›Community Music‹ ist Kultursozialarbeit. Der Begriff nimmt dabei den Herausforderungen für Instrumentallehrer/innen nichts von ihrer Schärfe

Text · Datum 18.5.2016

Die befindet sich in einem starken Wandel. In sich ändernden Rahmenbedingungen sollen Lehrkräfte erfolgreich Unterricht erteilen, geraten dabei aber zunehmend unter Druck. Während sich das alte Berufsbild ausdifferenziert, zieht ein neues möglicherweise herauf: Ist die »Community Music« ein geeignetes Arbeitsfeld für Musikerinnen und Musiker? Ein Debattenbeitrag von Thomas Grosse, Rektor der Musikhochschule Detmold.

Aus dem Arbeitsfeld »Instrumentallehrkraft«, in dem vorwiegend im Einzelunterricht Wissen und Können weitergegeben werden, ist mittlerweile recht ausdifferenziert eine ganze Zahl von Schwerpunktsetzungen hervorgegangen. Natürlich gibt es ihn noch, den Einzelunterricht, in dem durch »Meisterlehre« in einer Eins-zu Eins-Situation unterrichtet wird, es gibt auch noch den Partnerunterricht und die mittlerweile gut etablierte Kleingruppe, in denen ein sehr erfolgreicher instrumentaler Gruppenunterricht stattfindet. Daran wird sich in Zukunft auch glücklicherweise nichts ändern. Gleichzeitig aber fordern Musikalisierungsprojekte wie Instrumentalklassen im schulischen Bereich, »Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen« (JeKITS), Kooperationsangebote mit Trägern der Jugendhilfe oder Kindertagesstätten und viele weitere musikpädagogische Veranstaltungen deutlich mehr Raum im Berufsalltag der Instrumentallehrkräfte. Durch diese gesellschaftlichen, politisch gewollten Erweiterungen bestimmter Arbeitsbereiche befindet sich die Instrumentalpädagogik in einem starken Wandel.

Heterogenität ist auch nicht mehr das, was sie mal war

Zu Beginn der Diskussion im vergangenen Jahrhundert wurde unter Heterogenität im Instrumentalunterricht vorwiegend die Gruppenbildung selbst verstanden, gewissermaßen als Abkehr von der »Homogenität« des Einzelunterrichts. Kamen dann noch unterschiedliche Geschlechter oder gar abweichende Leistungsstände oder Lebensalter hinzu, galt das bereits als Herausforderung. Mit zunehmender Öffnung der Angebote (beispielsweise durch Musikalisierungsprojekte oder Bläserklassen) umfasst Heterogenität auch unterschiedliche Zugänge zum Musizieren an sich: Menschen mit unterschiedlichen musikalischen Erfahrungshorizonten aufgrund sehr unterschiedlicher sozialer oder kultureller Herkunft und unterschiedlicher Motivationslage lernen nun in einer gemeinsamen Gruppe ihr Instrument. Unter dem Schlagwort Inklusion sollen mittlerweile auch andere Begabungen, Fähigkeiten und Bedürfnisse im Unterricht berücksichtigt werden, aber das Ziel des gemeinsamen Musizierens bleibt bestehen. Heute und in Zukunft verstehen wir unter Umgang mit Heterogenität zusätzlich, der Zuwanderung zu begegnen, verschiedene kulturelle und sprachliche Grenzen mit Musik zu überwinden.

Ein Beispiel aus der Praxis: Wundertüte Unterrichtsgruppe

In der Praxis sieht das dann beispielsweise so aus: In der Kooperation von Musikschule, Schulträger und lokaler Stiftung einer niedersächsischen Kommune treffen in einer Sprachlernklasse an einer Grundschule Kinder von 5 bis 12 Jahren aufeinander, die kein Deutsch sprechen. Durch das einmal wöchentlich stattfindende Musikangebot einer externen Musikschullehrkraft sollen sie einen Unterrichtsalltag erleben, in dem dieses Kommunikationshindernis einmal keine Rolle spielt. Von aus sehr stabilen Verhältnissen stammenden Jungen und Mädchen, deren Eltern aus beruflichen Gründen nach Deutschland kamen, bis hin zu schwer traumarisierten, aus Krisengebieten ohne Eltern eingereiste Kinder, die noch nie überhaupt eine Schule besucht haben, findet sich in dieser Gruppe alles. Nicht zu finden sind aber beispielsweise vergleichbare Vorstellungen von schulischen Regeln, ein einheitlicher Musikbegriff oder teilbare Erfahrungen gemeinsamen musikalischen Handelns. Kinder ohne nennenswerte musikalische Vorerfahrungen können ebenso Mitglied der Klasse sein wie Kinder, die bereits ein Musikinstrument beherrschen. Die Differenz der erforderlichen Fähigkeiten der Gruppenleitung zum ursprünglichen Berufsbild der Meisterlehre ist derart offensichtlich, dass hier Grübeln über die Situation angezeigt ist. Womit kann hier gelingender Unterricht gestaltet werden? Und erweitert sich angesichts dieser Herausforderung das Berufsbild dergestalt, dass es dem Begriff »Musikschullehrkraft« möglicherweise nicht mehr gerecht wird?

