Klassik und aktuelle Musik werden dort zur interessanten Kultur, wo es Kopplungen und Rückkopplungen mit Orten gibt, mit Menschen. Wo sich die Frage stellt, welche Räume von wem für wen auf welche Weise bespielt werden und was das mit dem Leben in der Stadt, der Region zu tun hat.

Eine Diskussionsrunde mit Hans-Georg Kaiser, Intendant des Freiburger Barockorchesters, Jan F. Kurth, Sänger, Komponist und Improvisationskünstler, Dominica Volkert, Operndirektorin des Stadttheaters, Wolfgang Herbert, stellv. Geschäftsführer im E-Werk und Klaus Steffes-Holländer, Pianist des ensemble recherche.

Das Gespräch wurde moderiert vom Komponisten und Texter Clemens K. Thomas und fand statt am 12. September 2016. Wir treffen uns im Ensemblehaus, dem gemeinsamen Domizil des Freiburger Barockorchesters und des ensemble recherche. Ein heißer Spätsommertag, für Dominica Volkert ist es der erste Arbeitstag nach den Theaterferien. Passend dazu wird zum Gespräch Rivella getrunken, es schmeckt noch ein wenig nach Sommerpause… Auf dem Tisch steht Kuchen, natürlich zum Essen, aber auch als Metapher: Wenn der Kuchen die Gesamtsumme der städtischen Förderung für Musik wäre, dann müsste Dominica Volkert als Vertreterin des Stadttheaters von diesem Kuchen fünfzehn Stücke essen. Die restlichen ein bis zwei Stücke würde sich der Rest der Anwesenden teilen …

Dominica Volkert
Dominica Volkert

Dominica Volkert: Wir sind uns als Kunstermöglicher oder -machende schnell in dem Punkt einig, dass es im Grunde immer zu wenig Geld ist. Aber es ist mir natürlich völlig klar, dass ich als Vertreterin einer staatlichen und städtisch subventionierten Institution zunächst mal auf einen großen Sockel Betrag, nicht nur finanziell, sondern auch infrastrukturell, zurückgreifen kann.

Jan F. Kurth: Ich möchte auf gar keinen Fall Verteilungskämpfe aufmachen, das liegt mir fern. Trotzdem möchte ich feststellen: Der Etat im Kulturamt für die Projektförderung der freien Musikszene beträgt jährlich 25.000 €. Darum balgen wir uns – ich spreche beispielsweise für das un-sound Kollektiv, mit denen?? wir in Kooperation mit dem E-Werk die Musikreihe Freispiel machen, eine Reihe für aktuell improvisierte Musik mit Gästen und lokalen Playern. Von diesen 25.000 € bekommen wir einen Bruchteil und müssen dann am Ende die Künstler teilweise bitten, dass sie trotzdem kommen sollen, weil das ganz wichtig ist, was gerade passiert.

Wolfgang Herbert
Wolfgang Herbert

Wolfgang Herbert: Es gibt noch mehrere solcher kleinen Reihen im E-Werk, die unter den gleichen Bedingungen arbeiten. Das sind alles Sachen, die, nischen-bedingt, nicht so publikumsintensiv sind. Da muss man froh sein, wenn 20 oder 50 Zuschauer kommen – wenn‘s voll wird, dann sind mal 80 da! Trotzdem ist das wichtige Forschungsarbeit, die gemacht werden muss.


Der Kuchen entpuppt sich als schwieriger Gesprächseinstieg, die Reduktion eines komplexen Sachverhaltes provoziert (wen es genauer interessiert: im Freiburger Haushalt 2015/16 geht es ab S. 89 um die konkreten Zahlen der Musikförderung Freiburgs, S.1067 zeigt den städtischen Eigenbetrieb Theater). Dominica Volkert nimmt schließlich ein »ganz schmales, bescheidenes« Stück Kuchen und das Gespräch geht weiter.


