Herr Kampe, haben Sie schon einmal ein Interview gegeben, das nicht mit der Frage beginnt, wie man vom gelernten Elektroinstallateur zum Komponisten wird?

Eigentlich wurde ich das noch gar nicht so oft gefragt – mir ist es eher schon passiert, dass man es für einen merkwürdigen Witz hielt. Ist aber nun mal so – ich habe eine Ausbildung gemacht: Tagsüber auf Baustellen Lampen angebracht, Schaltkästen verdrahtet und Merkwürdigkeiten gelötet. Nachmittags im Schulorchester (im Blaumann, wenn keine Zeit zum Umziehen war) Haydns Schöpfung gespielt. Leider habe ich noch während der Gesellenprüfung, kurz vor der Abnahme durch meinen Meister, einen Schlag bekommen. Die Entscheidung, doch lieber Komponist zu werden, hat mir vermutlich das Leben gerettet. Grundgütiger: Ich war ein wirklich schlimmer Elektriker.

Abgesehen von der Lehre: Sie sind im beschaulichen Herne geboren, wo Sie jeden Sonntag die Kirchenorgel betätig(t)en – die Voraussetzungen für einen bodenständigen Lebenslauf waren gut. Was lief schief?  

Siehe oben: der Schlag – kein Spaß – auf die Nase! Ich hatte Schrauben verloren und bin, um sie wieder heraus zu holen, mit dem Kopf in einen Verteilerkasten gekrabbelt. Zack. Jetzt schreibe ich Opern. Jenseits davon: Ich habe 17 Jahre lang jeden Sonntag georgelt, erst im letzten Jahr habe ich damit aufgehört. Das für mich ganz neue Konzept, am Sonntag einmal auszuschlafen, ist mir nach wie vor nicht geheuer. Und so nervig es auch manchmal war – Kunst gelingt im Alltag an der Orgel ja nicht immer –, so gern habe ich es dann doch oft gemacht. Niemand interessierte sich dort für den Komponisten, da war ich stets inkognito. Aber dieser sehr handwerkliche Zugang, die unentwegte Praxis und vor allem das Heraustreten aus der professionellen Welt der Neuen Musik, das war wichtig für mich. Gelegentlich tauchen mittlerweile einige Gesangs- und Sprachfetzen in meinen Stücken auf, die ich dort über die Jahre gesammelt habe. Aufnahmen aus meinem Kirchenchor etwa oder die Stimmen älterer Menschen aus der Gemeinde.

Täuscht der Eindruck oder funktioniert zeitgenössische Musik heutzutage nur noch mit den Zutaten Elektronik, Multimedia, Klanginstallation und Performance?

Ich finde es ganz wunderbar, wenn die Grenzen der Musik immer wieder verschoben und erweitert werden. Musik kann mittlerweile auch ein Video sein, der Einsatz von Medien kann komponiert werden wie ein Stück Musik. Multimedia eröffnet großartige Möglichkeiten und in den letzten Jahren explodieren diese ja geradezu. Allerdings: Mein Schwerpunkt liegt nach wie vor im Bereich der Musik. Zwar arbeite ich sehr oft und gerne mit Zuspielungen, Samples oder Verstärkungen, und der Computer ist als Werkzeug für mich nicht mehr wegzudenken. Dennoch glaube ich nicht, dass Musik ohne diese Medien per se auf verlorenem Posten ist. Mich macht auch ein videofreies und unverstärktes Cis noch sehr glücklich. Ähnlich geht es mir mit Klanginstallationen oder performativen Elementen. Wunderbare Genres, die die Möglichkeiten und Ausdrucksformen erweitern und bereichern. Ich sehe gar nicht ein, die Genres gegeneinander auszuspielen. Interessant wird es ja auch gerade dann, wenn eindeutige Zuordnungen schwerfallen, wenn die Erfahrung flackert und changiert. Ich erfreue mich daran, interessiere mich dafür – aber ich muss auch nicht alle Genres bedienen. Ich kann kein Video, also lass ich es lieber. Ich habe auch keine Idee für ein Streichquartett, also schreibe ich keines.