»Anhand Musikunterricht haben die Kinder die Wochentage gelernt, weil sie wissen wollten, wann er das nächste Mal stattfindet«, beschreibt die Klassenlehrerin die Attraktivität des Angebotes. In dem seit 2011 laufenden Projekt hat Musik immer eine verbindende Funktion eingenommen. Die jüngsten Entwicklungen bringen aber neue Herausforderungen, wie die Musikpädagogin schildert: »Die Zuwanderung aus dem arabischen Raum hat die Zahl traumatisierter Kinder spürbar ansteigen lassen, und es zeigt sich, dass diese teilweise emotional weniger zugänglich sind – hier bekommt das emotional wirkende Medium Musik seine Grenzen aufgezeigt.«

Die Situation ist also fragil und immer anders; Unterrichtsvorbereitung ist nur begrenzt möglich, da sich Zusammensetzung und Verfassung der Gruppe jederzeit ändern können.  »Hier helfen nur Flexibilität, Spontaneität, gute Nerven und Gottvertrauen«, sagt die Musikpädagogin, um dann noch anzufügen »… und ein wirklich großes Repertoire!«.

Es geht hier nicht darum, dass sich peu à peu das Arbeitsfeld »Instrumentalpädagogik« erweitert. Das ganze Berufsbild hat sich –  wenn wir die extremen Pole zwischen Einzelunterricht und offenen Gruppenangeboten vergleichen – stark verändert. Deshalb ist es auch immer wieder erforderlich, darauf hinzuweisen, dass gute Lehre bereits im Einzelunterricht eine höchst anspruchsvolle Tätigkeit ist. Und nicht jede Lehrkraft wird gleichermaßen alle im Lauf der Zeit hinzugekommenen Erwartungen erfüllen können und möglicherweise auch nicht erfüllen wollen.

In sich ändernden Rahmenbedingungen sollen Lehrkräfte erfolgreich Instrumentalunterricht erteilen, geraten dabei aber aufgrund eigener und fremder Erwartungshaltungen zunehmend unter Druck

Die eigenen Erwartungshaltungen liegen in der Natur der Sache: Engagierte Pädagoginnen und Pädagogen haben an sich selbst den Anspruch, ihrer Aufgabe und ihrem Gegenüber gerecht zu werden – immerhin ist Musikunterricht auch Beziehungsarbeit, weil Musik als Kunstform stets Beziehungen schafft, moduliert oder Erinnerungen weckt. Und musikalisch zu arbeiten ist im Prinzip so wunderbar, ein so starkes Erleben, dass sich daraus eine Lehrmotivation zu ergeben scheint, die beeindruckend belastbar ist. Die Neigung zur Selbstausbeutung scheint sich um des Objektes Musik willen zu erhöhen.

Die fremden Erwartungshaltungen dagegen entstehen aus einer Melange von politischen Interessen und pädagogischen Forschungserkenntnissen, aber auch wilden Annahmen, journalistischen Sensationsmeldungen, Argumentationsketten in der Schwerelosigkeit menschlichen Denkens und dem Wunsch, dass doch bitte alles gut werden möge, sobald Frau Musica den Raum betritt. Wird es aber nicht. So sehr wir die Überzeugung teilen, dass Musik uns Menschen in vielerlei Hinsicht positiv beeinflusst, so genau wissen wir mittlerweile, dass es nicht immer so einfach funktioniert. Natürlich hat Musik gesellschaftliche Gestaltungskraft und ist für den sozialen Zusammenhalt unverzichtbar. Deshalb freuen sich alle der Musikkultur Verbundenen, wenn diese Tatsache erneut beleuchtet oder einfach nur bekräftigt wird – die Validität der Argumentation ist zunächst zweitrangig.

Der Community Musician als neues Berufsbild?

Sehr aktuell ist momentan das Bestreben, die im anglo-amerikanischen Raum recht verbreitete Community Music als neues Aufgabenfeld der Musikpädagogik in Deutschland zu etablieren. Hinderlich ist dabei allerdings, dass es keine rechte Definition gibt, was denn Community Music genau sei – bitte lesen Sie selbst:

»Ob in einem Gefängnischor, in einer Früherziehungsgruppe, in einer Samba-Band von Behinderten, in einer Rockband im Altenheim oder einfach mit Freunden jammen – alle verbindet die Freude an der Musik und an der gemeinsamen musikalischen Erfahrung. Es spielt keine Rolle, ob die Musik gut klingt, ob die beteiligten Notenlesen können; ob sie musikalisch ›begabt‹ sind, ›normal‹ oder verhaltensauffällig; ob sie Klassik, Rock oder World Music spielen. Das einzige, was zählt, ist, dass die Beteiligten Spaß haben, sich persönlich und musikalisch ausdrücken und entwickeln können, sich als Teil einer Gemeinschaft erfahren. Dann sind sie Teil von Community Music.« (»musikschule )) DIREKT 2/2014«)

Die erste Frage zu diesem Zitat könnte lauten: Wenn es keine Rolle spielt, ob die Musik gut klingt – weshalb soll es sich dann um ein Arbeitsfeld für Musiker/innen handeln? Die zweite, sogar ungleich wichtigere: Wenn egal ist, wie es klingt, was hat es dann mit dem individuellen Ausdruck der Teilnehmenden zu tun? Und die dritte: Was ist denn Community Music (CM) jetzt eigentlich?