VAN: Gibt es einen Austausch zwischen den maßgeblichen Akteuren? Dazu ein kurzes Zitat aus dem kulturkonzept.freiburg vom Mai 2009. Dort stand unter »Schwächen«: »Die einzelnen Kulturbereiche agieren zu isoliert, Vernetzung und Kooperation finden zu wenig statt. Insgesamt erscheint aufgrund der Dominanz der größeren Kultureinrichtungen die Kultur in Freiburg stark institutionalisiert, wodurch neue Initiativen und Experimente zu sehr an den Rand gedrängt werden. Aufgrund der strukturellen Schwäche Freiburgs an Frei-Räumen für Kunst und Kultur, verbunden mit den hohen Kosten für Räume aller Art, werden Nischenkulturen (…) erschwert. Das tendenziell von der Masse des Angebots (…) überforderte Publikum in dieser Situation für Innovatives oder Experimentelles zu erreichen, ist besonders schwer.«Inwiefern ist das nach 7 Jahren noch gültig?

Herbert: Es stimmt heute auch noch, aber es hat sich natürlich etwas verändert: es gibt heute ein bisschen mehr freies Geld, was dazu führt, dass sich ein paar mehr Leute professionalisieren können und dadurch länger dabei bleiben. Das ist ein wichtiger Aspekt. Es gibt zum Beispiel jetzt den Innovationsfond des Landes, das hat mit der Stadt gar nichts zu tun. Dort kann man in einer Größenordnung Geld beantragen, wie es das vorher nicht gab. Auch die Stadt hat die Töpfe erhöht, für die Projektförderung Musik und die Bildende Kunst am wenigsten, das muss ich zugeben, die sind wirklich die am absolut schlechtesten geförderten.

Hans-Georg Kaiser
Hans-Georg Kaiser

Hans-Georg Kaiser: Sagt mir mal, wenn der Topf so klein ist, diese 25.000€ Musikförderung für freie Projekte, können die sich als Gruppe nicht hörbarer machen in Freiburg?

Kurth: Haben wir! Wir haben Projekte zusammengelegt, was zunächst von der Stadt begrüßt wurde und am Ende dann nicht gleich viel Geld, sondern ein Drittel des Geldes gab, das ursprünglich zur Verfügung stand. Ich kann, denke ich, für viele sprechen: wir sind gar nicht in dem Maße politisch aufgestellt, als dass wir das wirklich könnten. Wir haben so gesehen auch keine Verhandlungsmasse. Wenn wir uns dazu entschließen aufgrund der Situation das, was wir tun, nicht mehr zu tun, dann gibt’s das halt einfach nicht mehr. Und dann…

Kaiser: … das darfst du nicht laut sagen! …

Kurth: … verschwindet es.

Kaiser: Nein, das darfst du wirklich nicht laut sagen! Man muss sich einflussreiche Leute suchen und sie mit den eigenen Ideen anstecken, das haben wir genauso gemacht vor dem Bau des Ensemblehauses. Es geht um Netzwerke, nicht nur von Leuten, die mal hier oder da etwas spenden, sondern auch für die Institutionen sprechen. Euer Fördertopf bei der Stadt Freiburg würde bestimmt anders aussehen, wenn ihr da noch mehr zusammenstehen und Fürsprecher suchen würdet.

Herbert: Was die Kooperationen betrifft: Wir machen inzwischen im vierten Jahr die Reihe Linie 2 mit dem SWR zusammen – was für uns ein Glück ist, inhaltlich und finanziell: das finanziert der SWR… Von der hohen künstlerischen Qualität profitiert das E-Werk, da das wieder andere Zuschauer anzieht. Es gibt einen Win-win-Effekt zwischen den großen und den kleineren Institutionen.

