Langsam aber sicher klopft der Herbst an die Türe. Genau der richtige Zeitpunkt, um die Chaiselongue zu entstauben, den alten CD-Player aus dem Keller zu holen und Gnedby mal wieder auf Stand zu bringen. Gemeinsam mit Torsten Posselt vom Berliner Studio FELD – der unter anderem Plattencover für Nils Frahm, Ólafur Arnalds und den Rest der Erased Tapes Posse gestaltet – schauen wir auf die Gestaltung von neun klassischen CD-Veröffentlichungen aus dem Jahr 2018. Teil 2: Aufnahmen vom Ensemble KNM (Wergo), Petra Müllejans, Sabine Bauer und Marie Deller (bastille musique) und Nemanja Radulović (Deutsche Grammophon).

Ensemble KNM Berlin – Marco Stroppa, Space

Wergo, September 2018

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WOW, das ist trippy! Das Cover erinnert mich an parametrische Gestaltung, generatives Design und Visualisierung im Pseudo-3D-Raum. Sehr spacy, diese blau-grünen Farbchangierungen. Die Schrift ist irgendwas Condensed-mäßiges und alle Wörter sind klein geschrieben – ganz interessant im Vergleich zu den bisherigen. Hier scheint die Vorderseite der Platz zu sein, wo man sich austoben darf. Die Rückseite hingegen sieht relativ genormt aus: Großes WDR-Logo, das Ensemble-Logo und die Label-Copy im typisch »deutschen« Stil – toll!

Wenn man die CD aufmacht, fällt direkt das Compact-Disc-Logo auf. Super! Auch typisch deutsch irgendwie. Man sollte sich das zu Herzen nehmen und es wieder öfter nutzen.

Schauen wir uns das Booklet an. Das größte Problem bei Jewel Cases ist, dass man es immer rausfummeln muss und dann meistens was kaputt macht. [Versucht das Booklet aus dem Jewel Case zu bekommen.] Da bekomme ich leider direkt schlechte Laune – GOD DAMMIT. [Lacht und versucht es weiter.] Ich habe auch leider keine Geduld für so etwas, aber jetzt habe ich es raus. Echt erstaunlich, dass alles immer auf diesem furchtbaren Bilderdruckpapier sein muss.

Vom Duktus des Covers bleibt leider nicht viel übrig. Es gibt wenig Auffallendes. Einzig die Seitenzahlen stechen ins Auge, weil sie irgendwie das Wergo-Logo aufgreifen – das übrigens wegen seiner Formensprache auch eine Baufirma oder ein Türenhersteller sein könnte… So oldschool, dass es fast schon wieder cool ist. Lustigerweise nutzen alle bisher besprochenen CDs im Innenteil Blocksatz – keiner tanzt mal aus der Reihe. Ich mag Blocksatz auch, aber nur, wenn er gut gemacht ist. Und hier ist das nicht der Fall: Die Spationierung ist furchtbar und alles bricht irgendwie auseinander. Wenn die Leute von Adobe und InDesign den Gestaltern von Anfang an andere Einstellungen an die Hand geben würden, dann könnten die Menschen auch wieder besseren Blocksatz sehen.

Insgesamt haut einen das nicht wirklich vom Hocker und es ist eine relativ klassische Nummer. Wahrscheinlich gibt es ein gewisses Gestaltungsprinzip, woran man sich – mit relativ wenig Spielraum – halten muss.

Ich warte ja auf eine CD, bei der ich sofort denke »Ach guck mal, da hat jemand richtig Lust beim Gestalten gehabt!« [lacht]

Petra Müllejans, Sabine Bauer, Marie Deller – Johann Sebastian Bach: Sonaten für Violine & Cembalo

bastille musique, August 2018

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Yay, super – sooo! [Freut sich merklich – der Autor auch.] Hier haben wir einen grauen, klammergehefteten Stülpkarton mit einer weißen verklebten Banderole. Auf den ersten Blick natürlich eine Offenbarung im Vergleich zu allem, was wir bisher hatten. Zum ersten Mal fühlt man kein Plastik oder komisches Papier, sondern einen schönen Graukarton mit einem seidenmatten Aufkleberpapier. Das ist eine Gestaltungsarbeit! Hat irgendwie auch was archivarisches. Sieht gut aus und macht total Spaß! Für meinen Geschmack hätte die Schrift etwas kleiner sein können um noch mehr Weißraum zu generieren – aber das ist Nörgeln auf ganz hohem Niveau.

Ich bin Fan von weiß auf grau, aber ich könnte mir auch sehr gut farbige Aufkleber vorstellen. Das würde auf Graupappe auch toll aussehen und man könnte die einzelnen Releases noch besser unterscheiden.

