Notiz aus Hamburg.
Ein Bericht vom Abend, an dem die Trademark-Veranstaltung des Ensemble Resonanz zum ersten Mal im neuen Raum im Bunker an der Feldstraße stattfand. Woran wir uns noch erinnern, was wir gut fanden. Mit O-Tönen aus einem Interview mit Tobias Rempe, Geschäftsführer beim Ensemble.


Keine Panik

Durchlässig für Bewegung ist der neue Raum, eine Kombination aus Premiumarchitektur, Industriedesign und Undergroundclub. Die Älteren sitzen eher auf den Plätzen in der Mitte, die Jüngeren stehen außenrum. Durchlässig für die zerstreute, nervöse Vorfreude, mit der man sich in der Großstadt auf die Reise in einen Freitagabend macht, ist die Einteilung der Zeit. Eine Abfolge von vier Mini-Konzerten mit langen Pausen. Das tut der Musik und den persönlichen Interaktionen gut. Alles, was es dann noch braucht, ist eine Bar, damit man in der Pause etwas trinken oder sich etwas holen kann für Während-der-Musik. Und so eine Bar gibt es auch.

»Das Publikum in der Laeiszhalle (wo das Ensemble in Residence die Konzertreihe »Resonanzen« etabliert hat, d.Red) ist eher bürgerlich und bei ›urban string‹ etwas heterogener, aber es ist schwer das zu klassifizieren oder zu generalisieren. Gemeinsam ist beiden vielleicht, dass es eher individualistisch ausgelegte Leute sind, auf der Suche nach etwas, das ihnen gefällt, in der Tendenz etwas jünger bei ›urban string‹. Es gibt schon einige, die auch nur zu ›urban string‹ kommen und das als ihren Raum begreifen, das Ensemble Resonanz zu hören.«


Eine eigene Geschichte

Für MusikerInnen und Gäste wirkt es wie ein Luxus, dass hier nicht viel versteckt, »an der Garderobe abgegeben« oder irgendwie anders zurückgehalten werden muss. Musiker müssen von der Bühne an der Seite durch den Raum zu ihrer »Garderobe«; derselbe Weg führt auch zu den Toiletten. Sie kommen einem schwatzend entgegen. Einmal ist der Raum, in dem sie sich umkleiden, vorbereiten und die Instrumente lagern, verschlossen; niemand weiß, wer den Schlüssel hat, also tummeln sie sich vor der Tür, während das Publikum sich fragt, ob die reduzierte Beschriftung der Toilettentüren auf Unisex hindeutet. Überhaupt mischen MusikerInnen und Publikum sich permanent; es hat etwas familiäres, viele Freunde sind da. Musikalisch ist das Ensemble Resonanz über alle Zweifel erhaben, trotzdem ist die Stimmung auf eine irgendwie jugendliche Art befreit. Auch auf der Bühne: Lachen; im Publikum: Zappeln; und doch ist es bei der Musik genau so still und gespannt wie in der Philharmonie.

Musik

Das Ensemble hat einen großen Fundus an (Lieblings-)Stücken, um in verschiedenen Konstellationen ohne Scheu und Unsicherheit, auch mit einer Lust an Improvisation, so einen Abend zu bespielen.

Apropos »Aufnehmen« –  wir haben die »urban string«-Aufnahme vom 31.10. des Stückes von Marco Uccellini, von dem man nicht weiß, ob er 1603 oder 1610 auf die Welt gekommen ist, in die Hände bekommen. Hören wir doch mal rein.

Viele Stücke haben ihren eigenen Mythos, flechten sich schon lange durch das Repertoire des Ensembles, es hat eine Aneignung stattgefunden, die das Spiel des Stückes über Zeit entwickelt, reifen, altern, sich verjüngen lässt. Natürlich geht das hier alles ein bisschen in Richtung »Best of«, das darf es an so einem Abend, der vor allem gelingen, eine festliche Einweihung sein soll, der auch gelingt und festlich ist. Es darf noch und wird auch radikaler werden. Der Raum kann Radikalität gut vertragen, vielleicht braucht er sie sogar, um eine Identität auszubilden. Und doch merkt man auch schon hier, Ende Oktober 2014, in allen Ecken des Raumes: Diese Musik soll etwas bedeuten, über Geschichte, Interpretationstechnik und Kulturpolitik hinaus:

»Ein Extrembeispiel war, als wir einmal ein ›urban string‹ im Haus 73 gespielt haben, im Saal, der nur mit einer einfachen Glasscheibe vom Trubel der Piazza am Schulterblatt getrennt ist; ein warmer Sommerabend, es war die Hölle los draußen, und das hat man alles gehört. Und ein Streichquartett von uns spielt Bach, und man hatte das Gefühl, dafür ist es draußen eigentlich viel zu laut. Die Musik wird dem also ausgesetzt, man hört Gläserklirren und Partygelächter von draußen. Und was passiert: ein großartiges Konzerterlebnis, weil plötzlich alle von der Musik gefangen den ganzen Rest nicht mehr hören und in eine Blase abtauchen inmitten des ganzen Trubels. Und da spürt man die Kraft, die die Musik selber haben kann. Und darauf zu vertrauen und das wieder zu finden und zu sagen, das ist nicht gefährlich und auch nicht würdelos, die Musik so zu präsentieren, sondern: Die Musik wird die Leute in ihren Bann schlagen. Wir sagen nicht: ›Schließen wir die Bar, sonst gehen die Leute während des Stücks dahin und trinken was.‹«


Schnittstellen und Zugeständnisse

Es scheint eine Eigenart zu sein, von Dingen, die mit Liebe gemacht werden, dass alles, woran nicht gedacht wurde, sich sofort, ganz am Anfang, in eine offensichtliche Fehlstelle verwandelt. Vielleicht ist irgendwann in der Vorbereitung auf diesen Abend der Satz gefallen: »Der legt eigentlich ganz gut auf«, oder: »die machen stylische Visuals«, wurde aber nicht ganz zu Ende gedacht, sich nicht in Echtzeit vorgestellt, zu Ende gefühlt oder mit der Möglichkeit einer sensibiliserten Erregung kombiniert. Es spricht also für den Rahmen, dass jeder konventionell »funktionierende« House-Beat wie Kirmestechno, und allzu bunte, fluffige Visuals wie Fensehwerbung wirken. Diese Dinge passieren.

Viel mehr von der vibrierenden Ausgelassenheit als die Zugeständnisse an die Clubkultur erzählt die Tatsache, dass, so gegen zwei Uhr nachts, als einige sich noch auf den Weg woandershin aufmachen, eine der Veranstalterinnen sie heiter und überschwänglich zurückhält, man könne doch jetzt nicht gehen, der Höhepunkt stehe bevor. Und so fließt es dahin. Es wird spät und es ist ein sehr guter Abend.



»Im Kleinen hatten wir das schon ein bisschen im Schanzenviertel (wo »urban string« bislang stattfand, d. Red.). Da hatten wir eine Probenfläche in Teilnutzung im Haus 73, direkt neben der Roten Flora. Aus dieser Konstellation Rote Flora – Klassisches Orchester entstand ein Bild, das hängenblieb, das neugierig gemacht hat und auch für eine Art Glaubwürdigkeit sorgte, weil wir da jeden Tag waren und geprobt haben. Die Leute haben mitgekriegt, was wir machen und was für eine Leidenschaft und Professionalität dahinter steckt. Und dass wir unsere eigene Konzertreihe auch dort gespielt haben, erzeugt eine andere Glaubwürdigkeit, als wenn ein Konzerthaus einen Künstler bucht und in einen der angesagten Clubs der Stadt stellt und sagt ›so, jetzt machen wir Klassik im Club.‹«

Eine kleine Ansprache pro Konzertsequenz: Meist keine Rede, und auch gottseidank keine Musikvermittlung; vielmehr ein kleines Initiationsritual für das Publikum. Es erweitert den gemeinsamen Raum. Das Spiel mit Anekdoten (wie wir schon vor 20 Jahren in einem schönen Sommer das Bruckner-Streichquartett gespielt haben; ganz flirrend und launig von der Geigerin Swantje Tessmann), Charakteren (Standup-Comedy in amerikanischem Deutsch) und Informationen (unsere goldverzierten Toiletten), täuscht nicht darüber hinweg, dass man hier an Kunst und an einer guten Show interessiert ist. Manche Ansprachen machen ganz kichernd, kleine Achterbahnfahrten zwischen Entzücken, dem Spiel mit der Peinlichkeit und Freude übers Kennenlernen.

(Es gibt dann doch so etwas wie eine Rede, leider zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Ein erwartungsfrohes Publikum versammelt sich in einem mächtig schönen Raum, die Bühne ist beleuchtet, alle haben Lust auf Musik. Der erste Ton, der erste Auftritt: Eine kleine Ansprache? Nimmt leider erst mal den Wind aus den Segeln, genau wie das Eingeständnis, dass »manche hier 48 Stunden nicht geschlafen haben«. Ob Du ein Magazin machst oder einen Konzertabend, erzähle nie von deinem Schlafmangel, das Publikum hat es nicht verdient.)