Samy Moussa
die Provokation
Der junge kanadische Komponist hat eine Schwäche für Schönheit und Unterhaltung. Da liegen Freude und Ärger in der Szene dicht beieinander.
Text Bastian Zimmermann · Fotos © Nik Hunger
Galant kommt Samy Moussa mir im Vorraum des Luzerner Konzertsaals KKL entgegen, sein neues Orchesterwerk Crimson wird in wenigen Minuten uraufgeführt, im großen Abschlusskonzert des Boulez-Tags am Lucerne Festival. Schon hinter mir dreht er sich wieder zu mir um: »I think, I know you!« »Ja, natürlich, letztes Jahr haben wir uns in München getroffen, ich hab dich fürs Radio interviewt, du warst sehr aufgebracht, damals«, sage ich mit einem Lächeln. Er lächelt ebenfalls, sein Mundwinkel zeigt aber eine kleine Verunsicherung. Samy Moussa ist ein großer, schön gewachsener Mann; stets gut gekleidet, lächelnd und zuvorkommend, man könnte ihm Verkäuferqualitäten zusprechen. Kent Nagano dirigiert gerne und oft Samy Moussa, er gewann 2013 den Ernst von Siemens Musikpreis, kurz gesagt: Moussa ist erfolgreich – und umstritten.
Gehen wir einen Schritt zurück: Im Frühjahr 2014 formierten sich auf einem Symposium der Münchener Biennale für neues Musiktheater, bei der auch Moussas Oper Vastation – Wüstung uraufgeführt wurde, regelrecht zwei Fronten. Auf der einen Seite die alte Komponistengarde mit Protagonist/innen wie Carola Bauckholt und Detlev Glanert. Und auf der anderen Seite Samy Moussa, alleine, sich verteidigend; denn nicht nur dass er für die kritischen Komponiergeister erstmal zu gelackt daherkommt, er posaunte zu diesem Zeitpunkt auch gern steile Thesen zu seinem Schaffen heraus: Er schreibe Musik für das Publikum und vielmehr noch für die Musiker/innen. Solche Behauptungen sind im zeitgenössischen Kunstmusikdiskurs ein Tabu. Im erwähnten Interview, das direkt nach einem dieser öffentlichen Streitgespräche in seinem Backstage-Raum stattfand, postulierte er sogar: » What’s the future? People believing uncritically in the theses of Adorno? Or the young people that are twenty years old, full of energy? That’s my generation.« Vastation verdeutlichte in seiner offensichtlich ganz traditionellen Aufmachung in Story, Bühne und musikalischer Erzählung diese Haltung. Sie war so perfekt und rund gestaltet, dass man baff und irritiert war zugleich; das Publikum rief Bravo und Buh in gleicher Inbrunst. Solch eine Oper hatte man lange nicht mehr gesehen – oder sogar noch nie? Hier spaltete nicht eine experimentelle Darbietung oder der Angriff auf eine Konvention den Geist des Publikums, sondern die konservative und unterhaltsame Version eines Opernpolitthrillers, bei dem eine Klangbombe ein Sci-Fi-Land bedroht, die für Moussa noch nicht mal Anlass genug war, sich einem solchen unhörbaren, da tödlichen Klang kompositorisch zu nähern. Viel eher klang der Abend nach einem guten Spielfilm, nach den Moods des vertrauten spätromantischen Orchesterkörpers – und jeder Solist hatte eine Arie zum Glänzen.

Fest steht seit diesen ambivalenten Ereignissen im Mai 2014, dass Samy Moussa eine zu begrüßende Herausforderung ist, er bedient den Markt und das Publikum, und der deutschsprachige Kunstmusikdiskurs fühlt sich provoziert: Da ist jemand, der das kritische Dogma, alles Material, das immer auch ein gesellschaftliches ist, im Werk zu reflektieren und damit ins Bewusstsein von sich selber und seiner Geschichte zu setzen, nicht verfolgt; da ist jemand, der Thesen raushaut, die keiner zu sagen wagt. Und wer stöhnt nicht irgendwann mal über die Komponist/innen und Kritiker/innen, die sich immer wieder fragen, wohin mit der Neuen Musik? Wie kann sie aktuell, auf der Höhe des Diskurses sein? Heute bindet man Klangaufnahmen ein, Alltagstrash, Pop und schreibt Konzeptmusik. Auch dieser Diskurs bildet wieder einen eigenen Markt, den der Neuen Musik: Gute Musik ist hier noch keine Legitimation für einen Auftrag, ein ausgeklügeltes Konzept muss her. Und als aufmerksamer Zuhörer denkt man in Reaktion auf die Musik allzu oft: jetzt macht euch doch mal locker, liebe Komponist/innen, seid doch nicht so hirnverkrampft. Vielleicht bekommt man auch anders Aufträge? Moussa ist locker und das hat etwas Befreiendes an sich, Moussa ist Konformist und Provokateur zugleich.
