Přemysl Vojta im Interview
Přemysl Vojta, geboren 1983 in einem Dorf bei Brünn, ist seit 2015 Solohornist beim WDR Sinfonieorchester. Am 22. September steht er ausnahmsweise vor seinem Orchester, bei Mozarts Hornkonzert KV 495. Ich treffe ihn auf ein Kölsch im Café des WDR-Funkhauses.
VAN: Ihre Kollegen nennen Sie Psemek, habe ich gehört.
Přemysl Vojta: Das ist die Verkürzung meines Namens. Und der war im 8. und 9. Jahrhundert der Name einer Königsfamilie in der Tschechei. Mein älterer Bruder, damals sechs Jahre, mochte Geschichten und hat sich gewünscht, dass ich nach dem ersten tschechischen König benannte werde: Přemysl Oráč, den die Libuše vom Feld geholt hat.
Diese Geschichte hat meinem Bruder so gefallen, dass er gesagt hat, so muss mein Bruder heißen.
Man sagt, dass die Böhmen unglaublich musikalisch seien. Charles Burney hat im 18. Jahrhundert als Musikenthusiast Europa bereist und ist auch in Böhmen gewesen, worüber er in seinem Tagebuch einer Musikalischen Reise schrieb: Die Böhmen würden überall Musik machen, je weiter auf dem Land umso mehr. Können Sie das bestätigen?
Ich finde heutzutage, durch die Globalisierung, ist doch alles sehr ähnlich. In Rumänien, Bulgarien ist vielleicht noch etwas von der ursprünglichen Dorfmusik geblieben. Klar, es gibt auch bei uns Dorfmusik, aber die klingt inzwischen wie in Bayern oder in Österreich.
Und wie sieht es in Ihrem Heimatdorf aus mit Musikern?
Wir sind vielleicht drei oder vier Musiker im Dorf.

Und der Lehrer, der Sie unterrichtet hat, hat der Musik gemacht?
Nein, ich habe eine Sportschule besucht. Und dann erst die Musikschule.
Welchen Sport haben Sie gemacht?
Ich bin geschwommen. Bis zu meinem 15. Lebensjahr habe ich Musik und Sport parallel gemacht. Schwimmen war aber leider nicht die Sportart Nummer 1 in Tschechien.
Was war denn Ihre Disziplin?
Ich bin gekrault, kurze Strecken.
Ihre Bestzeit über 100m?
1:03 oder 1:02 … Ich bin jedenfalls nicht unter einer Minute geschwommen.
Wie sind Sie dann zum Horn gekommen?
Ich habe zuerst Blockflöte gespielt, mit sechs Jahren habe ich angefangen. Wie ich dann aufs Horn gekommen bin, ist wirklich ungewöhnlich. Ich bin in der Musikschule einmal die Treppe rauf gelaufen. Eine alte Dame hat mich angehalten. ›Halt! Mach den Mund auf!‹, und hat mir die Lippen aufgerissen wie bei einem Pferd. Und sagte dann: ›Ok, komm nach einem Jahr zu mir!‹ Ich wusste überhaupt nicht, worum es geht. Später habe ich von meiner Lehrerin erfahren, dass das die Lehrerin für Horn an dieser Musikschule war, und die hat sich gewünscht, dass ich umsteige. Mir war das zunächst egal, ob Blockflöte oder Horn. Aber dann fand ich das Horn doch optisch so schön, dass ich gesagt habe, dass ich Horn spiele.
Was hat die Hornlehrerin denn in Ihrem Mund nachgeschaut?
Es ging darum, ob die Zähne gerade sind, vor allem in der Mitte. Wenn die ungerade sind, kann es sein, dass die Muskulatur unregelmäßig angespannt wird. Das kann später zu Verletzungen führen. Da muss man auch Spange tragen und oft lange warten …
Mit Spange kann man nicht Horn blasen?
Die Spange müsste speziell aufgebaut werden. Aber das ist schwierig, teuer und nicht einfach zu spielen. Es ist auch noch wichtig, wie groß die Lippen sind. Dicke Lippen braucht man für Posaune und Tuba, aber weil das Hornmundstück kleiner ist, sind dünne Lippen besser.