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Kaiser: Seit 2012, seit wir das Ensemblehaus haben, bezieht sich unser »gemeinsames Projekt« in erster Linie auf die Zusammenarbeit mit dem ensemble recherche. Wir versuchen neben den Abo-Konzerten im Konzerthaus hier im Haus neue Formate zu etablieren. Bei Schlag 6! machen wir mehrfach in der Saison die Tür auf ohne ein Programm zu verraten – es kann sein, dass zwei Musiker was zusammen vorspielen, es kann sein, dass ein Musiker ein Instrument erklärt oder dass ein ganzes Orchester spielt – und das wird toll angenommen, von einem Publikum, das nicht weiß, ob es Alte oder Neue Musik antrifft, die sind total offen! So ein Publikum haben wir natürlich im Konzerthaus in Freiburg nicht. In einer Stadt mit der Universität als der größten Arbeitgeberin gibt es ein Bildungsbürgertum im besten Sinne, die kommen auch zu uns ins Konzerthaus – da sind die Möglichkeiten für Experimente eher begrenzt.

Es ging in dem kulturkonzept-Zitat auch um die hohen Kosten für die Räume. Inzwischen hat sich mit dem 2012 eröffneten Ensemblehaus und dem SÜDUFER 2015 ganz entschieden auch etwas geändert –

Kurth: – aber der Güterbahnhof ist weg, das ist ein Problem! In den Seitenschuppen des Güterbahnhofs hatten viele Kollegen ihr tägliches Auskommen, ihre Probe- und Unterrichtsräume, ihre Studios… Das ist alles weg! Und dafür gibt es keinen Ersatz.

Gibt es jetzt ein Ungleichgewicht?

Kurth: Auf jeden Fall! Es stehen Kollegen auf der Straße. Insbesondere auch Musikgruppen, die keine Produktionsorte mehr haben, die sich kostspielig für Projekte irgendwo einmieten müssen, die zum Teil raus aus der Stadt gedrängt werden. Weil sie sich diese Stadt, sowohl was die Lebenserhaltungskosten, als auch was die Produktionskosten angeht, nicht mehr leisten können.

Jan F. Kurth
Jan F. Kurth

Kaiser: Räume sind insgesamt unheimlich teuer geworden. Ich erinnere mich, bis vor 10 Jahren hat das Freiburger Barockorchester in allen möglichen Räumen, oftmals in leerstehenden Bürgerhäusern, geprobt und so gut wie nie etwas dafür gezahlt, das Kulturamt der Stadt half uns. Innerhalb der letzten 10 Jahre hat es begonnen, dass die Stadt und auch andere dafür Geld nehmen konnten. Und ein Grund, warum das Ensemblehaus steht, ist, dass wir in den letzten paar Jahren jeden Tag 300 Euro bezahlt haben um irgendwo proben zu können. Und das war so viel Geld, dass wir etwas Eigenes suchen mussten.


Nachdem anfangs kulturpolitische Themen die Gesprächsrunde beherrschen, meldet sich nach knapp einer Stunde zum ersten Mal Klaus Steffes-Holländer, Pianist des ensemble recherche, zu Wort. Er hat zuvor lange zugehört, schließlich einige Gedanken skizziert und reflektiert jetzt über den Zusammenhang zwischen Geld und Substanz.


Klaus Steffes-Holländer
Klaus Steffes-Holländer

Klaus Steffes-Holländer: Ermöglicht dieses Geld, über das wir die ganze Zeit gesprochen haben, auch eine Substanz? Was mich immer stolz gemacht hat und weswegen ich auch nach wie vor bei der Stange geblieben bin: beim ensemble recherche ist eine ganz große Substanz. Sie ist entstanden durch den wahnsinnigen Einsatz jedes Einzelnen. In über 30 Jahren hat das Ensemble viele Werke uraufgeführt, CDs aufgenommen, Komponistengenerationen mitgeprägt. Die Besetzung, die es damals zum ersten Mal gab, ist heute eine Art Standard-Besetzung. Oder auch die pädagogische Hinterlassenschaft: da ist eine ganz große Substanz entstanden – ohne viel Geld.