Für Musik-Anleitende in sozialen Arbeitsfeldern steht nicht im Fokus, Bewertungen im Sinne von »richtig« oder »falsch« vorzunehmen

Nach der hier gegebenen Definition handelt es sich bei der CM nicht um ein aus dem angloamerikanischen Raum importiertes Konzept, sondern bestenfalls um ein neues Label, das sich auf die seit langer Zeit bestens etablierten musikalischen Angebote der »Kultursozialarbeit« kleben ließe. Da sich deren Protagonisten mittlerweile deutlich positioniert haben, sind viele Aspekte der Bedeutung und des Wertes musikalischer Angebote sorgfältig beleuchtet und zueinander in Beziehung gesetzt worden. In der Publikation Ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit findet sich unter anderem auch die Klärung des Verhältnisses von ästhetischem Handeln und Bewertung beziehungsweise künstlerischem Anspruch. Es steht – anders als in der Instrumentalpädagogik im engeren Sinne – für Musik-Anleitende in sozialen Arbeitsfeldern nicht im Fokus, Bewertungen im Sinne von richtig oder falsch vorzunehmen. Die Handelnden (die Klientinnen und Klienten) selbst sind es, die sich irgendwann damit auseinandersetzen, wie ihre künstlerischen Produkte wirken. Zur Klärung: Es ist ein Unterschied, ob die Aussage im Raum steht (und damit die Haltung verknüpft ist), dass es keine Rolle spiele, ob die Musik gut oder schlecht klingt oder aber, dass es nicht primäres Ziel sei, dass sie gut klingt. Menschen machen Musik nämlich erfahrungsgemäß deshalb gerne selbst, weil sie über das eigene Tun und den individuellen Ausdruck eine ästhetische Praxis ausüben, die selbstverständlich zum Ziel hat, in irgendeiner Form ansprechend zu sein. Und das wird landläufig als »klingt gut« bezeichnet, auch wenn es um die subjektive Wahrnehmung geht.

Musikpädagogik in sozialen Arbeitsfeldern kann ein neues Berufsbild für Musiklehrkräfte sein

Ist Kultursozialarbeit (oder »Community Music«) ein neues Berufsfeld für Musiklehrkräfte? Ja klar, wenn die Musik im Mittelpunkt steht! Denn für spontanes Arrangieren, langfristige musikalische Begleitung von Musikgruppen, das Einbringen von neuen Impulsen, Improvisationsanteile, instrumentalpädagogische Fachkenntnis und eigenes, mitreißendes Musizieren bringen studierte Musikerinnen und Musiker beste Grundlagen mit. Natürlich bedarf es weitergehender Eigenschaften und Kompetenzen – Gruppenleitung, einen anderen methodischen Werkzeugkasten, große Kenntnis einschlägiger Literatur – und vor allem einer veränderten Haltung. Denn zunächst einmal bedeutet es eine Abkehr vom klassischen Instrumentalunterricht hin zu einem Musikunterricht mit allen Facetten: Singen, Bewegung, Musikhören und Musizieren mit einem vielfältigen Instrumentarium. Damit ist die Nähe zur Elementaren Musikpädagogik offenkundig, und sicher sind die Inhalte dieses Faches eine hervorragende Grundlage für Musikunterricht im Sozialen. Aber die besondere künstlerisch-pädagogische Ausrichtung der Instrumentallehrkräfte stellt einen Wert an sich dar und ist so vielfältig, wie es mögliche Unterrichtsszenarien gibt. Instrumentalpädagogik schafft allerorten und zu jeder Zeit Gelegenheit, Musizieren als Herzstück des Gruppenunterrichts und überhaupt in jeglicher musikpädagogischer Aktivität zu fördern. Immer wieder wird dadurch deutlich, was das besondere, zauberhafte Wesen der Musik ausmacht. Und gerade deshalb ist dringend dazu zu raten, nach einem ausgewogenen Verhältnis von künstlerischer Praxis und verschiedenen Unterrichtsformen zu streben, um Eindrücke und Impulse aus dem einen Bereich in einen anderen mitnehmen zu können.

Wir müssen respektieren, dass diese Arbeit nicht das Ziel aller Musiklehrkräfte ist, sondern dass die meisten mit einem ganz anderen Verhältnis zur Musik studiert haben. Doch diejenigen, die sich darauf einlassen können und wollen, erhalten die Chance, zu erleben, dass Musik eine großartige Kraft im Sozialen entfaltet. Sich dieser Herausforderung anzunehmen, ist jede Mühe wert! ¶