Haben Sie auf einem kleineren Instrument angefangen? Man kann doch bestimmt nicht gleich in ein großes Horn blasen. Da braucht man ja unglaublichen Druck.
Heute gibt es kleine Hörner für Kinder. Aber damals gab es diese Hörner noch nicht. Wir hatten ein einfaches Horn. Es hatte zwar weniger Gewicht als das Horn, das ich heute spiele. Aber von der Größe her war es gleich. Was den Luftdruck betrifft, der ist bei allen Instrumenten gleich. Es zählt, was ins Mundstück kommen muss. Da kommt es nicht auf die Größe des Instruments an. Bei den Kindern ist aber das Gewicht das größte Problem. Also wenn ich 6-jährige sehe, wie die das Horn halten, dann tut mir das leid. Das sind immerhin dreieinhalb Kilo. Die hält man nur mit einer Hand. Die stehen dann nicht gerade und das tut weh…
Wieviel Stunden haben Sie dann täglich geübt?
Mit 14, 15 Jahren habe ich drei Stunden täglich geübt. Mehr habe ich nicht geschafft. Dann ging ich nach Prag aufs Konservatorium.
Mit 15?
Ja, das war mutig von meinen Eltern. Aber da gab es einen sehr, sehr guten Lehrer, Bedřich Tylšar. Ich bin so froh, dass ich bei ihm war, bei ihm studieren konnte … Ein Konservatorium wie bei uns gibt es nirgendwo sonst. Vielleicht noch in Weimar und Berlin. In Tschechien macht man an den Konservatorien nur Musik. Ein bisschen Sprache, und sonst hat man Chorsingen, Schlagzeugunterricht, Klavier, Hauptinstrument, Komponieren, Tonsatz … Da ist die Ausbildung so breit und gut. Als ich nach sechs Jahren Konservatorium nach Berlin zum Studium kam, brauchte ich keine Theoriefächer mehr zu belegen. Ich habe in Berlin bei Christian-Friedrich Dallmann studiert, an der Universität der Künste. Das ist einer der gefragtesten Professoren in Deutschland. Das war der beste Schritt, den ich machen konnte. Alle drei Professoren, die ich hatte, waren wirklich super. Jetzt nach ein paar Jahren sehe ich auch, wie wichtig es ist, gute Grundlagen zu haben.
Jeder der Lehrer hat mir was Anderes beigebracht. Meine erste Lehrerin an der Musikschule, Olga Voldánová, hat mich gelehrt, fleißig zu sein. Wir hatten Unterricht auch am Wochenende. Sie hat mir beigebracht, dass nichts umsonst ist. Mein zweiter Lehrer in Prag hat mir gezeigt, wie ich arbeiten, wie ich mich motivieren soll. In Berlin habe ich gelernt, Freude an der Musik zu haben. Und die Musik in den Noten zu suchen. Das ist eine sehr gute Kombination, man braucht das alles.
Ich habe mal gehört, dass man mit Hornisten nach dem Konzert nicht über Kiekser sprechen darf. Das wäre unfein. Die passieren nämlich immer.
Es kommt drauf an, mit wem Sie sprechen. Manche sind empfindlich, manche weniger. Ich finde es am besten, es so anzunehmen, wie es ist und sich keinen Kopf zu machen. Sonst kann man verrückt werden.
Ich erinnere mich an eine Reportage über die Berliner Philharmoniker, in der es auch um die extreme psychische Belastung der Hornisten ging: Im Konzert haben die lange Pause und müssen dann in ein super-exponiertes schwieriges Solo reinspringen. Und dann kann es kieksen.
Man sagt, dass Musiker generell und speziell Hornisten mehr Stress haben als die Piloten in einer großen Boeing. Weil der Stress dauerhaft ist, in jedem Konzert. Man muss lernen, damit umzugehen. Und das geht auch. Mit dem Kieksen …
Wie sagt man das auf tschechisch?
Wir sagen auch ›Kieks‹. Da sieht man, wie wir mit Deutschland verbunden sind. Mit dem Kieksen ist es so: Man kann viele Übungen machen, um das Risiko zu vermindern. Aber es ist tatsächlich so, dass der Körper jeden Tag anders ist. Mal sind die Lippen größer, mal die Füße in den Schuhen, oder da sind Rückenschmerzen. Weil das Mundstück so klein ist, spielt das eine große Rolle. Es kann sein, dass man gestern den Ton trifft und es heute nicht mehr funktioniert. Man muss jeden Tag neue Lösungen suchen. Und relativ flexibel sein. Das ist unser Job.