Wie macht man das auf? Muss man die Banderole aufschneiden? Das wäre natürlich schade. [Versucht es zu öffnen] Ah ne, das geht auch so – man kann es aufklappen. Das ist gut! Geöffnet entdeckt man ein in schwarzes Seidenpapier eingewickeltes Paket. Das macht Spaß – zumindest beim ersten Öffnen. Ob man das nach jedem Hören wieder so einschlägt, ist eine andere Frage.

Das Booklet ist auf schönem, rauem und relativ dünnem Recyclingpapier mit Papiereinschlüssen gedruckt. Sehr schön! Der Satz ist klassisch, einfach und in schwarz-weiß gehalten. Sieht super aus! Schauen wir mal, wer das zu verantworten hat. [Sucht die Credits im Booklet.] Ah hier: »Art Direction and Design: The Simple Society«. Kenne ich zwar nicht, aber das haben die toll gemacht. Fantastisch!

Endlich mal kein Blocksatz, sondern Flattersatz, der tatsächlich fast bis an die Grenze der Seitenränder geht. Das kann beim Schneiden etwas kritisch werden, aber der Flattersatz verzeiht das bis zu einem gewissen Grad. Zum Lesen lädt es eher nicht ein, aber es macht Spaß, es in die Hand zu nehmen.

Neben dem Booklet liegen dem Paket noch ein Foto von Bach (auf Fotopapier), ein Leporello (auf matt gestrichenem Papier) und die beiden CDs (in Kartonstecktaschen) bei. Legt man die einzelnen Bestandteile nebeneinander, so fällt auf, dass man relativ deutlich die Unterschiede der verschiedenen Papiersorten sieht. Hätte man noch einen draufsetzen wollen, hätte man das etwas besser abgleichen können. Aber dennoch: eine runde Sache!

Schön, dass man auf dem Leporello noch Background-Informationen zur Produktion bekommt. Selbst für Nerds ist was dabei, da man die Art und Weise der Mikrofonierung und die bei den Aufnahmen verwendete Hardware sehen kann. Da kommt jeder auf seinen Geschmack.

Die CDs selbst sehen mit dem runden Formsatz auch gut aus. Ich frage mich nur, warum man da immer so viele Informationen unterbringen möchte, denn die verschwinden ja eh im CD-Player. Hier passt das schon – fehlt nur das Compact-Disc-Logo! [Lacht]

Insgesamt hat das ganz klar einen Sammlerwert. Jeder, der sich für das Label entscheidet, der entscheidet sich auch dafür, ein bisschen Geld in die Hand zu nehmen. Diese CD würde ich tatsächlich gerne behalten – auch wenn ich gar keinen CD-Player mehr habe.

»Diese CD würde ich tatsächlich gerne behalten.« Der zweite Teil der Stilkritik mit dem Designer Torsten Posselt in @vanmusik.

Am Ende scheiden sich aber auch da die Geister: Wenn ich mit Musiker*innen über die Gestaltung von Covern spreche, dann wollen die einen das total Besondere mit speziellen Verpackungen und die Anderen wollen einfach nur, dass ihr Release relativ schnell im Laden gefunden wird und dass der Hörer schnell und unkompliziert an das Abspielmedium kommt – und es auch wieder schnell und unkompliziert in die Verpackung legen kann. Es gibt da nicht die eine Wahrheit und den einen Weg. Deswegen ist es schön, wenn man direkt mit Künstler*innen arbeitet und das Label ein bisschen unterjocht. Umgekehrt gibt es aber auch Labels, bei denen von vorneherein klar ist, dass die Künstler*innen Freiräume zur Verwirklichung haben. Das geht meistens eher bei kleineren Labels aus dem Indie-Bereich.

Wenn du Platten gestaltest, hörst du dir dann die Musik vorher an? Oder lässt du dich von anderen Dingen inspirieren?

Oft finde ich es besser, die Musik vorher nicht zu hören. Das hat zwei Gründe. Zum einen: Wenn man genug andere Informationen hat – zum Beispiel über die Künstler*innen selbst und unter welchen Umständen die Alben entstanden sind – passieren manchmal schönere Momente. Zum anderen mag ich den Augenblick, wenn der Postbote die Belegexemplare bringt und man die gleiche »Magie« erleben kann wie die Käufer: Wenn man die Folie aufreißt, die fertige Platte in die Hand nimmt, checkt, ob alles gut aussieht oder ob es irgendwelche Probleme gibt und dann schließlich die Platte auflegt und zum ersten Mal richtig bewusst die Musik hört. Da passiert ganz viel, wenn man das auf sich wirken lässt.

