Am 25. Juni steigt im Rahmen des Infektion!-Festivals an der Berliner Staatsoper im Schiller Theater die Premiere einer Neuinszenierung von Aribert Reimanns Gespenstersonate. Die Kammeroper, für die der Komponist auf das Kammerspiel von Johan August Strindberg von 1908 zurückgegriffen hat, wurde 1984 in Berlin uraufgeführt. 33 Jahre später führt Otto Katzameier Regie. Er ist eigentlich Bassbariton, als solcher aber tief drin und vertraut mit dem zeitgenössischen Musiktheater. Bis zum 9. Juli finden insgesamt sieben Vorstellungen statt. Unser Herausgeber Hartmut Welscher hat Katzameier zufällig in der Kantine der Staatsoper erlebt, als extrovertiert, zugewandt, intelligent. Grund genug, ihn um eine Playlist zu bitten, und siehe da: Wir haben uns nicht getäuscht. Sie kommt sogar in Versform und Stefan-George-mäßiger Kleinschreibung.
beth hartund joe bonamassa live in amsterdam i’d rather go blind
die große kunst der beth hart hat mich,
als ich sie zum ersten mal (zufällig im tv) erlebte,
innerhalb von sekunden bis ins mark erschüttert.
diese ausdruckskraft und technische brillanz ihres gesangs,
gepaart mit einer kompromisslosen, authentischen emotionalität.
jedes wort glaube ich ihr. jeder ton berührt mich.
ich bekomme gänsehaut, wenn ich nur daran denke.
johann sebastian bach goldberg variationen kimiko ishizaka
wie abgedroschen. wie mainstream. möchte man sagen.
tut mir leid. ein lifetime basic für mich.
bach begleitet mich mein ganzes leben.
mein erstes orchesterkonzert als sänger,damals war ich 19, war eine bachkantate.
seither ungezählte matthäuspassionen, johannespassionen, weihnachtsoratorien …
bach.
ein leben ohne bach ist nicht vorstellbar.
kimiko ishizaka hat hier eine besonders schöne interpretation
der welt zur verfügung gestellt. gratis.
bach für alle. schön.
grace jones la vie en rose
ich hatte immer eine große affinität zu paris.
als ich dort zwei meiner traumpartien singen durfte,
sciarrinos macbeth und später
haas’ melancholia in der opéra,
war mein leben ein märchen.
lustigerweise habe ich mit paris immer
grace jones’ interpretation von la vie en rose verbunden.
ich weiß nicht, warum.
am 13.11.15 fand das schreckliche attentat im bataclan statt.
ich sang gerade nozze di figaro in berlin,
als während unserer tv live übertragung die newsticker über den monitor liefen:
attentat in paris.
ich dachte: jetzt wird es nicht mehr so, wie es einmal war.
ich ging nach hause und hörte la vie en rose.
immer wieder. die ganze nacht. in schockstarre.
der krieg war noch nie zuvor so nah an mich herangekommen.
inzwischen gab es viele, viel zu viele weitere attentate,
und vermutlich werden noch weitere folgen
und natürlich ist es nicht mehr so, wie es einmal war, weil es das nie ist,
aber dennoch ist paris immer noch paris
und la vie en rose ist für mich jetzt nicht mehr nur
»mein paris song«, sondern zugleich ein requiem.
ein requiem aus liebe als antwort auf den terror.
morton feldman for samuel beckett
morton feldman ist für mich
der bedeutendste komponist des 20. jahrhunderts.
ich liebe seine musik. ich möchte in ihr versinken
und mit wagners isolde, sagen: »unbewusst – höchste lust«,
oder mit den worten aus mahlers lied von der erde: »ewig…, ewig…«.
for samuel beckett ist mein lieblingswerk.
wie wunderbar – ist doch beckett auch einer meiner lieblingsautoren!
the tiger lillies send in the clowns
ich verneige mich vor den tiger lillies.
in großen hallen wie in winzigen clubs habe ich sie gehört.
sie machen keinen unterschied: voller einsatz. immer.
und was sie wagen, diese tigerlilien:
lehnen sich weit aus dem fenster der geschmacklosigkeit,
der banalität, des schlechten, nein, schlechtesten geschmacks,
der blasphemie, der pornographie, des kitsches,
der komik, des grauens, der trauer … und immer,
immer kommt wieder nur eines dabei heraus:
K U N S T
lucia popp richard strauss vier letzte lieder:»beim schlafengehen«
lucia popp. in meiner jugend war sie ein weltstar,
heute kennen sie viele nicht mehr.
unter den vielen, vielen aufnahmen der vier letzten lieder ist diese für mich –
zumindest sängerisch – die faszinierendste.
wie sie da steht, diese frau. atmet den geist dieser musik wie einen duft.
singt so, als wäre singen ihre primäre kommunikationsform.
wo gibt es sowas heute? ich weiß es nicht.
sie fügt nichts hinzu, sie lässt nichts weg,
sie interpretiert sich nicht in den vordergrund,
versteht jedes wort, jeden ton, jede phrase.
geht ganz auf in der musik, im text.
RIP, lucia popp!
manu chao bongo bong
kommt daher wie ein dümmlicher kleiner
beach-party-reggae-sommerhit.
aber wenn man genau hinhört:
ein hochfeines, sensibles,
sehr kunstvolles meisterwerk.
ein minimalistisches lehrstück für jeden komponisten.
i’m loving it!
schostakowitsch fuge no. 1 c-dur
so einfach und so groß diese fuge.
ein ereignis.
seit vielen jahren übe ich alle preludien und fugen von schostakowitsch –
leider bin ich pianistisch zu schlecht,
um sie auch nur ansatzweise zu bewältigen –
und liebe sie alle, aber die c-dur-fuge ist die herausragendste weil einfachste, klarste.
ein solitaire.
eartha kitt live in londonall by myself
viel kann ich hier nicht sagen. hört es euch an.
bei diesem konzert war sie in ihren siebzigern.
chapeau.
niemand hat je die einsamkeit,
verloren- und verlassenheit des menschlichen daseins
in kombination mit solchem humor, solcher frische,
selbstironie und erotik zusammengebracht wie eartha.
»earthaquake« wurde sie einst genannt.
ein erdbeben wahrhaft an künstlerischer potenz.
keith jarrett live at the milano scalaencore: over the rainbow
einer der bekanntesten songs aller zeiten,
einstmals von der unvergleichlichen judy garland
für immer unvergesslich zum leben erweckt.
leider zu oft zu schlecht von wem auch immer nachgesungen.
(ihre tochter liza minelli hat es nie gewagt!)
hier kommt der grandseigneur der jazz-improvisation: keith jarrett
mit seiner in der zwischenzeit auch schon legendären interpretation.
milano scala 1995.
zugabe: somewhere over the rainbow:
von ihm in harmonien gesetzt und am klavier belebt wie ein gebet,
wie das résumé eines künstlerlebens schlechthin.
hier. dieses. nicht mehr. nicht weniger. lebe. liebe. träume. fühle. ¶