Kaiser: Aber ich glaube, das ist bei uns allen so. Ich kann fürs FBO sagen, wir haben total klein angefangen, in einfachen Verhältnisse und haben auf das vertraut, was wir am besten können.

Steffes-Holländer: Wodurch entsteht denn das Besondere, entsteht das, weil viel Geld da ist? Ich war in den letzten Jahren oft in Stuttgart, wenn du siehst, was die für Möglichkeiten haben, an Räumlichkeiten, das glaubt man nicht! Da ist viel, viel mehr Geld…

Kaiser: … jetzt fängst du aber an vom Geld zu sprechen!

Steffes-Holländer: Da stellt sich die Frage: ist das so viel besser? Oder ist das nur größer und hat gar nicht mehr Substanz?

Volkert: Das ist ein wichtiger Punkt: Das ensemble recherche und das FBO sind Gründungen von hier, teilweise sind noch die Gründungsmitglieder aktiv. Dieses künstlerische Gemeinschaftsgefühl ist unschätzbar! Denn das, was Kontinuität bedeutet und was 30 Jahre bedeutet… – ist das FBO eigentlich auch 30?

Kaiser: Nächstes Jahr.

Ensemble recherche • Foto M. Korbel
Ensemble recherche • Foto M. Korbel

Um dort einzuhaken, mit einem Blick auf die Gründungen in der gleichen Zeit: 1985 wurde das ensemble recherche gegründet, ‘86 Ensemble Aventure, ‘87 das FBO, ‘91 der Balthasar-Neumann-Chor und ‘92 das Ensemble SurPlus. Ebenso bei den Veranstaltern und Räumlichkeiten: ‘85 Eröffnung des Museums für Neue Kunst, ‘87 Eröffnung des Jazzhauses, ‘89 Eröffnung des Theaters im Marienbad, ‘89 Umwidmung des E-Werks zum Kulturhaus… Zwischen 1985 und 1992 gibt es eine Ballung, in der eigentlich alles, was heute als »etabliert« gilt, »gesät« wurde. Was waren vor ungefähr 30 Jahren die Rahmenbedingungen, in der das kulturelle Leben der Stadt Freiburg derart sprießen konnte?

Kaiser: Ist das eine Freiburger Spezialität? Ich denke an andere Ensemble-Gründungen, etwa das Ensemble Modern (Gründungsjahr 1980, d. Red.), Concerto Köln (1985), die Akademie für Alte Musik in Ostdeutschland (1982)… Das war eine Gründerzeit für freiere Strukturen im Bereich der klassischen Musik, vielleicht auch die Ideen der 60er Jahre, dass man, anstatt sich den etablierten Strukturen anzuschließen, etwas Eigenes macht. Gottfried von der Goltz (Barockgeiger, künstlerischer Leiter des FBOs, d. Red.) hatte eine Stelle beim NDR mit 21 Jahren. Obwohl er dort viel Geld verdiente, ich glaube 6.000 DM monatlich, sagte er sich: »Das kann‘s nicht sein, ich bin nicht 44 Jahre in diesem Orchester.« Also schloss er sich unserer Sache an. Das war typisch für diese Zeit, dass man, alles auf eine Karte setzend, für eine Idee kämpfte.

Steffes-Holländer: Das war bei uns auch so, Martin Fahlenbock (Flötist des Ensembles, d. Red.), war im Stadttheater und Melise (Mellinger, Geigerin, d. Red.) hatte in Frankfurt eine Stelle. Ich glaube aber schon, dass das Umfeld günstiger als heute war. Der Rundfunk investierte beispielsweise sehr viel mehr als heute.

Herbert: Aber dass in Freiburg so viel hängen geblieben ist, das finde ich schon…

Kaiser: …erstaunlich!

Herbert: Ich mein‘, die Freiburger nach dem Krieg: dass sie ihr Stadttheater als erstes wieder aufbauten, vor den Häusern. Ungeachtet dessen, ob das so stimmt, es gab scheinbar schon immer…

Kaiser: …ein Bewusstsein für Kultur.