Geboren wurde Samy Moussa 1984 in Montreal/Kanada, wo er auch sein Studium der Komposition und Orchesterleitung bei José Evangelista begann. Es folgten Aufenthalte in Tschechien und Finnland. 2007 ging er nach München, um bei Matthias Pintscher und Pascal Dusapin zu studieren. Und nach nun schon zwölf Werken für Orchester innerhalb von zehn Jahren (und dreizehn weiteren Werken für kleinere Besetzungen) hat er weiter einen Fuß in Deutschland, genauer gesagt in Berlin und einen in Frankreich, Paris. Moussa arbeitet mit großen Konzerthäusern zusammen, dirigiert Orchester, er kennt die Diskurse und Debatten im Dunstfeld der Neuen Musik ziemlich genau. Und er kann sie nicht mehr ertragen, was man manchmal verstehen kann. Es fehlt ihnen der Humor, die Entspanntheit im Umgang mit Material und der Weitblick; nach ihnen darf man sein Material nicht lieben und wenn doch, dann nur etwas Abseitiges oder besonders Cooles. Es sind also weniger die Inhalte, als vielmehr ihnen zugrundliegende verkrampfte Haltungen, die sich als Dogma verbreiten. Was aber, wenn Moussa einfach Musik machen will, zusammen mit Menschen, Musikern, so wie er sagt: »I want to please them.« Das Orchester ist nun mal kein Ausstellungsraum, den man je nach Objekt grün anstreicht oder mit Holzbrettern verkleidet. Er nutzt gerne traditionelle musikalische Instrumentierungen, Harmonien, Melodien, es ist ihm alles ein Material und das Musikmachen eine Kommunikation mit den Musikern und dem Publikum. Er will sich nicht einengen, auch intellektuell nicht. Und er geht noch weiter: Seine Musik, so sagt er hinsichtlich der Debatte um die gesellschaftliche Relevanz von neu komponierter Musik, möchte über die Realität und deren Repräsentation hinausgehen, hin zum Heiligen, zu einer Transzendenz im nicht religiösen Sinn.
Wie l&au
ml;sst sich Moussas Handeln am besten charakterisieren? Er spricht prinzipiell pragmatisch und reduktiv, sein Ziel ist es, möglichst zu vereinfachen und eine offene Haltung gegenüber der Musik als Musik bei den Hörern zu entfalten. Seine Musik soll wirken. So beginnt er den Programmhefttext zu Crimson mit den nicht ganz unironischen Worten: »Ich beginne eine Komposition immer beim Anfang. … Ich wusste bloß, dass meine Komposition energisch, laut, metallisch, homophon und mehrdeutig sein sollte.« Das im gerade vergangenen Sommer beim Lucerne Festival uraufgeführte, von Julien Leroy dirigierte, neue Orchesterwerk beginnt mit flirrenden, hohen Akkordwechseln, unterstützt von Crashbecken, so als ob das Stück bald schon wieder vorüber sei. Klar, offen und unerwartet. Aber was folgt auf den Schluss? Aus der jazzig-elektronischen Popmusik inspirierte Orchesterriffs schnellen aus dem Orchester hervor, schmissige Harmonien, die viele Zuhörer im genialen Konzertsaal des Kunst- und Kulturzentrums in Luzern packen. Es folgt eine Entschleunigung. Leise flirrende Klangtexturen morphen in- und auseinander und lösen sich in ein klares Dur auf, aus dem Hörner entsteigen. Motive des Beginns werden wieder eingeführt und in eine immer weiter um sich greifende Ruhe und auch Tiefe der Register eingebettet, um schlussendlich ins Nichts zu verhallen. Es ist eine Musik, die verzaubert, die die Sinne verführt. Von so etwas kann man sich gerne herausfordern lassen. ¶
