Die Lektüre von Mahan Esfahanis Interview hat mich anfänglich ungeheuer amüsiert – pengbumm, mitten ins Schwarze getroffen – aber dann doch aufgewühlt: Jede seiner Aussagen kann ich durch beinahe gleiche Erfahrungen als – vor vierzig Jahren erster deutscher – Student in jenen Kreisen in Amsterdam bestätigen. Es herrschte damals schon ein unerträglicher Personen-Kult um Kult-Personen, die berühmt dafür waren, berühmt zu sein – und auf der anderen Seite hemmungsloses Mobbing, finale Ausgrenzung, dirty talk and hate speech.
Nein, das machten nicht die Granden selbst, sondern delegierten es, ließen es von ihren Hofschranzen erledigen. Wer sich nicht in stiller Unterwürfigkeit klein machte und sich nicht zur Nachbehandlung in das Prokrustes-Bett legte, wer allein schon »warum« zu fragen wagte, wurde abgeschoben: Die fabelhafte Geigerin Janine Rubinlicht, die heute kaum noch jemand kennt, ereilte als erste dieses Schicksal – nachdem sie mit den Kuijkens das Alarius-Ensemble gegründet und als Steigbügel-Halterin auf deren Weg zum Gral fungiert hatte.
Berühmteste Persona non grata aber wurde in den Niederlanden Georg Friedrich Händel! Der »King von’s Ganze« (gemeint ist Gustav Leonhardt, d.Red.) hasste Händels Musik – und da nun allerorten in den seine Adepten sitzen, ist sein berühmtestes Opus Messiah dort nun auch »Persona non grata«. Und Majestät hassten Sängerinnen, die »nach Frau« klangen, er hasste zudem jeden, der die Finger auch nur eine Mikrosekunde schneller als er bewegen konnte – und das waren nun mal sehr viele: Ton Koopman – ein begnadeter Spieler – war prominentes Opfer, von den englischen Cembalisten ganz zu schweigen!

Der Brügge-Wettbewerb ist das Zentrum der Alte-Musik-Orthodoxie. Hier wird jährlich die vermeintliche Spreu vom vermeintlichen Weizen getrennt. Beim Erwin Bodky Award in Boston sieht man sich aus Gründen einer vermeintlich »historischen Legitimation« gezwungen, noch amsterdamischer aufzutreten, als es selbst in Amsterdam vonnöten wäre. Mich hier oder dort zu präsentieren kam mir nach all den unangenehmen Erfahrungen im Gelobten Lande der Alten Musik gar nicht in den Sinn, denn ich legte früh schon keinerlei Wert auf die Anerkennung der Muftis der Alten Musik. Ich hatte bei Franzjosef Maier, mehr noch bei Hugo Ruf in Köln, in meinem Musikwissenschafts-Studium überhaupt, Methoden erlernt, die Probleme zu benennen, die sich auftürmenden Fragen in Einzel-Probleme aufzulösen und hypothetisch Lösungen zu erarbeiten, die dann erneut geprüft werden mussten. Vor allem wusste ich sehr wohl, dass man auch ohne der Muftis Gefälligkeits-Gutachten (ja, auch die und vor allem die dafür gezahlten Beträge habe ich gesehen!) einen angemessenen Platz in der Welt finden kann.

Auch Mahan Esfahani wird den ihm gebührenden Platz ganz sicher finden, wenn er durchhält. Der heute vom Feuilleton approbierte Konversations-Ton der Cembalo-Musik ist genau der von ihm so überaus treffend als »Funeral-Musique« charakterisierte – und genau der wird von deutschen Radio-Anstalten nun so gar nicht estimiert: Hierzulande stürzen sich Rundfunk-Macher habituell auf jede noch so missratene Rameau-Aufnahme und immer wieder die neuesten Goldberg-Variationen mit Klavier, loben den Mut der Interpreten zu hörbarem, gerne auch »Crossover« genanntem Nicht-Wissen. Cembalo findet leider eigentlich nur noch als Umrahmung zu kirchlichen Sendungen statt …
Carpe diem Esfahani – ich drücke die Daumen. Schade, dass ich nicht mehr 30 bin! Mit ihm würde ich gerne den Karren aus dem Dreck, raus aus der Friedhofs-Kapelle ziehen und ihn mitten auf den Marktplatz stellen. But that´s now up to you! ¶

Reinhard Goebel gründete mit Musikern der Kölner Musikhochschule 1973 die Musica Antiqua Köln. Seit deren Auflösung im Mai 2006 reist er als »Freelancer-Dirigent« durch die Lande, hat als Gastdirigent in Ensembles wie den Kammerphilharmonien in Bremen und Augsburg oder den Berliner Barock Solisten neue Heimat gefunden und gibt den großen Sinfonieorchestern Intensivkurse in der galanten Musik des 18. Jahrhunderts. Seit 2010 unterrichtet er daneben als Professor für Barockvioline am Mozarteum in Salzburg, im Juni 2015 wurde er Nachfolger von Nikolaus Harnoncourt am dortigen Lehrstuhl für historische Aufführungspraxis. Am 17. Juni 2017 wird Goebel im Rahmen des Bachfests die Bach-Medaille der Stadt Leipzig verliehen. Im März 2016 erschienen in VAN: Hartmut Welschers Interview mit Reinhard Goebel und Reinhard Goebels Nachruf auf Nikolaus Harnoncourt.