Herbert: Ja, anscheinend, auch die Musikhochschule natürlich. Auch dank der Uni gab es schon immer eine rege, relativ kritische Studentenschaft – für so eine Kleinstadt mit damals weniger als 200.000 Einwohnern!

Steffes-Holländer: Die Ensembles sind vielleicht auch hier entstanden wegen der Musikhochschule, wo viele studiert haben. Gleichzeitig sind wir auch nicht speziell das geworden, was wir jetzt sind, weil wir in Freiburg beheimatet sind und waren, sondern es war einfach hier, glaube ich, und ist hiergeblieben, vielleicht auch weil die Musiker gerne hier wohnen. Die Stadt und die Umgebung ist schon angenehm…


… der Vorteil der Provinz? Dass man nach den vielen Reisen eine Homebase in der gut situierten Landschaft findet…?

Kaiser: Wir empfinden deswegen auch Provinz nicht als Nachteil! Wir haben ein total interessiertes Publikum. Für das Stadttheater ist die Situation sicherlich anders.

Volkert: Das Theater hat, was den Opern-Bereich betrifft, ein Alleinstellungsmerkmal. Während es auf rein musikalischer Ebene in Freiburg eine erstaunliche Dichte an Ensembles gibt. Das Publikum hat in dem Bereich durchaus eine Wahlmöglichkeit. Im Opern-Bereich muss man zumindest über die Stadtgrenze fahren, nach Basel, Karlsruhe oder Mannheim… Wenn das ein Kennzeichen von Provinz ist, dass es kleiner ausgestattet ist und dass nicht 25 Konkurrenten in der gleichen Sparte vorhanden sind, dann ist das hier im besten Sinne Provinz. Aber das würde ich bei der Oper eher sagen, als für euch. Und mittlerweile ist für mich Provinz keine negative Bezeichnung – abseits der Metropole ist es kleiner, aber trotzdem genauso wirbelig. Neulich saß ich in München in einer Mefistofele-Neuinszenierung und dachte mir: na ja, von dem Bühnenbild zahlen wir eine ganze Spielzeit – und zwar nicht nur Bühnenbild und Kostüme, sondern gleich die Regisseure dazu… und trotzdem fand ich es unglaublich fad und langweilig!

Kaiser: Ich war gestern Abend in Stuttgart im Abschlusskonzert des Musikfests. Das Publikum dort war eine Mischung aus klassisch interessiertem Publikum und Sponsoren bzw. Politikern. Einfach »von Gesellschaft« – sowas findest du hier in Freiburg nicht einmal im Jahr. Das ist ein Problem, was wir in der Wahrnehmung von unserem Tun haben.

Kurth: Aber in Stuttgart ist auch eine unvergleichliche Ballung von Kapital. Wenn in Freiburg der Direktor der Schwarzwaldmilch ins Konzert kommt, fällt er vielleicht gar nicht auf.

Kaiser: Das kann auch sein. Nein, aber die vielen Entscheider, die kommen nicht einfach so in Freiburg ins Konzert – das ist der Nachteil von Provinz.

Volkert: In Bezug auf die Überlegungen, wie man zu Geld kommt, stimmt das natürlich. Aber wenn ich schaue: wie viel vom Publikum sitzt jetzt aufgeregt und neugierig und angespannt auf der Stuhlkante und wie viele hocken mit Gold behangen, mit schönen Frauen links und rechts und noch schöneren Männern vorne und hinten da, die einfach nur da sind, weil es dazugehört …

Kaiser: Da gebe ich dir total Recht. Nur wünsche ich mir manchmal für unsere tolle Reihe auch eine andere Wahrnehmung, die wir so nicht haben.

Volkert: Was das schlimmste ist, ist nicht, dass wir hier in der Provinz sitzen, sondern, dass in manchen Situationen die angebliche Nicht-Provinz mit einem Hochmut und einer Selbstgerechtigkeit von oben nach unten blickt!

