und die Dramaturgie der Seiten mit den weißen Rahmen ist spannungsvoll, auch wenn die Motive doch sehr »normal« und »leicht verdaulich« sind. Die abgebildete »Peergroup« sieht in der Summe nicht sehr divers und experimentierfreudig aus.
Die Vorstellung der Premieren und des Repertoires kommt komplett ohne Abbildungen aus. Erstere unterscheidet sich optisch von Letzterer nur durch einen zusammenfassenden Text, der auf der rechten Seite zu finden ist. Das kann man so machen, ist auch alles sauber und ordentlich gesetzt, macht mich aber nur bedingt an.
Mir fehlt hier der optische Teaser, der mir das Stück schmackhaft machen soll. Im Vergleich zu den bisher besprochenen Saisonbroschüren hat man sich es hier vielleicht etwas zu einfach gemacht.
Nach dem Programmteil kommen dann (davon losgelöst) sechs Seiten mit Aufführungsbildern der Repertoirestücke. Als »professioneller« Opernbesucher, der diese Aufführungen unter Umständen alle gesehen hat, fehlt mir an dieser Stelle das Neue: Das, auf was man beim Studium von Saisonbroschüren eigentlich Lust bekommen soll.
Es gab vielleicht bei Redaktionsschluss noch kein (anständiges) Bildmaterial, aber die bisher besprochenen Broschüren haben ja bewiesen, dass man auch andere visuelle Wege gehen kann, um Lust auf die Premieren – und somit einen Besuch im Haus – zu machen.
Die sonstigen Seiten sind übersichtlich, aber nicht sehr ansprechend gestaltet. Das könnte auch die Broschüre einer Reederei oder einer Versicherung sein. Man vermisst ein wenig das Grafische, das Verspielte, das Kreative.
Kalender und Preisliste etc. sind übersichtlich gestaltet und erfüllen ihren Zweck. Leider erinnert mich die Gestaltung an Excel-Tabellen. Und obwohl ich großer Fan von Excel-Tabellen bin, hätte man hier durchaus mehr Gestaltung ins Spiel bringen können.
Logo-Seite und Platzierung der Anzeigen braucht man hier nicht mehr zu erwähnen – mittlerweile sollten die geneigten Leser*innen selbst in der Lage sein, das fachgerecht zu beurteilen…
Wäre ich Lehrer und müsste der Gestaltung eine Schulnote geben, wäre es eine »befriedigend«: bestanden, aber nicht wirklich durch Glanzleistung aufgefallen.
Bayerische Staatsoper, München
Gestaltung: Bureau Borsche (Konzept und Gestaltung) und James Kerr / Scorpion Dagger (Abbildungen)
Auch wenn jetzt vielleicht etwas »Fanboy-Gehabe« mitschwingt, kann man eines nicht abstreiten: Die Saisonbroschüre der Bayerischen Staatsoper ist jedes Jahr aufs Neue ein Highlight – immer den Zeitgeist treffend, nicht selten seiner Zeit voraus und visuell sehr stark, vor allem wegen der opulenten Bilder, Illustrationen und Collagen, die (zum Großteil) extra für die Broschüre produziert werden. Dabei setzt man pro Saison auf ein*e Künstler*in wie zum Beispiel Jorinde Voigt in 2015/16, Georg Baselitz in 2017/18 oder James Kerr aka Scorpion Dagger in der aktuellen Saison.
Nach dem Editorial folgen 14 Seiten mit Dokumenten, Notenblättern, Korrespondenzen etc., die zum Eintauchen und Einzoomen einladen. So was finde ich super. Man hält sich das Buch ganz nah unter die Nase, um auch die kleineren Sachen lesen zu können – in der Hoffnung, vielleicht was Geheimes zu entdecken. Das sorgt beim Einstieg in die Broschüre für gute Laune.
Für die Premieren wurden individuelle Illustrationen/Collagen erstellt, deren Inhalt (wahrscheinlich) irgendwas mit der Handlung des Stücks zu tun haben. Was mir am Stil besonders gut gefällt ist die visuelle Nähe zu Renaissance-Bildern – jedoch mit einem sehr modernen Twist und dem ein oder anderen Augenzwinkern. Genau diese Art von Humor und Mut habe ich beim Hamburger Programm vermisst.
Auch die bewusste Entscheidung, komplett auf anderes Bildmaterial zu verzichten, finde ich super. Da waren sich alle Beteiligten einig, dass das übergeordnete Bild-Konzept wichtiger ist, als der Wunsch des Individuums, sein oder ihr Portrait-Foto an der ein oder anderen Stelle sehen zu wollen.
Das Repertoire unterscheidet sich vom Layout her eigentlich nur durch eine andere Überschrift und dass nicht jedes Stück eine eigene Abbildung hat. Dennoch tauchen zwischendurch immer mal wieder welche auf, die in der Größe variieren und dafür sorgen, dass es bei dem Umfang der Informationen nicht langweilig beim Blättern wird. Der rote Faden nimmt die Leser*innen super an die Hand und sorgt zwischendurch immer wieder für Momente des Wegdösens und Aufweckens.
Die restlichen Seiten mit den Zusatzinhalten sind sauber und dem Konzept folgend gestaltet. Die Anzeigen stehen am Ende jeweils auf der rechten Seite – das macht die Orientierung einfacher. OK, den Kalender hätte man ein bisschen schöner gestalten können, aber warum? Was braucht man hier? Datum, Rubrik und Titel – den Rest findet man auf den Seiten davor.
Diese Saisonbroschüre macht Spaß und wurde von Leuten gestaltet, die sich am Puls der Zeit bewegen. So sieht »zeitgeistiges« Design 2019 aus. Den Beweis dazu liefern einschlägige Hashtags auf Instagram. Insgesamt super – alles top! Ich freue mich auf 2020/21. ¶
Aus Gründen der Nachhaltigkeit haben wir für diese Ausgabe der Stilkritik auf gedruckte Belegexemplare verzichtet und beurteilen die Gestaltung ausschließlich anhand der Digitalen »Blätter-PDFs«. So sparen wir die Ressourcen von fast 3.000 gedruckten Seiten und neun Postsendungen quer durch Deutschland.
Uns ist bewusst, dass somit natürlich die wichtigen Faktoren wie Format, Material und Druckqualität nicht mit in die Bewertung einfließen können.