Die musikalischen »formative years« des Posaunisten und Komponisten zum Nachhören.
Mike Svoboda wuchs in einem Vorort von Chicago auf, studierte erst Komposition und Dirigieren an der University of Illinois und dann Posaune an der Stuttgarter Musikhochschule. Als Posaunist arbeitet(e) er mit Komponisten wie Péter Eötvös, Heinz Holliger, Toshio Hosokawa, Helmut Lachenmann, Wolfgang Rihm, Martin Smolka, Frank Zappa, Georg Friedrich Haas und vor allem Karlheinz Stockhausen zusammen. Seit 2007 hat er außerdem an der Hochschule für Musik FHNW in Basel eine Professur für Posaune und zeitgenössische Kammermusik.
Musik höre ich zwar viel, aber seit Jahren fast ausschließlich live – beim selber Spielen, Kammermusik Coachen oder in meinem Kopf beim Komponieren. Eine Playlist zusammenzustellen war eine Gelegenheit, über die Musik nachzudenken, die bei mir besonderen Eindruck hinterlassen hat. Hier ist also eine Playlist aus meiner Jugend, den sogenannten »formative years«.
Con Conrad/Herb Magidson, The Continental
The Jay and Kai Trombone Octet
Mein Vater war zwar kein Profi, spielte aber zu Hause nach der Arbeit oft Jazz-Standards am Klavier und hatte einige Schallplatten, die ich gerne auflegte. Insbesondere eine Platte mit den Posaunisten JJ Johnson und Kai Winding hörte ich gerne. Ihr klarer Sound legte den Grundstein meiner Vorstellung vom idealen Posaunenklang.
Johann Sebastian Bach, Air for G-string
The Modern Jazz Quartet and The Swingle Singers
Circa 1974, als 14-jähriger, konnte ich meine eigenen Schallplatten abspielen und Platten kaufen, unter anderem eine mit den Swingle Singers. Immer und immer wieder hörte ich die klaren, wie Instrumente geführten Stimmen beim Einschlafen.
Bill Conti, Gonna Fly Now
Maynard Ferguson Big Band
Mit 15 war der Trompeter Maynard Ferguson mein Held. Er war für sein Trompetenspiel mit extrem hohen Tönen und seine energischen, dem Rock und Funk zugewandten Arrangements bekannt. Ich hörte ihn 5–6 Mal live. Einmal, bei einem Solo-Break ohne Begleitung, spielte er höher und höher bis er auf einem unfassbar hohen Ton landete, um dann gleich noch eine Oktave draufzusetzen. Kurz bevor das Publikum in frenetischen Applaus ausflippte, schrie einer vor mir »Maynard, you’re God!«
Gustav Mahler, 5. Sinfonie, III. Scherzo
Chicago Symphony Orchestra, Georg Solti
Der Vorort, in dem ich wohnte, war, was den öffentlichen Nahverkehr angeht, gut an Chicago angebunden. So konnte ich als Jugendlicher regelmäßig zu den Nachmittagskonzerten des Chicago Symphony Orchestra fahren. Dort habe ich Mitte der 70er viele Mahler-Sinfonien gehört, sogar manche mit Georg Solti oder auch Carlo Maria Giulini. Obwohl das Blech beim Chicago Symphony Orchestra prominent ist, kann ich mich nicht daran erinnern, dass es mir jemals in den Sinn gekommen wäre, selber in einem Orchester zu spielen. Vor einem zu stehen und zu dirigieren schon.
Pierre Boulez, Le Marteau sans maître
Jeanne Deroubaix, Severino Gazzelloni, Georges van Gucht, Claude Ricou, Jean Batigne, Anton Stingl, Serge Collot, Pierre Boulez
… und …
Ornette Coleman, The Shape of Jazz to Come
Ornette Coleman, Don Cherry, Charlie Haden und Billy Higgins
Als ich 15 Jahre alt war, habe ich die Schallplatten von Boulez und Coleman aus der Bibliothek ausgeliehen und hintereinander angehört. Damals hörten sich die beiden Aufnahmen für mich sehr ähnlich an, ja fast austauschbar, obwohl mir klar war, dass die eine improvisiert und die andere komponiert war.
Harry Partch, The Dreamer That Remains
Als junger Kompositionsstudent bei Ben Johnston, dem Assistenten von Harry Partch, stellte die Musik von Partch bei mir wieder alles auf den Kopf. Kaum fühlte ich mich in Jazz und Klassik heimisch, öffnete Partch mir die Tür außereuropäischer Musik und anderer Intonationssysteme. Kurzum, ich spürte die Größe der Musikwelt zum ersten Mal. ¶