Kaiser: Das stimmt.

Kurth: Dem muss ich widersprechen. (Die Kontroverse erzeugt Heiterkeit.)

Volkert: Ich sage das deswegen, weil ich bei einer Kooperation mit der Münchner Biennale für neues Musiktheater auf einer Pressekonferenz in München eingeladen war, als Vertreterin des koproduzierenden Stadttheaters Freiburg. Was die Münchner Presse an Herablassung formuliert hat, wo es denn mit der Münchner Biennale hingekommen sei, dass sie nicht mehr selbst produzieren, sondern in der Provinz ein Stadttheater brauchen! Also das ist eine Arroganz!

Kurth: Ich bin seit sieben Jahren in Freiburg und trete natürlich auch außerhalb auf. Ich habe immer das Gefühl, dass Freiburg von außen zwar als kleine Stadt, aber als kleine Weltstadt wahrgenommen wird. Freiburg ist in meinen Augen – und durch meine Erfahrung bestätigt sich das immer wieder – ein Qualitäts-Label. Das hat sicher auch damit zu tun, wie ihr alle nach außen strahlt.

v.l.n.r Klaus Steffes-Holländer, Fragesteller Clemens K. Thomas, Wolfgang Herbert
v.l.n.r Klaus Steffes-Holländer, Fragesteller Clemens K. Thomas, Wolfgang Herbert


Wie nehmt ihr das Freiburger Publikum wahr? Was zeichnet es aus, wie begegnet ihr ihm?

Volkert: Das Freiburger Publikum ist im Opernbereich von Haus aus ein sehr interessiertes, neugieriges und opernbegeistertes, aber zunächst, wie immer bei der Oper, ist es ein traditionelles Publikum. Hinzu kommt, dass der Einzugsbereich wahnsinnig weit ist, von Offenburg bis Weil am Rhein und von Rottweil bis zum westlichen Kaiserstuhl. Wir versuchen dieses Publikum in einen Austausch einzubinden und  nicht nur die Vorstellung als Ergebnis hinzuklatschen.

Freiburg als Universitätsstadt kam vorhin schon zur Sprache. Inwiefern habt ihr die ca. 30.000 Studierenden als Zielgruppe im Auge?

Volkert: Da das Theater gegenüber der Universität ist, überlegen wir natürlich, wie viele Studierende bei uns in den Vorstellungen sind. Wir freuen uns sehr, dass zunehmend, das hat sich sukzessive ergeben, ein erhöhter Betrieb an der Abendkasse feststellbar ist und dass tatsächlich die Jungen kommen.

Kaiser: Wir versuchen für die Studierenden spezielle Angebote zu machen, sodass sie kurzfristig, für sehr wenig Geld in Konzerte reinkommen können. Häufig, wenn wir Gastspiele machen, treffen wir dort Leute, die uns nach dem Konzert sagen: »Ich hab‘ mal in Freiburg studiert, da habe ich euch vor 20 Jahren schon gehört.«

Kaiser: Ich bin froh, dass es das Ensemblehaus für unsere beiden Ensembles gibt. Dadurch haben wir auch den Auftrag, für den Fortbestand dieser Ensembles zu sorgen. Nach 30 Jahren ist das Thema »Generationswechsel« sehr wichtig. Dafür müssen Voraussetzungen geschaffen werden. Deswegen haben wir die Ensembleakademie vor 12 Jahren gegründet. Letzte Woche waren wieder viele junge, tolle Musiker im Haus, für alte und für neue Musik – das sind Musiker, die möglicherweise auch später bei uns ins Ensemble kommen. Wir wollen ein offenes Ensemble bleiben und nicht ein Ensemble von fixen Leuten, die zusammen jung waren und zusammen alt werden.

