Das Kuss Quartett spielt mit vier Stradivaris Beethoven. Ein Erfahrungsbericht.

Text Kuss Quartett · Datum 9.10.2019

Zwei Geigen, eine Bratsche, ein Cello, gebaut von Antonio Stradivari und (angeblich) als Quartett gespielt von Niccolò Paganini und Konsorten. Dieses sogenannte Paganini-Quartett hat die Nippon Foundation für zwei Monate an das Kuss Quartett verliehen, das damit alle Streichquartette Beethovens live einspielte (die Aufnahme erscheint Anfang 2020 bei Rubicon Classics). Hier ziehen Mikayel Hakhnazaryan, Oliver Wille, Jana Kuss und William Coleman Bilanz.

Mikayel Hakhnazaryan

»Olli hat Ende Januar per Zufall im Strad Magazine eine Anzeige entdeckt, dass das Paganini Quartett bei der Nippon Foundation liegt und verfügbar ist. Ich fand diese Idee gleich sehr aufregend (was nicht alle Kolleg*innen direkt teilten), aber nach und nach wuchs die Begeisterung bei uns allen. Es war natürlich ein Riesenaufwand, zig Formulare ausfüllen, Videos, Konzertkalender und so weiter einsenden … Überraschenderweise ging dann alles sehr schnell, die Foundation teilte uns ihre Entscheidung mit und dann musste jede*r das Instrument persönlich in Tokyo abholen, trotz der katastrophalen CO2-Bilanz, den man bei so einer Aktion hat.«

Oliver Wille

»Als ich zum ersten Mal in der Nippon Foundation die beiden Geigen sah, wie wahnsinnig schön sie sind, war ich natürlich sehr gespannt, wie sie klingen. Ich hatte keinen Bogen dabei und so konnte ich mein Instrument erst in Deutschland ausprobieren.«

Mikayel Hakhnazaryan

»Die Mitarbeiter der Nippon Foundation begrüßten mich sehr freundlich und gaben mir gleich das ›Ladenburg‹-Cello.

Mikayel und das ›Ladenburg‹-Cello.

Als ich die ersten Töne darauf spielte, wurde mir sofort angeboten, auch das vielleicht berühmteste Stradivari-Cello auszuprobieren, das ›Feuermann‹-Cello. Es ist ein unglaubliches Instrument und wegen seiner Größe meinem eigenen Cello sehr ähnlich, wodurch es für mich sehr angenehm und leicht zu spielen war. Ich war so froh, dass es immer noch klang wie bei Steven Isserlis, der das ›Feuermann‹-Cello lange Jahre gespielt hat. Ich bat die Nippon-Mitarbeiter, es mir wieder wegzunehmen, weil ich dabei war, mich in dieses Cello zu verlieben und gleichzeitig wusste, dass es ein anderes Instrument sein würde, was ich spielen sollte.«

Oliver Wille

»Es hieß, dass die Geige von 1680 fast noch im Amati-Stil gebaut war. Die ersten Töne darauf waren sehr gewöhnungsbedürftig, weil sie viel dunkler klingt als meine eigene (von Peter Greiner). Die gewohnte Spielart konnte ich gar nicht anwenden, denn je näher ich mit dem Bogen an den Steg ging, desto weniger wollte die Geige mitmachen, Bogendruck konnte sie erst recht nicht vertragen. Ich musste also in sehr kurzer Zeit eine neue Art zu spielen lernen, mit viel mehr Wind und Luft im Klang, dann hat sie mehr zurückgegeben, als man reingegeben hat. Immer wieder gab es überraschende Tönen. Das Instrument hat eine fantastische A-Saite, die immer blumig und blühend klingt, egal wie hoch man spielt, eine tolle G-Saite, die am Ohr aber nicht sehr laut ist. Im Saal ist die Geige, wie sich dann herausstellte, aber sehr durchsetzungsfähig.«

