
Soziale Netzwerke kennen uns besser als wir uns selbst. Intelligente Schach-Algorithmen übertreffen nach kurzem Training alle Großmeister*innen. Genom-Editierungsverfahren erlauben Eingriffe ins menschliche Erbgut. Das digitale Maschinenzeitalter stellt unser Menschenbild zunehmend infrage. Unter dem Titel HUMAN__MACHINE spürt die cresc… Biennale für aktuelle Musik Frankfurt Rhein Main 2020 an zwei Wochenenden der Faszination nach, die das Verhältnis von Mensch und Technologie auf eine Vielfalt von Spielarten aktueller Musik ausübt. Zeitgenössische Musik trifft auf Heavy Metal, Noise, Turntablism und Live-Elektronik. Mit dabei sind neben Ensemble Modern und hr-Sinfonieorchester u.a. die britische Komponistin und Turntablistin Shiva Feshareki, der norwegische Live-Elektroniker Helge Sten, der britische Elektronik-Produzent Matthew Herbert, der österreichische Komponist Bernhard Gander, der ungarische Sänger Attila Csihar, der deutsche Rapper Samy Deluxe, der kanadische Heavy-Metal-Drummer Flo Mounier, der Dirigent und Komponist Enno Poppe und das ensemble mosaik sowie die hr-Bigband. Wir stellen in diesem Themenspecial drei Komponisten und einen Dirigenten vor, deren Musik bei der diesjährigen cresc… Biennale zu hören sein wird.
John Adams Short Ride in a Fast Machine für Orchester (1986) passt perfekt zum Festivalmotto. Auch sein großes Orchesterwerk Harmonielehre evoziert Maschinenfantasien und führt Techniken der Minimal Music mit der expressiven Welt von Spätromantik und Impressionismus zusammen. Surreale Traummalereien, die den Komponisten zu dem Werk inspirierten, erzählen u.a. von dem Supertanker, der wie eine Rakete aus der Bucht von San Francisco aufsteigt. Zu hören am 7. März im hr-Sendesaal in Frankfurt mit hr-Sinfonieorchester, hr-Bigband und Baldur Brönnimann. Außerdem: Werke von Eve Risser (UA), Matthew Herbert (UA) und Gavin Bryars.
Für VAN sprach Jeffrey Arlo Brown mit John Adams über die Mythologie unserer Zeit.
Auch Dirigent Baldur Brönnimann ist am 7. März bei FAST MACHINES dabei. In VAN erklärt er, warum er sich mehr Neues, mehr Geschichten und weniger Wohlfühl-Beethoven auf den Programmen wünscht.
In VAN sinniert der österreichische Komponist Bernhard Gander mit der Philosophin Bettina Stangneth und Kirchenmusiker Claus Bantzer über die Fragen, ob Musik böse werden kann und ob das Böse eine Musik hat.
Bei der cresc… Biennale thematisiert der Komponist in Oozing Earth for voice, extreme-metal drummer and ensemble die Urkraft der Elemente und den Kampf der Menschheit gegen die Natur. Bereits der Titel Oozing Earth weckt Bilder einer ächzenden, blutenden Erde, die sich mit dunklem Stöhnen zum letzten Mal aufbäumt. Für dieses ultimative Lamento verknüpft Gander die Musiker*innen des Ensemble Modern mit zwei Stars der Metal-Szene. Flo Monier, der Extreme-Metal-Drummer der Band Cryptopsy und Attila Csihar, Mayhem-Sänger und Stimme der Kult-Band Sunn O))) – zwei virtuose Musiker, die mit urschrei-artigem Gesang und maschinenhaften Rhythmen menschliche Verletzbarkeit und Brutalität verkörpern. Gewaltige Energien werden freigesetzt und verdichten sich zu einem düsteren Blick auf die Zukunft der Menschheit. Aufgeführt wird es am 6. März im Batschkapp Frankfurt zusammen mit einer Uraufführung von Helge Sten für Live-Elektronik und Ensemble. Es musizieren außerdem das Ensemble Modern und Brad Lubman. (Für dieses Konzert verlosen wir übrigens Karten auf unserem Sperrsitz.)
Enno Poppe tritt bei der diesjährigen cresc… Biennale gleich mehrfach in Erscheinung: Am 29. Februar leitet er bei BALLET MÉCANIQUE die Ensembles mosaik und Modern mit Georg Antheils gleichnamigem Werk sowie seinem Rundfunk. Außerdem ist er am 1. März als Dirigent Teil eines genreübergreifenden Crashkurses rund um das Festivalthema HUMAN__MACHINE: Im Zentrum stehen fünf Uraufführungen ausgewählter Nachwuchs-Komponist*innen, die gemeinsam mit dem Ensemble Modern und dem Dirigenten und Komponisten Enno Poppe im 9. Internationalen Kompositionsseminar erarbeitet wurden. In Filmen, Gesprächsrunden und Performances gehen Gäste wie die Komponistinnen Shiva Feshareki und Brigitta Muntendorf dem Verhältnis von Mensch und Maschine nach. Dazu erkundet das IEMA-Ensemble mit Klanginterventionen den ungewöhnlichen Konzertort. Austragungsort ist die temporäre, begehbare Rauminstallation Site des Kollektivs YRD.Works in der Turnhalle der Offenbacher Albert-Schweitzer-Schule.
In VAN erklärt Enno Poppe, warum er stolz darauf ist, wenn sich in Memes über ihn lustig gemacht wird und wie er auf Stückideen kommt.