Ich bin kein Musiker, spiele kein Instrument und kann technisch auch nicht viel dazu sagen. Eigentlich kann ich nur meinen eigenen Geschmack einbringen. Manchmal finde ich das selbst etwas anmaßend, aber viel lieber schaffe ich mit den Künstler*innen was Neues, das von mehreren Schultern getragen wird. Das macht mehr Spaß und bringt Freude vom Anfang bis zum Moment wo wirklich alles fertig ist.

In 20 Jahren möchte ich Freunde besuchen und Platten aus deren Sammlung ziehen, über die ich mich freuen kann, weil sie in Würde gealtert sind – unabhängig davon, ob die von mir oder von anderen gestaltet sind. Perfektes Beispiel für so was ist das Label ECM: Da weiß man nie, aus welchem Jahr die Releases sind. Super klassisch, viel Typografie, immer starke Bilder – und total zeitlos.

Es macht Spaß, Sachen von A bis Z zu gestalten und ich finde, dass gerade das zuletzt besprochene Cover ein gutes Beispiel dafür ist: Da hat sich jemand von Anfang an Gedanken gemacht. Jedes einzelne Stück ist aus einem gewissen Grund und für eine gewisse Sache gemacht – und gestaltet! Dafür braucht es eigentlich nicht viel: nur die richtigen Materialen und den richtigen Duktus.

Nemanja Radulović – Baïka

Deutsche Grammophon, November 2018

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Was bei der Deutschen Grammophon immer funktioniert, ist das »gelbe Türschild«. Hier haben wir ein ganz typisches DG-Release. Die legen ja immer sehr viel Wert auf Fotos, Typografie und Anordnung. Alles muss sehr puristisch sein. Gerne auch mit Pop-Bildern. Die Künstler werden auch zum Idol hochstilisiert. Das kann ich verstehen – müsste aber nicht immer so sein. Die Schrift kommt mir bekannt vor. Die mag ich. Auch alles ordentlich spationiert soweit.

Das Booklet ist wieder auf Hochglanzpapier. Ist das mit Gold gedruckt? [Hält das Booklet ganz nah ans Auge.] Das will ich jetzt aber wissen! [Holt einen Fadenzähler, um es zu prüfen.] Es ist nämlich nicht immer alles Gold was glänzt. [Schaut durch den Fadenzähler.] Hier wurde tatsächlich mit Gold als Sonderfarbe gedruckt. Das hat ein paar hundert Euro mehr gekostet – was aber beim Papier wieder eingespart wurde.

Der Satz ist verspielt zwischen Versalien und Sentence Case in schwarz und gold, es gibt viel Weißraum und eine lustige kleine, blaue Raute. Alles steht genau da, wo es hin muss. Auch hier haben wir wieder zweispaltigen Blocksatz, der aber ordentlich aussieht. Da war jemand vom Fach am Werk.

Es wurde viel Wert auf schöne Bilder gelegt – darüber kann man natürlich streiten. Man sieht Leute, die Spaß haben und lustige Springfotos machen. [Lacht] Insgesamt ist alles sehr poppig und das »Sternchen« Nemanja Radulović steht deutlich im Vordergrund.

Ein gutes Beispiel für die Maschinerie, die hinter so einer Produktion steckt: Die Fotos stammen von einem professionellen Fotografen, die Gestaltung von einer Werbeagentur und der Text von einem Projekt- und Redaktionsbüro. Wenn man genug Profis an einen Tisch setzt, die gut miteinander arbeiten können, dann kommt am Ende auch was Gutes bei raus.

In sich, eine runde Sache. Da ist nichts falsch dran und alles hat Sinn und Verstand – und Hand und Fuß. Am Ende kommt es natürlich auf den persönlichen Geschmack an. Von denen, die wir bisher gesehen haben, auf jeden Fall eins von der stärkeren Sorte. ¶

Torsten Posselt, FELD

Das Berliner Designstudio FELD ist auf Projekte an der Schnittstelle von digitalen Technologien und Designstrategien spezialisiert. Neben Ausstellungs- und Interaktionsdesign sowie Rauminstallationen und digitalen Kommunikationsprojekten sind visuelle Kommunikation und Grafikdesign weitere Schwerpunkte des 2011 von Torsten Posselt und Frederic Gmeiner gegründeten Studios.

Teil 1 in VAN #179:

Teil 3 in VAN #181:

... arbeitet als freier Art-Direktor und Grafik-Designer in Köln. Er kuratiert Ton, Text und Bild für verschiedene Labels und Projekte und gibt Workshops im Spannungsfeld von klassischer Typografie, experimentellem Design und interaktivem Sound. Bei VAN kümmert er sich um Pixel, Codes und Kreatives. alex@van-verlag.com