Steffes-Holländer: Das trifft auch auf uns zu. Es gibt Veränderungen in den nächsten Jahren, unweigerlich. In Bezug auf die Stadt Freiburg mache ich mir aber immer wieder mal Sorgen und frage, ob das alles so weitergeht. Siehe Orchesterfusion… Man muss aufpassen, finde ich. Da ist einmal die Politik gefragt, aber auch das, was wir jetzt so oft »Publikum« genannt haben. Dass ein Bewusstsein erhalten bleibt, was ich noch in der Breite spüre, aber… Es geht nicht nur darum, abends ins Konzert zu gehen, weil man in der Rente in der idyllischen Stadt Freiburg ein schönes Leben führen will und das Konzert beim Barockorchester dazugehört. Vor einigen Jahren hatte ich ein Projekt mit einem auswärtigen Musiker. Jeder zweite Satz von ihm war: »Oh, das ist aber idyllisch hier.« Natürlich, damit meinte er in erster Linie, wie sich die Stadt präsentiert…

Volkert: … das schöne Wetter …

Steffes-Holländer: Manchmal fühle ich das durchsickern, in diesem Kunst- und Musikumfeld, auch im Publikum. Und wenn dann Orchester fusioniert werden…

Kurth: … oder die Subkultur aus der oberen Altstadt rausgetrieben wird!

Steffes-Holländer: Das Elektronische Studio (des SWRs, d. Red.) ist auch gefährdet.

Kurth: Ein Strukturwandel ist in Gange. Was in Freiburg gerade wegbricht ist der »kreative Humus«. In Freiburg haben wir nicht wirklich die Möglichkeit Formate auszuprobieren, weil es so gut wie keine Freiräume gibt. Die Stadt muss daher ganz, ganz stark darauf achten, dass sie sich nicht den Humus abgräbt, aus dem zum Beispiel Initiativen wie das Barockorchester oder Recherche entstanden sind! Mit dem Zubauen von Flächen wie dem Güterbahnhof, dass Orte in der Stadt wegfallen, die mal für eine längerfristige, kulturelle Zwischennutzung vorgesehen waren…

Kaiser: In einer Stadt, in der es keine Industriebrache gibt, ein Riesenproblem.

Herbert: Das ist alles viel zu krass in Geldverdien-Richtung gedacht. Insgesamt, da stimme ich Jan zu, müssten neben den Häusern verstärkt freie Projekte gefördert werden, durch eine deutliche Verbesserung der Konzeptionsförderung, einer Förderung von drei Jahren, mit einer gewissen Planungssicherheit.

Steffes-Holländer: Wir brauchen die Unterstützung von jedem, der in der Stadt wohnt bestenfalls. Und manchmal habe ich Bedenken. Insgesamt ist so eine Stimmung, dass man sich lieber nicht stören lassen will…

Gibt es denn auch positive Gegenbeispiele, Lichtblicke?

Herbert: Interessant finde ich die Ecke, wo das SÜDUFER ist. Diesen Kleinstindustriebereich, den es da mal gab, einen Bereich, der heute bisschen vage ist. Nach und nach setzt sich mehr Kultur dort an. Kleine, interessante Musikclubs wie Schmitz Katze

Kurth: … oder der Slow Club, ein ganz wichtiger Player.

Herbert: … oder die Künstler vom KUBUS, eine tolle Kunstwerkstatt! Eine spannende Szene, auch mit der Jazz- und Rockschule. Musikproberäume gibt es da, die Hochschule für Kunst und Design ist da, Migranten sind auch da… Das müsste man eigentlich erhalten und fördern, sodass da noch mehr Leute hinkommen.


Wir beenden unser Gespräch nach etwa zwei Stunden, obwohl der Kuchen noch nicht alle und die Themen noch nicht erschöpft sind. Auf dem Gang bleiben wir noch etwas stehen und lauschen den Klängen des Barockorchesters, das gerade für ein Gastspiel in Mexiko City Beethoven-Sinfonien (alle neune!) probt. Dann radeln wir in den idyllischen Sommerabend… voilà: Freiburg.