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Ist die Einbeziehung von Alltagsgegenständen in Ihre Musik möglicherweise dem Wunsch geschuldet, einen Bezug der Musik zum Alltag herzustellen, sie innerhalb der Gesellschaft zu verorten? Haben Sie Angst, dass die Kluft zwischen der Neuen Musik und der ›Welt da draußen‹ immer größer wird?

Ich habe in den letzten Jahren, gerade im Bereich der Neuen Musik, eher festgestellt, dass der Begriff des ›Alltags‹ eine für mich beinahe übergroße Bedeutung gewonnen hat. Polemisch ausgedrückt: Es gab Zeiten, da fuhr die Straßenbahn-Aufnahme im Viertelstunden-Takt durch das Konzert. Alltags-Samples als bloße Verweise und Symbole, dass man eben nicht abgehoben sei, sondern ganz und gar Welthaltiges produziere, ist mir mittlerweile ein bisschen zu wenig. Ich habe in der Tat viele Samples in älteren Stücken, gegenwärtig gehe ich sehr sparsam damit um. Stimmen aus meinem Archiv kommen vor, gelegentlich Fundstücke oder Sprachsamples, aber – im Verhältnis – immer weniger. Alltagsgegenstände reizen mich nur noch, wenn sie mich auch klanglich zufriedenstellen. Eierschneider und Schneebesen sind einfach wunderbare Instrumente.

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Sie haben Sie eine Vorliebe für das Skurrile, Absurde? Können Sie nachvollziehen, dass nicht jeder begeistert ist, wenn Gedichtfragmente von Annette von Droste-Hülshoff rückwärts in eine Kuhglocke geflüstert werden?

Nein. Das klingt doch super! Wenn ich derlei Hochkultur verarbeite, dann geschieht das nie mit zerstörerischer Geste, eher als Hommage. Kaputtmachen ist mir eine zu schlichte Haltung. Wenn ich etwa eine völlig falsch übersetzte Bedienungsanleitung einer Weihnachtslampe als Textgrundlage für ein Madrigal benutze, dann erfreue ich mich einerseits an den Schrägheiten. Andererseits habe ich dann aber auch noch die Möglichkeit, mit der Musik zwischen und in die Zeilen zu kommen. Wann Skurrilität oder Absurdität beginnen, das weiß ich gar nicht und will es auch nicht genau bestimmen. Manche mögen es skurril finden, wenn ein Cello mit einem Schneebesen gespielt wird – ich finde die dabei entstehenden defekten Obertonstrukturen und Geräusche ganz wunderbar. Absichtlich lustige Stücke allerdings, will ich gar nicht schreiben. Ich mag Musik, die ein möglichst reiches Ausdrucksspektrum hat. Heiteres wird umso heiterer, wenn es in der Nähe des Schrecklichen wohnt. Die Ländler und Märsche in der Musik Gustav Mahlers wirken doch nur in ihrer Umgebung so stark.

Ihr Katalog umfasst zahlreiche Werke für Kinder und Jugendliche. Sie haben über Märchenopern im 20. Jahrhundert promoviert. Liegt Ihnen der Nachwuchs besonders am Herzen?

Unbedingt! Insbesondere Musiktheater für Kinder ist eine Gattung, die ich außerordentlich schätze. Hier muss man klar und knapp auf den Punkt komponieren, ein junges Publikum verzeiht nichts – das ist echt schwierig und kann schlimm nach hinten losgehen. Kinder fragen auch nicht nach dem Material, wenn es theatralisch sinnvoll ist und eine Geschichte klar erzählt wird. Ich glaube, dann können die merkwürdigsten Mittel zum Einsatz kommen. Mir geht es in dieser Arbeit übrigens nicht um zukünftige Opern-Abonnentinnen und Abonnenten und auch nicht darum, dass das Genre der Neuen Musik, was immer das ist, vermittelt wird. Es geht darum, Musik für eine spezifische Altersgruppe zu komponieren, um in der Gegenwart eine schöne, spannende und durchaus anrührende Erfahrung zu ermöglichen. ¶

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