Was in der Debatte um den Linzer »Theatervertrag« schiefläuft.

Text · Titelbild Ralph Aichinger (CC BY 2.0) · Datum 14.11.2018

Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) will den sogenannten »Theatervertrag« kündigen. Daran hängt ganz direkt die Finanzierung des renommierten Bruckner Orchesters und indirekt auch die des Ars Electronica Center in Linz. Der Theatervertrag besagt: Linz zahlt der »Theater und Orchester GmbH« des Landes Oberösterreich (zu der unter anderem das Bruckner Orchester, das laut Vertrag 10-mal pro Jahr in Linz spielt, und das Landestheater Linz gehören) jährlich 14 Millionen Euro, dafür unterstützt das Land wiederum die städtische LIVA, die neben anderen das Brucknerhaus in Gang hält, mit jährlich 7 Millionen Euro. Indirekt hängt am Theatervertrag auch die Förderung des Ars Electronica Center, das das Land aktuell mit 1,2 Millionen Euro unterstützt. Sollte es zur Kündigung kommen, werden auch diese Zuschüsse möglicherweise gestrichen. Über die Zukunft des Theatervertrags entscheidet der Linzer Gemeinderat am 6. Dezember 2018 (genaueres dazu in der österreichischen Tageszeitung Die Presse). Verständlicherweise geht jetzt ein Aufschrei durch die Linzer Kulturszene: #linzliebtseintheater, oder – reichlich sperrig – #linzliebtseintheaterundorchester. Der Protest mag berechtigt sein, nur: Er ist in seiner Argumentationsstrategie nicht besonders durchdacht.

Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) stellt die Kündigung des Theatervertrags im ORF als Akt der »finanziellen Notwehr« dar: Linz werde im Jahr 2019 insgesamt rund 149 Millionen Euro an das Land Oberösterreich zahlen. Der Theatervertrag sei eine der wenigen Stellschrauben, an denen gedreht werden könne, um weniger an das Land abtreten zu müssen (ganz nebenbei: Wie sinnvoll ist es, als Bürgermeister die Interessen der Stadt gegen die des Landes auszuspielen? Klingt das nicht irgendwie nach »Linz first«? Die Linzer FPÖ ist, wenig überraschend, begeistert von den Kündigungsplänen und grundsätzlich gegen den aus ihrer Sicht aktuell miesen Deal mit dem Land und die »Subventionierung« eines jeden Theaterbesuchs »mit bis zu rund 100 Euro«).

Luger denkt rein ökonomisch – und merkwürdigerweise lassen sich auf diese Argumentationsstrategie sowohl der Linzer Landestheater-Intendant Hermann Schneider als auch der Landeshauptmann Thomas Stelzer ein: In seiner Rede zur Eröffnung der Linzer »Langen Nacht der Bühnen« am letzten Wochenende wettert Intendant Schneider gegen die Kündigungspläne, führt aber als Begründung in erster Linie an, dass die Stadt Linz doch wirtschaftlich vom Theater profitiere, Stichworte »Umwegrentabilität«, Arbeitsplätze (1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) und Steuern. Auch Landeshauptmann Stelzer argumentiert im ORF für die Fortführung des Theatervertrags, weil die »gesamte Wertschöpfung« (Steuern und zahlungsfreudige Besucher*innen) der Stadt unterm Strich nutze. Beide begehen den Fehler, Kulturförderung mit Wirtschafts- oder Tourismusförderung zu verwechseln – obwohl sie selbst Kulturschaffende bzw. deren Fürsprecher sind oder sein sollten.

Das Bruckner Orchester bei der großen Konzertnacht des Ars Electronica Festivals • Foto Ars Electronica (CC BY-NC-ND 2.0)
Das Bruckner Orchester bei der großen Konzertnacht des Ars Electronica Festivals • Foto Ars Electronica (CC BY-NC-ND 2.0)

Warum lassen sie sich auf eine solche Diskussion ein? Argumentieren Kulturschaffende für Kulturförderung lediglich mit Prestigegewinn, Einnahmen und Besucher*innenzahlen, können sie nur verlieren. Wer jemals in einem klassischen Konzert war, wird nicht wegdiskutieren können, dass dort eine ganz bestimmte Klientel sitzt. Da hilft es auch nicht, dass das Bruckner Orchester versucht, seine Reichweite möglichst groß darzustellen:

»Wir haben einen nie dagewesenen Öffnungsprozess hinein in die Stadt, ins Land begonnen und verstehen uns als Mitgestalter unserer Gesellschaft, in vernetztem Handeln mit Institutionen wie Ars Electronica, der Johannes Kepler Universität, der Anton Bruckner Privatuniversität Linz und anderen mehr. Ich denke auch an unsere Orchesterwerkstatt MOVE.ON, die in viele Schule geht und in Migrationsprojekte involviert ist. Viele neue Formate versuchen nichts anderes als auf die Menschen zuzugehen und dies an unerwarteten Orten.«

Gegen den Vorwurf, dass Orchester und Theater nur von einer kleinen Elite gehört und gesehen werden, lässt sich nicht mit Zahlen ins Feld ziehen. De facto geht nur ein Bruchteil der Linzer Bürger*innen ins Konzert. Mit dieser Argumentation lässt sich also nicht viel Land gewinnen (das einzige noch schlechtere Argument ist das romantische Gerede von der Kunst, die alle zu besseren Menschen macht). Auch der Verweis auf Prestigegewinn und Kultur als »weicher Standortfaktor« einer Region schlägt in dieselbe Kerbe. Wer sich auf derartige Rechenspiele einlässt, gießt im Endeffekt Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Kunst vor allem als Mischung aus Entertainment und Wirtschaftsfaktor verstehen.

Wie aber hätte man sonst argumentieren sollen? Vielleicht mit einem ähnlichen Ansatz wie der Rechtswissenschaftler und ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm auf einer Tagung der Universität der Künste im Juni 2018. Grimm sagte dort in etwa: Kultur ist Sinnspeicher für die gesamte Gesellschaft und muss darum gefördert werden.

Wenn eine Gesellschaft über ein reiches Kulturleben verfügt, birgt das Chancen sowohl für ihre gegenwärtigen Daseinsform als auch für zukünftige Entwicklungen – der Gesellschaft und jedes Einzelnen. Davon profitieren auch diejenigen, die nicht ins Konzert, in die Oper oder ins Theater gehen. Dahinter steht die vielschichtige (und uralte) Debatte über die grundsätzliche Rolle von Kultur in der Gesellschaft – eine Debatte, die sich nicht auf die Länge eines Tweets eindampfen lässt und deren Erkenntnisgewinn sich politisch nicht derart umsetzen lässt, dass Erfolge oder Vorteile innerhalb einzelner Legislaturperioden sichtbar wären. Beides macht sie für die Tonalität, in der Politik aktuell diskutiert wird, wenig attraktiv. Aber als Reaktion auf den momentan grassierenden plumpen Populismus von rechts komplexe Debatten zu meiden, ist ebenfalls nicht besonders ratsam.

Kulturförderung ist keine Tourismus- oder Wirtschaftsförderung in anderem Gewand. @vanmusik vermisst die Debatte um die Rolle der Kunst in der Gesellschaft.

Ein weiteres gutes und vielleicht sogar weniger komplexes Argument für Kulturförderung, bei der es sich nicht um getarnte Tourismus- oder Wirtschaftsförderung handelt, liefert ausgerechnet ein Ökonom. Niko Paech erklärte vor kurzem in VAN: Kunst ist eine Möglichkeit, ein nachhaltiges Leben zu führen, das trotzdem reich an Erfahrungen ist (das setzt natürlich voraus, dass Kulturschaffende ressourcenschonend und vor allem lokal agieren und zum Beispiel nicht permanent mit ganzen Orchestern durch die Gegend jetten). Beide Argumentationslinien sprechen sich übrigens sowohl für Traditionspflege als auch für die Entdeckung von Neuem, für prestigeträchtige Projekte genau wie die Off-Szene, für Pop wie für Klassik aus. Auch bei Verteilungskämpfen innerhalb der Kulturszene würde es wahrscheinlich helfen, gemeinsam klar zu machen, warum Gesellschaften Kunst in ihrer Vielfalt brauchen und sich diese darum auch etwas kosten lassen müssen, als sich auf direkte und verkürzte Kosten-Nutzen-Zahlenspiele einzulassen. ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com