Jana Kuss

»Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass die Geige bestimmt, wie ich zu spielen habe und dass ich nicht die Möglichkeit habe, sie zu formen, was ich an meiner eigenen Geige sehr gern habe und als Qualität sehr schätze. Die Strad hatte diese helle, brillante, sehr schnelle Ansprache, von der Klangqualität unübertroffen. Man musste unglaublich genau spielen. Ich hatte am Anfang richtig Schwierigkeiten, links zu koordinieren, musste viel präziser spielen. Das ist auch toll, mal zu merken, dass man sogar noch ein bisschen genauer sein muss, rein technisch und dann aber auch davon zu profitieren, dass man unglaublich leise spielen kann und der Klang sofort da ist, auch im Saal. Das, was man spielt, wird auch transportiert. Das ist bei den Instrumenten, die wir normalerweise in die Hände bekommen, anders. Da ist der Klangunterschied am Ohr und im Saal deutlich größer. Das muss man dann arrangieren. Was ich aber nicht empfunden habe, war, dass ich meine Klangvorstellung, meine Seele in dieses Instrument geben kann.«

Ein Ausschnitt aus Beethovens Op. 18 No 4, erster Satz, gespielt vom Kuss-Quartett auf den vier Strads.

William Coleman

»Diese Instrumente sind so kraftvoll und haben ihren eigenen Charakter – normalerweise findet man seinen eigenen Klang auf einem neuen Instrument relativ schnell wieder, innerhalb von 10 Minuten, einigen Stunden, spätestens nach 1–2 Tagen klingt man wieder wie man selbst.

William testet die Stradivari.

Die Strads machen dagegen fast komplett, was sie wollen. Man muss am Anfang sehr aufpassen, vorsichtig herausfinden, was sie von einem wollen. Irgendwann, das braucht echt einige Zeit, kann man dann den eigenen Klang, das eigene Vibrato, den eigenen Stil mit einbringen, eine Art Kompromiss finden. Wenn du mit diesen Instrumenten nicht gut klingst, machst du etwas falsch. Die Kombination aus Paganinis Instrumenten und der Tatsache, dass wir den kompletten Beethovenzyklus in der Suntory Hall live einspielen würden, haben einen ganz schönen Druck aufgebaut.«

Oliver Wille

»Den hellen Klang, den das Quartett letztlich produzierte, fand ich fantastisch, doch sehr ungewohnt. Die beiden Geigen, die sehr klar voneinander getrennt klangen, waren immer deutlich zu hören. Ich habe mich wahnsinnig verliebt in diese Farbigkeit der 2. Geige. Die 1. Geige war weniger farbig, dafür sehr laut, also konnten wir als Stimmen darunter immer viel Klang geben. Das ist eine Qualität, die sehr wenige Instrumente haben, dass dieses Strahlen immer bleibt und die Durchhörbarkeit niemals gefährdet ist. Der wichtigste Unterschied vom Spielgefühl war, dass das dynamische Spektrum sehr viel größer sein kann als bei anderen Instrumenten. Schwierig war, dass man sich wirklich sehr schnell einhören muss in diesen Quartettklang. Wir haben ja jahrelang die Beethoven-Quartette geprobt und vorbereitet und nachdem wir in Tokio ein paar Probeaufnahmen gemacht hatten, war ich sehr überrascht, dass ich uns als Quartett zunächst gar nicht wiedererkannt habe. Ein brillanter, heller, toller Klang mit sehr viel Resonanz und Nachhall durch die Instrumente – aber mit ganz anderer Artikulation, als der, die ich gewohnt war. Manche Stimmen kamen besonders gut raus, andere aber wiederum gar nicht. Alles, was wir wirklich jahrelang geprobt hatten, war plötzlich ganz anders.«

Mikayel Hakhnazaryan

»Die Klang-Balance-Probleme, die man als Quartett immer wieder hat, sind schneller zu lösen mit vier Strads. Man wird automatisch besser, wenn man so ein Instrument in der Hand hat, jeder einzeln und wir alle zusammen. Der Wert des Instruments ist absolut gerechtfertigt, die Klangqualität, die Klarheit, die es transportiert – das findet man in kaum einem anderen Instrument. Sich nur auf die Musik zu konzentrieren, hat mir geholfen, mich vor dieser unnötigen Erwartungshaltung über die Bedeutung der Instrumente, zu schützen. Es war fast unwirklich, jeden Morgen aufzuwachen und dieses Cello zu sehen und zu spielen, das der Mendelssohn-Familie gehörte. Dass Stradivari es mit 93 Jahren gebaut haben soll, in einem Alter, in dem er all seine Erfahrung und Wissen in dieses Instrument stecken konnte, war für mich besonders wertvoll.«