Jetzt kommen wir noch einmal zu den Böhmen zurück. Es gab doch gerade im Spätbarock und in der klassischen oder frühklassischen Zeit viele berühmte Komponisten, Stamitz, Mysliveček, Zelenka.
Soweit ich weiß, gab es damals viele Klöster in Tschechien. Ein Jesuitenkloster in Prag hat eine hervorragende Musikausbildung angeboten. Und von dort kamen viele Musiker, die dann in Europa bekannt wurden. Jan Dismas Zelenka, Antonio Rosetti zum Beispiel, der hat schöne Hornkonzerte geschrieben. Es kamen auch Pokorny, Mysliveček. Dadurch wurde Böhmen als Musikland bekannt.
Dass das Horn sich so gut in Böhmen entwickelt hat, dafür müssen wir einem Mann namens Anton von Sporck dankbar sein. Der böhmische Graf hat am Hof Ludwigs XIV. Parforcehörner für die Jagd kennengelernt. Die haben ihm so gefallen, dass er später, ich glaube es waren 10, Männer nach Frankreich geschickt hat. Sie sollten dort das Hornblasen lernen. Die kamen dann zurück und haben eine Hornschule gegründet. Und irgendwann bliesen böhmische Hornisten in der Dresdner Hofkapelle. Einer war Joseph Hampel. Der hat eine spezielle Technik entwickelt, dank derer das Horn im Orchester spielen konnte und nicht zuletzt auch ein Mozart seine Hornkonzerte schreiben konnte. Dank der Stopftechnik konnten die Hornisten alle Töne spielen.
Das muss man vielleicht erklären …
Das Horn, damals ohne Ventil, hat eine Naturtonreihe, erst Oktave, Quinte, Quarte, große Terz und kleine Terz und immer kleinere Intervalle nach oben. Das reicht für Signale bei der Jagd. Aber sie wollten mehr Töne. Und der Hampel hat gesehen, dass der Ton einen Halbton tiefer wird, wenn man eine Hand in den Schalltrichter steckt …

Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man eine Hand in den Schalltrichter steckt? Warm? Feucht?
Ja, warm, wenn man die Hand lange reinsteckt. Aber man denkt nicht so in diese Richtung. Man benutzte diese Technik übrigens noch lange. Ravel und Debussy haben die Farben von Stopftönen sehr oft genutzt.
Gibt es einen böhmischen Lieblingskomponisten, der Sie an so etwas wie Heimat denken lässt? Ist natürlich ein schwieriger Begriff. Aber welche Musik würden Sie damit verbinden?
Ich denke auch oft nach über den Nationalismus, ob es das gibt, deutsche, tschechische, böhmische Musik. Dieses Heimweh kommt wirklich sehr oft bei tschechischen Komponisten vor, bei Dvořák, Mahler, Smetana oder Janáček. Ich denke, es kommt daher, dass ich die Musik in meiner Kindheit gehört habe und daher schöne Erinnerungen damit verbinde. Wenn man in dem langsamen Satz aus der Sinfonie Aus der Neuen Welt das Englischhorn hört, dann muss man sich doch an böhmische Berge, Fluss, Nebel erinnern. Oder Mahlers Erste, die Hörner, das klingt so böhmisch, dass ich Bilder vor den Augen habe. Dvořáks Cellokonzert, zweiter Satz, wenn die Klarinetten kommen, da hört man die Blaskapellen…
Haben sie mal in einer Blaskapelle gespielt?
Nein. Ist eigentlich schade …
Wenn Sie noch einmal die Wahl hätten, ein Instrument ganz neu zu lernen – welches wäre das?
Wenn ich kein Horn spielen würde: Kontrabass.
Warum?
Ich finde, Kontrabass nimmt keiner wahr, aber es ist das wichtigste Instrument im Orchester. Es kann das Orchester zusammenhalten, mit Akzenten. Jeder hört im Orchester den Kontrabass. Und nach dem kann man sich richten. Mir gefällt die Rolle. Und die Farbe irgendwie. Und die Größe! ¶