William Coleman

»Ich erinnere mich, dass ich nach unserem ersten Konzert mit allen Op.18-Quartetten durch Tokio spazierte und dachte: Das war ein richtiger Langstreckenlauf, den ich, ehrlich gesagt, nicht habe genießen können. Es gab Aufs und Abs wie bei einem echten Marathon, ich weiß noch, wie ich im 3. Quartett dachte, »wie in aller Welt sollen wir das schaffen?« und in der Nr. 6 war es kurz wie ein Tanz, eine Party, wir haben es wirklich genossen, die Energie floss genau richtig zwischen uns Vieren und dem Werk. Am nächsten Tag hatten wir dann eine Nach-Aufnahme-Session, die ziemlich nervenaufreibend war, genau wie das Wissen, dass wir am nächsten Tag wieder ein Konzert spielen müssten, bei dem wieder alles aufgenommen würde, und die Strads sich noch nicht vertraut anfühlten. Ich musste wirklich gegen diese Angst ankämpfen, gegen die Enge und das Gefühl, dass der Koloss Beethoven von oben auf uns herabstarrt. Es hat sich nicht angefühlt wie: ›Yay, jetzt haben wir vier Strads und sind total happy.‹ Es war wirklich hart.«

Oliver Wille

»Auf dem Weg zur Rückgabe in Tokio fragte mich in Wien beim Zoll eine Dame, ob das eine Stradivari sei. Ich sagte ja und sofort standen vier Beamte um mich herum, die alle ein Abo im Konzerthaus oder Musikverein hatten. Während sie staunend das Instrument anschauten, machte eine Dame die Papiere fertig, einer fragte mich, aus Berlin kommend, aus, was ich denn von Simon Rattle hielte, weil er kürzlich im Musikverein dirigiert hatte, wie ich denn Petrenko fände – sie seien ja große Dudamel Fans, aber nur für nicht-klassisches Repertoire und so weiter. Also Experten mit Klassik-Abos, die im Zoll am Flughafen arbeiten. So etwas passiert einem wahrscheinlich nur in Wien.«

Mikayel Hakhnazaryan

»Nachdem wir die Instrumente zurückgeben mussten, fielen wir alle für eine gewisse Zeit in eine Art Loch. Ich finde es wahnsinnig schade, dass wir ihre endlosen Qualitäten nicht weiter erkunden konnten. Ich hätte gern das gesamte Quartettrepertoire darauf gespielt und auch Werke für Cello solo …«

Jana Kuss

»Ich habe die Strad, nachdem wir sie wieder abgeben mussten, sehr vermisst. Obwohl ich meine Landolfi sehr liebe – die Strad hat mir gezeigt, was noch alles möglich sein kann an Klängen. Das ist etwas schwer zu beschreiben, aber das Spektrum an Klarheit, Präsenz, ist unwahrscheinlich. Das hat mir geholfen, auch auf der Landolfi ein bisschen mehr danach zu suchen, eine hellere Qualität, das Strahlende. Wenn es das einzige Mal gewesen sein sollte – schön. Und wenn wir irgendwie nochmal die Chance bekommen sollten, diese Instrumente zu spielen, würde ich sie auf jeden Fall ergreifen wollen.«

»Es hat sich nicht angefühlt wie: ›Yay, jetzt haben wir vier Strads und sind toal happy.‹ Es war wirklich hart.« Wie sich das Kuss Quartett in kurzer Zeit mit vier Stradivaris anfreundet in @vanmusik.

Oliver Wille

»Auf die anderen Instrumente zurückzukehren, war erstmal sehr frustrierend. Wir haben gleich nach Japan ein Konzert in der Schweiz gespielt, was lustig war, weil da alle ihre Spielarten der Stradivaris weitergeführt haben, aber der Klang wieder ein ganz anderer war. Bei meiner Geige musste ich wieder sehr viel fokussierter spielen, mehr am Steg, etwas mehr reingehen ins Instrument, damit Substanz und Klang entsteht, so dass die anderen auch etwas mit meinem Klang anfangen können. Trotzdem habe ich sehr viel davon gelernt, ich versuche jetzt noch farbiger zu spielen auf meiner Geige und diese Erfahrung, diese endlose Palette von Klangmöglichkeiten zu übertragen.« ¶